von Migrantifa tags Bewegung (Anti-)Faschismus AfD Datum Jun 2025
zuDie Debatte um eine Kampagne für ein AfD-Verbot ist neu entbrannt, seitdem der Verfassungsschutz die Partei als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft hat. Nicht nur der zeitliche Zusammenhang zeigt, dass sich die Kampagne trotz aller gegenteiligen Beteuerungen nicht von ihrem verfassungskonformen Ansatz losmachen kann.
Zivilgesellschaft und radikale Linke
Vorweg: Dieser Text will die funktionalen Argumente, die für ein AfD-Verbot sprechen, nicht bestreiten. Angesichts drohender Regierungsbeteiligungen der AfD ist es durchaus nachvollziehbar, dass Vertreter*innen der Zivilgesellschaft für das Verbot eintreten, um der AfD als dem parlamentarischen Arm der Rechten finanziell und strukturell zu schaden. Ebenfalls vernachlässige ich die Diskussion darüber, ob ein Verbot sich wie ein Boomerang auch gegen linke Strukturen wenden könnte – auch wenn der Optimismus, mit dem Bedenken bezüglich hufeisenförmiger Repressionen des Staates übergangen werden, doch verwundert. Hier soll es darum gehen, welche Haltung die radikale Linke zu der Verbotsdebatte einnimmt. Einige Befürworter*innen der Verbots-Kampagne hoffen, dass eine linksradikale Beteiligung an einem derart breiten Bündnis eine Art von utopischem Überschuss über die Verteidigung der demokratisch-kapitalistischen Gesellschaft hinaus entwickeln könnte – oder ihn sogar benötigt. Dabei ist jedoch vollkommen unklar, wie dieser durch die Kampagne entstehen soll. Schlimmer noch: Sie steht seiner Herstellung diametral entgegen.
Politik mit Bauschmerzen
Irgendwie sind wir uns ja alle einig, dass wir uns auf den bürgerlichen Staat nicht verlassen und ihn mittel- bis langfristig überwinden wollen. In den letzten Jahren hat die radikale Linke jedoch unter dem Eindruck hochmoralischer Debatten wiederholt Grundsatz-Positionen preisgegeben. Klar sind theoretisch alle gegen Waffenlieferungen Deutschlands an andere Nationalstaaten. Wenn die Waffen aber gegen die russischen „Orks“ eingesetzt werden, müsse man da doch eine Ausnahme machen. Klar sind theoretisch alle gegen Verbote durch einen starken Staat; aber wenn es doch gegen den Nationalsozialismus 2.0 geht, müsse man da doch eine Ausnahme machen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Dabei wird übersehen, wie sehr das Abrücken von eigenen Positionen unsere Glaubwürdigkeit unterminiert. Wir sind nicht die erste emanzipatorische Bewegung, die sich in einer Endlosspirale der Wahl des geringer erscheinenden Übels selbst das Wasser abgräbt. Entscheidungen mit Bauchschmerzen, das kennen wir doch irgendwoher?
Autoritarismus der Gegenwart
Dabei bleibt unbeachtet, was dem Faschismus strukturell den Weg bereitet: Ein progressiver Neoliberalismus, der selbst zunehmend autoritär wird, und dessen angebliche Alternativlosigkeit den Frust der Menschen nährt. Denn der Kapitalismus kann nur für die wenigsten zufriedenstellende Lebensverhältnisse schaffen, während auch in der Wohlstandsinsel Deutschland Abstiegsangst und Prekarität um sich greifen – was wiederum von den Rechten emotional bewirtschaftet wird. An dieser gescheiterten Modernisierung des Modells Deutschland, das wirtschaftlichen Standortpatriotismus und eine sozial-ökologische Transformation kombinieren sollte, tragen auch grüne und linksliberale Kräfte eine Mitschuld. Ein Bündnis im neoliberalen Konsens mit den staatstragenden Parteien ist schon allein deshalb gefährlich. Hinzu kommt, dass für ein Verbotsverfahren durch die neuen Kräfteverhältnissen im Bundestag eine Zusammenarbeit mit der CDU noch notwendiger wäre als in der letzten Legislaturperiode. Mit einer Union, die mit Amtsantritt die Grenzen für Asylsuchende schloss, am Verbot der AfD zu arbeiten, erfordert schon ein erhebliches Maß an Instrumentalität.
Selber machen?
Bleibt die Frage, inwiefern man trotz dieser Widersprüche ein AfD-Verbot „selber machen“ will. Um die Demokratie zu verteidigen, wollen Teile der radikalen Linken die Gerichtsurteile – und, wenn man es zu Ende denkt, die entsprechenden polizeilichen Maßnahmen eines Parteienverbots – durch Druck auf der Straße herbeiführen bzw. legitimieren. Angesichts der erfolgreichen Mobilisierungen von Widersetzen könnte man meinen, dass dieser Druck allein dafür sorgt, dass die AfD praktisch verboten ist. Allerdings gerät in der nachvollziehbaren Freude darüber, dass man den AfD-Parteitag in Riesa immerhin um 2 ½ Stunden verzögerte, in Vergessenheit, dass linksradikale Bewegungen schon vor knapp zehn Jahren an einem Punkt standen, wo der massenhafte Ungehorsam nicht entscheidend weiterentwickelt werden konnte. Deshalb begann die Debatte um Zivilen Ungehorsam Plus (ZU+), deshalb wurde versucht, neue Formen des Widerstands zu finden. Aus diesen könnte Platz entstehen für andere Akteur*innen neben uns, es könnten Räume geöffnet werden für weitere Aktionen und schließlich ein utopischer Überschuss entstehen. In der Gegenwart jedoch werden die einwandfrei durchchoreographierten Proteste vom linksliberalen Spektrum begrüßt: Wenn die Grüne Jugend, die sich ihrer letzten kapitalismuskritischen Kader entledigt hat, Jubel-Reels aus Riesa teilt, ist das nur eins von vielen Anzeichen dafür, dass der Protest keine wirkliche Grenzüberschreitung mehr ist. Es findet keine reale Unterbrechung mehr statt, sondern eingehegte Aktionen zum Mitmachen für die Demokratie™. So landet man schließlich bei der Erkenntnis, dass an einem AfD-Verbot herzlich wenig selbst gemacht wäre. Außerdem offenbart sich, dass der Wunsch nach Aufmerksamkeit, Bestätigung und Selbstwirksamkeit dazu führt, dass wir unsererseits in unserer Praxis beeinflusst werden. Die Notwendigkeit unseres Tuns wird hinter seine Vermittelbarkeit zurückgestellt, was sich langfristig auch in unserem Denken und Handeln niederschlägt. Jegliche Rücksichtnahme auf das scheinbar progressiv-grün-linksliberale Milieu bringt keine Verbreiterung radikaler Positionen, sondern ihre langsame Aufgabe.
Mit dem Rücken zur Wand?
Manche Unterstützer*innen sind sich dieser Gefahren bewusst, kontern Kritik jedoch mit dem Verweis, man befinde sich quasi in der Lage der Antifaschist*innen in der Weimarer Republik. Doch dieser Vergleich ist in mehrfacher Hinsicht schief: Einerseits, weil die antifaschistische Bewegung und die iL nicht wie die stalinisierte KPD sind; und andererseits, weil sich die Gesellschaft in einer globalisierten Welt verändert hat. Zudem missachtet der stete Verweis auf die nationalsozialistische Geschichte Deutschlands, dass auch in einer demokratisch-kapitalistischen Gesellschaft die Unterdrückung von unterschiedlichen Gruppen der Gesellschaft extrem unterschiedliche Ausmaße annimmt. Für rassifizierte Personen etwa bedeutet auch die liberale Demokratie Erfahrungen von Tod, Gewalt und Ausbeutung. Und auch, wenn man sich im Deutschland der Gegenwart in einer Zwangslage historischen Ausmaßes sieht, ist die Schlussfolgerung, nun mit dem Staat gegen die AfD zu kämpfen, falsch. Wenn übermorgen wirklich der Faschismus wieder kommt, sollten wir uns dann nicht für den Sturm wappnen? Uns an der Stärkung nicht-staatlicher Strukturen beteiligen? An unserer Fähigkeit arbeiten, Illegalisierte zu unterstützen? Und von ihnen lernen, was es heißt, mit derart erhöhter Repression zu leben? All das würde uns auch in der Gegenwart dabei helfen, den Bewegungs-Faschismus zurückzudrängen und jenen beizuspringen, die schon jetzt von der Autoritarisierung der Verhältnisse getroffen werden. Dass das unumgänglich ist, zeigt der Blick in die vielen ostdeutschen Orte, wo rechte Gewalt die Alltagskultur prägt. Es ist paradox, dass gerade die Situation ostdeutscher Genoss*innen oftmals als – zutiefst moralischer – Verweis dafür herangezogen wird, dass man auch staatliche Gewaltmittel nutzen müsse, um gegen die AfD zu kämpfen. Das ist auf den ersten Blick nachvollziehbar, vergisst jedoch, dass linke Strukturen nicht zuletzt davon betroffen sind, dass staatliche Gelder für die Zivilgesellschaft auch von SPD und CDU gekürzt werden. Und es wird ausgeblendet, dass sich eine rechte Hegemonie jahrzehntelang auch ohne die AfD ausbreiten konnte bzw. fortbestehen würde. Gegen diese üble Mischung müssten wir mehrgleisig fahren: Einerseits vor Ort antifaschistischen Selbstschutz organisieren helfen, um dem Alltagsterror etwas entgegensetzen zu können. Und andererseits Strukturen entstaatlichen, um sie dem Zugriff von AfD, CDU und anderen lokalen Mehrheiten zu entziehen. So hätte ein linkes Gegenprojekt vor Ort Chancen, Menschen beim Dagegenhalten zu unterstützen und selbst als progressive Erzählung erfahrbar zu werden.
Klasse werden
Sich von einer Politik der Taktiererei abzuwenden, heißt nicht, sich den realitätsfernen Maximalforderungen der neuen ML-Gruppen oder der Totalverweigerung von Autonomen zuzuwenden. Es war eine Stärke der iL, diese zu vermeiden und dabei eine eigene Klassenperspektive zu entwickeln. Diese können wir allerdings nur glaubhaft und kollektiv ausbilden, wenn wir kein temporäres Bündnis mit jenen eingehen, deren Politik der Aufrüstung und des Sozialabbaus die Lage der unteren Klassen noch verschärfen wird. Statt Staats-Antifa braucht es einen Antifaschismus, der die Wurzeln des Faschismus bekämpft; und damit das System, das die Ideologien der Menschenfeindlichkeit erst hervorbringt (man traut sich heutzutage kaum, das Wort vom revolutionären Antifaschismus zu benutzen). Nicht die liberale Demokratie, sondern die Abschaffung jeglicher Ungleichheit muss der Horizont sein. Nur eine Gesellschaft, die in all ihren Bereichen ernsthaft demokratisch ist, hat eine Chance, irgendwann keine Rechten mehr hervorzubringen. Auf dem Weg dahin hilft kein Taktieren und kein fauler Kompromiss mit der herrschenden Klasse, sondern eine konsequent anti-autoritäre Haltung.
Postmigrantisch und internationalistisch
Wollen wir Menschen mitnehmen und aktivieren, müssen wir glaubhaft bleiben – gerade für jene, die schon jetzt ungleich härter vom Autoritarismus getroffen werden. Wenn wir uns auf ein Verbot der AfD konzentrieren, ist das auch ein Zeichen an potenzielle Verbündete, dass wir uns mit den Verhältnissen eben doch ganz gut arrangiert haben. In einer Zeit, in der Klima-Aktivismus oder das Eintreten für Menschenrechte in Gaza mit Berufsverboten und Abschiebung bestraft wird, ist Haltung und Solidarität mehr denn je gefragt. Ein*e Schwarze Genoss*in bemerkte einmal voller Sarkasmus, dass ein AfD-Verbot ihre Freund*innen ohne deutschen Pass bestimmt beruhigen werde: Dann würden diese nicht von der AfD remigriert, sondern „nur“ von CDU/Grünen/SPD abgeschoben. Der Fokus auf die AfD zeigt, dass sich Teile der Linksradikalen immer noch schwer damit tun, in der postmigrantischen Gegenwart anzukommen. Und daneben wird ausgeblendet, wie sehr unsere Gesellschaft auf Kosten derer lebt, die nicht per Geburtslotterie in der globalen Mittel- und Oberschicht gelandet sind. Die Katastrophe, die bereits in diesem Augenblick für so viele Realität ist, können wir nur internationalistisch be- und angreifen. Unhaltbare Zustände entstehen nicht nur aus dem Bewegungsfaschismus der extremen Rechten, sondern auch und gerade durch den Autoritarismus und Imperialismus der liberalen Demokratie. Die schwarze, feministische Schriftstellerin Audre Lorde schrieb einmal: „For the master’s tool will never dismantle the master’s house.“ Sinngemäß könnte man sagen: Mit den Werkzeugen der Herrschenden werden wir ihr System nicht zum Einsturz bringen. Schlimmer noch, wir machen uns mit seinem repressiven Charakter gemein. Dagegen müssten wir einen Antifaschismus vertreten, der das Leiden an den kapitalistischen Verhältnissen beenden will. Die Kampagne für ein Verbot der AfD erweckt den Eindruck, dass dieses Ziel von Teilen der radikalen Linken längst aufgegeben wurde.
Der Autor angel ist in der interventionistischen Linken aktiv.
Bild von Eugene Golovesov