Ende Gelände - Ein Gruß aus der Zukunft

Wie sieht die Zukunft von Ende Gelände aus? Welche Aktionsformen können probiert und welche Allianzen für eine klimagerechte Welt geschaffen werden? Die Aktions AG innerhalb des Bündinisses Ende Gelände gibt einen Überblick wie es die nächsten Jahre weitergeht.

Ende Gelände hat als Bündnis nach über acht Jahren und zehn großen Massenaktionen entschieden, in 2023 keine bundesweite Massenaktion zu organisieren, um sich stattdessen auf die Suche nach Hebeln zu begeben, die unseren politischen Zielen treu bleiben. Wir wollen neue und vielfältigere Aktionsformen ausprobieren, uns dabei mit Verbündeten zusammentun und die Möglichkeiten für eine radikale Veränderung der Gesellschaft hin zu einer klimagerechten Welt erweitern. Mit diesem Text wollen wir unsere langfristige Vision und die politischen Argumente dafür teilen, um uns und unseren Freund* innen Mut zu machen, entschlossen und gemeinsam für einen radikalen Bruch mit dem kapitalistischen Normalzustand und den existenziellen Krisen zu kämpfen, die dieser Normalzustand verursacht. Dies ist der Versuch einer Skizze welche Wünsche und Visionen wir als Bewegung für die nächsten zwei Jahre haben, um dann im zweiten Teil die politische Notwendigkeit einer neuen antikapitalistischen Allianz darzulegen.

Ein mögliches 2025

Die Klimakrise spitzt sich immer weiter zu, und mit ihr haben sich auch weitere geopolitische Krisen verstärkt. Global ringen Nationalstaaten immer stärker und aggressiver um Macht und den Zugang zu immer knapper werdenden Ressourcen. Rechte Kräfte haben noch mehr Aufwind bekommen, militärische Aufrüstung und Abschottung ist das bestimmende Thema in Europa. Konservative Kräfte versuchen, auch noch das Letzte aus dem ausbeuterischen System herauszupressen, aber ihre breite Unterstützung fängt mehr und mehr an zu bröckeln.

Aber auch die Klimabewegung ist so stark wie schon lange nicht mehr und hat sich in den letzten Jahren noch offensichtlicher geteilt: in einen reformistischen Teil mit NGOs, Grüner Jugend und Teilen von FFF auf der einen und einen radikalen, emanzipatorischen Teil auf der anderen Seite. Während punktuell und strategisch Zusammenarbeit stattfindet, sind sie in der öffentlichen Sicht klar getrennt. Der radikale Teil hat sich 2023 angefangen, zu einer antikapitalistischen Allianz zusammen zu schließen, und hat so Strahlkraft und Vernetzung auch in andere linksradikale Kämpfe geschaffen.

Bezogen auf den Kapitalismus ist der radikalen Klimagerechtigkeitsbewegung eine starke Diskursverschiebung gelungen. Für die gesamte Gesellschaft ist Kapitalismus nicht mehr zu trennen von Ausbeutung an Menschen und Umwelt, und auch die Reformierbarkeit des Systems wird offen in Frage gestellt. Für alle ist klar, dass eine klimagerechte Welt nur jenseits vom Kapitalismus umsetzbar ist. Die Gesellschaft weiß, dass sie sich zwischen der rechten Erzählung von menschenverachtender Ausbeutung und Abschottung und dem guten Leben für alle entscheiden muss.

Der kapitalistische Alltagsverstand, dass alles schon irgendwie weitergehen kann, ist zerstört, und die antikapitalistische Klimagerechtigkeitsbewegung wird nicht müde, genau an diesen Punkten zu intervenieren. Das passiert durch immer neue und größere Aktionen. Durch das Zusammenspiel der vielfältigen Aktionen und Aktionsformen einer antikapitalistischen Allianz und der inhaltlichen Verbindung zwischen den einzelnen Aktionen, ist es gelungen, die Systemfrage immer stärker in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Diskurse zu stellen. Auch in Arbeitskämpfen und in Streiks hat die Systemfrage eine zentrale Rolle eingenommen. Dadurch werden radikale Transformationsmöglichkeiten, mit dem Ziel einer Überwindung der kapitalistischen Katastrophe hin zu einer gerechten Gesellschaft, in weiten Teilen der Gesellschaft diskutiert und zunehmend ausprobiert.

Vom Knüpfen neuer Bande

Geschafft hat die Klimabewegung das zum einen durch ein gemeinsames starkes Auftreten, in dem intern ein Raum für Lernprozesse und auch Dissens ermöglicht wurde und wird, aber nach innen und außen in ihren Grundzügen kein Zweifel besteht: antikaptialistisch, antikolonial, queerfeministisch, antiautoritär. Aus der Bewegung finden viele kleine und große Aktionen (angekündigt und unangekündigt) unter einem gemeinsamen Label statt, in denen sich viele Menschen selbst ermächtigen und den kapitalistischen Alltag an vielen Stellen angreifen. Bestehende Gruppen und auch neue Zusammenschlüsse arbeiten hierfür eng zusammen. Themenfelder sind erhalten geblieben, es findet aber eine stärkere gegenseitige Beteiligung und Unterstützung in den Kämpfen verschiedener linksradikaler Bewegungen statt. Es gab und gibt regionale und internationale Vernetzung und Zusammenarbeit. Und es gab und gibt Skillshare, und viele Leute wissen, wie sie Aktionen machen können und sich darin gegenseitig emotional und praktisch unterstützen können. Akteur*innen sind durch die gemeinsame politische Praxis und das gewonnene Vertrauen weniger dogmatisch geworden.

Aber auch der staatliche Gegenwind hat zugenommen und Repressionsbehörden versuchen, die gesamte Klimabewegung immer stärker zu kriminalisieren. Als diverse Bewegung mit breiter gesellschaftlicher Zustimmung gelingt es aber, den Repressionen standzuhalten. Es entwickeln sich zunehmend solidarische Netzwerke in der breiten Bewegung, in denen nicht nur politische Aktionen geplant werden, sondern ein gemeinsames politisches Leben stattfindet. Dieses politische Leben wird durch vielfältige Akteur*innen ergänzt, die ein widerständiges Netzwerk und selbstorganisierte Räume schaffen, in denen Utopien vorgelebt werden.

Als antikapitalistische Allianz ist es unsere Rolle mit einzelnen Aktionen, kontinuierlich und an vielen Stellen die Ausbeutung und Zerstörung im kapitalistischen Alltag leicht verstehbar aufzuzeigen und anzugreifen. Dabei können wir uns auf Konflikte konzentrieren, in denen wir direkt verständliche klare Positionen ausdrücken können und die trotzdem in direkter Linie mit dem zerstörerischen Kapitalismus zu tun haben: Während der Internationalen Automobil Ausstellung legen wir bundesweit Autobahnen lahm. In unangekündigten Aktionen sabotieren wir Maschinen und Infrastruktur von klimaschädlichen Unternehmen der Zement-, Chemie- oder Stahlindustrie. Bullshitindustrien drehen wir das Gas ab. Durch Wasserblockaden mit Kajaks hindern wir LNG-Schiffe am Anlegen. Durch das Entern von Schiffen greifen wir in Logistikketten ein und den Nordostseekanal machen wir regelmäßig dicht. Gaspipelines drehen wir ab, fossile Infrastruktur für Gas, Kohle und Öl wird blockiert und sabotiert. Autofreie Städte nehmen wir selbst in die Hand und der Ticketautomat wird zerstört für freien ÖPNV.

Die politische Notwendigkeit einer antikapitalistischen Allianz

Wir sind überzeugt, dass eine befreite Gesellschaft nur jenseits des Kapitalismus möglich ist, denn ein gutes Leben für alle und das momentane System, das auf Ausbeutung beruht, sind nicht vereinbar. Für die radikale Linke ist das nicht neu. Auch Analysen über die Schädlichkeit von Kapitalismus, Neokolonialismus, Klimakrise etc. und wie diese Punkte alle miteinander verwoben sind und unsere Gesellschaft formen, gibt es zuhauf. Doch allein diese Offenbarung der Tatsachen bringt noch keinen Umsturz der Verhältnisse. Vielmehr müssen wir uns eingestehen, dass die radikale Linke weit davon entfernt ist, hegemonial zu sein, und daher zur Zeit gesellschaftliche Veränderung nicht bestimmen und gestalten kann. Gleichzeitig können wir in bestimmten Konflikten Wirkmächtigkeit entwickeln, wenn es uns gelingt, sie zuzuspitzen.

Große Teile der Gesellschaft hier, im Zentrum des Kapitalismus, haben sich mit dem Status quo abgefunden oder profitieren von der imperialen Lebensweise. Wir sind uns bewusst, dass eine klimagerechte Welt deswegen auch gegen die Interessen von Vielen hier durchzusetzen ist. Doch ihr Frieden mit dem System ist brüchig, und die letzten, die jetzigen und die kommenden Krisen hängen mit dem Kapitalismus zusammen. Dabei wird dieser nicht müde, falsche Lösungen für große Probleme zu erfinden. Fair Trade gegen Neokolonialismus, grünes Wachstum gegen Klimawandel, feministische Außenpolitik gegen autoritäre Regime und Aufrüstung gegen imperiale Kriege. Hier können und wollen wir intervenieren, um nicht nur diese falschen Lösungen anzuklagen, sondern das System als Ganzes in Frage zu stellen und solidarische Alternativen aufzuzeigen. Wenn die Krisen häufiger und härter werden, der Klimawandel immer schwerer zu verdrängen und die falschen Lösungen immer offensichtlicher ins Leere führen, dann liegt es an uns die Systemfrage in den Mittelpunkt zu stellen.

Die Klimabewegung ist gerade verschieden aufgestellt. In manchen Kämpfen klappt Zusammenarbeit gut, in anderen, und über Klimathemen hinaus, sehen wir aber noch viel Bedarf. Der radikale, antikapitalitische Teil der Klimabewegung ist gerade das Schwungvollste und Dynamischste was die linke(sradikale) Bewegung zu bieten hat. In den letzten Jahren haben wir Diskursverschiebungen in konkreten Themen mit vorangetrieben. Dabei bleibt das Thema Klimagerechtigkeit nach wie vor wenig greifbar und schwammig. Verknüpfen wir es zum einen mit dem Kerngedanken der Ausbeutung an Umwelt, und erweitern wir die Sicht auf die Vielfalt an damit zusammenhängenden Themen. Rücken wir unseren radikalen Widerspruch zu Herrschafts- und Wirtschaftsformen des Kapitalismus ins Zentrum!

Eskalation im Herzen der Bestie!

Dabei wollen wir nicht nur in der Radikalität unserer Haltung, sondern auch in der Breite eskalieren. Wir sind überzeugt, dass es eine breite, aber in der Systemüberwindung unversöhnliche Allianz braucht. Wir sind es leid, ein bisschen mehr oder ein bisschen besser zu fordern. Wenn weniger schlimm immer nur weniger Ausbeutung bedeuten kann, dann braucht es gänzliche Veränderungen und damit ein Aufkündigen des scheinbaren Sozialfriedens und Korporatismus. Klassenkampf wird die ganze Zeit schon betrieben, uns gefällt nur die Klasse nicht, die ihn vorantreibt und gerade zu gewinnen scheint. Wir wollen in Aktion kommen und durch unsere Handlungen das System herausfordern. Angesichts der rasanten Eskalation der Gewalt der Klimakrise sehen wir sehr breite, auf Kompromissen gebauten Bündnisse nicht mehr als den strategisch sinnvollsten Weg. Gleichzeitig wollen wir die nach außen wahrnehmbare »radikale Flanke« der Bewegung nicht der Letzten Generation überlassen. Auch wenn wir ihren erfolgreichen und öffentlich wirksamen zivilen Ungehorsam befürworten, bleiben ihre Forderung reformistisch und stellen die globale kapitalistische Ausbeutung im Kern nicht in Frage.

Wir sind verortet im Zentrum der Bestie. Das stellt uns vor die Aufgabe, hier und jetzt der Bestie den Kampf anzusagen. Ganz und gar nicht lässt uns das die Kämpfe vergessen, die an anderen Orten ausgefochten werden. Wir sehen es als eine aktive Unterstützung dieser Kämpfe an, wenn wir auch hier versuchen, auf eine revolutionäre Situation hinzuarbeiten. Und darin sehen wir einen konkreten und aktiven Teil im Kampf gegen Neokolonialismus, in dem es nicht nur um Repräsentanz geht, sondern um das Abschaffen der Verhältnisse, die Ausbeutung und Unterwerfung möglich machen. Die rassifizierte, neokoloniale und geschlechtliche Ausbeutung wird nicht dadurch abgeschafft, indem sie sichtbar gemacht wird, denn der globale Norden kennt die Auswirkungen seiner imperialen Politiken. Sie wird abgeschafft, indem ihr im globalen Norden die Grundlage entzogen wird. Wir wollen nicht weniger Ausbeutung, egal wo und egal wie sie sich im Konkreten äußert, z.B. in rassistischer oder sexistischer Weise. Wir wollen dieses System abschaffen!

Im Konkreten und als Erstes folgt für uns daraus, eine antikapitalistische Allianz aufzubauen, mit der wir unter einem kompakten Selbstverständnis und unter gemeinsamem Label den Kampf gegen dieses kapitalistische System in den Mittelpunkt stellen. Das Selbstverständnis wäre auf wesentliche Kernpunkte reduziert, auf die wir uns in der radikalen Bewegung ohnehin immer wieder beziehen: Wir sind antikapitalistisch, antikolonial, queerfeministisch, antiautoritär und gegen jede Diskriminierung. Die Klimakrise ist die historische Folge von Kolonialismus und Kapitalismus und lässt sich ohne eine Überwindung des Kapitalismus nicht lösen. Wir wollen Klimagerechtigkeit, ein gutes Leben für alle und eine solidarische Transformation dahin, die global für alle Menschen gerecht ist.

Offen für alle Gruppen, die sich in diesem Selbstverständnis wiederfinden, bleiben wir nicht nur von der Zusammensetzung her vielfältig, sondern auch in unseren Ideen, wo wir gesellschaftliche Hebelpunkte sehen. Das gemeinsame Label kann überall bei Aktionen im deutschsprachigen Raum gegen den fossilen Kapitalismus verwendet werden. Diese Aktionen haben unterschiedliche Ausprägungen, verschiedene Beteiligungsmöglichkeiten und werden von unterschiedlichen Gruppen gestaltet und getragen. Sichtbar werden der Zusammenschluss und unsere geteilte Forderung und Erzählung in Form gemeinsam genutzter Slogans, Logos, Hashtags und einer Website, die im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit von Aktionen verwendet werden. Wichtig ist, dass wir untereinander solidarisch sind und uns positiv aufeinander beziehen. Wir treiben unseren Willen, für eine befreite Gesellschaft einzustehen, vielfältig voran und dabei immer klar in dem Fluchtpunkt, dass kein Frieden mit diesem ausbeuterischen System zu machen ist.

In den letzten Jahren haben diverse Gruppen versucht, Antikapitalismus mehr und mehr in die Breite der Gesellschaft zu tragen. Daran wollen wir anschließen und hoffen, dass es der Klimagerechtigkeitsbewegung gelingen kann, dies weiter und substanziell größer voran zu treiben. Wir denken, dass »den Leuten« das direkte Reden über die Misere zuzumuten ist. Ohne die Überwindung des Kapitalismus gibt es keine Möglichkeiten, auf die Klimakrise zu reagieren, die diese nicht weiter verschlimmern und Ungerechtigkeiten vertiefen wird. Das kapitalistische System produziert die Krisen und heizt bestehende weiter an. In den kommenden Jahren wird sich entscheiden, ob in Zukunft nur ein kleiner Teil der Menschheit gut leben kann oder ob eine solidarische Gesellschaft möglich ist. Deshalb ist es nach wie vor an der Zeit, die Systemfrage mit aller Kraft zu stellen.

Autor*innen: Die Aktions-AG von Ende Gelände hat bereits vor ziemlich genau einem Jahr ihre internen Auswertungsprozesse mit uns geteilt.