Per Volksabstimmung zur Konversion?

Die Schlinge um die Arbeiter*innen des ex-Gkn-Werks in Campi Bisenzio zieht sich zu: Seit dem 8. November 2022 hat der neue Werksinhaber Francesco Borgomeo die Zahlung des Transformationskurzarbeitergeldes ausgesetzt. Wie steht es nun um den Kampf für eine Konversion des seit über einem Jahr besetzten Autozulieferer-Betriebes in der Toskana?

Dieser Artikel ist eine Fortsetzung des Beitrags #Insorgiamo - Fabrikbesetzung für's Klima. Auch hier danken wir der Zeitschrift Luxemburg für die Ermöglichung der Zweitveröffentlichung.

»Eccolo qua il Made in Italy« (»Das hier bedeutet Made in Italy«) heißt es auf einem Banner, das an einem Wagen voller verrosteter Achswellen für Nutzfahrzeuge befestigt ist. Damit wird humorvoll auf das italienische Wirtschaftsministerium verwiesen, dem die frisch gewählte Staatschefin Giorgia Meloni ein national-protektionistisches Antlitz verliehen und welches sie zum »Ministerium für das Made in Italy« umbenannt hat. Die dem strömenden Regen überlassenen Achswellen ähneln einem wertlosen rostigen Stahlhaufen, waren einst aber das Spitzenprodukt des britischen Automobilzulieferers GKN-Driveline. Die hochwertigen, vollautomatisierten und teils noch unbenutzten Maschinen zur Herstellung der Achswellen, die diesen GKN-Standort auszeichneten, stehen bis heute in der besetzten Fabrik. Vor dem berüchtigten 9. Juli 2021, der Tag an dem der Eigentümer von GKN, der Investmentsfonds Melrose Industries, das Werk schloss, waren hier 500 Arbeiter*innen beschäftigt, davon 422 festangestellt. 330 von ihnen sind heute noch an QF, das Unternehmen des neuen Eigentümers Francesco Borgomeo, gebunden und blicken tagtäglich auf den Stahlhaufen vor »ihrem Zuhause«, wie sie die Fabrik nennen. Einer von ihnen ist Giovanni. Er hat hier 15 Jahre lang als Abteilungsleiter gearbeitet und ist einer der wenigen leitenden Angestellten, die bis heute Teil der Besetzung geblieben sind:

»Die anderen Abteilungsleiter*innen und die Facharbeiter*innen haben sehr schnell eine neue Beschäftigung gefunden. So lange ich es mir leisten kann, will ich aber hier bleiben. Für mich ist es ein moralisches Prinzip geworden.«

Für ihn steht der beunruhigende Stillstand hier in Campi Bisenzio sinnbildlich für das Versagen der gesamten italienischen Industrie:

»Es kann nicht sein, dass ein Werk mit den technologisch hochwertigsten Maschinen, das Gewinne macht, die eigene Produktion im Handumdrehen ins Ausland verlagert und der Staat und die Institutionen dies ermöglichen, ohne einen Mucks von sich zu geben. Das heißt, dass dieses Finanzsystem, Kapitalismus, wie auch immer man es nennen will, nicht für die Gemeinschaft, sondern für private Interessen funktioniert.«

Gegen diese beängstigende Situation führt das Fabrikkollektiv GKN einen seit 17 Monaten andauernden betrieblichen Abwehrkampf, woraus sich eine außergewöhnliche sozial-ökologische Mobilisierung in der Toskana und darüber hinaus entwickelt hat. Klimaaktivist*innen, Anwohner*innen, Bäuer*innen kämpfen gemeinsam mit den Arbeiter*innen für eine ökologische Umstellung der Produktion. Bis zum November 2022 konnte die Besetzung und der gesellschaftliche Kampf, den das Fabrikkollektiv anführte, auf Grundlage eines Transformationskurzarbeitergeldes geführt werden. Dies wird ihnen durch die neue Unternehmensleitung von QF nun nicht mehr ausgezahlt.

Nichts als heiße Luft

Am 23. Dezember 2021 kaufte der Unternehmer Francesco Borgomeo die Gesamtheit der GKN-Aktien dem Investmentfonds Melrose Industries ab. Er stammt aus einer reichen norditalienischen Familie, die im Laufe des 20. Jahrhunderts im Bereich der Metallverarbeitung ein Vermögen aufbaute. Francesco Borgomeo trat in die Fußstapfen des Vaters,, indem er sein Forschungsinstitut übernahm, es aber in ein Beratungszentrum für industrielle Konversion umwandelte. Im Laufe des letzten Jahrzehnts spezialisierte er sich auf Kreislaufwirtschaft, sprich ein »Modell der Produktion und des Verbrauchs, das die Abfälle auf ein Minimum reduziert«, wie Borgomeo es im November 2021 beschrieb. Er erschien in Campi Bisenzio mit einem brillanten Portfolio an »geretteten Unternehmen« im Bereich der Keramikmanufaktur und kündigte souverän an, dass in 24 Monaten das Werk wieder produzieren würde. Für sein Konversionsvorhaben gründete er das Unternehmen »QuattroF - Fiducia nel Futuro della Fabbrica di Firenze« (»Vier F - Vertrauen in die Zukunft der Fabrik in Florenz«). »Das klingt mehr nach Motivationstherapie als nach Industrie«, kommentiert der Betriebsrat Matteo Moretti den Unternehmensnamen.

Beim ersten »Krisengespräch« vom 19. Januar 2022 in Anwesenheit von Francesco Borgomeo, den Betriebsräten von ex-GKN, Vertreter*innen der gewerkschaftlichen Dachverbände sowie des Arbeitsministeriums und der Landesregierung Toskana, Stadträten aus Florenz und des Bürgermeisters von Campi Bisenzio wurde die Arbeit des neuen Inhabers Borgomeo definiert. Diese Art von runden Tischen sind in Italien die öffentliche Instanz, bei der die Zukunft liquidierter oder kriselnder Unternehmen, die auf staatliche Gelder und Maßnahmen angewiesen sind, diskutiert wird. Derzeit gibt es davon 90 Stück in ganz Italien, im Rahmen derer die Zukunft von knapp 100.000 betroffenen Beschäftigten diskutiert wird. Damals verpflichtete sich Borgomeo bis zum 31. August 2022 einen Zeitplan für die Konversion des Werks vorzulegen, um die Gesamtheit der noch übrig gebliebenen 370 Arbeiter*innen zu beschäftigen und Investor*innen zu akquirieren. Sollte er dies nicht schaffen, müsse er selbst die Konversion durchführen und finanzieren.

Den Schwarzen Peter ziehen die Arbeiter*innen: seit November ohne Einkommen

Diese Treffen wurden im Laufe des Jahres viermal einberufen. An keinem der Termine konnte Borgomeo die Bedingungen für die Bewilligung des Transformationskurzarbeitergeldes für die Arbeiter*innen erfüllen. Deswegen musste Borgomeo selbst von Februar bis November das Geld monatlich vorauszahlen, mit der Aussicht, es an einem späteren Zeitpunkt von Invitalia, der italienischen Betriebsansiedlungsagentur, rückwirkend zurück zu bekommen.

»Borgomeos Plan hier E-Motoren letzter Generation herzustellen ist zu schwammig, sodass die staatlichen Institutionen selbst an seiner Standhaftigkeit zweifeln und ihm das Transformationskurzarbeitergeld deswegen nicht langfristig bewilligen«, erklärt Giuseppe.

Er hat hier 20 Jahre in der Montage von Achswellen gearbeitet und sitzt im Empfangshäuschen des Fabrikkollektivs am Werkseingang. Neben ihm steht eine von den Arbeitern selbst aus Produktionsabfall hergestellte Krippe. Eine Figur, die Borgomeo symbolisiert, baumelt über der heiligen Familie: »Klar ist er der Engel. Er wollte uns ja allen wieder Arbeit bringen«, kommentiert Giuseppe hämisch. Ein weiterer sarkastischer Hinweis darauf, dass das Kollektiv keinerlei Vertrauen in seine Konversionsstrategie hat.  Seitens der gewerkschaftlichen Dachverbände wird die Arbeit von QF ebenfalls bemängelt:

»In den vergangenen Monaten haben wir vermehrt um Rückmeldung zu den Handelsabkommen, dem Produktionsvolumen, der Finanzierbarkeit und der Nachhaltigkeit gebeten. Nie haben wir eine Antwort erhalten. Das Projekt von QF ist weiterhin sehr nebulös«, betonten zwei Hauptamtliche der Fiom-Cgil nach Fristende am 1. September 2022.

Seinerseits klagte Borgomeo wiederum darüber, dass er unter den Arbeiter*innen nicht das vollste Vertrauen genieße, unter ihnen »eine politische Bewegung« entstünde, die aus dem Werk ein soziales Zentrum gemacht habe. Darüber hinaus äußerte Borgomeo die Notwendigkeit, »mit den Institutionen und den Gewerkschaften dafür zu sorgen, dass die Normalität wiederhergestellt wird.«

Nachdem sich die Institutionen und QF monatelang den Schwarzen Peter hin und her schoben, lies Borgomeo die Frist des 31. August auslaufen, ohne einen Zeitplan für die Konversion noch einen Finanzierungsplan vorzulegen. Am 4. November kündigte er per Mail an, das Werk am darauf folgenden Montag leeren zu wollen. Dies gelang jedoch nicht, weil sich Hunderte von Menschen ab der Morgendämmerung vor den Fabriktoren versammelten. Als ein paar Tage später das Transformationskurzarbeitergeld fällig wurde, blieb die Überweisung der Gehälter jedoch aus. Auch im Dezember wurde kein Geld ausgezahlt, sodass die ca. 330 Arbeiter*innen bei seit zwei Monaten bei 11,8 Prozent liegender Inflation ohne die Gehälter auskommen und oftmals von Ersparnissen leben müssen: »Das bringt natürlich sehr viele Problem mit sich, weil manche die Hypothek nicht mehr zahlen oder sich den Wocheneinkauf nicht mehr leisten können. Man spürt die Sorge überall, in der Stimmung und den Blicken der Menschen. Und das ist die neue Strategie des Unternehmers: nach dem ganzen Hin-und-Her sollen wir Arbeiter jetzt hungern, oder den Anforderungen nachgeben. Das haben wir bis heute nicht getan. Und wir werden hier weiter kämpfen«, erklärt ex-Abteilungsleiter Giovanni.

Um die finanzielle Notlage einiger Arbeiter*innen durch das Aussetzen des Transformationsarbeitergeldes abzupuffern, können von nun an Anträge an die im Oktober gegründete Genossenschaft »Insorgiamo« gestellt werden. Bei der Genossenschaft handelt es sich um eine sogenannte SOMS („Società Operaia di Mutuo Soccorso“), welche in Italien eine lange Tradition hat. Sie entstand im 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund eines defizitären Sozialstaates als erste assoziative Schutzform im Fall von Arbeitsunfällen oder -verlust. Das Geld der Genossenschaft stammt entweder aus dem Merchandise-Verkauf des Fabrikkollektivs oder aus Spenden. Alessandro, ehemals in der Härtungsabteilung von GKN angestellt, erklärt:

»Wir als Fabrikkollektiv denken, dass man uns mit der ausbleibenden Zahlung provozieren und spalten will. Doch in diese Falle tappen wir nicht. Deswegen sammeln wir Spenden, um Gelder zu sammeln für diejenigen, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken. Doch bei 300 Familien können wir damit natürlich keinen Lohn ersetzen.« Abgesehen von dem kollektiven Umgang mit der finanziellen Notlage soll die Genossenschaft auch die Grundlage der angestrebten wiederaufgenommenen Produktion bilden.

Eine zweigleisige Konversionsstrategie

Derzeit arbeitet das Farbikkollektiv an einer zweigleisigen Strategie. Langfristig ist weiterhin das Ziel, mithilfe staatlicher oder privater Investor*innen, den umfassenden Konversionsplan, der mit Wissenschaftler*innen der Universität Pisa entwickelt wurde, umzusetzen. Darin werden für Campi Bisenzio zwei Konversionswege skizziert: Der erste würde zur Wiederaufnahme der Produktion von Achswellen führen, jedoch nicht mehr für Nutzfahrzeuge und Luxusautos, sondern für Busse. Alternativ dazu skizziert der Plan die Möglichkeit eines Branchenwechsels in Richtung erneuerbarer Energien. Diesem zweiten Szenario zufolge würden die ex-GKN-Arbeiter*innen künftig Elektrolyseure (eine Vorrichtung zur Wasserstofferzeugung) oder Photovoltaikanlagen herstellen.

Da bis dato weder der Staat noch Borgomeo Interesse an dieser umfassenden Konversion zeigen, entwickelt das Fabrikkollektiv derzeit eine weniger umfassende Variante alternativer Produktion. Mit der SOMS will das Fabrikkollektiv kleinere Produktionspläne umsetzen, einen Teil der Belegschaft wieder beschäftigen und dadurch das Vertrauen der Institutionen gewinnen, um ggf. das Transformationskurzarbeitergeld zur Umsetzung des eigenen Plans selber in Anspruch zu nehmen. Der aus Arbeiter*innen und Unterstützer*innen bestehende Arbeitskreis »Konversion« organisierte am 4. Dezember eine ganztägige Zukunftswerkstatt mit Workshops zu den Themen erneuerbare Energien, nachhaltige Mobilität und Konversionsprojekten. Daran nahmen Arbeiter*innen, Anwohner*innen der Region, Vereine und die solidarischen Wissenschaftler*innen teil. Giovanni erläutert, dass hierbei konkrete Ideen für die zukünftige Produktion entwickelt wurden:

»Mit solchen kleineren Ideen könnten wir den Institutionen zeigen, dass unsere Arbeitsweise funktioniert. Über solche kleinen Schritte könnten wir uns dem Markt nähern, der für uns wirklich interessant ist, sprich jenem der erneuerbaren Energien. Nur in dieser Branche könnten wir perspektivisch 300 Menschen beschäftigen.« Laut Giuseppe befindet sich unter diesen »kleineren Ideen« jene der Lastenfahrräder bereits im fortgeschrittenen Stadium: »Wir haben schon einen Hersteller besucht, der uns versichert hat, dass der Markt für Lastenfahrräder in Zukunft auch in Italien wachsen wird. Von den Maschinen her könnten wir das hier ohne Probleme herstellen, weil unsere Drehmaschinen sehr flexibel sind. Wir müssten nur definieren, wie viele Menschen wir damit beschäftigen könnten und sie umschulen.«

Das Lastenfahrrad ist ein Paradebeispiel dafür, wie das Fabrikkollektiv arbeitet: Nachdem der Arbeitskreis »Konversion« gemeinsam mit Wissenschaftler*innen eine Idee entwickelt hat, wird diese in der Versammlung des Fabrikkollektivs vorgestellt. Bei positiver Resonanz werden dann Privatpersonen oder Unternehmen kontaktiert, die bereits Erfahrung in dem Bereich haben. Eine zweite sehr konkrete Idee ist die einer Markthalle für biologische Nahrungsmittel von Bäuer*innen aus der Region. Diese sind in einem Netzwerk »Genuino Clandestino« zusammengeschlossen, um gemeinsam mit den Verbraucher*innen für eine ökologische Landwirtschaft zu kämpfen – von der Lebensmittelherstellung bis zur -verteilung. Das Modell ähnelt dem deutschen »Netzwerk Solidarische Landwirtschaft«. Die ex-GKN-Fabrik würde zu einem sogenannten Gruppo di Acquisto Solidale (GAS) und damit zu einem Verkaufsort für Bio-Bäuer*innen werden. Die auf den ersten Blick ungewöhnliche Allianz zwischen Landwirt*innen und Fabrikarbeiter*innen keimte schon wenige Wochen nach der Werkschließung auf, als die Bäuer*innen anfingen, das Essen für die abendlichen Veranstaltungen bereit zu stellen. Nachdem im Laufe der Monate auch Gegenbesuche der Arbeiter*innen den Bauernhöfen stattfanden, mündete die Konvergenz am 22. Oktober in einer gemeinsamen Demonstration gegen ein Autobahn-Großprojekt in Bologna.

Gleichzeitig nimmt das Fabrikkollektiv an den regelmäßigen Treffen des sogenannten »Comitato di proposta e verifica« teil, ein aus Politiker*innen aus Florenz und Campi Bisenzio bestehender regionaler Ausschuss, der die Industrialisierungsvorschläge für das ex-GKN-Werk sammelt und prüft, bevor sie dem Wirtschaftsministerium überreicht werden. Die letzte Sitzung fand am 20. Dezember statt, ohne dass QF daran teilnahm. Dem Protokoll ist zu entnehmen, dass die Region Toskana »angesichts der großen Schwierigkeiten für die Belegschaft und den Standort in Campi Bisenzio« ein öffentliches Scouting für mögliche Investor*innen gestartet wurde. »Es gibt bereits erste Interessent*innen aus dem Bereich Photovoltaik zur Herstellung Batterien letzter Generation mit einem Beschäftigungsvolumen von 130 Arbeitern« (ebd.), so das Protokoll der Landeskommission. Das Fabrikkollektiv hat gemeinsam mit den anwesenden Wissenschaftler*innen seinen eigenen Industrieplan vorgestellt, »der für eine tatsächliche Konversion der Produktion als sehr wichtig betrachtet und deswegen weiter geprüft wird.« Am 30. Dezember 2022 hat der Sozialversicherungsträger INPS den von QF rückwirkend gestellten Antrag auf Transformationskurzarbeitergeld offiziell abgelehnt. Daraufhin forderten die Betriebsräte der Fiom die nationalen Institutionen auf, die technische und finanzielle Prüfung des Industrieplans der solidarischen Wissenschaftler*innen bis Ende Januar vorzunehmen, das Transformationskurzarbeitergeld daran zu binden und ab jetzt zu bewilligen. Um in diesem sehr heiklen Moment den Druck auf die staatlichen Institutionen und Borgomeo zu erhöhen und den »Belagerungszustand« zu durchbrechen wandte sich das Fabrikkollektiv erneut an seine Region mit einer selbstorganisierten Volksabstimmung zur Verstaatlichung bzw. der Berücksichtigung von Konversionsplänen anderer Investor*innen.

Eine Volksabstimmung für eine ökologische Konversion

Die Volksabstimmung fand vom 1. bis zum 11. Dezember statt und stand jeder Person, die zwischen Prato und Florenz gemeldet ist, offen. Die Teilnehmenden sollten auf folgende Frage mit Ja oder Nein antworten:

»Bist du für eine staatliche Übernahme des Werkes sowie für die Bewilligung des Kurzarbeitergeldes unter der Bedingung, dass die Konversion einen 'öffentlichen Nutzen' verfolgt und dass dabei Konversionsvorschläge sowohl von privaten Investoren als auch von öffentlichen Akteuren inklusive der von den Arbeitern selbst gegründeten Genossenschaft berücksichtigt werden?«

Dafür organisierte das Fabrikkollektiv gemeinsam mit 800 Freiwilligen 189 verschiedene »Wahllokale«: Gewählt werden konnte auf dem Wochenmarkt und auf Plätzen, aber auch in Kinos, Buchläden, Freizeittreffs, Restaurants, Kneipen, bei Fußballspielen der Regionalliga und sogar in manchen Kirchen. An einem Stand zwischen dem Fisch- und dem Gemüsehändler in Campi Bisenzio hält ein mit Einkaufstüren beladener Mann und unterschreibt. Er kommentiert: »Ach die Arbeiter, die per Mail gefeuert wurden. Was eine Frechheit! Natürlich muss da etwas passieren.« Sogar in der weltberühmten romanischen Basilika San Miniato al Monte auf den Hügeln von Florenz war eine mit dem üblichen Fabrikkollektivlogo gekennzeichnete Menschentraube vorzufinden. Pfarrer Vincenzo ermöglichte es zwei Arbeitern nach seinem Gottesdienst eine Ansprache an die Gläubigen zu halten und ist damit nicht alleine: »Acht Priester aus der Region haben sich bereit erklärt, Unterschriften für die Verstaatlichung des ex-GKN-Werks zu sammeln, denn wir alle kritisieren, dass der Staat die eigenen Bürger im Stich lässt.« Letzten Endes stimmten 16.565 Menschen für ein »öffentliches und im Gebiet eingebundenes Werk«. Auf Facebook zeigte sich das Fabrikkollektiv beeindruckt vom Ergebnis, welches wieder einmal bekräftigt, wie stark der Kampf um die Konversion des Werks in der Bevölkerung verankert ist.

Das Collettivo di Fabbrica stellt seit über einem Jahr unter Beweis, dass Arbeiter*innen im Kontext einer Werkschließung keineswegs handlungsunfähig sind. Ganz im Gegenteil zeigen die Geschehnisse, dass durch einen offensiven Abwehrkampf nicht nur die eigene Entlassung skandalisiert und gegebenenfalls auch verzögert oder verhindert werden kann. Er zeigt, dass ausgehend von einer Belegschaft eine sozial-ökologisiche Bewegung aufgebaut werden kann, die sich offensiv Entlassungen, einer kapitalgetriebenen und ökologisch zerstörerischen Produktion sowie dem Desinteresse von Staat und Kapital an einer Produktion unter sozialen und ökologischen Vorzeichen entgegenstellt. Das Besondere am Handeln des Kollektivs liegt darin, dass es nicht nur diese dem Kapitalismus inhärenten Hemmnisse für einen System Change benennt. Es beweist Monat für Monat, dass es daran arbeitet, »herrschende Klasse zu sein«, wie es im italienischen Jacobin-Magazin heißt. Als strategischer Akteur wird je nach aktueller Lage stets neu entschieden, welches Mittel dem Kampf um Hegemonie derzeit am dienlichsten ist; wie die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu Gunsten ökologischer Klasseninteressen verschoben werden können. Dafür gehen die Arbeiter*innen aktiv auf Bäuer*innen oder Klimaaktivist*innen zu, um gemeinsame Klasseninteressen zu erkennen und zu erkämpfen oder versucht die Anwohner*innen der Region für das Thema einer Konversion zu begeistern.

Historische Versuche anstelle einer Werksschließung eine demokratische Konversion, verstanden als emanzipatorischen und von Arbeiter*innen vorangetriebenen Prozess, in dem »die Frage des was der Produktion mit der Frage des wie verknüpf[t]« wird, konnten bis dato nie zum Erfolg geführt werden. Den von der Entlassung bedrohten Arbeiter*innen von Lucas Aerospace in den 1970ern gelang es ebenfalls einen Plan zur Konversion ihres Werkes zu erarbeiten und beachtliche gewerkschaftliche und gesellschaftliche Debatten auslösen. Eine Konversion wurde jedoch letzten Endes von der Labour-Regierung abgelehnt (vgl. ebd.). Auch die Arbeiter*innen der SBB Werkstätten in der Schweiz konnten 2008 ihre drohende Entlassung durch Streik und Besetzung sowie das aktive Herantreten an die Zivilgesellschaft verhindern und gesellschaftlichen Druck aufbauen. Wie die ehemaligen Arbeiter*innen von GKN entwickelten auch sie mit Wissenschaftler*innen einen Konversionsplan und führten eine Volksinitiative durch. Sie sammelten 15.000 Unterschriften »für die Schaffung eines Kompetenzzentrums für Industrie und Technologie«, wie Christian Zeller es 2020 beschrieb. Ihre Entlassung konnten sie tatsächlich verhindern, auch hier wurde jedoch keine Konversion erreicht und 2018 wurde erneut massive Entlassungen angekündigt.

Das strategische Vermögen, welches das Fabrikkollektiv seit einem Jahr auszeichnet, lässt dennoch darauf hoffen, dass es einen Weg finden wird, für die 330 übrigen Arbeiter*innen eine Weiterbeschäftigung und eine Produktion unter ökologischeren Vorzeichen zu erreichen. Relevant dabei erscheint die Doppelstrategie, sich langfristig für eine industrielle Konversion mit umfassenden Investitionen von Staat oder privaten Investor*innen einzusetzen und kurzfristig eine genossenschaftlich organisierte Übergangsproduktion in der besetzten Fabrik anzuvisieren. Um eine Produktion im Sinne der Menschen in der Toskana wie flächendeckend real werden zu lassen, ist unumgänglich, dass die italienischen wie auch internationale Industriegewerkschaften den Ball aus der Toskana aufnehmen, der Konversionsdebatte aus den 1980ern wieder mit Leben füllen und Kämpfe wie den des Collettivo di Fabbrica aktiv unterstützen.

Autor*innen: Lukas Ferrari ist Politikwissenschaftler und Dolmetscher und hat schon einige Tage und Nächte in der vom Collettivo di Fabbrica (GKN) besetzten Fabrik verbracht. Julia Kaiser ist Soziologin und im Studierendenverband die Linke.SDS Leipzig organisiert. Sie schreibt und referiert zu ökosozialistischen Alternativen.

Bild: Das GKN-Werk in Campi Bisenzio in der Toskana, von Valentina Ceccatelli.