von Klima tags Internationalismus Bewegung Klasse Arbeit Datum Feb 2023
zuDas Collettivo di Fabbrica GKN kämpft gegen die Schließung einer Zulieferfabrik der Automobilindustrie nahe Florenz. Gefordert wird ein radikaler ökologischer Umbau der Produktion. Aus dem Abwehrkampf einer einzelnen Belegschaft ist ein breites Bündnis aus Beschäftigten, Klima-Aktivistinnen und Wissenschaftlerinnen geworden. Wie konnte das gelingen?
Dieser Artikel erschien bereits im Oktober 2022 in der Zeitschrift Luxemburg, deren Redaktion uns freundlicherweise genehmigt hat, ihn hier zweitzuveröffentlichen.
Man stelle sich einen Klimastreik vor, bei dem 40.000 Fabrikarbeiter*innen, Klimaaktivist*innen, Friedensbewegte und politisch Unorganisierte zusammentreffen. In ihren Reden skandalisieren sie die Schließung eines Autozulieferer-Betriebes. Alle sind sich einig, dass man eine Konversion des Betriebes statt Entlassungen braucht. Im vordersten Block laufen die Arbeiter*innen der betroffenen Fabrik, hinter ihnen Massen von kämpferischen Klimaaktivist*innen und spontanen Demobesucher*innen. Die Beschäftigten des Werkes schließen sich mit Wissenschaftler*innen zusammen, um einen Konversionsplan zu entwickeln. Abgeleitet aus ihren Fähigkeiten und den neuesten umweltwissenschaftlichen Erkenntnissen entsteht die Vision, von nun an Bestandteile für wasserstoffbetriebene Busse herzustellen. Immer mehr Menschen sind sich einig: Eine Produktion für die Menschen, nicht für die Profite muss her!
Diese Vision, die am Ende eines ökosozialistischen Manifestes stehen könnte, ist im letzten Jahr in der Toskana Realität geworden. Nachdem die 422 Festangestellten und ca. 80 Leiharbeiter*innen des Automobilzulieferers GKN Driveline am 9. Juli 2021 per E-Mail mitgeteilt bekamen, dass sie am kommenden Montag nicht mehr zur Arbeit erscheinen sollten, besetzten sie ihr Werk in Campi Bisenzio, einem Vorort von Florenz. Strategisches Zentrum der Besetzung und der um sie herum entstandenen Mobilisierungswelle ist das Fabrikkollektiv Collettivo di Fabbrica GKN, das autonom, aber eng verbunden mit den offiziellen Gewerkschaftsstrukturen agiert. Die Mehrheit der gut 500 Arbeiter*innen inklusive der in der CGIL-FIOM organisierten Betriebsräte verstehen sich als Teil des Kollektivs, das sich außerhalb der Arbeitszeiten trifft. Die FIOM (Federazione Impiegati Operai Metallurgici) ist die Gewerkschaft der Arbeiter*innen in metallverarbeitenden Betrieben, die dem Allgemeinen Italienischen Gewerkschaftsbund (CGIL) angehört.
GKN ist ein Automobilzulieferer mit mehr als 50 Produktionsstätten auf der ganzen Welt. Bis zum Produktionsstopp im Sommer 2021 wurden im Werk in Campi Bisenzio hauptsächlich Achswellen für Fiat (Ducato), Maserati und Ferrari hergestellt. Die Inhaber des Werkes haben in den vergangenen Jahrzehnten stetig gewechselt. Einst im Besitz von Fiat, wurde das Werk im Jahr 1994 von dem Unternehmen GKN erworben, das wiederum 2018 vom britischen Investmentfonds Melrose Industries für 8 Mrd. aufgekauft wurde. Nur drei Jahre später verkündete die Geschäftsführung nun die Schließung des Werks in Campi Bisenzio und die Entlassung der gesamten Belegschaft, wurde drei Tage zuvor das Entlassungsverbot aufgehoben, das die italienische Regierung im Rahmen der Corona-Pandemie beschlossen hatte. Der Grund ist keineswegs eine Krise des Unternehmens. Unmittelbar vor der Schließung wurde noch in hochwertige Roboter investiert, die bis heute eingeschweißt im besetzten Werk stehen (vgl. Cini u. a. 2022, 5). Es handelt sich bei der Schließung vielmehr um einen »Teil des Prozesses der Finanzialisierung von Unternehmen und der spekulativen Prinzipien des Shareholder-Kapitalismus«: Das einzelne Werk wird einer profitorientierten Re-Strukturierung der Wertschöpfungskette geopfert und die Produktion ins Ausland verlagert. Das Motto von Melrose Industries »Buy, Improve, Sell« lässt diesbezüglich keinen Zweifel zu. Zudem ist die Schließung als »Teil eines allgemeinen Trends zur Zerschlagung des italienischen Automobilsektors« zu verstehen.
Noch am Tag der Schließung besetzten einige Arbeiter*innen das Werk und begannen eine permanente Versammlung. In den kommenden Tagen schloss sich die Mehrheit der Belegschaft der Besetzung an. Dadurch will das Kollektiv die Unternehmensleitung bis heute daran hindern, das Werk zu leeren und die Maschinen und die gelagerten Achswellen abzuführen. Das Kollektiv beschloss zudem, die Fabriktore für Unterstützer*innen und Interessierte zu öffnen und von nun an systematisch politischen Druck gegen die eigene sowie alle folgenden Entlassungen aufzubauen. Dadurch erkämpften sie sich ein Transformationskurzarbeitergeld, das ihnen vom Staat seit Januar 2022 gezahlt wird. Seither gibt es monatlich Krisengespräche zwischen dem Fabrikkollektiv, dem Entwicklungsministerium, der Region Toskana, der Gemeinde Florenz und dem neuen Besitzer der Fabrik, Francesco Borgomeo. Dieser kaufte die Fabrik am 23. Dezember 2021 und verpflichtete sich dazu, innerhalb eines halben Jahres einen Plan für eine neue Produktion in der Fabrik zu entwickeln. Trotz dessen begann das Kollektiv seinen Kampf auf die gesamte Region auszuweiten, da es von Anfang an davon ausging, dass Borgomeo lediglich als Strohmann im Rahmen der Abwicklung des Unternehmens fungieren würde.
»Insorgiamo« – die Arbeiter*innen gehen auf Tour
Zehn Tage nach der Besetzung rief die FIOM zu einem vierstündigen Streik in der Metallindustrie in der Provinz Florenz auf. Streikende Arbeiter*innen in der Logistikbranche (Text-Sprint, Fedex) und im Textilbereich (Prato), soziale Zentren und ökologische Landwirtschaftsverbände bis hin zu tausenden von empörten Bürger*innen solidarisierten sich mit der Besetzung (vgl. Labournet 2021). Es folgten eine Reihe großer Demonstrationen, wie etwa am 11. August, dem Tag der Befreiung vom Faschismus in Florenz. Das Motto der Demonstrationen, »Insorgiamo con i lavoratori GKN« (»Wir erheben uns mit den GKN-Arbeiter*innen«), verweist auf den florentinischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Als Friday For Future (FFF) Italien anlässlich des G20-Gipfels in Rom am 30. Oktober zum Gegenprotest aufrief, bespielte das Fabrikkollektiv von GKN einen ganzen Block des sehr bunten Demozuges. Es war die erste gemeinsame Aktion der jungen Klimabewegung mit dem Fabrikkollektiv. Im Laufe des Jahres sind ökologischer und betrieblicher Kampf immer mehr verschmolzen.
Doch wie kam es, dass die Schließung eines Werkes zur Mobilisierung einer ganzen Region führte? Und wie konnte hier das sogenannte jobs vs. environment dilemma, wie Nora Räthzel und David Uzzell es 2011 beschrieben haben, überwunden werden - der Widerspruch zwischen Arbeitsplatzerhalt und ökologischen Umbau, der die Klima- und die Arbeiter*innenbewegung derzeit »normalerweise« spaltet? Der ökologische Klassenkampf, der seit eineinhalb Jahren in der Toskana geführt wird, ist nicht vom Himmel gefallen. Seine Ursprünge liegen einerseits in der kontinuierlichen Gewerkschaftsarbeit im Betrieb und der unermüdlichen Bündnisarbeit des Fabrikkollektivs vor und nach der Werkschließung. Das wurde nicht zuletzt während der Insorgiamo-Tour sichtbar: Das Fabrikkollektiv besuchte Belegschaften, soziale Zentren und Umweltorganisationen in ganz Italien, um ihren Kampf zu verbreiten. Der andere Grund ist die gemeinsame Suche der Klimaaktivist*innen von Fridays For Future und des Kollektivs nach sozialen und ökologischen Forderungen. Aus einer Haltung heraus, die das Gemeinsame sucht und findet.
Gewerkschaftliche Beteiligung als Waffe
Gäbe es ein Collettivo di Fabbrica-Rezept für den Aufbau eines ökologischen Klassenkampfes, es wäre laut den Arbeiter*innen eine maximale gewerkschaftliche Beteiligung. Der Entstehungsprozess des Kollektivs zog sich über mehr als zehn Jahre und wurde im Jahr 2007 von einer heftigen Auseinandersetzung zwischen der Belegschaft und der FIOM eingeleitet. Die Unternehmensleitung beabsichtigte eine Reform des Schichtsystems, der die damaligen Betriebsräte der FIOM ohne weiteres zustimmten. Anders als in Deutschland können in Italien nur gewerkschaftlich Organisierte als Betriebsrät*innen gewählt werden. Hinzu kam im Jahr 2018 die Übernahme des Werks durch Melrose Industries: »Da sich die neue Unternehmensleitung gar nicht um die Qualität der Arbeitsabläufe und den Arbeitsschutz scherte, mussten wir unsere Gegenmacht aufbauen«, erklärte der Betriebsrat Dario Salvetti im Juli 2021. Aufgrund der Enttäuschung von der eigenen Gewerkschaft und der Gleichgültigkeit der neuen Leitung begann ein Großteil der betrieblich Aktiven damit, ein partizipatives Gewerkschaftsmodell zu entwickeln. Letzteres materialisierte sich im Jahr 2018 in der Gründung des Collettivo di Fabbrica, einer organisatorisch flachen und offenen Struktur, die Betriebsräte, gewerkschaftlich Aktive, unorganisierte Arbeiter*innen und externe Unterstützer*innen vereint. Außerdem wirken die sogenannten Verbindungsdelegierten (italienisch: delegati di raccordo) am Fabrikkollektiv mit.
Die Verbindungsdelegierten wurden kurz nach der Übernahme von Melrose eingeführt. Die Unternehmensleitung hatte ursprünglich die Absicht, in den einzelnen Bereichen Teamleader einzuführen. Diese wären die Ansprechpersonen bei Fragen zum Arbeitsvertrag oder zu Urlaubstagen gewesen. Der Betriebsrat lehnte die Einführung von Teamleadern jedoch ab, da sie erfahrungsgemäß die gewerkschaftliche Arbeit im Betrieb schwächen. Nach langen Verhandlungen wurde die Einführung der Verbindungsdelegierten vereinbart. Aus Sicht des Kollektivs sind sie für den Machtaufbau im Betrieb von zentraler Bedeutung, da sie als Scharnier zwischen dem Betriebsrat und dem Rest der Belegschaft fungieren. Sie werden jedes Jahr von der Arbeiterversammlung neu gewählt, so dass jede*r Beschäftigte die gewerkschaftlichen Strukturen von innen kennenlernen kann, ohne zwangsläufig Gewerkschaftsmitglied zu sein. Bei der Versammlung sind lediglich Männer vertreten, da in der Produktion ausschließlich Männer arbeiteten. Im Collettivo di Fabbrica sind dagegen auch Frauen, da das Kollektiv auch weiteres ausgelagertes Personal wie Reinigungskräfte miteinbezieht. Da die Verbindungsdelegierten nicht freigestellt sind (für ihre Arbeit sind nur drei Stunden pro Monat vorhergesehen), teilen sie weiterhin ihren Alltag mit den Kollegen und tragen die Erfahrungen und Probleme aus allen Abteilungen im Kollektiv zusammen.
Laut den Arbeitern führte die Einführung der Verbindungsdelegierten zu einer enormen Demokratisierung der gewerkschaftlichen Arbeit. Denn das Wissen aus allen Abteilungen floss nach jeder Schicht und teilweise auch bei Wochenendtreffen zusammen und war die Grundlage der Entscheidungen der Betriebsräte. Diese Struktur ermöglichte es, auf die plötzliche Werkschließung mit einer von fast allen Arbeiter getragenen Besetzung zu reagieren. Die Arbeit des Fabrikkollektivs in den letzten Jahren hat zu einer Wiederbelebung der Gewerkschaft geführt. Die Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder der FIOM stieg in den ersten Wochen der Besetzung von 200 auf 300.
Die Praxis des Fabrikkollektivs ist als Fortführung einer italienischen Tradition des Klassenkampfes zu verstehen, die sich Ende der 1960er und während der ganzen 1970er Jahren in den Fiat-Werken zeigt. In dieser Zeit entwickelten die Arbeiter*innen bereits möglichst demokratische und von vielen getragene Betriebsratsstrukturen, an denen sich das Collettivo di Fabbrica orientierte. Auch die Haltung, dass der Klassenkampf nicht an den Betriebstoren aufhört, sondern sich in Form von Solidarität mit anderen Belegschaften und Initiativen ausdehnt, wurzelt in den stürmischen Auseinandersetzungen jener Zeit. Für das Fabrikkollektiv war es in diesem Sinne naheliegend im Herbst 2021 auf Fridays for Future als größte Jugendbewegung zuzugehen, um über gemeinsame Perspektiven zu diskutieren.
»Unsere Kampf-Agenden müssen konvergieren, damit meine Demonstration automatisch auch deine ist!«
Entgegen der skeptischen Haltung vieler Industriebelegschaften gegenüber der Klimabewegung thematisierte das Kollektiv schon vor der geplanten Entlassung ökologische Fragestellungen. Für sie war es »schon länger ein Widerspruch, dass [sie] Achswellen herstellen, sprich ein Produkt, das in Luxusautos und Nutzfahrzeuge eingebaut wird und somit Teil eines Entwicklungsmodells [sind], das [sie] nicht vertreten können«. Sie befanden sich stets im Dilemma, ihre Beschäftigung und ihre Löhne erhalten zu wollen, aber gleichzeitig ihren Kindern einen lebenswerten Planeten hinterlassen zu wollen.
In gemeinsamen Gesprächen mit Vertreter*innen von Fridays for Future wurde schließlich entschieden, den Klimastreik gemeinsam zu organisieren. Am 26. März 2022 demonstrierte Fridays for Future Italien gemeinsam mit dem Fabrikkollektiv in Florenz. Die Klimaaktivist*innen verkündeten:
»Entlassungen und Verlagerungen werden wir unter dem Vorwand des ökologischen Übergangs nicht mehr rechtfertigen, wir werden angesichts der Ausbeutung der Arbeiter und der Ressourcen nicht schweigen. Wir produzieren zu viel und zu einem unhaltbaren Tempo, wir brauchen eine ernsthafte Neuplanung, um die Belastung für Arbeitnehmer und Umwelt zu vermindern.«
Im Laufe der Zusammenarbeit wurde aus den programmatischen Bekenntnissen einer notwendigen Verbindung von Klassenkämpfen und ökologischer Wende, die es bei FFF Italien stets gab, tatsächlich eine gemeinsame Praxis. Nach der Aussage von Klimaaktivist*innen aus Rom kamen zu den FFF-Demonstrationen von nun an auch GKN-Beschäftigte. Dies habe Fridays for Future wiederum mehr Glaubwürdigkeit unter Arbeiter*innen und Angestellten verschafft. Zugleich hätten die Klima-Aktivist*innen zunehmend begonnen, sich betrieblichen Themen und Strategien zuzuwenden: »Die Frage einer Produktion von unten – wer entscheidet, was wird produziert und wie, das ist jetzt keine leere Hülse mehr, sondern sehr konkret!«
Im Sommer 2022 besuchte das Fabrikkollektiv auch das Fridays For Future-Sommercamp, wodurch nach Aussage der Klimaaktivist*innen auch eine gewisse proletarische Kultur dort Einzug hielt, was auch mit Spannungen einhergegangen sei. Das Thema Degrowth sei zunächst kontrovers diskutiert worden. Mittlerweile hätten die Debatten jedoch zu der gemeinsamen Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich geführt. Außerdem wurde auf dem Camp die gemeinsame Planung der nächsten Insorgiamo-Tour des Kollektivs festgehalten. Ziel ist es, im nächsten Jahr mit den anderen Industriebelegschaften nicht nur über Abwehrkämpfe gegen die drohende Schließungswelle zu diskutieren, sondern auch ökologische Alternativen – eine Produktion für die Verkehrswende – mit ins Spiel zu bringen.
Lucas Plan 2.0 in der Toskana?
Ein Sprecher von Fridays for Future Rom äußert die Hoffnung, dass der Kampf um das GKN-Werk Symbolcharakter für die Zusammenführung sozialer und ökologischer Kämpfe entwickelt und den falschen Widerspruch zwischen Arbeitsplatzerhalt und ökologischer Transformation auflöst:
»Was der Ökobewegung oft vorgeworfen wird, ist die Tatsache, dass sie Arbeitsplätze streichen wollen. Doch die Erfahrung von GKN zeigt, dass diese Gegenüberstellung zwischen Arbeit und Umwelt eigentlich Fatalismus ist. Es muss eine Konversion der Maschinen eingeleitet werden, die Maschinen müssen ökologisch gedacht werden, deswegen arbeitet GKN auch intensiv mit Forschern von der Uni Pisa zusammen. Das Betriebskollektiv will ein Labor sein, das als Vorbild für ganz Italien dienen kann.«
Tatsächlich ist die Idee einer Konversion des GKN-Werkes in Campi Bisenzio mittlerweile sehr konkret und erinnert an die Dynamik, die die Schließung des Rüstungsunternehmens Lucas Aerospace in den 1970er Jahren entfaltete. Dort entwickelten die Beschäftigten eigene und detaillierte Vorschläge einer alternativen Produktion im sogenannten Lucas Plan. In ähnlicher Weise will auch die GKN-Belegschaft den italienischen Staat bzw. den neuen Besitzer des Werkes dazu bewegen, die Produktion unter gesellschaftlich nützlichen Vorzeichen fortzuführen. Als das Kollektiv die Türen der Fabrik unmittelbar nach der Besetzung für alle Interessierten öffnete, betraten auch Ingenieur*innen und Ökonom*innen das Werk. Aus individuellen Solidarisierungen entstand bald der Arbeitskreis der »Economisti solidali« und der »Ingenieri solidali«, die begannen, basierend auf den Ideen der Arbeiter*innen einen konkreten Plan für eine alternative Produktion in Campi Bisenzio zu schreiben. In Debatten zwischen Wissenschaftler*innen Beschäftigten wurden Ideen entwickelt, die der Belegschaft schließlich in einem fundierten Plan mit mehreren Szenarien präsentiert wurde. Ausgangspunkt des Plans ist die Fabrik als ein Labor der Produktion für eine nachhaltige Verkehrswende - eine Idee, die die Arbeiter*innen gegenüber den Wissenschaftler*innen geäußert hatten.
Auf 55 Seiten führt der Plan die Möglichkeiten der alternativen Produktion in Campo Bisenzio auf. Er schlägt zwei Optionen vor: Einerseits könnten im Werk weiterhin Achswellen, jedoch von nun an für Busse und Züge hergestellt werden. Andererseits könnten Elektrolyseure für die Herstellung von grünem Wasserstoff produziert werden. Der Plan wurde am 7. Juli 2022 vom Fabrikkollektiv, die solidarischen Wissenschaftler*innen, Fridays For Future und dem zuständigen Gewerkschaftssekretär an der Universität in Pisa präsentiert. Auf den aktuellen Demonstrationen steht diese Vision einer Produktion für die Verkehrswende immer im Mittelpunkt der gemeinsamen Forderungen. Bisher (Stand: Oktober 2022) hat jedoch weder der italienische Staat noch der neue Besitzer Interesse an den Überlegungen einer alternativen Produktion gezeigt. Auch ein vom neuen Besitzer versprochener eigenständiger Plan wurde entgegen den Absprachen bis heute nicht präsentiert.
Der Kampf um das Werk ist trotz der zunehmenden Erschöpfung und der ökonomischen Bedrängnis durch das deutlich niedrigere Transformationskurzarbeitergeld keineswegs vorüber. Im September 2022 bestritt das Kollektiv gemeinsam mit Fridays For Future den Klimastreik in Florenz. Im Oktober 2022 empfing es eine Arbeitsloseninitiative aus Neapel und plante eine Großdemonstration dort. Zudem besuchte das Kollektiv ökologische Bauernvereinigungen aus der Region und diskutierte mit ihnen über eine nachhaltige Ernährung aus der und für die Toskana. Sollten vom Staat oder Francesco Borgomeo weiterhin keine Anzeichen kommen, dass die Produktion in Campi Bisenzio wiederaufgenommen werden soll, können sich die Arbeiter*innen derzeit auch vorstellen, als Genossenschaft weiterzuarbeiten und vorübergehend andere Dienstleistungen für die Arbeiter*innen in der Umgebung anzubieten wie etwa eine Kinderbetreuung oder eine Mensa in der Fabrik. An der Idee einer alternativen Produktion halten sie jedoch fest. Dafür sucht das Kollektiv derzeit den Kontakt mit anderen von Entlassung bedrohten Betrieben, mit denen es möglich wäre, ein komplettes nachhaltiges Produkt gemeinsam herzustellen – und nicht nur ein Teil, wie eine Achswelle. Wie auch immer es weitergeht: Dem Kollektiv ist schon jetzt gelungen, im Kampf für eine nachhaltige industrielle Konversion Spaltungslinien zwischen Industriearbeiter*innen, Klimaaktivist*innen, Wissenschaft, Bäuer*innen und Arbeitslosen zu überwinden.
Autor*innen: Lukas Ferrari ist Politikwissenschaftler und Dolmetscher und hat schon einige Tage und Nächte in der vom Collettivo di Fabbrica (GKN) besetzten Fabrik verbracht. Julia Kaiser ist Soziologin und im Studierendenverband die Linke.SDS Leipzig organisiert. Sie schreibt und referiert zu ökosozialistischen Alternativen.
Bild: Demonstration in Florenz am 26. März 2022, aufgenommen von Valentina Ceccatelli.