Von Bildsprache, Diskursintervention und antifaschistischen Klimakämpfen

Bereits im Sommer 2021 hat Ende Gelände mit zwei parallelen Aktionswochenenden in Hamburg und Brunsbüttel erstmals die Energiequelle Gas als Klimakiller in den Fokus gerückt. Zudem sollten koloniale Dimensionen sichtbarer als je zuvor gemacht werden. Dieser Bericht blickt unter anderem zurück auf geglückte Störungen, ausbaufähige Realpolitik und die Rolle der Bildsprache.

1. Rückblick

Im letzten Sommer haben wir mit Ende Gelände viel Neues gewagt: Das geplante LNG-Terminal (LNG = Flüssigerdgas) in Brunsbüttel als neues Hauptaktionsziel in einer uns unbekannten Region, Gas als neuer thematischer Fokus und eine noch stärkere internationale Einbettung der Aktion. Dazu kam der Anspruch, antikoloniale und antirassistische Kämpfe sichtbarer zu machen und der Versuch, noch stärker Barrieren im Klimagerechtigkeitsaktivismus abzubauen. In Brunsbüttel kamen dafür ca. 2.000 und in Hamburg einige Hundert Aktivist*innen zusammen.

Nachdem am Freitag eine Soli-Aktion auf dem Camp in Solidarität mit den Kämpfen weltweit und mit der uns besuchenden Delegation stattfand, verließen die Finger am Samstagmorgen kraftvoll das Camp, überquerten teilweise mit Fähren den Nord-Ostsee-Kanal und besetzten erste Schienen. Am Nachmittag wurde von einer Kleingruppe der Nord-Ostsee Kanal für Stunden blockiert, während manche Finger noch versuchten, ihre Aktionsziele zu erreichen, oder weiterhin Schienen bis in die Morgenstunden des Sonntags besetzt hielten. In Hamburg gab es Raum für BIPoC Vernetzung und eine kraftvolle Sponti, nachdem die ZU Aktion leider nicht wie geplant stattfinden konnte. Letzteres hat, in unserer Wahrnehmung, bei vielen Menschen Fragezeichen und Diskussionsbedarf hinterlassen. Zu den Ursachen sowie Schlussfolgerungen wurde und wird innerhalb der Bewegung noch viel diskutiert. Wir können zu diesem Zeitpunkt keine »Auswertung« dazu machen – wir werden aber auf jeden Fall weiterhin, einzeln und strukturell als Bewegung, unsere Rassismen reflektieren und abbauen.

2. Auswertung

Im Rahmen unseres Auswertungsprozesses in Hinblick auf die politische Wirksamkeit der Aktion haben sich vor allem drei Schwerpunkt-Themen aufgetan, die wir nachfolgend mit euch teilen wollen. Erstens, das Spannungsfeld zwischen symbolischen Blockaden und Blockaden, die tatsächlich den Ausstoß von CO2 verringern oder zumindest finanziellen Schaden bei fossilen Unternehmen anrichten. Letztere bezeichnen wir nachfolgend als effektive oder wirksame Blockaden. Zweitens, unser Verhältnis zu Staat und Repressionsorganen. Und drittens, die Zielsetzung und der Erfolg der Diskursintervention.

Symbolische vs. effektive Blockade

Von Aktivist*innen wurde in Bezug auf Wirksamkeit und Empowerment in der Aktion Unterschiedliches berichtet. Manche waren den ganzen Tag lang unterwegs, ohne an ein Aktionsziel zu kommen und sind dennoch sehr ermutigt aus den Aktionen gegangen. Andere haben gefühlt den ganzen Tag lang pleniert und waren sich unsicher, wie das konkret zu einer Änderung der herrschenden Zustände beigetragen hat. Wieder andere sind relativ fix an ihr Aktionsziel gekommen, haben aber nicht verstanden, warum dieses Ziel angesteuert wurde und ob wirklich effektiv Betriebsabläufe durch die Blockade gestört werden und der fossile Kapitalismus somit am kontinuierlichen »weiter so« gehindert wird. So überwog am Ende doch der Eindruck, dass die Aktion zumindest nicht so empowernd war wie frühere EG Aktionen, bzw. das Gefühl der Wirkmächtigkeit der eigenen Handlungen nicht so ausgeprägt war.

Bereits im Vorfeld der Aktion war klar, dass die Bildsprache einer Kohlegrube inklusive monströser Bagger deutlich eindrucksvoller ist als eine Wiese, auf der ein LNG Terminal erst noch gebaut werden soll bzw. Aktionen im dazugehörigen ChemCoastPark. Der Anspruch der Aktion war einerseits, die Unternehmen des Chemcoast Parks als Interessensgemeinschaft für den Neubau von klimaschädlicher Infrastruktur zu entlarven und diese fossilen Unternehmen durch Blockaden lahmzulegen. Andererseits sollte in einer aussagekräftigen und zugänglichen Bildsprache ein deutliches Zeichen gegen den Neubau des LNG-Terminals gesetzt werden. Rückblickend sehen wir, dass die dreckigen Industrieparks um Brunsbüttel zwar klar als Orte der Zerstörung identifizierbar sind, die Verbindung zum Neubau des Importterminals jedoch zu schwer zu vermitteln war.

Erschwerend kommt hinzu, dass wirksame Blockaden in Brunsbüttel nur sehr schwer umsetzbar waren. Das Eindringen auf die Firmengelände, um dort effektiv zu blockieren, konnte von den Cops verhindert werden. Die Schienen, die besetzt wurden, waren bzw. sind in Betrieb und wurden somit auch blockiert. Jedoch sind sie, anders als in Kohlerevieren, keine zentrale Infrastruktur, deren Besetzung unmittelbar zu Störungen von Betriebsabläufen führen. Die Blockaden konnten entspannt von Repressionsbehörden toleriert und ausgesessen werden, wodurch berechtigterweise das Gefühl entstand, nur für semi-schöne Bilder den weiten Weg nach Brunsbüttel zurückgelegt zu haben. Gleichzeitig können wir anerkennen, dass wir viel dazugelernt, viel Neues ausprobiert und gerade angesichts dessen immer noch eine Aktion hingelegt haben, die sich für viele Aktivist*innen auch gut und wirksam angefühlt hat.

Für die zukünftigen Prozesse sehen wir hier eine zentrale Frage, die bessere Antworten braucht, als wir sie in diesem Jahr finden konnten: Wie können wir mit unseren Aktionen auch in Themengebieten außerhalb von Kohle direkt und effektiv unsere Forderung vom sofortigen Ausstieg aus dem fossilen Kapitalismus selbst in die Hand nehmen und bildstark nach außen tragen?

Staat und Repression

Der Umgang der Repressionsorgane mit uns als Aktivist*innen war in diesem Jahr ganz anders, als wir es beispielsweise aus dem Rheinland kennen. Während die Polizei in der Vergangenheit und vor allem in den letzten Jahren maximal konfrontativ aufgetreten ist, uns oft bereits am Loslaufen hindern wollte und uns dabei nicht selten sofort mit körperlicher Gewalt begegnet ist, waren die Schleswig-Holsteiner Cops verhältnismäßig zurückhaltend. Die Polizeistrategie setzte eher auf »Kommunikation« und »Deeskalation« und darauf, nur die für das Kapital wirklich relevanten Orte zu schützen. So konnten wir uns als Finger relativ frei durch das Industriegebiet bewegen, solange wir keinem Unternehmen richtig wehtaten oder die Grenzen des Privateigentums überschritten (ja, ehrlicherweise war das auch auf den Schienen der Fall). Als aber ein Finger tatsächlich Richtung Firmengelände abbog, setzten die Cops alles daran, diesen aufzuhalten und waren dabei keinesfalls zimperlich: Faustschläge und Schlagstockeinsatz, Pfefferspray und Hunde hinterließen mehr als eine*n verletzte*n Aktivist*in. Insgesamt konnten wir in den Fingern zu leicht von der Polizei kontrolliert werden und waren womöglich zu wenige, um wirklich etwas auszurichten.

Diese Polizeistrategie zeigte uns einerseits, dass Staat und Kapital uns ernst nehmen und scheinbar wirklich Angst vor uns haben. Bereits im Vorfeld trafen sich die in Brunsbüttel angesiedelten Unternehmen mehrfach mit dem Verfassungsschutz. Ähnliche Treffen und Konferenzen haben in der Vergangenheit auch schon öfters mit RWE und Co. stattgefunden. Wieder berät der Staat also fossile Konzerne wie sie ihr Eigentum und ihr Image schützen und gibt freundliche exekutive Unterstützung. Andererseits machte es diese Strategie uns aber auch schwer, ein antagonistisches Verhältnis zwischen Klimagerechtigkeitsbewegung und dem Staat sichtbar zu machen. Nicht, dass wir falsch verstanden werden: Wir wollen natürlich NICHT mehr Polizeigewalt nur um krasse Bilder zu produzieren! Was wir sagen wollen ist, dass das Fehlen von Skandalisierungsmomenten und die betonte »Großzügigkeit« der Polizei das eigentliche Ziel dieser Institution an dem Wochenende verschleierte: Die zerstörerische Infrastruktur des fossilen Kapitals mit allen Mitteln vor uns zu schützen.

Deshalb wurde auch eine unserer Kernbotschaften, namentlich die der Notwendigkeit eines System Change und der Reorganisation von Produktionsweisen im Angesicht der Klimakrise, aus unserer Perspektive weniger sichtbar, weil der Widerspruch zum System und staatlichen Akteuren nicht wirklich sichtbar wurde. Daraus ergibt sich eine weitere zentrale Frage für zukünftige Prozesse: Wie schaffen wir es, die fossil-kapitalistische Produktionsweise wieder kritischer zu stören, um den zerstörerischen Schutz des Staates wieder deutlich zu machen? Wie verhindern wir, dass unsere Aktionen zu einschätzbar werden? Wie passt in diesem Kontext unsere Außendarstellung als radikale Akteurin in der Klimagerechtigkeitsbewegung und unsere Aktionsformen zusammen?

Diskursintervention

Die politische Wirkung unserer Aktion in Brunsbüttel sehen wir im Nachhinein eher in die Bewegung hinein und weniger in die breite Öffentlichkeit. Spätestens jetzt wissen alle in der Klima(gerechtigkeits)bewegung, dass Erdgas keine notwendige Übergangslösung, sondern nur eine weitere Brandbeschleunigerin ist. Das legt eine gute Grundlage für zukünftige Aktionen und politische Praxis in diesem Themenfeld. Und auch nach außen und in den Medien konnten wir das Bild einer »sauberen« Energiequelle stören und der Sichtweise entgegenzutreten, welche Gas bisher in der Gesellschaft zumeist nur als saubere Brückentechnologie verhandelt hat. Auch wenn die Berichterstattung breiter hätte sein können, müssen wir sehen, dass dieses Themenfeld nicht nur für uns, sondern auch für Journalist*innen noch Neuland ist. Noch konnten wir in Bezug auf Diskursverschiebungen nicht so viel bewegen wie in den letzten Jahren bei der Kohle - aber wir stehen hier ja auch erst am Anfang.

Wir sehen es auch als Erfolg an, dass der Zusammenhang zwischen Neokolonialismus und Klimaungerechtigkeit stark mitgedacht wurde und auch in der Kommunikation nach außen einen prominenten Platz einnahm. In Pressestatements, sowie in der medialen Berichterstattung, wurde die globale, koloniale Dimension von klimaschädlichem Erdgas sowie die Zerstörung der Lebensgrundlagen von Menschen in den betroffenen Gebieten erkennbar aufgenommen.

Wie es Auswertungen so an sich haben, hat auch dieser Text vor allem die Punkte hervorgehoben, die bei unserer Aktion nicht so gut liefen. Trotzdem sehen wir die Aktion unter den gegebenen Umständen (neues Thema, neues Aktionsziel, und vor allem über ein Jahr Pandemie mit rein digitalen Bündnisprozessen) als durchaus erfolgreich an: Die Bewegung hat nach der lähmenden Pandemie wieder etwas Schwung aufgenommen, Vernetzungs- und Reflektionsprozesse haben stattgefunden und Themen wie Neokolonialismus und die Klimaschädlichkeit von Erdgas haben inner- und außerhalb der Bewegung einen Platz im Diskurs gefunden. Daran möchten wir dieses Jahr mit neuen Ideen anschließen.

3. Ausblick

Schließen wollen wir mit Gedanken darüber enden, was wir für unsere weitere politische Arbeiten und Aktionen mitnehmen können bzw. im Bündnis / in der Bewegung diskutieren können.

Von der Diskursverschiebung zu materiellen Veränderungen

In den letzten Jahren waren wir sehr erfolgreich darin, den Kohleausstieg als Thema in die öffentliche Debatte zu setzen sowie den öffentlichen Diskurs über die Klimakrise zu beeinflussen. Unserer Einschätzung nach existiert ein wachsendes Verständnis über die Bedeutung der Klimakrise in der Gesellschaft. Trotzdem passiert realpolitisch weiterhin wenig bis gar nichts. Ist Diskursintervention auch zukünftig das Mittel der Wahl für Veränderungsprozesse? Oder ist hier eh »nicht mehr viel zu holen«? Müssen wir Diskursverschiebung anders denken? Wir sollten deshalb hinterfragen, ob symbolträchtige Bilder weiterhin ein Hauptziel unserer Aktionen sein sollten oder ob effektive Eingriffe und tatsächliche materielle Veränderungen in Zukunft nicht immer wichtiger werden.

Kontrolle und Kontrollierbarkeit

In unsere Aktionen fließen enorm viele organisatorischen Kapazitäten, was einerseits gut ist, weil wir richtig was gewuppt bekommen und dabei viele Menschen viel Gutes lernen, aber andererseits auch Menschen ausbrennen und sich Prozesse zuweilen für die Beteiligten (zu) groß und anstrengend anfühlen. Wir denken immer (fast) alles mit und haben als Bündnis (fast) immer alles unter Kontrolle. Gleichzeitig sind wir für den Staat und die Cops relativ gut einschätzbar und dadurch auch kontrollierbar geworden. Wir sollten uns überlegen, ob wir den Kontrollanspruch des Bündnis zurückschrauben können, um mehr Raum für spontane Momente und Energie zu schaffen, um wieder unberechenbarer zu werden.

Dabei sollten wir allerdings mitdenken, dass unser hoher Organisierungsgrad, der (zurecht) manchmal als »Rundum-sorglos-Paket« oder »All-inclusive-Aktivismus« kritisiert wird, auch positive Aspekte hat. Unsere Aktionen schaffen einen verhältnismäßig sichere Rahmen für Menschen, ermöglichen erste Schritte in Richtung Zivilen Ungehorsam und können so Anstoß für Radikalisierungsprozesse sein. Und wir versuchen damit Exklusivität und Exklusion auf unseren Aktionen entgegenzuwirken, was wir nicht einfach so über Bord schmeißen dürfen.

Neue inhaltliche Punkte setzen

Als AG Perspektive finden wir vor allem die folgenden inhaltlichen Punkte wichtig, möchten dabei aber betonen, dass dies nur eine Position von vielen im Bündnis darstellt. Der Klimadiskurs ist in den letzten Jahren breiter geworden und hat sich verändert. Wir müssen die Wichtigkeit der Klimakrise nicht mehr in die Öffentlichkeit tragen. Vielmehr kommt es jetzt darauf an zu zeigen, dass technische Innovationen nicht die alleinige Lösung sind. Hieran sollten wir vielleicht auch unsere Aktionen ausrichten: Was sind »false solutions«, die wir angreifen müssen? Unser diesjähriger Fokus auf die »Brückentechnologie« Gas und auch die Proteste gegen die »grüne« IAA Mobility in München haben da schon Schritte in die richtige Richtung gemacht.

In der aktuellen Lage kommt die Gefahr natürlich nicht nur durch klimatische Veränderungen, sondern auch von rechts: gerade in Zeiten der Klimakrise können Rufe nach Autoritäten stärker werden. Wir sollten uns (weiterhin) dafür stark machen, dass KlimaGERECHTIGKEIT heißt, Solidarität auch und vor allem in Zeiten der Klimakrise zu leben und diese auch nicht an nationalen Grenzen Halt machen darf. Vielleicht ist es an der Zeit, die Verbindung von antifaschistischen und klimapolitischen Kämpfen stärker hervorzuheben und Vernetzungsarbeit, die in den letzten Jahren schon kontinuierlich vorangetrieben wurde, mit mehr Energie zu vertiefen.

Last but not least sollten wir als Klimabewegung die Eigentumsfrage stärker stellen: Ist es legitim, dass private Unternehmen ganzen Landstriche einfrieden um sie dann zu zerstören? Warum schützt der Staat in Form von Verfassungsschutz und Polizei mit aller Macht und Gewalt diejenige Infrastruktur, die Millionen von Menschen gewaltvoll die Lebensgrundlagen entzieht, nur weil geltendes Recht diese als Privateigentum anerkennt? Wer darf eigentlich darüber bestimmen, was wir als Gesellschaft wie produzieren? Warum darf RWE mit Hilfe des Staates die Bewohner*innen von Lützerath & Co. enteignen - und warum enteignen wir nicht RWE & Co.?!

Insgesamt finden wir es enorm wichtig, uns diese offenen Fragen zu stellen, um uns weiterhin kritisch zu hinterfragen. Wir halten Diskussionen im Bündnis, in AGen, in OGen und in Bezugsgruppen oder anderen politischen Gruppen für sehr hilfreich - beispielsweise über die Aktionsform und unsere zukünftige Ausrichtung.

Autor*innen: Einen Einblick in eigene Auswertungsprozesse hat uns hier die Aktions-AG von Ende Gelände gegeben.

Bild: Mit der Fähre zum Zielpunkt der Aktion gegen das Gas-Terminal in Brunsbüttel, von Tim Wagner.