Die Commune ist tot, lang lebe die Commune!

Die G20-Proteste sollten als Möglichkeit für eine transnationale Verbindlichkeit begriffen werden. Die Perspektive: Eine Neuzusammensetzung der Gesellschaft, in den Kiezen wie transnational. Dafür wird es eine Erneuerung brauchen: Die Schaffung transnationaler Kräfte, die sich nicht nur antagonistisch, sondern auch protagonistisch beweisen und die Wiedergewinnung eines gemeinsamen Horizontes des Ungehorsams und der Dringlichkeit. Die Proteste in Hamburg werden sich daran messen lassen müssen, ob sie einen Schritt in diese Richtung einer Diskussionskultur der Möglichkeiten bedeuten.

»Aber von den Unterdrückten sagen viele jetzt:
Was wir wollen, geht niemals.
Wer noch lebt, sage nicht: niemals!
Das Sichere ist nicht sicher.
So, wie es ist, bleibt es nicht.

Es gilt zu handeln, heute noch!«

Brecht

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Seattle, Genua, Porto Alegre. Orte unserer Bezugnahme, wobei letzterer oft vergessen wird.
Anfang der Jahrtausendwende meldete sich eine neue Bewegung zu Wort, in hoher Intensität gab es massenhafte Proteste, gegenseitige Bezugsnahmen und kollektive Orte des Austauschs und des sich Organisierens. Damals lag die Erkenntnis vor allem darin, dass sich angesichts eines global agierenden neoliberalen Kapitalismus auch der Widerstand global organisieren muss. Einher ging dies mit einer neuen Form der Bewegung. Es wurden die Differenzen in den Bewegungen bejaht und die Reinheit der Position dem Offenhalten des Prozesses nachgelagert. Auch wenn vieles davon verstaubt ist, manches sich – auch dank unserer Kämpfe und Erfahrungen – geändert hat, haben wir anderes verloren: dass die globale Verwüstung nicht mehr weitergehen darf, den massenhaften Ungehorsam, die alltägliche Verweigerung, die Dinglichkeit noch heute etwas ändern zu wollen; denn schlimmer als die Fehler und das Scheitern von Bewegungen ist, sich vor lauter Zweifel zu keiner Tat durchringen zu können. Wir müssen uns, wie an anderer Stelle in diesem Blog gefordert, »Zurück in die Zukunft« orientieren.

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Frankfurt, Athen, Paris. Orte unserer eigenen Kämpfe, unserer Einladung an Alle.
Getragen aus jüngsten Protesten und transnationalen Beziehungen wollten wir als Commune of Europe mit internationalen Genoss*innen einen »Sprung in die Transnationalität« wagen. Diese Notwendigkeit ist mit den Herausforderungen geblieben, die sich im gemeinsam verlorenen Kampf im Juli 2015, dem Hochziehen der europäischen Außengrenzen, den Kämpfen in Frankreich gegen das Loi Travai und die Sanktionierung innereuropäischer Migration manifestiert haben: All dies sind politische Konflikte, die mindestens auf europäischer Ebene ausgetragen werden müssen, sonst bleiben sie verloren. Es wurde aber in den vergangenen Jahren immer schwerer eine Dynamik aufrechtzuerhalten, uns verbindlich und kontinuierlich zu verabreden. Eine Verbindlichkeit oder gar ein Netzwerk unabhängig von Mobilisierungen herzustellen ist kaum möglich. So war es zurückblickend das »Event-Hopping« Blockupy, welches die meisten konkreten transnationalen Verbindungen geschaffen hat. Vielleicht war ja Blockupy aus dieser Perspektive mehr ein Prozess als ein ritualisiertes Event – und fast schon Basisarbeit. Es bleibt aber die Herausforderung, transnationale Kräfte zu schaffen, die zugleich antagonistisch und protagonistisch sind. Antagonistisch zum Bestehenden und protagonistisch im Sinne einer Ideengeberin, einer Inspiration, die unentwegt versucht mit der Realität Schritt zu halten. Weitere Anhaltspunkte für solche transnationalen Kräfte finden sich schon in dem Beitrag der Genoss*innen von DINAMOpress. Die Realität verändert sich zurzeit rasend, allein in den letzten zwei Jahren von der griechischen Niederlage, dem Sommer der Migration, dem Terror in Frankreich, zum Brexit, dem Putschversuch in der Türkei und der Wahl Trumps. Das alles immer einordnen zu können und dabei immer eine Idee, was zu tun ist, zu haben, wird eine nicht zu unterschätzende Herausforderung der nächsten Jahre.

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Zurück zu Porto Alegre: Wiedergewinnung der Dringlichkeit, Verbreiterung des Ungehorsams und Schaffung transnationaler Kräfte.
Ich glaube, es kann nicht nur um die Eröffnung einer dritten Option gehen oder gar das Gründen eines Wahlvereins. Vielleicht sollten wir kleiner anfangen. Uns, den sozialen transnationalen Bewegungen, fehlt ein gemeinsames Verständnis der Situation, welches ein Handeln ermöglichen würde. Dafür braucht es eine transnationale Debatte und Hamburg muss ein Beitrag zu dieser sein. Die Gegenproteste zum G20-Gipfel werden nicht nur auf der Straße viele Möglichkeiten bieten, sondern auch auf den Plätzen in der gemeinsamen Diskussion: Wir sollten uns ernsthaft über die Erfahrungen der Weltsozialforen, der Klimabewegung, des anarchistisch und radikal-demokratisch geprägten Munzipalismus rebellischer Städte, des Czarny Protestes der Frauen in Polen 2016 und vieler weiterer austauschen. Wir sollten Räume der Debatte organisieren und nach den Juli Tagen weitermachen wollen.

Wir sollten dabei nicht den Charme verkennen, den eine gemeinsame Sichtbarkeit und Handlungsfähigkeit einer rebellischen Minderheit in Zeiten einer großen Sehnsucht nach dem Aufbrechen gegen das Bestehenden entfalten kann, wenn sie einladend agiert: Konzentrieren wir uns auf den Aufbau von Netzen einer Neuzusammensetzung der Gesellschaft, in den Kiezen wie transnational, mit den Neuangekommen wie Langgebliebenen. Erneuern wir das Wissen darum, dass die Alter-Globalisierungs-Bewegung und der Internationalismus unser gemeinsames Erbe ist. Vielleicht könnten wir so nicht nur antagonistisch, was notwendig bleibt, sondern auch wirklich protagonistisch werden: in den lokalen Auseinandersetzungen stets die transnationalen Verknüpfungen suchen und hervorheben, sowie trotz der verschiedenen nationalen Bewegungskonjunkturen das Gemeinsame vertreten.

Oliver Wagner wurde über Blockupy politisiert und ist seitdem in der IL und internationalen Kontexten aktiv. Er lebt und studiert zurzeit in Bielefeld und ist Teil der NoG20 International Koordinierung.

Inspirationen:

Bild: Rainbow Bloc von Commune of Europe: »activists block Banca d'Italia against austerity and Troika«, Venedig, 2. März 2015