von G20 Gipfel tags Organisierung Internationalismus Bewegung Datum Jun 2017
zuDas Motto der interventionistischen Linken zu den G20 Protesten lautet »Hoffnung entsteht aus Rebellion – Rebellion entsteht aus Hoffnung«. Es ist ein schönes Motto, es ist pointiert, ruft Bilder auf, hinterlässt Emotionen. Aber, wie so oft, folgt dem ein Aber. Denn es artikulieren sich gerade darin Widersprüche, die beispielhaft für den gegenwärtigen Zustand der deutschen Linken sind – sowohl in ihrer außerparlamentarischen radikalen Form als auch in ihrer institutionellen Repräsentation. – Ein kritisch-solidarischer Zuruf aus Mexiko.
Deutsche Dilemmata und die trügerische Befriedigung von außerhalb
Nimm dir Pfeil und Bogen, wir erlegen einen Leckerbissen
Es gibt kein'n Knast mehr, wir grill'n auf den Gefängnisgittern
Verbrannte McDonald's zeugen von unser'n Heldentaten
Seit wir Nestlé von den Feldern jagten
Schmecken Äpfel so wie Äpfel und Tomaten nach Tomaten
Und wir kochen unser Essen in den Helmen der Soldaten
(K.I.Z. »Hurra die Welt geht unter«)
Vorab: Mir geht es im Folgenden nicht um ein Angreifen der konkreten taktischen Überlegungen, den organisatorischen Ideen zugunsten der Vielfalt der Proteste oder dergleichen – in dieser Hinsicht denke ich, dass sich alle aktiv Beteiligten gewissenhaft und mit vollem Eifer und Willen dem Projekt widmen. Ihnen das zum Vorwurf zu machen wäre nicht nur arrogant, sondern ebenso respekt- und schamlos. Vielmehr möchte ich die grundsätzliche Ausrichtung in Frage stellen, um dadurch, hoffentlich, ein paar wenige Denkanstöße für die Zeit danach zu geben. Dies vor allem deswegen, um nicht alle Jahre wieder mit der eigenen Polit-Gruppe am gleichen strategischen Punkt zu stehen. Um danach nicht wieder irgendwie schauen zu müssen, wie man aus der selbst produzierten politischen Sackgasse rauskommt, die das Ende eines jeden medienwirksamen Events mit sich bringt.
1. Eine Kalenderfrage: die Abhängigkeit der Linken gegenüber den Mächtigen
Es hat schon etwas Traditionsbehaftetes, wenn sich erneut auf die Politik des dominanten Gegenübers bezogen wird: um daraus nicht nur Ansporn für die interne Dynamik der eigenen Polit-Gruppe oder der eigenen Organisation zu ziehen, sondern ebenso um dies als Aufhänger zu nehmen, um in irgendeiner Weise mit der Gesellschaft und anderen organisierten Sektoren in Kontakt zu treten und um auf deren Echo zu warten (Und? Wurde es bisher erreicht?). In dieser Fokussierung verbergen sich zwei strukturelle Abhängigkeiten. Zum einen wird sowohl der geographische als auch der zeitliche Kalender durch den der Mächtigen bestimmt und abgesteckt; zum anderen unterliegt ebenso die Themenbestimmung der Agenda von G20. Eine Politik, die inspirieren möchte und dennoch widerständig ist, muss aus sich selbst heraus geboren werden. Eine Politik, die, wenn sie sich schon auf das Ereignis konzentriert, dieses selber setzt und bestimmt. Ja, dafür braucht es wohl eine breitere organisierte Basis…
2. Für ein konkretes Narrativ
Hoffnung heißt es. Aber damit Hoffnung auch wirklich Hoffnung gibt, bedarf es eines positiven Referenzpunktes oder -rahmens. Und beide müssen unweigerlich über die Anrufung einer kommunistischen, sozialistischen oder anarchistischen Abstraktion hinausgehen. Ja, doch, sich in Phrasen zu bewegen hat was. Es ist verdammt gemütlich. Und es ist befreiend von jeglicher Verantwortung, im Konkreten etwas zu entwerfen oder gar zu denken. Selbstverständlich braucht es die Vermittlung eines Gefühls des Aufbruchs hin zu etwas Besserem inmitten einer Gesellschaft der Desillusion und Alternativlosigkeit. Aber es braucht mehr als nur das. Vielleicht ist es gleich mit ähnlich abstrakten Begriffen. Wie mit bewaffnetem Konflikt oder Krieg. Nackte Zahlen allein helfen nicht, Tiefe, Ausmaße und explizite sowie implizite Bedeutungen in all ihren Facetten und Nuancen zu begreifen. Wirkliche Erzählungen des Krieges tragen hingegen weiter, können uns ergreifen – und den Krieg selbst (be)greifbarer machen: Nicht 50.000 Tote, sondern die trostlosen Augen in den Überlebenden, die zusehen mussten, wie der Dorffluss von Blut durchtränkt war und sie von dem Wasser krank wurden... Selbst das negative Narrativ lädt noch zu etwas Entscheidendem ein: zum Vorstellen, zum Denken, vielleicht auch sogar zu einem ersten Schritt, um dagegen etwas zu unternehmen – oder eben, um etwas dafür zu unternehmen, wenn wir von unserem Beispiel der Hoffnung reden. Ja, dafür braucht es wohl ein konkretes Gegenprojekt zum Bestehenden, wie an anderer Stelle Andreas (»Wir können uns nicht befreien, ...«) oder Barbara (»Zurück in die Zukunft!«) betonen...
3. Ein radikales Außen als Ersatz
Nicht nur in dem Motto, sondern auch darüber hinaus, besteht eine weitere, eine dritte, strukturelle Abhängigkeit. Gegenüber denen, die konsequent rebellisch sind; gegenüber denen, die wirklich Hoffnung erwecken. Heutzutage übernehmen diesen Part die progressiven Kurd*innen im Norden Syriens; Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre waren es die Zapatistas im südöstlichen Mexiko, die, ungefragt, zu Träger*innen dieser Bürde zugunsten der Befriedigung deutscher und westeuropäischer Linker wurden. Linke, die im radikalen Außen der Zapatistas und Kurd*innen eine Bestätigung für sich selbst sehen, diese gar brauchen. Die Zweiten haben die ersten abgelöst, weil diese schlichtweg aus der Mode gekommen sind – ja, sicherlich, es sind auch Gründe der Entfernung, der schweren Zugänglichkeit des regionalen Kontextes, keine konkreten Berührungspunkte in Deutschland und dergleichen. Jedoch stellt sich die Frage: Ab wann werden die Kurd*innen aufhören, positiver Referenzpunkt zu sein? Wenn das massenhafte Sterben aufhört und nur noch auf niedrigeren Levels erfolgt? Wenn sich ihr politischer Diskurs ändert, und dadurch weniger kompatibel mit dem eigenen wird? Wenn sie schlichtweg nicht mehr den Ansprüchen und Bedürfnissen der deutschen Linken entsprechen und sich stattdessen nach etwas Neuem, einem neuen Anderen umgeschaut wird?
Etwas Ähnliches vollzieht sich mit der deutschen Partei-Linken und ihren Männern: Tsipras, Iglesias, Sanders, Corbyn … Allesamt vergängliche Zeitgenossen ihrer Kontexte, bis ein neuer Stern den Himmel erhellt – Schade nur, dass, wenn wir die Sterne sehen, diese schon längst erloschen sind. Und warum hoffen wir so oft auf die Ankunft eines einzelnen Erlösers, wenn wir doch wissen, dass es die kollektiven Anstrengungen sind, die die Geschichte nachhaltig verändern? Bertolt Brechts »Fragen eines lesenden Arbeiters« gilt nicht nur für die da Oben, sondern auch für uns hier unten.
Auch auf das Wie schauen
Wenn wir schon minutenlange YouTube-Videos anschauen, Soli-Veranstaltungen organisieren oder ellenlange Texte lesen (danke an dieser Stelle für die herausragende Arbeit vom LowerClassMagazin!) über die zapatistische oder kurdische Bewegung, oder sonst wie versuchen, Brücken und Beziehungen aufzubauen, dann doch bitte auch mit einem breiteren Blick für das Politische.
Aus unserer Sicht wird viel zu sehr auf das Was, viel zu wenig jedoch auf das dahinter liegende Wie geschaut: »Was wurde erreicht? – Ein autonomes Gesundheitssystem. Welcher politischer Gedankengang steckte dahinter? – Äh, keine Ahnung.« Es werden wohl mehr deutsche Linke wissen, an welchem Höhen- und Breitengrad bei der Verteidigung von Kobanê entscheidende kriegerische Auseinandersetzungen stattfanden, als wie die Kommunikation innerhalb der organisierten kurdischen Bewegung funktioniert. Welche Dynamiken, welche Regeln, welche Verpflichtungen, welche individuellen Aufgaben zugunsten des kollektiven Gelingens vorherrschen. Ein Schelm, wer glaubt, dass ein Kampf um Leben und Tod mit Abstimmungen per Händeschütteln einmal die Woche gewonnen wird.
Mein Punkt ist nicht, dass wir wieder zu alten Kaderorganisationen der 70er und 80er zurückkehren, aber ich denke, wir sollten der Realität gegenüber fair sein und uns nicht nur auf jenes positiv beziehen, was uns individuell in den Kram passt, sondern auch erkennen, was das, was ›uns-in-den-Kram-passt‹ erst möglich macht. Um davon zu lernen. Politisch wie auch analytisch. Die Zapatistas und die Kurdi*innen haben es geschafft eine der größten Herausforderungen zu meistern: Nicht nur die komplexe Gemengelage im nationalen und internationalen polit-ökonomischen System zu verstehen, sondern den eigenen Anspruch einer besseren Gesellschaft, konkret umzusetzen. Ein Dreiklang zwischen Pflicht, Theorie und Praxis. Uns darf dabei nicht all zu sehr das Was interessieren – denn dies ändert sich je nach Kontext und ist nicht übertragbar – sondern Wie es erreicht wurde. Dies ist das wirkliche konkrete radikale Außen, um auch zu einem konkreten radikalen Innen zu kommen. Damit sich die Anstrengungen für den Protest, auch in Anstrengungen für die Transformation wandeln...
Compa blickt aus einer gemütlichen Position außerhalb Europas auf die deutsche Linke. Er ist überzeugt davon, dass durch das Leben in Realitäten wie der mexikanischen urbanen Peripherie, die ganz eigene anders und neu erfahrbar und begreifbar gemacht wird.
Bild: Linker Anachronismus oder zeitenlose politische Konsequenz? Auch der mexikanische Revolutionär Emiliano Zapata (1879-1919), Anführer der »Armee des Südens«, war ein Fan vom Che. Was beide charakterisierte: die Verachtung gegenüber der Macht und die rebellische Wut gegenüber den Unterdrückern. - von Rincón Zapatista, Soli-Laden für die EZLN in Mexiko-Stadt