Sorgearbeit ist Arbeit!

Eigentlich ganz cool, wegen Corona nicht mehr in die Arbeit zu müssen und stattdessen gemütlich Homeoffice machen zu können, oder? Sicher nicht, argumentieren die Genoss*innen der IL Rostock. Denn wenn Lohn- und Reproduktionsarbeit individualisiert zu Hause stattfinden, tragen die Last wiedermal vor allem Frauen*. Höchste Zeit also, gemeinsam über eine andere gesellschaftliche Organisierung von Sorgearbeit zu nachzudenken!

Der folgende Beitrag ist zuerst auf der Homepage der Initative »Solidarisches Netzwerk Rostock« erschienen.

Aktuell lautet die Devise »Alle-mal-kurz-die-Arschbacken-zusammenkneifen« und es sind besonders Frauen*, die von den restriktiven Maßnahmen betroffen sind. Wertschätzung und Anerkennung von Pflege und Betreuungsaufgaben – Fehlanzeige! Stattdessen krasse Mehrfachbelastung. Dabei gilt es endlich anzuerkennen, dass Sorgearbeit Arbeit ist und Menschen mit Care Aufgaben auch in der Corona-Krise entlastet und nicht zusätzlich belastet werden müssen!

Die Krise trifft nicht alle gleich

Die Corona-Krise velangt uns allen viel ab. Doch muss man kein* Sozialwissenschaftler*in sein, um in Zeiten des Ausnahmezustandes zu sehen, wen es dann doch mehr und wen es dann doch weniger trifft. Wie im ersten Debattenbeitrag auf der Homepage der Initative »Solidarisches Netzwerk Rostock« in Bezug auf die restriktiven Maßnahmen des Kontaktverbotes und weiterer autoritärer Versuchungen besonders betroffene, marginalisierte Gruppen beschrieben wurde, gilt für die derzeitige Maßgabe des Mal-alle-kurz-die-Arschbacken-zusammen-kneifen-und-ein-bisschen-Homeoffice-machen, dass es (mal wieder) vor allem Frauen* trifft. Es trifft sie in Gestalt der überwiegend weiblichen Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegewesen. Es trifft sie in Gestalt der Niedriglohn-Bezieher*innen in den prekären Branchen ohne Arbeitnehmer*innenvertretung. Es trifft sie in Gestalt des Gender-Pay-Gap, der sich durch niedrigeres Kurzarbeiter*innen-Geld, niedrigeren ALG I- und ALG II-Satz nach Jobverlust reproduziert. Es trifft sie in Gestalt einer Homeoffice-Illusion, die suggeriert, dass man das, was man sonst im Büro oder der Firma erledigt, jetzt einfach nur vom Küchentisch aus erledigen könnte. Es trifft viele von ihnen in der jetzt zwangsweise zu organisierenden Frage der Betreuung von Angehörigen in Form von Babys, (Klein-) Kindern, schulpflichtigen Kindern, Jugendlichen und zu pflegenden Alten.

Und es trifft sie nicht nur ganz besonders, sondern ganz besonders hart, wenn diese Faktoren zusammenkommen. Wie sieht es für die Alleinerziehende mit einem 3-jährigen Kind aus, die jetzt ihrer buchhalterischen Lohnarbeit am Küchentisch in der Zwei-Zimmer-Wohnung erledigen soll, während das Kind neben eben jenem Tisch stehend betreut werden will und sie in ihrem Betrieb keine Interessensvertretung hat, die klarstellt, dass Homeoffice grundsätzlich auf Freiwilligkeit beruht, da der/die Arbeitgeber*in nicht über die private Wohnung der Beschäftigten verfügen kann und darf. Vielmehr dürfte sie eine*n Chef*in haben, die/der ihr tief in die Augen blickt, an ihre »weiblichen Wesenszüge« der devoten Empathie und Verständnisbereitschaft appeliert und durchblicken lässt, dass das mit dem Kind doch mal in den nächsten Tagen zu schaffen sei (»Die Kollegin X hat mir schon mitgeteilt, dass das mit ihren zwei Kindern zu Hause gar kein Problem ist!«). Ob die Kollegin X vielleicht in einem Einfamilienhaus wohnt, ein eigenes Arbeitszimmer und zudem die Schwiegermutter als Kinderbetreuerin mit im Haus hat, ist natürlich irrelevant. Wichtig ist, dass jetzt alle an einem Strang ziehen!

Sorgearbeit: individualisiert und wenig anerkannt

Hier wird etwas Unfassbares getan, welches (bis jetzt) nur wenig öffentliche Diskussion erregt. Die eh schon gesellschaftich gering anerkannte Bedeutung und Wertschätzung von Betreuungs- und Pflegeaufgaben – kurz Sorgearbeit, auch Care-Work genannt – wird absolut und total auf die Ebene des Individuums, also jedes und jeder Einzelnen – wobei, doch eher jeder Einzelnen – verlagert. Oder sagen wir: vor die Füße geworfen mit einer neoliberalen Illusion des »Just do it« – Du musst es nur machen. Du musst es nur wollen.

Besondere Situationen, erfordern besondere Maßnahmen. Die Corona-Pandemie ist daher nicht nur eine besondere Situation der Virus-Verbreitung, sondern auch eine, in der sich unsere gesellschaftlichen Missstände besonders deutlich und, für die jeweils Benachteiligten, in besonders harter Form zeigen. Es ist ebenso eine Situation, die uns als Gesellschaft zwingt Dinge klar zu stellen. Dass wir endlich anerkennen, dass Sorgearbeit eben genau das ist: Arbeit! Für die es Professionalität bedarf – nicht umsonst gelten für Erzieher*innen, Pädagog*innen, Lehrer*innen, (Alten-)Pfleger*innen Ausbildungs- und Studiencurricula, Prüfungen und Abschlüsse. Für die es ebenso einer Entlohnung bedarf, die der gesellschaftlichen Bedeutung dieser Arbeit entspricht.

Es muss sich etwas ändern!

Und für die es in dieser besonderen Situation eine ebenso entsprechend besondere Lösung braucht. In Zeiten der sozialen Isolation, Schließung von Betreuungseinrichtungen und Schulen, verhindertem Kontakt zu Patient*innen und Klient*innen kann der Konsens zur Lösung der Corona-Krise und ihrer Nebenfolgen nicht die Auslagerung der gesellschaftlichen Verantwortung auf wenige Einzelne sein, die zudem eh schon doppelten oder dreifachen Belastungen ausgesetzt sind.

Wir müssen jetzt – right here, right now – die Frage nach der sozialen Relevanz der Sorgearbeit stellen. Denn es bahnt sich schon jetzt an, dass die Corona-Krise nicht in zwei Wochen vorbei ist und wir unsere Kinder wieder in die Kitas und Schulen mit schlecht bezahlten, überarbeiteten Erzieher*innen und Lehrer*innen schicken können und sich damit die ganze Diskussion erledigt hätte. Wir können es nicht hinnehmen, wenn der jetzige Zustand in zwei Wochen wieder verlängert wird und wieder und wieder. Wenn wir dann wieder von unseren Chef*innen die Ansage zum Homeoffice bekommen, ohne dass sie unsere familiäre Lage interessiert. Wenn wir uns dann wieder fragen müssen, wie man die Zeit von 6 Uhr morgens bis 19 Uhr abends mit einem 3-Jährigen in einer Zwei-Raum-Wohnung und einem kleinen Spaziergang mit Geheule vor dem abgesperrten Spielplatz rum bekommen soll, um dann abends nach dem-bisschen-Sorgearbeit mit hängenden Schultern und kleinen Augen vor dem privaten 2009‘er Laptop ohne Office-Funktionen zu sitzen, um den von der/dem Chef*innen vorgegeben Planzahlen und Bearbeitungsfristen gerecht zu werden. Im besten Fall sind wir mit unser Rund-um-die Uhr-Arbeit ja so ausgelastet, dass wir uns gar nicht mehr fragen, wie das mit den Arbeitnehmer*innen Rechten, maximalen Arbeitszeiten Pausenzeiten, Urlaubstagen und dem Nicht-Zugriff des/ der Arbeitgeber*in auf das Private war.

Oder wir kehren das Mal-alle-kurz-die-Arschbacken-zusammen-kneifen um und schreiben unserer*m Chef*in von unserem Küchentisch aus per Mail: »Hey, danke, aber ich mache schon Sorgearbeit.« Und vielleicht, ganz vielleicht könnten wir das gemeinsam tun, es als Frauen*streik abseits des 8. März tun und dafür sorgen, dass die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz der Sorgearbeit in der Corona-Krise gesellschaftlich und nicht individuell beantwortet wird.

Zwei Links (1 und 2) mit weiterführenden Texten zum gleichen Thema.

Autorin: Die Interventionistische Linke Rostock macht seit 2015 linksradikale Politik an der Küste.

Bild: »Care« von Jeremy Brooks.