Geld oder Leben: Wie Patente den Kampf gegen die Pandemie bremsen

Schon im Sommer letzten Jahres hat ein Genosse hier auf dem Debattenblog einen »Kampf um den Impstoff« vorausgesagt. Diese Einschätzung hat sich mittlerweile bewahrheitet. Höchste Zeit also, aus einer internationalistischen Perspektive den Kampf für die Freigabe der Impfstoff-Patente und die grundlegende Vergesellschaftung des Gesundheitssektors aufzunehmen, argumentiert Genosse Lukas im folgenden Beitrag.

Dieser Artikel erscheint zeitgleich auch bei unseren Freund*innen vom wunderbaren mosaik-blog.


»Der Corona-Impfstoff muss ein globales öffentliches Gut sein«, verkündete die EU-Kommission im Mai 2020. Ein dreiviertel Jahr später hat sich dieses Versprechen globaler Solidarität ins Gegenteil verwandelt. Anfang letzter Woche gab es ein Treffen der WTO. Dort weigerten sich die EU, Großbritannien, die USA und einige andere erneut, die Patente für Corona-Impfstoffe und -Medikamente freizugeben.

Bereits im Herbst hatten Indien und Südafrika einen Notfall-Antrag zur Freigabe dieser Patente gestellt. Die Freigabe der Patente würde es ermöglichen, mehr Impfstoffdosen und Medikamente gegen Corona zu produzieren und diese gerechter zu verteilen. Viele Staaten unterstützen den Antrag deshalb. Doch in der WTO werden Entscheidungen einstimmig getroffen. Die Blockade des Globalen Nordens wirkt – mit verheerenden Auswirkungen.

Sie führt dazu, dass ein Großteil der Menschen aus dem Globalen Süden noch lange auf ihre Impfung warten müssen – teilweise bis 2024. Bis dahin wird die Coronakrise viele Todesopfer fordern und immensen Schaden anrichten. Doch woher rührt die Blockade der Industriestaaten? Es ist doch klar, dass die weltweite Impfung eine unserer wenigen Chancen ist, die Pandemie zu beenden? Auf den richtigen Weg führt uns eine Gemeinsamkeit der Blockadefraktion: Dort sind die großen Pharmakonzerne ansässig.

Von Superhelden und TRIPS-Waivern

Pfizer/Biontech, Astrazeneca und Moderna. Das sind die Konzerne, die die bisher vielversprechendsten Impfstoffe (mit)entwickelt haben: Superhelden auf Weltrettungsmission? Dieser Eindruck entsteht beim Blick in die aktuellen Timelines. Die Gründer*innen der deutschen Firma Biontech, Uğur Şahin und Özlem Türeci werden gar als antirassistisches Integrationswunder gefeiert. Wenn Kritik laut wird, dann dass die EU, Deutschland oder Österreich, sich zu wenig Impfstoffdosen gesichert hätten – als ob nationale Alleingänge irgendetwas ausrichten könnten.

Der eigentliche Skandal wird durch Heldenerzählung und Impfstoff-Nationalismus verdeckt: Der Egoismus der Industriestaaten und das Profitstreben der Pharmakonzerne verhindern eine wirksame, weil globale Bekämpfung der Pandemie. Dies hängt mit dem Patent-Abkommen der WTO zusammen: das »Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights«, kurz TRIPS. Die WTO verabschiedete dieses 1994 und setzte es in den darauffolgenden Jahren international durch. Zweck ist, nationalen Patenten international Geltung zu verschaffen. Treibende Kraft hinter der Verabschiedung war unter anderem das »Intellectual Property Committee«, eine US-Lobbygruppe mit Firmen wie Monsanto, Microsoft und unserem Superhelden Pfizer.

Pharmaindustrie privatisiert öffentliches Wissen

Durch TRIPS wurde es unter anderem möglich, den billigen Nachbau von Medikamenten – sogenannte ›Generika‹ – zu verhindern. Das alles natürlich zum Zwecke der Profitmaximierung. Patentschutz ist also ein Profitschutz für die Pharmaindustrie. Die ganze Sache wird noch skandalöser. Denn Medikamentenentwicklung wird oft erst durch öffentliche Grundlagenforschung etwa an Universitäten ermöglicht. In Bezug auf die Corona-Impfstoff- und Medikamentenentwicklung kommen noch staatliche Investitionen in Milliardenhöhe hinzu. Die Pharmaindustrie privatisiert durch die Patente letztendlich öffentliches Wissen. Unfassbar, aber kapitalistische Realität.

Selbst der oben erwähnte Notfallantrag zur Freigabe der Corona-Patente, genannt »TRIPS-Waiver«, scheint ein zu großes Zugeständnis. Dabei würde dieser nur für die Zeit der Pandemie gelten und gar nichts grundsätzlich am neokolonialen Patentsystem ändern. Die Rechnung ist ganz einfach: Auf der einen Seite stehen Unmengen an Geld, auf der anderen Seite Unmengen an Leben, die durch Corona gefährdet sind. Geld oder Leben? Die Entscheidung der Industriestaaten und der Pharmakonzerne scheint bereits gefallen zu sein.

Regierungskritik nicht genug

Umso wichtiger ist es, dass die gesellschaftliche Linke sich diesem Thema widmet. In den vergangenen Monaten wurde viel über die sozialen Auswirkungen der Coronapandemie hier in Europa diskutiert. Zu Recht wurden die Entscheidungen der Regierungen kritisiert, die kapitalistische Produktion fast vollständig aufrechtzuerhalten. Zuletzt hat #ZeroCovid auf die Notwendigkeit eines solidarischen europäischen Lockdowns aufmerksam gemacht.

Doch wir können unsere Politik nicht auf Europa oder gar einzelne Nationen beschränken. Wenn wir die globale Dimension der Coronakrise nicht miteinbeziehen, werden wir keinen wirklichen Ausweg aus der Pandemie finden – wir sind nur sicher, wenn alle sicher sind. Unsere Corona-Solidarität muss global und internationalistisch sein. Sie muss die imperiale Lebensweise, an die wir uns im Globalen Norden gewöhnt haben, scharf zurückweisen.

Impfstoffe für alle, Profite für keinen

Die Diskussionen über die Blockade der Patente sind in den letzten Wochen etwas lauter geworden. Schon früh machte etwa »medico international« gemeinsam mit Partner*innen aus dem Süden darauf aufmerksam, dass »Patente töten«. Es gibt die europäische Petition NoProfitsInAPandemic oder die Kampagne #NoCovidMonopolies von »Ärzte ohne Grenzen«. Diese Ansätze beschränken sich aber zu sehr auf Appelle und Social Media-Aktivismus. Wenn wir Corona-Solidarität global ernst nehmen, müssen wir sie auf die Straße tragen.

Und dafür ist gerade ein guter Zeitpunkt: Die neoliberale Krisenbearbeitung ist gescheitert, die rechte Verleugnung der Pandemie erst recht. Jetzt ist die Zeit für eine linke Antwort. Dies wird an der Blockade der Patente besonders deutlich. Und hier lassen sich Brücken zu anderen sozialen Bewegungen schlagen, zum Beispiel zu den Pfleger*innen, die für das Ende der neoliberalen Krankenhausfinanzierung kämpfen und viel Unterstützung aus der Gesellschaft bekommen.

Die Perspektive dabei ist klar: Wir müssen die Pharmaindustrie muss enteignen – die Freigabe der Corona-Patente kann dabei nur der erste Schritt sein. Der komplette Gesundheitssektor muss vergesellschaftet und demokratisiert werden – von den Krankenhäusern bis zur Medikamentenentwicklung. Natürlich wird das ein langer Kampf. Aber wenn sich Industriestaaten und Pharmaindustrie für das Geld entschieden haben, sollten wir auf der Seite des Lebens stehen. Und vielleicht gibt es ja Menschen in der Pharmaindustrie oder in den Patentbehörden, die das ähnlich sehen und als Whistleblower*innen die Corona-Patente veröffentlichen?

Autor: Lukas Hoffmann ist aktiv in der Interventionistischen Linken Berlin und twittert als @hegemonotonie.

Bild: Proteste vor dem Firmensitz von Pfizer in Berlin anlässlich des bundesweiten #GebtDiePatenteFrei-Aktionstages der Interventionistischen Linken am 23. Januar 2021.