Gebt den Impfstoff frei!

Ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie ist die von einem Genossen prognostizierte Auseinandersetzung um den Impfstoff in vollem Gang. Die Corona-AG der IL kritisiert mit einem zweiten dezentralen Aktionstag die Blockadepolitk der reichen Industrienationen und fordert eine Freigabe der Impfstoffpatente.

»Well, the people, I would say. There is no patent. Could you patent the sun?« (Antwort von Jonas Salk, Erfinder des Polioimpfstoffs, auf die Frage: »Wem gehört der Impfstoff?«)

Der Anfang vom Ende der Pandemie

Nach Monaten starker Freiheitseinschränkung stagniert der Infektionsverlauf und eine dritte Welle kündigt sich im Zuge der Virusmutationen bereits an. Umso verzweifelter, aber auch voller Wünsche und Begierden, hofft man noch mehr auf eine schnelle Produktion und Verteilung der Impfstoffe. Das Wunder dieser Pandemie, die Entwicklung eines Corona-Impfstoffes in Rekordzeit, bringt aber auch Ungerechtigkeiten und Leid mit sich. Gerade im Moment der Zuspitzung der Pandemie erscheinen die Impfstoffe hierzulande noch zu sehr als die Rettung aus der Not denn als ein Teil ihrer Aufrechterhaltung. Und wer hier zuerst gerettet wird, ist schmerzlicherweise auf Anhieb bewusst. Noch immer gibt es als weniger schützenswert verstandenes Leben, sei es »of Colour« und/ oder von Armut betroffen. Diese Grenzziehung verläuft sowohl global als auch in Deutschland selbst. Neben der kapitalfreundlichen Corona-Politik sind Patente ein Hauptproblem dieser Pandemie und ihrer Bekämpfung. Die Eigentumsrechte am Wissen um die Impfstofftechnologie machen den Impfstoff erst zu einer Ware. Der Drang zum Profit macht diese Ware zusätzlich noch zu einem knappen Gut. Eine Chance, die Pandemie noch 2021 mithilfe des Impfstoffs einzuhegen, besteht allein noch für Europa und die USA. Das ist der kapitalistische Zynismus in Reinform. Der Impfstoff ist eben nur der Anfang vom Ende der Pandemie. Die Linke muss diesen Impfstoff als mögliche Quelle für gesellschaftliche Mobilisierungen begreifen, gerade weil die Pandemie auch die wohlhabenden Teile der Welt befallen hat. Zugleich müssen wir Ellbogenmentalitäten in der Impfstoffverteilung verhindern und die Position der Solidarität und Gerechtigkeit in der Krise stärken!

Die warmen Worte von globaler Solidarität der Kanzlerin Merkel wie von UN und WHO nützen selbst in Zeiten drängender Notwendigkeit einer gerechten Impfstoffverteilung nur wenig, wenn die reichen Industrienationen und Profitinteressen mitspielen. Auf den good will der reichen Staaten und Impfstoff-Charityprojekte zu warten wäre tödlich. Ein Lösungsvorschlag für die sich abzeichnende Misere liegt längst bei der Welthandelsorganisation (WTO) auf dem Tisch: Indien und Südafrika haben die Freigabe der Impfstoffpatente gefordert. Unterstützt werden sie von mehr als 100 Mitgliedern der WTO. Mit einem sog. TRIPS Waiver (TRIPS: Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights - Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums) würde das Recht auf Schutz geistigen Eigentums ausnahmsweise aufgehoben und das Wissen der Impfstofftechnologie geteilt werden. Es ließen sich so vielerorts, in größerer Menge und billiger Impfstoff-Generika produzieren. Die Corona-Pandemie ließe sich so effizienter bekämpfen und gefährlichen Mutationen würde ein Riegel vorgeschoben werden. Die Gegenmacht ist jedoch groß und der Modus kapitalistischer Pandemiepolitik nicht nur blind in ihrer Ungerechtigkeit, sondern auch selbstzerstörerisch. Gegen den Block aus EU, die USA, Kanada etc. werden die vielen Länder des globalen Südens in der WTO nicht ankommen. Sie legen sich auch mit der in der Pandemie nicht ausgesetzten Profitlogik an und stehen zudem selber in Abhängigkeitsverhältnissen. Wieder einmal sind sie die Verdammten dieser Erde.

Das Erbe der Biopiraterie

Patente waren noch nie dafür bekannt, besonders im Dienste der Menschen zu stehen. Anders als oft angenommen schützen sie weniger eine Idee oder Erfindung, sondern Profit- und Machtinteressen Einzelner. Im Zuge der räuberischen und gewaltvollen Kolonisierung der Welt verbreiteten Nationen des globalen Nordens das Patentsystem über die eigenen Ländergrenzen hinweg. Rund ein Viertel der medizinischen Rezepte des globalen Nordens beruhen auf traditionellen Heilpflanzen aus dem globalen Süden. Obendrein ist über Generation weitergegebenes indigenes Wissen geraubt und in Patente umgewandelt worden. Indigenes Wissen wird rechtlich und strukturell aus dem Patentbetrieb ausgeschlossen. Das ist das Erbe der kolonialen Biopiraterie.

Heute ist das Patentrecht, wie wir es kennen, festgehalten in der TRIPS-Erklärung von 1995. Besonders unter Druck der USA und seiner Unternehmenslobby setzte sich das globale Patentrecht mit dem Neoliberalismus durch. Die Monopolisierung von Wissen und Sanktionierungsmöglichkeiten dienen den westlichen Staaten zur Verwertbar-Machung von Waren auf dem globalen Markt. Wir brauchen über die Pandemie hinaus eine globale Organisierung des medizinischen Wissens. Die Patentierung medizinischen Wissens und die Privatisierung des Gesundheitswesens müssen aufgehoben werden.

Gegen die deutsche Blockadepolitk

Durch Kampagnen zur Aufhebung der Patente wie auch erste Proteste ist der eigentliche Skandal der Impfstoffproduktion öffentlich geworden. Unser Anliegen muss es nun sein, die Hegemonie des globalen Nordens anzugreifen und ein Einsteuern im Pandemiegeschehen zu erkämpfen. Dafür braucht es breitere Bündnisse, die über das vereinzelte Engagement in Kampagnen oder NGOs hinausweisen. Diese Bündnisse müssen auch transnational verstanden werden. Die deutsche Linke ist auf diesem Terrain der Gesundheitspolitik jedoch alles andere als selbstsicher. Wir fangen dabei aber nicht von vorne an, sondern bauen auf die Erfahrungen der Alter-Globalisierungsbewegung und der Kämpfe gegen des Patentrecht seit mehr als 20 Jahren auf. Einen politischen Erfolg verzeichneten bspw. die südafrikanischen Aktivist*innen der Treatment Action Campaign (TAC), die bereits in der AIDS-Pandemie das Patentrecht zurückdrängen und Zugang zu Medikamenten ermöglichen konnten. Doch auch damals viel zu spät: Hunderttausende waren schon durch ihnen versagte Medikamente in den Tod gedrängt worden. Die Geschichte wiederholt sich zurzeit. Um das zu verhindern, forderten vor kurzem über 200 Gesundheitsinitiativen aus dem globalen Süden von Deutschland: »Wenn wir diese Pandemie überwinden wollen, brauchen wir auf allen Kontinenten Hersteller, die sich an der Produktion von Impfstoffen beteiligen, auch in Entwicklungsländern; einfach überall, wo es möglich ist.«

Sicher sind wir, wenn alle sicher sind

Im Superwahljahr 2021 wird auch über die (Post-)Corona-Politik entschieden. Das kann jedoch nicht der einzige Resonanzraum für das pandemiepolitische Versagen sein. Viel zu selten hat die deutsche Linke zu dem Elend, Debakel und Irrsinn der Pandemiepolitik öffentlich und wahrnehmbar Stellung bezogen. Viel zu häufig wurde sich lieber moralisch kommentierend abgesichert, als sich in die Auseinandersetzung zu begeben. Mit #ZeroCovid ist es einer Initiative gelungen, mit einer Stimme in die Gesellschaft zu sprechen. Auch für so manche Linke war sie ein verspäteter Weckruf. Es fehlt dem losen Bündnis allerdings noch ein politischer Hebel, gerade jetzt in der dritten Welle, nachdem die Forderungen bisher mit dem Status der Unrealisierbarkeit versehen und abgewehrt wurden. Als bewegungsorientierte Linke in Deutschland dürfen wir die politischen Auseinandersetzungen in der Corona-Krise nicht ignorieren oder scheuen. Wir dürfen nicht auf die Verheerungen der neoliberalen Pandemiepolitik warten, sondern für ihre Nicht-Durchführbarkeit und Delegitimierung sorgen. Dazu braucht es vielleicht auch mehr politische Kreativität, wenn gängige Wege unserer politischen Kämpfe versperrt sind.

Die Todespolitik der reichen Industriestaaten wie die berechnende Profit- und Eigentumslogik der Pharmaunternehmen genießen noch zu viel Legitimation. Eine Politik für das Leben und globale Solidarität wird gerade im Hinblick auf den Impfstoff sicherlich von einer Mehrheit der Weltbevölkerung geteilt. Doch wie so häufig werden die Entscheidungen woanders gemacht. Auch die Demokratie steckt während der Pandemie in einer tiefen Krise. Wir dürfen nicht müde werden gegen die Unternehmensinteressen wie auch gegen die Macht der Herrschenden das Recht auf Gesundheit zu verteidigen und ihre Warenförmigkeit anzugreifen. Die Gesundheit ist aller oder niemandes Eigentum. Deswegen muss der Impfstoff ein globales öffentliches Gut werden! Dafür braucht es den Druck der Straße gerade jetzt besonders.

Mit einem weiteren Aktionstag werden wir als Interventionistische Linke am 10. März neben der Zurückhaltung der Patente durch die Blockadestaaten insbesondere auch die Bundesregierung in ihrer Mitverantwortung für die Misere kritisieren. Wir werden Orte dieser ungerechten Politik des Sterbenlassens besuchen und auf eine Freigabe der Corona-Impfstoffe drängen. Auch in anderen Ländern wird es Proteste anlässlich der WTO-Beratungen geben.

Diese von Kapitalismus und Naturzerstörung getriebene Pandemie ist erst vorbei, wenn sie für alle vorbei ist. Das heißt: Corona-Impfstoff für alle!

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Hier auf dem Debattenblog waren der »Kampf um den Impfstoff« und die Frage, »Wie Patente den Kampf gegen die Pandemie bremsen« bereits in zwei vorangegangenen Beiträgen Thema – schaut doch dort auch mal rein!

Autor: Thore, ist aktiv in der Corona-AG der Interventionistischen Linken.

Bild: Ein Blick hinter die Kulissen der Impfstoffproduktion - in diesem Fall gegen die Polio. Von Sanofi Pasteur.