von Was tun? tags Feminismus Bewegung soziale Kämpfe Datum Oct 2018
zuGegen die dramatischen Zustände in den Krankenhäusern hat sich in den letzten Jahren eine kämpferische Bewegung von Pfleger*innen formiert, die von linken Bündnissen unterstützt wird. Die Volksbegehren, die derzeit in Bayern, Hamburg und eben in Berlin laufen, bergen in ihrer inhaltlichen Ausrichtung ein grundlegendes, antikapitalistisches Potential.
Pflegenotstand! Das Thema ist nicht erst seit den GroKo-Verhandlungen in aller Munde; entweder man liest es in den Zeitungen oder kennt es aus eigener Betroffenheit. Seit Jahren herrscht eine gefährliche Unterbesetzung von Pfleger*innen in den Krankenhäusern. Die Folge: Das Pflegepersonal kämpft fortwährend mit Überarbeitung, viele erleiden einen Burn-Out oder wechseln den Beruf. Darunter leiden ebenso Patient*innen, wenn sie schlecht gepflegt werden. Denn die erhöhte Arbeitsbelastung führt einerseits zu einer vermehrten Übertragung und Verbreitung multiresistenter Keime, andererseits können notwendige pflegerische Maßnahmen – wie etwa aufklärerische Gespräche oder die Unterstützung beim Essen – nur noch ungenügend durchgeführt werden. Die wesentlichen Ursachen sind die fehlende Anerkennung von Care-Arbeit und die Ökonomisierung der Krankenhäuser durch das DRG-Fallpauschalensystem.
Die Etablierung des Bündnisses für mehr Personal im Krankenhaus
Bereits vor einigen Jahren machten die erfolgreichen Charité-Streiks, durch die 2015 erstmalig eine klare Personalbemessung auf den Stationen festgelegt wurde, auf die Missstände in den bundesdeutschen Krankenhäusern aufmerksam. Zudem sensibilisierte das neu gegründete Netzwerk ›Care Revolution‹ für die feministischen Aspekte der Arbeitskämpfe; denn mit ihnen erfahren weiblich konnotierte Tätigkeiten, die finanziell und gesellschaftlich abgewertet werden, eine höhere Anerkennung.
Doch auch nach all diesen Anfangserfolgen und Erkenntnisgewinnen war klar: Es muss aus linker Perspektive das Ziel sein, die Kämpfe über die Grenzen der Tarifauseinandersetzung hinaus zu führen. Eben dies ist ein zentrales Anliegen des Bündnis ›Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus‹, an dem wir uns beteiligen. Dort organisiert sich der Kern der heutigen Berliner Bewegung: aktive Beschäftigte und Azubis aus verschiedenen Häusern sowie Medizin-Studierende, Ver.di-Mitarbeitende sowie Aktivist*innen verschiedener linker Gruppen. Sie wollen zeigen, dass der tarifliche auch ein gesellschaftlicher Konflikt ist, der scheinbar partikulare ein allgemeiner Kampf – denn wir sind alle potentielle Patient*innen. Deswegen unterstützt das Bündnis einerseits die Kämpfe der Beschäftigten, indem es die Aktiven vernetzt und bei Streiks hilft. Andererseits entwickelt es auch eine eigene Praxis, indem es versucht, mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf die Missstände an den Kliniken aufmerksam zu machen.
Die Attraktivität der Bewegung liegt darin, dass es tatsächliche und für alle spürbare Verbesserungen zu erkämpfen gibt. Zusammen mit den Beschäftigten streiten wir für tarifliche und gesetzliche Veränderungen. Doch das machen wir nicht aus den Parlamenten oder der Regierung heraus, sondern von der Straße und aus den Krankenhäusern. Unser mittelfristiges Ziel besteht darin, über eine bessere Personalausstattung hinaus das Fallpauschalensystem der DRG (Diagnosis Related Groups) zu kippen. Statt nach neoliberaler Kosteneffizienz und Rendite muss das Gesundheitssystem an den Bedürfnissen von Beschäftigten und Patient*innen ausgerichtet werden.
Das antikapitalistische Potential des Kampfes
Im Kampf gegen die DRG scheint eine sozialistische Perspektive auf, die sich aus der unmittelbaren Betroffenheit der Beschäftigten und Patient*innen ergibt. Genauso, wie die Ursache der untragbaren Zustände von den Meisten klar in der Ökonomisierung der Kliniken gesehen wird, ist ihnen ersichtlich, dass der Profitlogik an den Krankenhäusern ein Ende gesetzt werden muss. Antikapitalismus ist also eher ein Fluchtpunkt, der aus der Dynamik der Kämpfe entstehen kann und sollte. Nicht zuletzt liegt in der Krankenhausbewegung eine Chance für die radikale Linke, reifer zu werden, aus einer linksradikalen Szenepolitik heraus und mit neuen Menschen in Kontakt zu kommen sowie mit diesen kollektive Aktionen gegen die herrschenden Zustände zu entwickeln. Genau diese Chance versuchen wir als Interventionistische Linke Berlin zu ergreifen. Dabei können wir sowohl Politisierungsprozesse unterstützen als auch selbst wertvolle Erfahrung in der Basisarbeit sammeln und dazulernen. Ein wichtiger Punkt: Ähnlich wie in der Berliner Mieter*innenbewegung existiert mit den Krankenhäusern ein zentraler und reeller Alltagsort der Organisierung.
FCK DRG! Das Volksbegehren in Berlin
Aus diesen Überlegungen heraus haben wir am 1. Februar 2018 als Berliner Bündnis das Volksbegehren ›Gesunde Krankenhäuser‹ gestartet. So wollen wir die betrieblichen Kämpfe in eine landespolitische Kampagne übersetzen und vergesellschaften. In mehreren Monaten intensiver Arbeit hat das Bündnis ein Gesetz entwickelt: Es legt Mindestpersonalzahlen für Pflegekräfte und andere Berufsgruppen im Krankenhaus fest und ergänzt die Hygiene-Vorschriften für Reinigungsfachkräfte. Zudem legt es eine Mindestquote von Investitionen fest, die durch das Land Berlin übernommen werden müssen. Es stellt Transparenz über die Einhaltung von Qualitätsanforderungen und Personalvorgaben her und formuliert Konsequenzen, wenn diese Ziele nicht erreicht werden. Insgesamt wird damit das Land Berlin zur Verantwortung gezwungen und auch langfristig der bestehende Fachkräftemangel bekämpft, indem der Beruf wieder attraktiver wird. Somit kann das Volksbegehren synergistisch wirken, indem es gesetzliche Daumenschrauben anlegt, Arbeitsbedingungen verbessert, die Qualität der Patient*innenversorgung erhöht, kapitalistische Strukturen abschwächt und Menschen Selbstwirksamkeit erfahren lässt. Das Gesetz soll letztendlich durch einen Volksentscheid von der Berliner Bevölkerung bejaht werden, wobei durch unser Volksbegehren der Weg zum -entscheid geebnet wird.
Damit knüpfen wir an einen Zyklus linker Volksbegehren in Berlin an. Von Themen wie Wasser, über Energie und Freiräume bis hin zu Mieten konnten verschiedene Initiativen jeweils eine Massenunterstützung organisieren und einige realpolitische Erfolge erringen. Bei den letzten Volksbegehren sind regelrechte Sammelbewegungen auf der Straße, in den Nachbar*innenschaften und in Freund*innenkreisen entstanden. In den letzten Jahren mussten wir lernen, dass Volksentscheide Grenzen haben und jeweils strategisch eingesetzt werden müssen. Aber sie geben eine realistische Perspektive, massenhaft ein fortschrittliches Anliegen von unten gegen die Herrschenden durchzusetzen und dadurch realpolitische Missstände, wie z.B. die Rationalisierung von Pflege im Krankenhaus, zu Fall zu bringen.
In der gegenwärtigen politischen Konstellation in Berlin haben wir die Aufgabe und die Gelegenheit, die rot-rot-grüne Regierung mit einem populären Projekt von links unter Druck zu setzen. Im Abgeordnetenhaus gibt es nur eine rechte Opposition. Die AFD versucht neuerdings auch, in Mieter*inneninitiativen Fuß zu fassen und strebt bundesweit danach, soziale Themen völkisch zu besetzen. Umso mehr brauchen wir eine außerparlamentarische Bewegung, die eine linke Alternative sichtbar macht und die Regierung entweder zu einer progressiven Politik zwingt oder sie entlarvt.
Dieses Potential hat der Kampf um die Krankenhäuser. Die ersten Monate der Kampagne machen Mut, dass unsere Idee aufgehen kann. Bei der bis Frühsommer 2018 laufenden Aktion wurden bis zur Abgabe insgesamt genau 48.499 Unterschriften gesammelt. Dabei haben wir sehr positive Resonanz aus allen gesellschaftlichen Schichten erhalten, zudem sprechen sich Akteure wie die Berliner Ärztekammer oder der Marburger Bund Berlin-Brandenburg für das Projekt aus. Die Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) sah sich letztendlich genötigt, im Bundesrat eine Initiative für feste Personalschlüssel für die Pflege zu starten.
Der Druck nimmt zu
Auch über die Landesgrenzen hinaus ist die Organisierung motivierend: Wenige Wochen nach Berlin startete das ›Hamburger Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus‹ ein sehr ähnliches Volksbegehren in der Hansestadt, Ende Juli folgte eine weitere Volksbegehrens-Inititative im Freistaat Bayern. Des Weiteren beschränken sich die Streiks in Krankenhäusern längst nicht mehr auf Berlin. Arbeitskämpfe fanden und finden etwa in Düsseldorf, Essen, Augsburg oder im Saarland statt. Die Folge war, dass sich der akute Pflegenotstand zu einem der zentralen Wahlkampfthemen auf Bundes- und auf Landesebene entwickelt hat.
Aus den kämpferischen Häusern generiert die Bewegung ihre Kraft und die aktivsten Beschäftigten geben ihr ein Gesicht, Legitimation und Ausstrahlung. Diese Aktivist*innen aus den verschiedenen Städten vernetzen, inspirieren und beraten sich gegenseitig und entwickeln überregionale Aktivitäten. Die Bewegung konnte bereits an mehreren Punkten ihre Forderungen in die Staatsapparate einschreiben. Nicht nur die Forderung nach einer Personalbedarfsplanung hat sich durch die anhaltenden Kämpfe durchgesetzt, sondern auch die damit verbundene Kritik an der Finanzierung der Krankenhäuser. So sollen ab 2019 die Pflegepersonalkosten aus den DRG herausgelöst und jede zusätzliche Stelle voll von den Krankenkassen finanziert werden. Dieser Gesetzentwurf hat ausgerechnet Jens Spahn von der FAZ und dem Handelsblatt den Vorwurf des Planwirtschaftlers eingebracht.
Es ist weiterhin Skepsis angebracht, ob tatsächlich substanzielle Verbesserungen für die Beschäftigten kommen werden oder ob es sich bei diesen Initiativen von Oben nicht um eine Beruhigungspille für die Öffentlichkeit und die Gewerkschaften handelt. Trotzdem ermutigt die momentane Konfliktdynamik. Durch den Gesetzentwurf von Spahn werden die DRG nicht nur ideell deligitimiert, sondern würden auch ca. 1/3 ihrer materiellen Grundlage verlieren. Und es geht weiter. Andere Berufsgruppen im Krankenhaus fordern bereits die Herausnahme aller Personalkosten aus den DRGs und vom 19.-21. Oktober lädt das Bündnis ›Krankenhaus statt Fabrik‹ mit der Frage ›Was kommt nach den Fallpauschalen?‹ zu einem Kongress gegen die Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung ein, der der Startpunkt für eine bundesweite Kampagne werden soll. Wir als Interventionistische Linke und Teil des Berliner Bündnisses für mehr Personal im Krankenhaus tragen dazu bei, die DRG zu kippen. Wetten, dass die Bewegung noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hat?
Autorin: Die Gesundheits-AG der Interventionistischen Linken Berlin ist seit mehreren Jahren im Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus aktiv. Eine erste, längere Version ist bereits auf der IL-Homepage veröffentlicht worden.
Das Bild entstand auf einer Charité-Streikdemo im vergangenem Jahr.