Was haben Klimagerechtigkeit und Feminismus miteinander zu tun?

Warum die Kämpfe für Klimagerechtigkeit auch eng mit feministischen Kämpfen verwoben sind und sein müssen? Steht im folgenden Beitrag der Nürnberger Ortsgruppe von Fridays for Future, den wir freundlicherweise hier zweitveröffentlichen dürfen.

1. Feminismus und wir als Aktivist*innen

Ein großer Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung wird getragen von FLINTA* (Frauen, Lesben, Inter-, Nonbinary-, Trans- und Agender Personen). Wir kämpfen tagtäglich für ein besseres Leben, aber für uns kann dieser Kampf nur zweigeteilt sein. Wir können es uns nicht leisten, nur für Klimagerechtigkeit einzustehen. Nein. Tagtäglich fordert uns der Kampf um unser eigenes, selbstbestimmtes Leben, jetzt und hier. Wir werden strukturell weniger von Zeitungen zitiert als unsere cis männlichen Pressesprecher; wir werden weniger ernst genommen von Politiker*innen; wir leisten den Großteil unsichtbarer- und Care Arbeit, während unsere cis männlichen Kollegen meist öffentlich zu sehen sind; was wir sagen, wird immer parallel mit unserem Aussehen diskutiert und wir sind non stop und ungeschützt misogynen Angriffen im Netz ausgesetzt. Wir verdienen weniger als cis Männer; wir sind oft verantwortlich für unbezahlte (Care-)Arbeit im Privaten; wir dürfen auch heute noch nicht über unseren eigenen Körper bestimmen und von einem Posten in der Chefetage können wir meist nur träumen. Diese Liste könnte lange fortgesetzt werden. Wir müssen tagtäglich einen Kampf an zwei Fronten führen, oftmals auch in unseren eigenen Reihen. Es ist hart, es ist kräftezehrend, und es sollte schon genug Grund sein, um an einem einzigen Tag im Jahr solidarisch für unsere Rechte auf die Straße zu gehen. Aber das ist nur einer von vielen Gründen.

2. Feminismus und die Klimakrise:

Wir fragen uns: Wer verursacht diese Krise? Wer leidet am stärksten darunter?

Die Antworten darauf sind sicherlich komplex, allerdings wissen wir: Mit steigendem Wohlstand steigen auch die Emissionen. So sind die reichsten 10 % der Erde für die Hälfte der Emissionen verantwortlich, die ärmsten 50 % gerade einmal für circa 7 %. (Stand 1990-2015). Gleichzeitig ist es in unserem aktuellen System ebenfalls eine Frage des Geldes und natürlich des Zugangs zu Ressourcen und allgemeinen Rechten, wie gut wir uns vor der Klimakrise schützen können. Während Rechte und Ressourcen bekannterweise lange noch nicht gerecht verteilt sind, sind es weltweit auch zu 70 % Frauen die unterhalb der Armutsgrenze leben. Männer verfügen global gesehen über 50 % mehr Vermögen als Frauen, verdienen im Durchschnitt 23 % mehr als Frauen – obwohl Männer circa 6 Stunden 44 Minuten, und Frauen circa 7 Stunden und 28 Minuten pro Tag arbeiten. Stichwort: care Arbeit.

Aber auch ein einfacher Blick nach Deutschland reicht: Eine Studie des Statistischen Bundesamts zeigt: Frauen verdienten auch im Jahr 2019 noch 19% weniger als Männer. Das ist zurückzuführen auf diverse strukturelle, patriachalen Logiken folgende Bedingungen. Aber selbst der letzte berechnete bereinigte Gender Pay Gap lag im Jahr 2018 bei 6%. Dieser vergleicht das Einkommen von Frauen und Männern bei gleicher Tätigkeit und vergleichbarer Qualifikation.

Aber neben finanziellen Aspekten gibt es noch weitere Zusammenhänge: Bei Naturkatastrophen sterben Frauen eher als Männer – laut europäischem Parlament ist die Wahrscheinlichkeit um ein Vierfaches höher. Grund dafür sind sowohl finanzielle Mittel als auch die gesellschaftliche Stellung von FLINTA* Personen. Unter den Opfern des Zyklons Sidr 2008 in Bangladesch waren beispielsweise 80 % Frauen und Mädchen und nur 20 % waren männlich kategorisiert. Ein weiteres Beispiel: verstärkt auftretende Dürren sorgen für das Versiegen von Brunnen; ein weiterer Weg zur Wasserversorgung wird nötig. Meist sind es Mädchen, denen diese Aufgabe zu Teil wird – und die aufgrund des größeren Zeitaufwandes nicht mehr die gleichen Bildungsmöglichkeiten erfahren wie davor. Die Klimakrise verstärkt also patriarchale Strukturen und trifft die sowieso schon von Unterdrückung betroffenen am Meisten. Der Kampf um einen gerechten Umgang mit dieser Krise muss also auch ein feministischer sein, um diesem Ungleichgewicht entgegen zu wirken.

3. Feminismus und Klimagerechtigkeit

Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, gibt es sicherlich viele Wege. Wir können Ressourcen von heute auf morgen so teuer machen, dass nur noch reiche Menschen sie sich leisten können. Wir können Menschen verbieten, weiter Kinder zu bekommen, wir können uns abschotten und diktatorisch einen Umgang mit der Krise finden.

Wir denken, wir können mit Sicherheit sagen, dass niemand von uns einen dieser Wege gehen möchte. Wir sind nicht nur eine Klimabewegung, sondern eine Klimagerechtigkeitsbewegung. Das fängt bei klimapolitischen Maßnahmen an (Wie gestalten wir eine CO²-Steuer? Wie planen wir unseren Verkehr?) und hört bei einer gerechten Ressourcenverteilung auf (allen Menschen steht der gleiche Anteil an Ressourcen zur Verfügung). Klimagerechtigkeit bedeutet, die Menschen, die am stärksten von der Krise betroffen sind (Klimageflüchtete, Menschen im globalen Süden, FLINTA*,…), aufzufangen, Ressourcen gerecht aufzuteilen und Maßnahmen sozial gerecht zu gestalten. Die Klimabewegung ist auch eine sehr soziale Bewegung. Für die Lösung des Problems müssen wir auch die Stimmen der Betroffenen hören, müssen verschiedene Perspektiven mitdenken und sehen, was direkt Betroffene brauchen.

Alles in allem bedeutet der Kampf um Klimagerechtigkeit einen Kampf um das gute Leben für alle. Wir streiten eben nicht nur für den Erhalt der natürlichen Grundlagen, sondern für ein lebenswertes Leben. Und können wir bei aller CO²-Neutralität von einem guten Leben für alle sprechen, wenn bereits jede dritte Frau in Deutschland physische oder sexualisierte häusliche Gewalt erfahren hat? Ist es ein gutes Leben für alle, wenn unbezahlte Arbeit immernoch an FLINTA* hängen bleibt? Ist es ein gutes Leben für alle, wenn immernoch über die Körper gebährfähiger Menschen bestimmt wird, wenn medizinische Studien meist auf männliche Standards angelegt sind, wenn Menstruation noch immer ein tabuisiertes Thema ist und menstruierende Menschen in ihrem Leben über 20.000€ im Zusammenhang mit ihrer Periode ausgeben müssen – ohne auch nur die kleinste staatliche Unterstützung wie beispielsweise eine Anhebung des Hartz IV Satzes für menstruierende Menschen? Und ist es ein gutes Leben für alle, wenn unser Zusammenleben noch immer von patriarchalen Rollenbildern geprägt ist, indem FLINTA* tagtäglich mit sexistischer Werbung, sexistischen Kommentaren und sexistischen Vorurteilen zu kämpfen haben, während toxische Männlichkeitsbilder auch das Leben vieler cis Männer erschweren?

4. Feminismus und unser Kampf für eine gerechte Zukunft

Nicht nur müssen wir uns als Klimagerechtigkeitsbewegung entschlossen gegen jede Form der Diskriminierung stellen, es lohnt sich auch, einen Blick auf die inhaltlichen Gemeinsamkeiten des Kampfes zu werfen. Seit Jahrzehnten kämpfen Umweltbewegungen für eine klimagerechte Politik, seit Jahrzehnten gibt es Lösungsvorschläge, Konzepte, Gespräche mit Politiker*innen. Und obwohl so viele Lösungen auf dem Tisch liegen, passiert letztendlich viel zu wenig. Die Ausbeutung der Natur geht scheinbar unaufhaltsam weiter. Für Profitinteressen wird auf Klimapolitik verzichtet, Geld steht über Menschenleben. Und ähnliches können wir beobachten, wenn wir feministische Kämpfe betrachten: Typische »Frauenberufe« werden strukturell zu wenig vergütet, Carearbeit bleibt zu großen Teilen ganz unbezahlt, unsichtbar und oftmals Angelegenheit von FLINTA*. Aus Carearbeit lässt sich eben kein Gewinn schlagen, deswegen muss sie anscheinend privat passieren. Die Ausbeutung von Menschen dient der Akkumulation von Kapital. Unser System, in dem wir leben, privilegiert einige Wenige (reiche weiße Männer) und beutet einen Großteil aus – sowohl Natur als auch Menschen. Das Profitinteresse dahinter bleibt das gleiche, unser Kampf für eine gerechte Zukunft ebenso.

Und warum werden viele nötige politische Entscheidungen, sei es ein Tempolimit, ein Böllerverbot oder die Reduktion von Fleisch, nicht getroffen? Die meisten Entscheidungen werden getroffen von weißen Männern und all diese klimaschädlichen Konzepte, die wir mit neuen Systemen überwinden müssen, sind Ausdruck einer gesellschaftlich etablierten und von klein auf gelernten toxischen Männlichkeit. Niemand wird mit dem Wunsch geboren, einen SUV zu fahren. Es geht um gesellschaftliche Verhaltenserwartungen, um Status, um Dominanz, um all das was viele als »typisch männlich« verstehen wollen. Und wenn wir diese systemische toxische Männlichkeit nicht überwinden, können wir lange darauf warten, bis die Herren im Verkehrsministerium (bisher übrigens keine einzige FLINTA* als Minister*in jemals) und sonstigen männerdomminierten Gremien wirklich progressive Politik betreiben. Die Verkehrswende ist somit ein wunderschönes Beispiel, warum wir eine feministische Perspektive brauchen.

Leseempfehlung: Mit der im Artikel erwähnten, dringend notwendigen feministischen Verkehrswende beschäftigt sich auch Janna Aljets in der Zeitschrift Luxemburg: Raum nehmen! Warum wir eine feministische Verkehrsplanung brauchen.

Autor*innen: Fridays for Future Nürnberg organisieren Klimastreiks und andere Aktionen für Klimagerechtigkeit in Nürnberg.

Bild: Stau im Spielzeugland, von i_prinz.