Mit Sebastian Kurz in die Klima-Apartheid

Erst der Ibiza-Skandal und das Ende der ÖVP-FPÖ-Regierung, dann ein neues, türkis-grünes Regierungsbündnis, das als Modell für Deutschland gehandelt wird – die österreichische Innenpolitik hat in den letzten Monate international für Aufsehen gesorgt. Martin Konecny stellt das Regierungsprojekt von ÖVP und Grünen vor und zeigt auf, dass darin die Umrisse einer neuen Form der Klima-Apartheid sichtbar werden.

»Klima- und Grenzen schützen« – so skizzierte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz die Koalition zwischen seiner rechts-konservativen ÖVP und den links-liberalen Grünen. Es ist das perfekte Narrativ für das beginnende Zeitalter der Klima-Apartheid. Kurz könnte der perfekte Erzähler dieser grausamen Geschichte und damit zum Vorreiter in Europa werden.

Wie es zu der unwahrscheinlichen Koalition kam

Dass Österreich 2020 eine Koalition aus der farblich vom traditionellen schwarz zum hippen grünen gewandelten, inhaltlich aber scharf nach rechts gewendeten ÖVP unter Kanzler Kurz und den österreichischen Grünen bekommt, schien noch vor kurzem sehr unwahrscheinlich. 2017 verpassten die Grünen die 4%-Hürde, um in den Nationalrat einzuziehen. Gleichzeitig marschierte Kurz, der wenige Monate zuvor den Vorsitz der ÖVP übernommen und diese scharf nach rechts ausgerichtet hatte, bei den Wahlen durch. Gemeinsam mit der rechtsextremen FPÖ, die ebenfalls Stimmen gewinnen konnte, gab es eine komfortable Mehrheit im Parlament. In der Mosaik-Redaktion wurde das damals als Ergebnis eines langen Rechtsrutsches und eines neuen rechts-autoritären Staatsprojekts gedeutet.

Dass die österreichische Regierung schon 2019 über den Ibiza-Skandal stolpern würde und die Grünen – von einer breiten Klimabewegung getragen – mit 14% den Wiedereinzug in den Nationalrat schaffen würden, scheint vom damaligen Standpunkt aus immer noch überraschend. Für die ÖVP waren die Grünen der logische Partner nach den Wahlen. Das Türkis-Blaue Regierungsprojekt war nach Ibiza und den Wahlen de-legitimiert. Die Sozialdemokratie war einerseits mit ihrer Selbst-Demontage beschäftigt und stellt andererseits als traditionelle Staatspartei eine tendenziell größere Hürde für den neoliberalen Umbau von Staat und Gesellschaft dar. Die Koalition mit den Grünen erlaubt Kurz dagegen, sein rechts-autoritäres Projekt auf die Höhe der Zeit zu bringen.

Der Kern des neuen Regierungsprojekts

Das Türkis-Grüne Regierungsprogramm hat im Wesentlichen drei Leitlinien: Zum ersten wird die autoritäre Wende, die unter Türkis-Blau begann, fortgesetzt. Verschärfungen im Asylbereich sollen ebenso kommen wie ein Kopftuchverbot bis 14 in Schulen oder eine Willkürhaft für sogenannte Gefährder*innen. Die grausame Rhetorik vom Grenzschutz wird aufrecht erhalten: Kaum eine Aussage von Bundeskanzler Kurz, in der er nicht auf die Eindämmung der »illegalen Migration« drängt oder die Rettung von Menschen im Mittelmeer als »Pull-Faktor« ablehnt.

Zweitens setzt die Regierung die Umverteilungspolitik nach oben fort. Auch ohne große, angekündigte Angriffe wie den Umbau der Sozialhilfe zu Hartz 4 wird es für Erwerbsarbeitslose und arme Menschen härter werden. Neben kleinen Gemeinheiten wie verschärften Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose sind vor allem Kürzungspakete bei den öffentlichen Ausgaben zu erwarten. Angesichts großzügiger Steuergeschenke und geplanter Investitionen in den Klimaschutz und dem Bekenntnis zu einem ausgeglichenen Budget, wird das kaum anders möglich sein. Teile der Mittelklassen sollen durch großzügige Steuersenkungen hingegen eingebunden werden, während Konzerne €1,5 Mrd. an Gewinnsteuern geschenkt bekommen. In diesen Bereichen wird das Türkis-Blaue Projekt fortgesetzt.

Neu ist hingegen drittens der Fokus auf den Klimaschutz. Die Grünen haben sich ein umfassendes Umweltministerium geschaffen, das neben Umwelt auch für Verkehr und einen Teil der Energie-Agenden zuständig ist. Mit dem Ziel, Österreich bis 2040 CO2-neutral zu machen, hat sich die Regierung ein international ambitioniertes Ziel gegeben. Die im Regierungsprogramm angekündigten Maßnahmen reichen aber bei weitem nicht aus, um dieses Ziel zu erreichen. Die geplanten Schritte – etwa günstige Tickets für Bahnen und ÖPNV, oder die Förderung von emissionsfreien Heizungen – sind zwar alle sinnvoll, vermeiden es aber bewusst, sich mit ökonomischen Interessen anzulegen oder die imperiale Lebensweise tiefgreifend zu verändern. Die fehlende Finanzierung für die vorgeschlagenen Maßnahmen und eine noch nicht näher definierte Öko-Steuer lassen zudem befürchten, dass Kürzungen für die breite Mehrheit geplant sind, die den Eindruck von Klimapolitik als Elitenprojekt verstärken würden.

Zusammengenommen bilden diese drei Linien die Politik der beginnenden Klima-Apartheid: Klimapolitik, ohne die Lebens- und Produktionsweise zu verändern; zunehmender Ausschluss von Bevölkerungsgruppen durch neoliberale Politik auch in den kapitalistischen Zentren; und all das abgesichert durch ein mörderisches Grenzregime und zunehmenden Autoritarismus nach innen.

Kleineres Übel oder neues Projekt?

Für die Grünen stand zu Beginn des Regierungsprojekts das Argument der eigenen Verantwortung und des kleineren Übels gegenüber Türkis-Blau im Vordergrund. Es zeigt sich aber bereits, dass die Grünen zunehmend die Politik der neuen Regierung internalisieren und rationalisieren. Die Pläne der Regierung, das Rentenalter für Männer mit besonders langen Versicherungszeiten zu erhöhen, rechtfertigt der grüne Vizekanzler Werner Kogler ganz »feministisch« damit, dass von der bisherigen Regelung nur Männer profitieren. Im Wirtschaftspolitischen sind die Grünen, die niemals eine linke Partei waren, schon ganz auf die Linie der ÖVP eingeschwenkt und sprechen von der notwendigen Vereinbarkeit von Wirtschaft und Klimaschutz. Damit ist letztlich immer die Priorisierung kapitalistischer Lösungen über die Klimakrise gemeint. Dennoch ist die neue Regierung widersprüchlich. Die geplanten Maßnahmen werden zu Konflikten innerhalb der Grünen führen. Ob das ausreicht, um das Entstehen eines kohärenten Regierungsprojekts zu verhindern, wird sich zeigen.

Alles für das Klima

Die autoritären Maßnahmen der neuen Regierung werden in der Logik der Grünen als Opfer für den Klimaschutz betrachtet. Darin offenbart sich ein autoritäres Element des sogenannten Klimanotstands, das kein rein österreichisches Phänomen bleiben wird. Noch werden die autoritären Maßnahmen nicht selbst mit der Klimakrise gerechtfertigt, sie werden aber bewusst in Kauf genommen, weil das Klima wichtiger als Geflüchtete oder Grundrechte ist. Der Schritt, die Folgen der Klimakrise angeblich selbst autoritär bearbeiten zu müssen, ist ein kurzer. Es kommt darin auch ein falsches Verständnis vom »Hauptwiderspruch Klimakrise« zum Ausdruck: Im Politikverständnis der Grünen ist die Klimakrise so wichtig, dass andere Fragen hintangestellt werden müssen. Aus der Perspektive der Klimagerechtigkeit bedeutet die Zentralität der Klimakrise aber, dass wir die Klimakrise nur lösen können, wenn wir sie erfolgreich mit anderen Bereichen wie Arbeit, Produktion, Geschlechterverhältnissen und imperialen und kolonialen Verhältnissen verknüpfen.

Nichts wird besser, aber es wird verteidigt, was da ist

Die österreichische Bundesregierung lässt die Umrisse eines politischen Projekts deutlich werden, das auch in anderen europäischen Staaten Schule machen könnte. Sebastian Kurz erklärte den möglichen Vorbildcharakter für Deutschland gerade erst beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Dieses neue Projekt, das sich als Klima-Apartheid beschreiben lässt, zielt darauf ab, die imperiale Lebensweise aufrechtzuerhalten, indem die Klimakrise beherrschbar gehalten wird und andererseits die Teilhabe an dieser Lebensweise zunehmend beschränkt wird.

Emissionen sollen gesenkt werden, ohne die imperiale Lebensweise zu tangieren. Autos und Flugzeuge sollen uns erhalten bleiben, aber bitte mit Elektroantrieb oder Nahrungsmitteln in den Tanks. Um das zu erreichen, werden auch hierzulande immer mehr Menschen ausgeschlossen, etwa durch CO2-Steuern oder indem Klima-Investitionen mit Kürzungen in anderen Bereichen finanziert werden. Politisch wird das vor allem autoritär bearbeitet und bearbeitbar gehalten. Nach außen wird die imperiale Lebensweise mit voller Brutalität verteidigt.

Es ist ein unglaublich trauriges Versprechen: Nichts wird besser, aber zumindest sind die Herrschenden bereit, das, was da ist, mit Brutalität zu verteidigen. Das Versprechen wirkt so lange als die beste Option, so lange niemand eine glaubhafte Perspektive aufzeigt, wie es anders und besser werden kann. Diese fehlt aber heute nicht nur in Österreich. Der ÖVP ist es vorerst gelungen, die linksliberale Version eines anderen Versprechens zu kooptieren. Die große Achillesferse des Projekts bleibt, dass es sein Versprechen nicht einlösen können wird. Die Emissionen werden nicht schnell genug sinken, die Klimakrise wird sich auch physikalisch weiter zuspitzen.

Österreich als Vorbild für Europa?

Österreich wird schon jetzt als Vorbild für Deutschland, aber auch in Europa gefeiert. In Deutschland geht sich eine Koalition zwischen Union und Grünen rechnerisch aus und ist daher eine attraktive Option. Aber auch für Europa insgesamt könnte Österreich Vorreiter werden. Die Europäische Kommission setzt mit ihrem Green Deal und einer verschärften Migrations- und Außenpolitik auf einen ähnlichen Kurs. In Österreich ebenso wie in der EU wird die dramatische Kluft zwischen klimapolitischer Rhetorik und den realen Emissionen nicht von selbst offensichtlich werden. Die Aufgabe der gesellschaftlichen Linken ist es, die Widersprüche zu Bewusstsein zu führen und die Klimakrise zu politisieren.

Der Autor Martin Konecny ist Redakteur beim wunderbaren Mosaik-Blog.

Bild: »Windfarm Sunset« von Richard Sunderland.