Ein Danni kommt selten allein


Für eine neue Anti-Autobahn-Bewegung

Es hat alles nichts genützt: Trotz kreativem und entschlossenem Protest und einer breiten Mobilisierung konnte die Rodung des Dannenröder Waldes in Hessen nicht verhindert werden. Alles umsonst also? Überhaupt nicht, argumentiert eine Genossin aus unserer Klima-AG – und beschreibt drei wichtige Lehren, die sich aus dem Kampf um den Danni für die Klimagerechtigkeitsbewegung und darüber hinaus ziehen lassen.

Eindrücklicher kann Bildsprache kaum sein: Wir sehen eine verwüstete Landschaft, die eine Kluft bildet zwischen den letzten stehenden Baumhäusern, thronend in den hohen Kronen der noch nicht für die kommende Autobahn A49 gewichenen Bäume – und ein gigantisches aus NATO-Stacheldraht umgebenes Gelände der Polizei, hinter dem die Wasserwerfer »Bayern 3« und »Bayern 4« bereitstehen. Trotz tiefer Temperaturen – es liegt noch der Schnee der Nacht – werden letztere noch an diesem Tag eingesetzt. Es ist Anfang Dezember 2020 und wir befinden uns im Barrio »Oben« im Dannenröder Wald, dem letzten für die Hauptschneise noch zur Rodung ausstehenden kleinen Waldabschnitt. Er soll weichen für den weiteren Ausbau der Autobahn A49 in Hessen zwischen Kassel und Gießen. Viele andere sind es schon.

Die Autobahn ist zwar noch längst nicht gebaut und voraussichtlich müssen noch weitere Zufahrtswege gerodet werden, jedoch ist bereits in der darauf folgenden Woche die Rodung der Hauptschneise beendet.

Das alles findet im Jahr 2020 statt, in Zeiten von Corona, in denen große Mengen an Geldern in fossile Energien fließen und diese damit künstlich am Leben gehalten werden, sowie das neue Kohlekraftwerk Datteln 4 eröffnet wurde. In Zeiten, in denen Rettungspakete für die Flugindustrie geschnürt wurden und nach jahrelangem Hin und Her ein neuer Riesenflughaften, der BER in Berlin, eröffnet wurde. In Zeiten des Klimawandels. Die UN-Klimakonferenz 2020 wurde übrigens abgesagt – und auf November 2021 verschoben. Hat ja noch Zeit … Der Beschluss in Paris zum 1,5-Grad-Ziel hat sich am 12.12.2020 zum fünften Jahr gejährt und bisher hat sich kaum ein Land an seine Abmachungen zum Stopp der Klimakrise gehalten.

Aber zurück in den Dannenröder Wald, den »Danni«. Schon seit Jahren ist der Ausbau der A49 in der Region ein Streitthema. Befürworter*innen beschimpfen die Lastwagen, die zu Hauf durch die Dörfer fahren. Kritiker*innen vor Ort möchten keine weitere Naturzerstörung, keine Autobahn – und schon gar nicht neben einer wohnen. Vor über einem Jahr, im September 2019, begann dann mit »Wald statt Asphalt« die Besetzung der Bäume, seitdem hielt ein breiter Zusammenhalt von der evangelischen Kirche, Bürger*innen-Initiativen, NGOs bis hin zu autonomen Waldbesetzer*innen und Fridays for Future über letztlich auch Extinction Rebellion und Ende Gelände den Widerstand aufrecht.

Richten wir nun den Blick auf diese Zeit, das Aufbäumen Anfang Dezember und die Effekte der Auseinandersetzung im Danni. Es stechen 3 Stränge besonders heraus: Die Einigkeit der Klimagerechtigkeitsbewegung und Zivilgesellschaft an diesem Kristallisationspunkt, die Rolle der Grünen mit der Perspektive auf ein mögliches schwarz-grünes Bündnis nach der Bundestagswahl 2021 und der Beginn einer Anti-Autobahn-Bewegung.

1. Die Klimagerechtigkeitsbewegung von ungehorsam bis gemäßigt und die Zivilgesellschaft stehen geschlossen wie selten zusammen – gegen den Wahnsinn eines Autobahnbaus im Jahr 2020.

Ein Protestcamp, überladen mit Materialspenden von Anwohner*innen und Unterstützer*innen, Sonntagsspaziergänge durch den Wald, besetzte Bäume, Konzerte, militanter Widerstand, Klagen, Träume von Utopien. Wie selbstverständlich stehen alle gemeinsam gegen den Ausbau der A49 ein. Auch der zivile Ungehorsam vor Ort steht nicht in der Kritik, es entsteht ein Bild der Stärke und Geschlossenheit nach außen wie selten sonst. Es scheint die Mischung aus Zuspitzung, Auftreten neuer Bewegungsakteur*innen auf der Bildfläche, die Grünen in der Kritik, Spontanität und die starke Bildsprache gewesen zu sein, die die Bewegung in diesem Moment so geschlossen auftreten ließ.

Genau das braucht es auf kontinuierlicher Basis, breite Bündnisse mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung und Radikalität, aber mit gemeinsamen Zielen und Solidarität. Dies soll ein Plädoyer sein für die Wertschätzung von Bewegungsakteur*innen, die Waldspaziergänge organisieren, Klagen aufsetzten, Petitionen starten und mit ihrer jahrelangen Arbeit für die Basis eines erfolgreichen Protests vor Ort sorgen; aber auch für die Wertschätzung radikaler Akteur*innen, die zivilen Ungehorsam betreiben, sich mit ihren Körpern dem zerstörerischen und gewaltvollen System entgegen setzten und dies zum Teil über Monate hinweg tun; und für die Mischung beider, wie es im Danni geschehen ist, das selbstverständliche Miteinreihen in Blockaden. Denn für eine sozialgerechte ökologische Transformation sind radikale Aktionen mit ihrer Spontanität und Lebendigkeit zur Weiterentwicklung und Eskalation mit einer großen Menge an Menschen dringend nötig.

2. Die (Un-)Glaubwürdigkeit der Grünen steht einmal mehr im Fokus der Öffentlichkeit.

»Die Grünen sind keine ökologische Partei«, twitterte Fridays for Future Frankfurt gleich mehrmals hintereinander. Der grüne Landesminister Tarek Al-Wazir setzt als Verkehrsminister in Hessen in der Schwarz-Grünen Landesregierung den Ausbau der A49 durch. Ein Jahr vor der Bundestagswahl, in der eine schwarz-grüne Regierung durchaus ein realistisches Szenario darstellt, wird das zum Dilemma der Grünen. Während immer mehr junge Menschen aus der Bewegung, u.a. aus Fridays for Future, ernsthafte Ambitionen zeigen, in die parlamentarische Politik einzusteigen oder dies bereits getan haben, stellt sich vermehrt die Frage, wie viele «Kompromisse« die Grünen noch eingehen wollen und wie viel damit erreicht werden kann, vor allem im engen Zeitfenster der Klimagerechtigkeitskrise – Realpolitik eben.

Die Unglaubwürdigkeit der Durchsetzungsfähigkeit progressiver Ideen in der Parteipolitik sollte gerade in Bezug auf die Grünen und deren Verbürgerlichung und Entwicklung des Machtbestrebens seit dem ersten Auftreten der jungen, mit deutlich progressiveren Ideen gespickten Partei auf der Bildfläche klar sein. Selbst wenn wir davon ausgingen, dass die Grünen die Forderungen der Bewegung auf der Straße nach einer sozialgerechten Transformation in ihrer Radikalität in die Parlamente trügen, was angesichts der Vergangenheit zumindest zweifelhaft ist, so muss es doch spätestens bei einer Koalition mit der CDU als vollkommen abwegig angesehen werden, dass rechtzeitig genug passiert. Unter dem ständigen ökonomischen Wachstumsparadigma einer CDU kann keine suffiziente Klimagasreduktion stattfinden, geschweige denn eine soziale gerechte Klimapolitik. Dass dazu auch gar nicht die Bereitschaft besteht, hat die CDU jüngst wieder mit den auf klimaschädliche Industrien fokussierten Maßnahmen zum Umgang mit der Corona-Krise unter Beweis gestellt.

Trotzdem besteht bei vielen Menschen eine starke Hoffnung auf diese Koalition – reine Illusion, die zu viel Enttäuschung führt, oder berechtigter Glaube? Sicher kann uns auch eine fatalere Parteilandschaft zusätzlich schaden und die Ausgangsbedingungen verschlechtern, uns mehr in Abwehrkämpfe zwingen. Daher geht es nicht um eine platte Gegenüberstellung von »Parlamentarismus kann nichts erreichen« vs. »nur Parlamentarismus«. Es geht viel mehr um die Frage, worin die Bewegung in der kommenden Zeit ihre Hoffnung und Energie setzten soll. Es besteht die Gefahr der Spaltung der Bewegung durch eine Vertretung der Grünen in der Regierung – in einen Teil, der nicht an die Worte der (grünen) Parlamentarier*innen glaubt und in einen, der sich an die mögliche Regierung andockt und sich durch Worte ohne Taten beschwichtigen lässt.

Die Frage stellt sich, wie wir darauf als Bewegung reagieren können. Welche Bündnisse auch mit anderen thematischen Schwerpunkten der sozialen Gerechtigkeit können wir (verstärkt) eingehen, welche Aktionsformen können wir wählen? Wie kann dieser gigantischen Menge an vor allem jungen Menschen wirkliches Gehör verschafft werden? Wir müssen da sein, wenn es darum geht, faule Kompromisse und Untätigkeit aufdecken. Wir müssen ein achtsames Auge darauf werfen, welche Ziele durchgesetzt werden und auf wessen Kosten. Wir müssen versuchen die Grünen in ihrer Geschlossenheit nach außen stärker aufzuwirbeln und mit den progressiven Personen der Grünen einen guten Austausch zu schaffen.

Gleichzeitig darf sich die Bewegung nicht ausbremsen lassen, muss der Spaltung entgegenwirken und die sozialgerechte Transformation außerparlamentarisch organisieren. Wir dürfen von klaren roten Linien in unseren Forderungen nicht abweichen und reale Konsequenzen entwickeln, wenn diese überschritten werden. Selten waren so viele gerade junge Menschen auf der Straße, von Fridays for Future bis hin zu Black Lifes Matter, es gibt einen Aufschrei. Es ist Zeit, Dinge zu Ändern. Jetzt. Und gemeinsam. Lasst uns bei unseren radikalen Forderungen bleiben, die dringend nötig sind um die Klimakrise zu stoppen, und gemeinsam Veränderung erkämpfen.

3. Im Auto-Land Deutschland ist eine Anti-Autobahn-Bewegung geboren, die sich auch von massiven Repressionen des Staates so leicht nicht stoppen lässt.

Ein weiteres eindrückliches Bild, das es in die Medien geschafft hat: Junge Menschen bauen Schneemenschen und werfen Schneebälle – die Polizist*innen setzten bei Eiseskälte Wasserwerfer ein, zertreten die Schneemenschen und gehen teils brutal gegen Aktivist*innen vor. Viele junge Menschen stehen vor Anklagen. Die massiven Repressionen gegen die Aktivist*innen sind erschreckend und benötigen viel interne Solidarität und Unterstützungsarbeit. Hier versucht der deutsche Staat mit all seinen Mitteln und erschreckender Gewaltbereitschaft seine (Wirtschafts-)Interessen durchzusetzten. Erstaunlich mutig und ausdauernd stehen viele Menschen den Wasserwerfern, Schlagstöcken, Pfefferspray und anderen Einschüchterungsmaßnahmen entgegen. Eine neue Anti-Autobahn-Bewegung ist geboren, die wiederkommen wird. Im Dannenröder Wald und andernorts.

Dass dies auch nötig sein wird, zeigt der ca. 200 Seiten lange »Bundesverkehrwegeplan 2030«. Von A14 über A20, A39 und der A100 mitten durch Berlin, um nur einige zu nennen: Die Liste ist erschreckend lang und umfasst rund 850 km neue Autobahnen, die bis 2030 gebaut werden sollen. Da fragt mensch sich, wo die allumfassende Verkehrswende bleibt und der Ausbau des ÖPNV.

Wenn es nach CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer geht, soll es sie wohl gar nicht geben. Mit seiner fast schon kindlichen Begeisterung fürs Auto wurden 2019 rund 61 km neue Autobahnen, 122 km neue Bundesstraßen, aber nur 6 km neue Bahnstrecken gebaut. Gleichzeitig verursachte Scheuer durch das vorzeitige Unterschreiben mehrerer Verträge mit Maut-Betreiberfirmen für die geplante PKW-Maut 560 Mio. Euro Schadensersatzzahlungen. Grund dafür war ein noch laufendes Verfahren des Europäischen Gerichtshofs bezüglich Diskriminierungsvorwürfen und Verstoß gegen EU-Rechte, welchem kurze Zeit später stattgegeben wurde. In der Folge fanden Untersuchungsausschüsse gegen Scheuer aufgrund von Haushalts- und Vergaberechtsverstößen statt. Weiterhin wurde unter Scheuer der Bau, Betrieb und Unterhalt von Autobahnen durch private Unternehmen vorangetrieben. Dass Privatisierung und Ökonomisierung selten eine gute Idee sind, sieht mensch nicht nur am Beispiel des Gesundheitswesens, das seit Jahren heruntergewirtschaftet wird. Scheuer traf sich 2019 an elf Lobbyterminen mit Autokonzernen, nahm aber keinen einzigen mit Umweltorganisationen wahr. Und das obwohl ca. 20 Prozent aller Treibhausgasemissionen in Deutschland von dem Verkehrssektor ausgestoßen werden, den von Deutschland ausgehende internationale Flug- und Schiffverkehr noch nicht einmal mit eingerechnet. Dies sind nur Ausschnitte von Scheuers Verfehlungen, rassistische Äußerungen und weitere Fehltritte ausgeklammert. Unfassbarerweise bleibt Scheuer trotz alle dem im Amt. Und nicht nur das, seit der Bahnreform 1994 (Halbprivatisierung der Bahn) wurden in Deutschland rund 2700 km des Schienenpersonennahverkehrs dauerhaft stillgelegt, weitere Stilllegungen sind in Planung.

Hoffnung kann nur noch die neu aufkommende Bewegung erwecken. Es kann uns Kraft geben, überall zu spüren, dass diese neue thematische Bewegung heranwächst – von Volksentscheiden zu Fahrradwegen über die Solidarisierung von Fridays for Future mit den Streiks der Beschäftigten des ÖPNVs bis hin zu den starken Momenten im Danni als Protest gegen neue Autobahnen. Damit ist gesamtgesellschaftlich die Debatte angestoßen, wie eine Mobilität der Zukunft aussehen kann, wenn wir es mit der Verkehrswende ernst meinen.

Klar ist, dass klimafeindliche Pläne oder vermeintliche parlamentarische »Sachzwänge« angesichts der eskalierenden Klimakrise zunehmend auf Widerstand stoßen. Die Zeit, in der neue Autobahnprojekte und der Ausbau bestehender Verbindungen wie selbstverständlich durchgewunken wurden, ist endgültig vorbei.

Autorin: Anna ist in der Klima-AG der Interventionistischen Linken organisiert und setzt sich seit Jahren für Klimagerechtigkeit und ein sozialgerechtes Gesundheitswesen ein.

Bild: Waldspaziergang im Dannenröder Forst am 4. Oktober 2020, von Leonhard Lenz.