von IL im Umbruch tags Krieg und Frieden Bewegung Strategie Datum Mar 2025
zuDas Zimmerwald Komitee hat der IL geschrieben, um bezüglich des Zwischenstandpapiers in Diskussion zu treten. In zentralen Aspekten wünschen sie sich mehr Klarheit. Hier ihre Gedanken, Kritik weiterführenden Ideen.
Das Zimmerwald Komitee hat sich gegründet aufgrund der Feststellung, dass nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine ein Großteil der radikalen Linken in kürzester Zeit bisher formulierte Positionen aufgegeben hat. Die einen rufen dazu auf, die eigene Feindschaft mit der deutschen Regierung mal beiseitezulassen, schließlich hat Russland die Ukraine angegriffen und man solle die Ukraine mit Waffen unterstützen und Russland mit Sanktionen belegen. Die anderen sehen im Angriff Russlands die überfällige Gegenwehr gegen die Dominanz der USA und deren Partner in Europa. Die grundsätzliche Kritik an Staat und Nation, egal auf welcher Seite, wird fallen gelassen bei der Suche nach der richtigen Parteilichkeit.
Wir halten diese Parteilichkeit, egal für welchen Staat sie ausfällt, für grundsätzlich falsch. Dass in einer (drohenden) Kriegssituation die Position derjenigen, die eh schon wenig besitzen und/oder Diskriminierung ausgesetzt sind, dem nationalen Interesse der Verteidigung untergeordnet wird, lässt sich auch an zahllosen Beispielen belegen (Beispielhaft ist die Rücknahme der kaum zwei Jahre bestehenden Bürgergeldreform, die zumindest einige Erleichterungen für ALG II-Bezieher*innen beinhaltete, bis hin zu einer diskutierten Arbeitspflicht, bei gleichzeitigen Milliardenausgaben für Rüstung.). Daher halten wir es für sehr wichtig, die Gleichsetzung von Staatsinteressen mit denen der Bürger*innen, die unter deren Herrschaft fallen, offen und offensiv zu kritisieren.
Uns geht es nicht darum, darauf zu verweisen, dass ganz viele Linke ja eigentlich immer schon ihren oder den gegnerischen Staat gut fanden und das jetzt erst ans Licht kommt. Wir glauben aber, dass die oben beschriebenen Positionierungen linker Gruppen und Organisationen keine Zufälle sind, sondern aus einer falschen oder fehlenden Auseinandersetzung mit dem, was einen Staat ausmacht und wie Staaten sich in der Welt (also zwischen und gegen andere Staaten) bewegen, resultiert.
Beispiele dieser (fehlenden) Auseinandersetzung finden sich in eurem Positionspapier. Da die IL innerhalb der radikalen Linken einen sehr präsenten Platz hat (»eine der großen linksradikalen Strukturen im deutschsprachigen Raum«), wünschen wir uns hinsichtlich der von uns aufgeworfenen Fragen mehr Klarheit. Der folgende Text dient diesem Zweck.
Jede Menge Krisen
Ihr warnt vor »Militarisierung« und »Freund-Feind-Denken«. »Militarisierung“« (von wem oder was eigentlich?) ist aber die Folge von Kriegen, nicht deren Ursache. Eine Auseinandersetzung mit diesen Ursachen wird von euch gar nicht erst versucht. Warum? Gerade diese Auseinandersetzung ist doch existenziell für eine Gesellschaftskritik und deren praktische Umsetzung. Auch die Formulierung »Freund-Feind-Denken« halten wir für bedenklich. Meint ihr, es liegt am Denken der Akteure, dass Staaten sich gegenseitig Feindschaft erklären? Verfolgen nicht kapitalistische Staaten Interessen, die sich kreuzen, häufig auch ganz grundsätzlich ausschließen und daher auch regelmäßig zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen?
Ihr beschreibt in eurem Papier jede Menge krisenhafte Erscheinungen, die die Lebensbedingungen der Menschen auf dem Planeten verschlechtern. Klimakrise, Kriege, das Nicht-Funktionieren des »klassischen Kapitalismus« (von wann bis wann datiert ihr diese Periode eigentlich? – Wir haken nach, weil sich daraus die Frage ergibt, was ihr am heutigen Kapitalismus nicht »klassisch« findet.) mit der Folge der »Finanzialisierung« grundlegender Lebensmittel (Wohnen, Essen, Kranken- und Altersversorgung), und als Resultat der »Anpassungsstrategien« der Staaten eine Zunahme von Abschottung und autoritären Staatsformen, der starke Aufstieg rechter Bewegungen.
So vielfältig, wie die Krisen, die ihr benennt, sind auch eure jeweiligen Erklärungen für diese. Die Ursache für die weitere Zuspitzung der Klimakrise seht ihr bei den Interessen des »fossilen Kapitals und der Reichen«, Kriege bedrohen ganz ohne Erklärung das Leben sehr vieler Menschen. Das Scheitern des »klassischen Kapitalismus« liegt am Mangel »rentabler Anlagefelder« und die Rechte gewinnt dank »falscher Versprechen« an Macht.
Ein Akteur bleibt aber auffällig unbesprochen: Die Nationalstaaten und ihre Interessen. Ihr benennt diese ausschließlich in Abweichung einer unterstellten Normalität: »die russische Aggression gegen die Ukraine«, »Machtblöcke«, die »wieder […] um globalen Einfluss« ringen. Dabei gibt es nahezu keinen Flecken Erde, der nicht von einem Staat als sein Territorium beansprucht wird, keine Menschen, die nicht von einer Regierung als ihre Bevölkerung oder eben als die, die ihr Volksprojekt stören. Staatsregierungen beschließen die Gesetze in ihren Ländern und setzen diese mit ihrem Gewaltapparat durch. Sie entscheiden sich für einen bestimmten Umgang mit oder gegen andere Staaten. Sie zerbrechen sich den Kopf darüber, wie ihre Unternehmen für den nationalen Erfolg auf der ganzen Welt kapitalistisch wirtschaften können und sollen. All das bleibt unbenannt, wenn ihr vom »globalen Kapitalismus«, der »in direktem Widerspruch zu den Lebens- und Überlebensinteressen der Menschheit steht« sprecht. Oder wenn ihr schreibt, dass der Kapitalismus »demokratische Entscheidungen über klimaschädliche Produktion« verhindert und »ständiges Wirtschaftswachstum, […] Emissionen und Ressourcenverbrauch« erzwingt.
Staatsführungen als souverän handelnde Subjekte
Es sind Staatsregierungen, die auf ihren jeweiligen Gebieten den Kapitalismus organisieren. Ohne die Garantie des Privateigentums, das zur Verfügung stellen einer Währung, die für alle (Kapitalist*innen) gilt, ohne Infrastruktur und einen Gewaltapparat, der die herrschenden Gesetze durchsetzt, kann kein*e Kapitalist*in auf der Welt ihre Ziele verfolgen.
Es sind Staatsregierungen, die durch ihre Konkurrenz die weltweite Ausbeutung von Bodenschätzen, den Ausstoß von Emissionen, die Spekulation mit Nahrungs- und Arzneimitteln und die zunehmend offen ausgetragenen Feindschaften untereinander befeuern, einfach, weil sie sich ein Zurückstecken der eigenen Interessen nicht leisten können, wenn sie weiter ihre Interessen verfolgen wollen.
Und es sind Staatsregierungen, die Entscheidungen über die jeweilige Gestaltung ihrer Politik gegenüber der eigenen Bevölkerung treffen. Ob und wie viel Wohlstand und Sicherheit der jeweiligen Bevölkerung zuteil wird, ist Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Kalkulation der Regierungen für ihr Vorankommen in der Staatenkonkurrenz. Ihr schreibt es ja an einer Stelle selbst:
»Koloniale Ausbeutung, billige Rohstoffe und fossiler Extraktivismus haben die kapitalistischen Zentren des Westens reich und mächtig gemacht. Das ermöglichte den Klassenkompromiss in den Industriegesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg, die Beteiligung großer Teile der Gesellschaft an Konsum und Wohlstand. Diese imperiale Lebensweise kann bis heute nur in einem kleinen Teil der Welt realisiert werden.«
»Konsum und Wohlstand« sind bestenfalls Resultat des Erfolges des Staates in der Konkurrenz gegen andere. Heute besitzen Staaten keine Kolonien mehr. Die Fähigkeit, anderen die Bedingungen für das jeweilige Handeln zu diktieren, ist heute vermittelt über wirtschaftliche Abhängigkeiten, die sich dank der Befreiung der ehemaligen Kolonien zu selbständigen Nationalstaaten (meist) ohne direkte Gewalteinwirkung ergeben. Bezüglich der eigenen Bevölkerung ist das Prinzip aber das gleiche: sie ist das Mittel und nicht der Zweck zur Durchsetzung der Staatsinteressen. Wenn überhaupt, ist eine Verbesserung der jeweiligen Lebensbedingungen nur mit einem guten Abschneiden »ihres« Staates in der Welt möglich.
Zusammengefasst: Viele der Entwicklungen, die ihr beschreibt, sehen wir auch und stimmen eurer Beschreibung zu. Falsch finden wir aber den von euch beschriebenen oder unterstellten kausalen Zusammenhang. Die Klimakrise, die Zunahme kriegerischer Konflikte und die Zuspitzung der Spekulation mit Nahrungs- und Arzneimitteln sind nicht Krisen, auf die Staaten mit »Anpassungsstrategien« reagieren müssen, sondern welche, die sie selbst hervorgerufen haben.
...und die Folgen für eine linke Position: It's not okay!
Wenn wir über eine linksradikale Antwort auf diese Voraussetzung nachdenken wollen, müssen wir uns folgende Fragen stellen: Warum sollte ein Staat für Mietendeckel, besser bezahlte Care-Arbeit oder klimafreundliche Infrastruktur aufkommen, wenn sich diese Anliegen nicht in wirtschaftlichen Zuwachs übersetzen lassen? (Der Ansatz der weltweiten »Decarbonisierung« war ja eine Strategie der deutschen Regierung, eine Veränderung der Produktionsweise weg von fossilen Energieträgern und der Abhängigkeit vom feindlichen Russland als imperialistischen Vorteil auf der Welt einzuführen. Scheinbar ist das Erfolgsversprechen nicht mehr besonders groß, Verbrennerautos werden jetzt erst mal weiter produziert.)
Insofern müssen sich auch soziale Bewegungen, die vom Staat Zugeständnisse fordern, damit auseinandersetzen, dass für höhere konsumtive Ausgaben (also Ausgaben, die nicht unmittelbar zu Kapitalwachstum führen) wie bessere Gesundheitsversorgung oder sozialstaatliche Leistungen eine starke Wirtschaft notwendig ist. Dass Unternehmen nur dann höhere Löhne zahlen, wenn sich dies für sie lohnt, und ansonsten in Gegenden der Welt abwandern, wo es keine Verpflichtung auf Mindestlohnzahlungen gibt.
Euer Text vermittelt allzu oft, dass es eigentlich mal ganz OK war im kapitalistischen Deutschland. Eure Beschreibung der Krisenerscheinungen hat meist den Subtext »noch nicht mal mehr im reichen Europa fühlen sich die Menschen sicher«. (»Der klassische Kapitalismus funktioniert immer weniger«; »Für große Teile der Gesellschaft werden die Versprechen des Neoliberalismus – Freiheit, Selbstverwirklichung, Wohlstand und Konsum – nicht mehr eingelöst.«; »Diese soziale Reproduktion ist unübersehbar in der Krise«). Gerade der Gedanke, es sei doch »eigentlich mal ganz ok« in der BRD gewesen, führt bei vielen (auch vielen linken) Menschen zu der Beurteilung, dass ein »grüner« Kapitalismus immerhin besser sei als ein »fossiler«. Oder dass der liberalere Umgang mit LGBTIQ+ doch allemal besser ist als deren Unterdrückung (zumindest Letzteres wollen wir auch gar nicht bestreiten). Auch diejenigen, die sonst den »postkolonialen Westen« oder die »neoliberale Globalisierung« kritisiert haben, wünschen sich jetzt den Sieg des Westens als kleineres Übel herbei. Menschen müssen gar nicht »gedrängt oder gezwungen werden, sich klar patriotisch zu positionieren«. Sie tun das aus der Überzeugung heraus, das kleinere Übel zu wählen. Ignoriert wird dabei aber, was die Grundlage dieser »grünen« und »bunten« Gemeinschaft ist (und auch der Grund ihres zeitweisen Funktionierens).
Dieses kapitalistische Deutschland ist und war nicht »ganz OK«. Der relative Wohlstand basiert und basierte unter anderem auf der »Exportweltmeisterschaft« der BRD, also der starken Position auf dem kapitalistischen Weltmarkt. In Deutschland ließen sich gut Gewinne machen und deutsche Unternehmen konnten auf der Welt gute Gewinne machen. Die Grundlage dafür war und ist die profitable Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft, der Teilung der Gesellschaft in diejenigen, die Arbeitskraft einkaufen, um damit Gewinn zu machen und diejenigen, die nichts als diese Arbeitskraft anbieten können, um Lebensmittel zu erhalten. Mal ganz abgesehen von der billigen Arbeitskraft der Gastarbeiter*innen war diese Ausbeutung auf einem relativ hohen Niveau möglich, und somit das, was ihr als »Klassenkompromiss« beschreibt. Sobald das in der BRD nicht mehr in ausreichendem Maße möglich war (und somit die Stellung der BRD auf dem Weltmarkt gefährdet war), änderte sich die Situation sehr schnell. Mit der Agenda 2010 wurden zum Beispiel Sozialleistungen drastisch gekürzt und unter Bedingungen gestellt, die in wenigen Jahren die BRD zu einem bedeutenden Niedriglohnsektor gebracht hat. Die Akkumulation funktioniert seitdem wieder besser.
Aber auch für alle anderen Staaten gilt: Die Bevölkerungen sind Mittel, nicht der Zweck des staatlichen Handelns. Sie sind die Manövriermasse, die Staaten brauchen, um kapitalistischen Gewinn zu produzieren und gegebenenfalls auch kriegerische Auseinandersetzungen zu führen.
Nicht jeder Staat funktioniert gleich
Unser Argument soll nicht sein: Alle Staaten machen Kapitalismus, und darum spielen die unterschiedlichen Formen und Lebensbedingungen in den jeweiligen Staaten keine Rolle.
Erstens sieht das politische Handeln der jeweiligen Länder doch sehr verschieden aus, siehe Krieg in der Ukraine: Der Westen, also vor allem die USA und EU, können durch ihre wirtschaftliche Dominanz ganz »friedlich« immer weiteren Staaten die Bedingungen aufdrücken, die für die eigenen Interessen vorteilhaft sind. Die, wohlgemerkt immer mitgedachte, militärische Übermacht, muss meist gar nicht zum Einsatz kommen. Für Russland hingegen ist die militärische Macht gerade das, was trotz der fehlenden wirtschaftlich Potenz dem Westen noch einige Achtung abringt. Gerade die Infragestellung dieser militärischen Macht durch das immer weitere Vorrücken westlicher Waffensysteme war ja der Auslöser des Krieges in der Ukraine. Russlands Anspruch auf den Weltmachstatus betrachten die Regierungen von NATO- und EU-Staaten als eine Zumutung.
Der Bevölkerung Deutschlands wird gesagt, sie habe die Kosten dafür zu tragen, dass eine feindliche Atommacht in die Schranken gewiesen wird. Die Bevölkerung Russlands wird eindringlich vor den Folgen eines Abstieges in den Status der abhängigen Länder gewarnt. Die Bevölkerung der Ukraine wird aufgerufen sich für das Überleben als souveräner Staat und Nation aufzuopfern. Die Kosten einer Niederlage in diesem Kampf sollen Argument für das Mitmachen beim Krieg sein.
Zweitens ist uns sehr wohl bewusst, dass es zum Beispiel als LGBTIQ+-Person einen Unterschied macht, ob sie im liberalen Europa lebt oder in Russland. Und das Festhalten an der Verwendung fossiler Energieträger entgegen dem Bestreben, andere Technologien durchzusetzen, ist hinsichtlich der Klimakrise nicht egal.
Entscheidend ist aber festzuhalten, dass diese Konfliktfelder und Unterschiede nicht der Grund für die laufenden Kriege sind. Ansonsten wäre es für Deutschland wohl auch ein Problem, mit den Vereinigten Arabischen Emiraten den Handel auszubauen oder die Beziehungen zur Türkei zu pflegen. »Russland darf uns nicht erpressen können« sagen Politiker*innen, die es für eine Selbstverständlichkeit halten, dass das eigene Land überall auf der Welt seine »legitimen Interessen« wahrnehmen darf. Ausschlaggebend für staatliches Handeln ist die Kosten-Nutzen- Rechnung hinsichtlich der eigenen Stellung in der Welt.
Fazit
Euer zentrales Anliegen im Text, so wie wir es lesen, ist »die Abschaffung des Kapitalismus« als eine »Frage des Überlebens«, da »keine Perspektive der Befreiung oder Überwindung von Ausbeutung ohne diese Voraussetzung denkbar« ist. Diesen Schluss teilen wir unbedingt. Euren praktischen Schluss, möglichst viele Bewegungen »von unten« zu unterstützen und zu vernetzen, in der Hoffnung, sie würden sich dadurch radikalisieren, halten wir für illusorisch, weil dabei sowohl wichtige inhaltliche Differenzen dieser Bewegungen ignoriert werden (z.B. Klimawandel vs. Erhalt von Arbeitsplätzen), als auch der Bezug auf staatliche Interessen und deren Rolle in den bestehenden Konflikten unerwähnt bleiben. Solange Bewegungen von »ihrem« Staat Verbesserungen erwarten und einfordern, werden sie sich früher oder später Gedanken um den Erfolg dieses Staates in der Welt machen müssen. Damit sind diese »Bewegungen von unten« dann nicht besser als die alten Sozialdemokraten…
Diese Auseinandersetzung ist, gerade hinsichtlich der sich ausweitenden Kriege, bei der Suche nach einer »linken Antwort« unerlässlich. Wir würden uns daher über weitere Diskussion und Klärung in dieser Frage freuen.
Autor*innen: Das Zimmerwald Komitee beschreibt sich am besten im ersten Absatz selbst. Diesen Text haben sie bereits im November geschrieben. Sie freuen sich über Post: z-k@riseup.net
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