George Orwell in Mannheim?


Warum der »Mannheimer Weg« Ausdruck eines zunehmend autoritären Gesellschaftsverständnisses ist

Die autoritäre Formierung in Staat und Gesellschaft macht auch vor dem städtischen Raum nicht Halt. Wie die George Orwell Ultras anhand der Videoüberwachung in Mannheim zeigen, befeuern sich staatliche Kontrollphantasien, investorengetriebene Stadtentwicklung und institutioneller Rassismus dabei gegenseitig. Höchste Zeit also, diesem und vergleichbaren Projekten etwas entgegenzusetzen – bevor die Dystopie von George Orwell endgültig Wirklichkeit wird!

Am 16.11.2018 war es so weit: Nach kurzfristiger Ankündigung durch die Stadt Mannheim per Pressemitteilung vom Vortag startete das groß angelegte Videoüberwachungsprogramm (»Mannheimer Weg«), wobei zunächst die Kameras am Alten Messplatz sowie am Paradeplatz aktiviert und »konventionell« betrieben wurden. Begleitet durch eine ungleich größere Medienkampagne durften sodann am 3.12.2018 Sicherheitsdezernent Specht (CDU), Polizeipräsident Köber und Baden-Württembergs Innenminister Strobl (CDU) auf einen überdimensionierten roten Knopf drücken und damit die Inbetriebnahme eines Algorithmus’ zur automatischen Erkennung »auffälliger Verhaltensweisen« vollziehen, der vermeintliche Straftaten erkennen soll.

Wie die genannten Herren immer wieder betonen, ist ein solcher einzigartig in Europa. Freimütig berichten sie, wie das Überwachungssystem, welches sie auch bei einem internationalen Kongress präsentierten, bei den Herrschenden des gesamten Kontinents Neid hervorgerufen habe. Und das ist erst der Anfang: Noch sind bei weitem nicht alle der 71 Kameras eingeschaltet, die zusätzlich zu den jetzt schon überwachten Gebieten auch noch die Breite Straße und eventuell auch den Plankenkopf in ihren Blick nehmen sollen, sodass der Polizei dann zu jeder Zeit über 5000 Stunden aktuelles Filmmaterial über die Mannheimer Stadtbevölkerung vorliegen werden.

Hier kommen wir ins Spiel: Als ebenso überwachungskritische wie freiheitsliebende Menschen möchten wir unsere Kritik an der autoritären Politik der konservativen Scharfmacher formulieren, die – wie historisch üblich – von der Mehrheit der SPD mitgetragen wird. Wir wollen in unserer Kritik dabei nicht bei Abwägungen über Kosten und Nutzen der Überwachung stehen bleiben, sondern versuchen, diese in Zusammenhang mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen zu begreifen. Zweifelsfrei stellt die Einführung einer groß angelegten Videoüberwachung in Mannheim nämlich einen bedeutsamen Schritt in der Kontrolle der Zivilgesellschaft dar, der mehr Aufmerksamkeit und kritische Begleitung erfordert und verdient. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund einer Stadtbevölkerung, die diese Kontrolle nach einer Umfrage gegenwärtig überwiegend befürwortet. Daher wollen wir hier deutlich machen, warum eine derartige Überwachung, wie es auf einem Banner bei einer Spontandemonstration auf der diesjährigen Lichtmeile formuliert wurde, »mit Sicherheit eine scheiß Idee« ist.

Gefühlte Sicherheit ersetzt eine objektive Analyse

Betrachtet man die Argumentation, durch welche die Notwendigkeit einer Videoüberwachung legitimiert werden soll, so trifft man dabei auf Formulierungen wie »Grundrecht auf gefühlte Sicherheit«, welches an den zu überwachenden Orten angeblich nicht gewährleistet sei. Dieses Gefühl wird dabei zur Grundlage erklärt für tatsächliche Maßnahmen, ein subjektiver Eindruck bestimmt das objektive Vorgehen der Entscheidenden. Hier lässt sich ein Politikstil beobachten, wie er vor einiger Zeit mit dem Trendwort des »Postfaktischen« charakterisiert wurde. Im Mannheimer Stadtgebiet ist die Anzahl der Straftaten nämlich im letzten Jahr tatsächlich zurückgegangen, wobei gerade auf dem Alten Messplatz ein Großteil der Delikte im Handel von Betäubungsmitteln bestand, der sich auch durch »intelligente« Kameras (wie die Verantwortlichen nicht bestreiten) nicht erkennen lässt. Eine Faktenlage, der die weitere Verschärfung der Überwachung von Bürger*innen Hohn spricht. Zumal diese als »Ultima Ratio« gegen die angeblich überhandnehmende Kriminalität bezeichnet wird. Das behauptete und bei weitem nicht von allen geteilte Gefühl der betreffenden Einwohner*innen lässt sich demnach nicht durch Tatsachen stützen.

Eine Politik, die - von der tatsächlichen Sachlage losgelöst - populistische Law- and Order-Maßnahmen durchsetzt, unterscheidet sich kaum noch von der Politik einer AfD. Wie die Politiker*innen der AfD postfaktische Angst vor »Überfremdung« zur Grundlage ihrer Politik machen, so unternehmen dies auch - unterstützt von der Mehrheit der SPD - die Polizei Mannheim sowie die genannten CDU-Politiker. Tendenziöse Medienberichte wie die Spiegel-TV-Reportage über die angeblich so grauenhaften Zustände in einzelnen Mannheimer Stadtteilen kommen da gerade recht. Diskurse werden nicht geführt, sondern durch oberflächliche Maßnahmen scheinbar beruhigt. Angst und Ressentiment ersetzen den Streit um das stärkere Argument, bei dem die »scheiß Idee« niemals umgesetzt worden wäre. Wir hingegen vertreten eine Politik, die sich auf eine realistische Analyse der bestehenden Verhältnisse gründet und sich offensiv für ein freies und sicheres Leben für alle einsetzt.

Der Durchgriff des Staates wird gestärkt

Die Einführung der »intelligenten« Videoüberwachung findet in Mannheim in einem gesellschaftlichen Rahmen zunehmender Autoritarisierung statt. Während in einem Bundesland nach dem anderen unter großen Protesten die Polizeigesetze verschärft werden, wurde ein solches Gesetz in Baden-Württemberg von der breiten Öffentlichkeit beinahe unbemerkt bereits verabschiedet. Das politische Klima wird derweilen von Brandstifter*innen wie Boris Palmer oder Herbert Reul bestimmt, die eine harte Hand des Staates fordern, wenn Aktivist*innen im Hambacher Forst für Klimagerechtigkeit kämpfen oder Menschen aus den falschen Ländern den groben Fehler begehen, sich in Deutschland aufzuhalten. Ganz praktisch lässt sich diese Entwicklung auch in Mannheim beobachten: Sei es beim gewalttätigen Vorgehen der Mannheimer Polizei im Anschluss an eine Spontandemonstration gegen Videoüberwachung auf der Lichtmeile, bei der im erwähnten Spiegel-TV-Bericht dokumentierten Festnahme eines Falschparkers oder bei der unmenschlichen Abschiebung eines Elfjährigen aus dem Schulunterricht. Die Überwachung durch Kameras stellt hier nur eine weitere Dimension des Versuchs dar, eine umfassende staatliche Kontrolle zu etablieren.

Gerade das als »intelligent« gepriesene Mannheimer System ist in einer Tendenz zu verstehen, die Möglichkeiten der Kontrolle immer weiter auszudehnen. Und auch wenn die Veranlassenden heute den Einsatz von beispielsweise Gesichtserkennungssystemen noch verneinen, so sind diese in der Logik eines sich immer weiter aufrüstenden Staates nur der konsequente nächste Schritt. Überwachung ist diesem Staat dabei als Teil seines Repressionsapparats unmittelbar vorgebaut, sie setzt da an, wo Exekutivmaßnahmen noch gar nicht nötig oder gestattet sind. Durch ihre Präsenz erzwingt sie konformes Verhalten, ob nun auf den Plätzen Mannheims oder als virtuelle Überwachung im Internet, wie z.B. durch Vorratsdatenspeicherung oder Filtersystem für unbequeme Inhalte.

Auch hier lassen sich Verbindungen ziehen zur »konformistischen Revolte«, dem derzeitigen Rechtsruck: In seinem autoritären Charakter schreit er nach einer Gesellschaft, die Abweichende sanktioniert und aus der kuscheligen, homogenen Volksgemeinschaft ausschließt. Dem gegenüber lenkt die bürgerliche Gesellschaft nur allzu gerne ein und führt wie zur Beschwichtigung ein Arsenal von Disziplinierungsmaßnahmen vor. Dabei ist die verschärfte, explizite Überwachung nichts vollkommen Neues, sondern wohnt der bürgerlichen Gesellschaft, die sich mal repressiver, mal individualistischer präsentiert, stetig inne. Die derzeitige autoritäre Formierung aus offen rechten Politikangeboten, staatstragenden Parteien und politisch aktiven Polizeiinstitutionen ist dabei bedingt von einer ökonomischen wie politischen Destabilisierung, wie sie sich in diversen sozialen Kämpfen in Europa ausdrückt. Die im Rahmen dieser Destabilisierung freiwerdenden Kräfte wären in der Lage, das Bestehende in Frage zu stellen, würden sie nicht in ein autoritäres Identitätsangebot gelenkt, welches für das Fortbestehen der bürgerlichen Gesellschaft (bis zum faschistischen Exzess) ohne Gefahr ist. Wir dagegen fordern eine vollkommen andere Art der Politik, die nicht auf der verdinglichten Bewegung autoritärer Strukturen, sondern auf der tatsächlichen Bewegung der Emanzipation beruht. Wir wollen keine Welt des Zwangs, des Drucks und der Überwachung, sondern eine, in der die Menschen sich als Menschen gegenübertreten können, um ihre Probleme zu verhandeln.

Überwachung als Stütze der Gentrifizierung

Der Einfluss, den die Politik der Angst auf die Stadt hat, steht in Zusammenhang mit einer anderen Dynamik, die sich in einigen Mannheimer Stadtteilen schon seit längerer Zeit beobachten lässt: Der Verdrängung. Neben dem schon ungleich stärker »aufgewerteten« Jungbusch ist gerade die Neckarstadt-West, die erst vor einigen Monaten zum Sanierungsgebiet erklärt wurde, hiervon betroffen. Dabei geht diese »Aufwertung« nicht nur mit steigenden Mieten und Zwangsräumungen, sondern auch mit staatlichen Maßnahmen einher, die dem investierenden Kapital eine vermeintlich saubere und für die Investierenden sichere Stadt zur Verfügung stellen sollen. Dies lässt sich gut an der Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Mannheim veranschaulichen: Dort wird einerseits die Erzählung einer hippen In-Stadt der Startups, coolen Kneipen und kulturellen Highlights bedient, andererseits das Gefühl subjektiver Unsicherheit ob der angeblich so hohen Kriminalitätsrate bestärkt. Ein »gutes« Mannheim der Gründerzentren und Night Mayors wird einem »schlechten« Mannheim der Messi-Wohnungen und dealenden Vorstadt-Rapper entgegengestellt, mit dem Schluss, dass zur Ausweitung des ersteren die Maßnahmen der Verdrängung nur recht und billig sind.

Eine solche staatlich-repressive Rolle im Aufwertungskonzept nimmt die Videoüberwachung am Alten Messplatz ein. Die unbegründeten Ängste potentieller wohlhabender Investor*innen und Zuziehender sollen unter den Augen des Überwachungsapparats zerstreut werden, sodass der Verdrängung sozial schwächerer Bewohner*innen durch sie nichts mehr im Weg steht. Der Alte Messplatz hat hierbei durchaus Symbolcharakter: Als ein Ort, der für den Austausch unterschiedlicher Menschen steht, als ein Treffpunkt von Familien und Skater*innen, Boulspieler*innen und Feiernden und damit als ein Ort des Politischen im ursprünglichsten Sinne, der Verständigung von Menschen, der an dieser Stelle keiner staatlichen Struktur bedarf. In dieses Refugium der Freiheit interveniert die Videoüberwachung und unterstellt es dabei der Kontrolle einer herrschenden und verwertbaren Form von Sicherheit und Ordnung.

Wir aber wollen nicht in einer solchen autoritär durchgesetzten Stadt der Investor*innenlogik leben, sondern fordern eine solidarische Stadt von unten, die sich auf Selbstorganisation und Selbstverwaltung gründet. Wir wollen keine Stadt, in der die Herrschenden ihr Bild von Sicherheit und Ordnung verwirklichen und dabei die ökonomisch Schwächeren aus den Vierteln verdrängen, sondern eine lebendige und solidarische Stadt des freien Austauschs, in der Raum zum Leben nicht als Ware, sondern als Menschenrecht verstanden wird.

Das Problem heißt Rassismus

Bleiben wir beim Alten Messplatz: Besonders hier finden gerade im Sommer immer wieder offensichtlich rassistisch begründete Polizeikontrollen statt. Das sogenannte »Racial Profiling«, bei dem Menschen einzig auf Grund ihrer Einordnung in rassistische Kategorien kontrolliert werden, ist dort seit Jahren an der Tagesordnung. Das zugrundeliegende Denkmuster wird nun mit der Videoüberwachung fortgeführt: Nicht umsonst sind die überwachten Orte, besonders der Alte Messplatz und die Breite Straße Orte, an denen sich auch Migrant*innen und Menschen mit Migrationshintergrund gerne aufhalten. Dem rassistischen Stereotyp folgend wird hier von einer erhöhten Bedrohung für die »ursprungsdeutsche« Bevölkerung ausgegangen und den Migrant*innen ein kriminelles Wesen zugeschrieben. Auch auf einer strukturellen Ebene führt sich der Rassismus der Videoüberwachung fort: Die gesamte Konstitution des »subjektiven Sicherheitsgefühls« als Begründung dafür funktioniert über die Annahme eines »Fremden« oder »Anderen« als Bedrohungsszenario. In ihrer strukturellen Nähe zur Funktionsweise rechter Politik ist nur naheliegend, wer als dieses »Fremde«, das die Angst hervorruft, angenommen wird: Migrant*innen bzw. Menschen mit Migrationshintergrund. Der Rassismus der Videoüberwachung geht also hinaus über seine offensichtliche Form beim »Racial Profiling« und manifestiert sich schon in der Grundlage der Überwachung überhaupt.

Auch beim Aspekt der Verdrängung spielen rassistische Muster eine Rolle, denn ein »sauberes« und investor*innenfreundliches Viertel ist zumeist auch eines, in dem nicht zu viele Migrant*innen leben und jene, die es tun, sich entweder erfolgreich in die deutsche Leistungsgesellschaft integriert haben oder aber als folkloristische Spaßmacher*innen dienen. Als normatives Werkzeug einer an sich strukturell rassistischen Gesellschaft ist die Videoüberwachung notwendigerweise ebenfalls rassistisch. Unsere Kritik ist sich dessen bewusst und verhält sich solidarisch zu allen, die tagtäglich betroffen von rassistischen Gewalterfahrungen sind. Der rassistischen Angstmacherei gegenüber setzen wir uns für ein solidarisches Zusammenleben ein, das nicht auf Überwachung und Gewalt, sondern auf Dialog fußt.

Externalisierung statt Feminismus

Der Rassismus, der dem Bild der gefühlten Unsicherheit innewohnt, ist häufig einer, der sich selbst als Beschützer der (weißen, deutschen) Frau aufspielt. Die gefühlte Unsicherheit wird dabei mit der rassistischen Vorstellung begründet, dass Migranten die Sicherheit von Frauen bedrohen und besonders häufig sexualisierte Gewalttaten begehen würden, eine Argumentation, wie sie etwa angesichts der sexuellen Gewalt an Silvester 2015 in Köln vorzufinden war. Die Videoüberwachung wird an dieser Stelle mit der an sich wünschenswerten Bekämpfung sexueller Belästigung und damit einem vermeintlich auch aus feministischer Perspektive vertretbaren Ziel begründet. Doch handelt es sich hierbei um eine Position, die sich wiederum strukturell auf rassistische Stereotype stützt und das tatsächliche Wesen des Patriarchats verkennt. Das Patriarchat nämlich ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig und lässt sich keinesfalls nur in migrantischen Communities vorfinden. Es durchdringt als Struktur von Herrschaft die ganze Gesellschaft, wie sich z. B. an der Vergeschlechtlichung von Sorgearbeit, dem Gender Pay Gap und der gegenwärtigen Praxis von Prostitution zeigt. Eine weitere Ausdrucksform stellt dabei sexuelle und sexualisierte Gewalt dar, die keineswegs auch nur überwiegend auf öffentlichen Plätzen und ausgeführt von Migrant*innen stattfindet, sondern gerade zuhause und ebenso von deutschen Ehemännern.

Dabei geht es nicht darum, sexuelle Gewalterfahrungen kleinzureden. Es wäre wünschenswert, noch stärker gegen diese vorzugehen als dies gegenwärtig der Fall ist. Doch eine wirkliche feministische Perspektive geht das nicht durch Wegschieben in die Sphäre der »Anderen« und »Fremden« an, sondern sagt dem Patriarchat als Ganzem den Kampf an. Dagegen schreibt ein angeblicher Feminismus, dem es einzig um die Markierung migrantischer Täter geht, diese sexuelle Gewalt den Fremden zu, um sich selbst reinzuwaschen. Das Ergebnis davon ist, dass - während Migranten unter pauschalen Verdacht gestellt werden - deutsche Täter weiterhin bagatellisiert werden. Eine solche Externalisierung greift das nicht an, sondern sorgt dafür, dass es bestehen bleibt, da die Kraft sich auf ein Symptom anstatt auf die Befreiung vom Gesamten richtet. Die Videoüberwachung macht sich dieses Erklärungsmuster in ihrer Begründung zunutze. Für uns dagegen heißt Feminismus auch immer Antirassismus, wir wollen eine freie Gesellschaft, die das Patriarchat überwindet, anstatt dieses durch rassistische Konstruktionen aufrechtzuerhalten.

Die Kriminalität ist hausgemacht

Im Zusammenhang mit der Einführung der Videoüberwachung war viel von Kriminalität die Rede, die ja, so die Begründung, an den zu überwachenden Orten besonders stark sei. Eine Kritik der Videoüberwachung bedarf daher auch einer Auseinandersetzung damit, was überhaupt Kriminalität ist und durch was diese hervorgerufen wird. Zuallererst sind viele Handlungen, welche kriminalisiert sind, sicherlich nicht wertungsfrei: Niemand wird z. B. gerne ausgeraubt. Trotzdem steht Kriminalität, wie alles in dieser Gesellschaft, unter dem Einfluss des Gesamtzusammenhangs, den die Logiken von Konkurrenz und Verwertung ausmachen. In diesem ist sie häufig die einzige Möglichkeit, einer durch die ökonomischen Verhältnisse bestimmten, schlechten sozialen Stellung zu entkommen. Sie tritt also als Mittel der Wahl auf, um innerhalb einer von Konkurrenz bestimmten Gesellschaft konkurrenzfähig zu bleiben. Wo das Leben eben nicht solidarisch organisiert ist, sondern als ein stetiger Kampf für sich selbst vermittelt wird, kann Kriminalität ein logischer Schritt sein, unabhängig von der sozialen Schicht. Dabei kommt die Straßenkriminalität den ökonomisch Schlechtergestellten zu, während die ökonomisch Bessergestellten anderweitig betrügen.

Kriminalität zu bekämpfen bedeutet also nicht nur, sie durch Überwachung und Repression zu verfolgen, sondern auch, die sozialen und ökonomischen Realitäten hinter ihr zu erkennen, in denen sie oft der einzige Weg ist, um gesellschaftlich vermittelten Vorstellungen eines guten Lebens nahezukommen. Es braucht also eine Gesellschaft, in der Kriminalität nicht mehr nötig ist, da jede*r ein gutes Leben führen kann und das Verhältnis der Menschen von Solidarität statt von Konkurrenz geprägt ist. Videoüberwachung ist ein Schritt in die entgegengesetzte Richtung, sie verdrängt Kriminalität nur an andere Orte, statt sich mit ihren Wurzeln zu beschäftigen.

Besonders wollen wir hier auf den Verkauf von Betäubungsmitteln eingehen, der an den Orten der Überwachung zum Teil stattfindet und in ihrer Begründung einen besondere Rolle spielt. Denn diese Problematik ließe sich recht einfach lösen, wäre der Kurs der Herrschenden nicht ein solch repressiver. Statt hier Ressourcen zur Bekämpfung eines Phänomens aufzuwenden, das sich ohnehin nicht in den Griff bekommen lässt (und schon gar nicht durch Kameras, welche einen Handschlag nicht von einem Drogendeal unterscheiden können), fordern wir eine Drogenpolitik, die auf eine vernünftige und geordnete Legalisierung gerichtet ist. Die Probleme, die unkontrollierter Handel auf der Straße mit sich bringt, würden so in geregelte Bahnen gelenkt, und auch dem »subjektiven Unsicherheitsgefühl«, das für manche von Drogenhandel ausgehen mag, wäre so Genüge getan. Statt der autoritären Bekämpfung von Kriminalität in Broken-Window-Manier wollen wir Kriminalität an ihren ökonomischen und gesellschaftlichen Wurzeln packen, denn hinter ihr stehen zumeist die Dynamiken des Kapitalismus. Die Lösung liegt daher nicht im harten Vorgehen gegen die Kriminellen selbst, sondern in einer Politik, die solidarische Alternativen schafft und sich statt repressiven Einschränkungen die Freiheit zum Ziel nimmt.

Für eine freie Gesellschaft …

… braucht es sowohl eine konsequente Positionierung gegen die Videoüberwachung und die autoritäre Formierung, deren Ausdruck sie ist, als auch ein gesellschaftliches Gegenbild: Das Bild einer Gesellschaft, die sich aus den Fesseln von Ideologien wie Autoritarismus, Rassismus und Patriarchat befreit, eine Gesellschaft, die auf Solidarität und nicht auf Verwertbarkeit basiert. Unser Widerstand gegen die Überwachung geht stets auch einher mit unserem Einsatz für eine solche Gesellschaft. Dem »gefühlten Grundrecht« von Köber und Specht setzen wir unsere handfesten Freiheitsrechte entgegen, der subjektiven Angst unsere objektive Analyse. Alle Bürger*innen Mannheims fordern wir auf, sich zur Wehr zu setzen gegen die Dystopie einer überwachten Welt und stattdessen gemeinsam mit uns für das gute Leben für alle zu streiten!

Die George Orwell Ultras sind eine stadtpolitische Gruppe aus Mannheim, die sich kritisch mit dem Thema Videoüberwachung auseinandersetzt. Bilder und Videos ihrer Aktionen im städtischen Raum gibts – ausgerechnet – bei Facebook.

Bild: Teilnehmer*innen beim »Silent Dance Flashmob gegen Videoüberwachung« der George Orwell Ultras.