Lieber Haft als Kohlekraft


Klimabewegung und Repression

Spätestens seit »FridaysForFuture« ist klar: immer mehr Menschen wollen dem Klimawandel nicht länger tatenlos zusehen, sondern gehen auf die Barrikaden. Und was tun bürgerlicher Staat und herrschende Klassen traditionell, wenn die Hegemonie schwindet? Richtig, sie greifen auf den Panzer aus Zwang zurück. Linda und Anna von der IL Berlin geben einen Überblick darüber, mit welchen Formen der Repression es die Klimabewegung aktuell zu tun hat – und zeigen auf, was dagegen helfen könnte.

Kohlekommission: #KeinKonsens

Das Ergebnis der sogenannten »Kohlekommission« ist eine bittere Absage an das Pariser Klimaziel, die globale Erderwärmung auf 1.5°C zu begrenzen. Die von der Bundesregierung einberufene Kohlekommission veröffentlichte Ende Januar diesen Jahres ihren Abschlussbericht, in dem ein Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038 angestrebt wird. Damit wird effektiv auch das 2030-Klimaziel in den Wind geschossen, nachdem bereits die 2020-Klimaziele krachend verfehlt wurden. Der so genannte »Konsens« ist somit ein politisches Komplettversagen in Anbetracht einer der existenziellsten Krisen des 21. Jahrhunderts.

Auch wenn mit Gigawatt-Reduktionszahlen für die Jahre 2022 und 2030 zwei Zwischenschritte definiert wurden, liegt kein konkreter Kohleausstiegsplan vor. Dieser soll zwischen der Bundesregierung und den Kraftwerksbetreibern ausgehandelt werden. Welche Dörfer künftig noch für den Braunkohleabbau weichen müssen und ob der Hambi stehen bleibt, wurde nicht geklärt. Zudem sind Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe für die Energiekonzerne geplant. Gleichzeitig macht RWE mittlerweile bereits Anstalten, den »Kohlekonsens« von Industrieseite wieder aufzukündigen und nicht einmal die vereinbarten 3,2 Gigawatt bis 2022 abschalten zu wollen.

Wir werden immer mehr!

Vor dem Hintergrund dieser politischen Bankrotterklärung und dem Niederknien vor dem heimischen Kapital wächst die Klimagerechtigkeitsbewegung weiter: mit »Fridays for Future« (FfF) streiken und demonstrieren seit Monaten Schüler*innen jede Woche gegen die Tatenlosigkeit der Politik und für ihre Zukunft. Mit »Extinction Rebellion«, »Free the Soil« und der anlaufenden Anti-Auto-Vernetzung treten in 2019 neue Akteur*innen auf den Plan – die Klimagerechtigkeitsbewegung erweitert sich und nimmt neue Themen neben der Kohle in den Blick.

Im Spannungsfeld zwischen dem klimapolitischen Versagen der herrschenden Politik, der Durchsetzungskraft der Industrie und der wachsenden, sich radikalisierenden und verbreiternden Klimagerechtigkeitsbewegung gehen Polizei und Justiz immer schärfer gegen uns als Klimabewegung vor.

Hambi, Sonderzug & #Lausitz23 – die Repression zieht an

Schon in 2018 hat die Repression merklich zugenommen. Dazu wurden primär polizeiliche Befugnisse und repressive Möglichkeiten der Justiz stärker ausgeschöpft bzw. juristische Präzedenzfälle geschaffen, die den bestehenden Rechtsrahmen schärfer auslegen als zuvor.

Bei der Massenaktion von Ende Gelände im Oktober 2018 reisten rund 1.000 Aktivist*innen mit einem Sonderzug von Prag über Leipzig, Berlin und Hannover ins Rheinland an. Der Sonderzug wurde am frühen Morgen im Rheinland mit einem Polizeikessel und bereits aufgebautem Hamburger Gitter empfangen und noch bevor die Aktion überhaupt begonnen hatte, über zehn Stunden hinweg festgehalten. Dabei wurden ausnahmslos alle Personalien kontrolliert bzw. alle Menschen und ihre Gepäckstücke durchsucht sowie anschließend jene Menschen, die ihre Personalien nicht angeben wollten oder konnten, erkennungsdienstlich mit Fingerabdrücken und Gesichtsfotografie behandelt. Als Begründung wurde angegeben, Ende Gelände rufe zu Straftaten auf. Die Identitäten von rund 1.000 Klimaaktivist*innen wurde so also präventiv erfasst – um einzuschüchtern und von der Aktion abzuhalten und um die Strafverfolgung nach der Aktion zu erleichtern. Ein Eilantrag gegen die Unzulässigkeit des Kessels und die Personalienkontrolle wurde vom Gericht abgewiesen.

Anfang 2019 wurde dann die Hambacher-Wald-Aktivistin »Eule« zu neun Monaten Jugendknast ohne Bewährung verurteilt – weil sie sich bei der Großräumung des Hambi im September 2018 gewehrt hatte, als sie von SEK-Einheiten aus ihrer Hängematte geholt wurde. Die Darstellungen der Polizist*innen vor Gericht ergaben zwar kein stimmiges Bild und widersprachen sich teilweise, trotzdem wurde Eule für Widerstand gegen die Staatsgewalt und – weil sie bei der Festsetzung um sich getreten habe – auch für versuchte Körperverletzung verurteilt. Der gleiche Richter hatte 2018 schon ein ebenso unverhältnismäßiges Urteil von neun Monaten ohne Bewährung gegen eine Aktivistin gefällt, die getrommelt hatte, während im Hambacher Wald Böller auf Bundespolizist*innen flogen. In beiden Fällen wurden hier politische Urteile gegen Umwelt-Aktivist*innen mit, so der Richter selbst, »generalpräventivem Charakter«, gefällt, die ein Exempel statuieren und das Signal senden sollten, dass systemkritische Lebensentwürfe und Widerstand gegen die Umweltzerstörung im Namen von RWE-Interessen nicht toleriert werden.

Die nächste Welle an bislang ungekannter Repression rollte über die Aktivist*innen von Ende Gelände, Robin Wood und der Interventionistischen Linken, die pünktlich zum Abschlussbericht der Kohlekommission Anfang Februar 2019 Bagger in den Braunkohlerevieren in der Lausitz und im Leipziger Land besetzten. Während die Aktivist*innen im Leipziger Gebiet kurze Zeit nach der Räumung ohne weitere Verfahren gehen konnten, wurden die 23 Besetzer*innen in Welzow Süd und Jenschwalde (Lausitz) – die so genannten #Lausitz23 – zunächst in die Gefangenensammelstelle (GeSa) gebracht und, nachdem sie weiterhin die Angabe ihrer Personalien verweigerten, der Haftrichterin vorgeführt und anschließend in Untersuchungshaft in drei verschiedenen JVAs gesteckt.

Drei Aktivist*innen, die bis zum Ende die Angabe ihrer Identität verweigerten, wurden nach knapp drei Wochen U-Haft in einem vorgezogenen Verfahren zu zwei Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Das ist in verschiedener Hinsicht ein neues Level an Repression: Zum einen wurde damit der Präzedenzfall einer Verurteilung für Hausfriedensbruch geschaffen, obwohl der Braunkohletagebau nicht komplett umfriedet war – was eigentlich eine Voraussetzung für Hausfriedensbruch ist. In vergleichbaren Prozessen wurden Aktivist*innen bisher stets freigesprochen. Zum anderen erscheint ein Freiheitsentzug von knapp drei Wochen in U-Haft extrem unverhältnismäßig für Personalienverweigerung und in Anbetracht eines eigentlich zu erwartenden Freispruchs für den Vorwurf Hausfriedensbruch. Die drei Aktivist*innen sind gegen das Urteil in Berufung gegangen.

Zusätzlich kam es während der #Lausitz23 unter politischer Verantwortung des LINKEN-Justizministers Stefan Ludwig zu zahlreichen Rechtsbrüchen durch die brandenburgische Polizei und Justiz: Körperliche Gewalt und Übergriffigkeiten, Verwehren von Telefonanrufen und rechtlicher Beratung, Verweigerung von Trinkwasser, ausreichend Kleidung und ärztlicher Behandlung – letzteres mit der Begründung, dass die Inhaftierten ihre Namen nicht nennen wollten.

Verschärfung der Polizeigesetze

Die in den meisten Bundesländern bereits verabschiedeten neuen Polizeigesetze verschärfen und erweitern die Möglichkeiten der legalen Repression auch gegen die Klimabewegung, beispielsweise rund um Aktionen Zivilen Ungehorsams gegen die Kohleindustrie.

In Nordrhein-Westfalen betreibt RWE im Rheinischen Braunkohlerevier, wo im Juni 2019 die nächste Ende-Gelände-Massenaktion geplant ist, drei Großtagebaue: Tagebau Garzweiler, Tagebau Hambach und im Westrevier den Tagebau Inden, in welchen der größte Anteil der deutschen Braunkohleförderung stattfindet. Bereits im Dezember wurde in Nordrhein-Westfalen ein neues Polizeigesetz beschlossen. Dadurch kann nun der sogenannte »Unterbindungsgewahrsam« zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Straftat von derzeit maximal 48 Stunden auf maximal zwei Wochen ausgeweitet werden. Hinzu kommt eine Verlängerungsoption für weitere 14 Tage. Zudem ist es möglich bei Identitätsverweigerung – einer üblichen Praxis bei Ende Gelände – Menschen bis zu sieben Tage in der GeSa festzuhalten. Personenkontrollen dürfen nun auch verdachtsunabhängig durchgeführt werden, wozu auch das Durchsuchen von Rucksäcken und Fahrzeugen zählt. Weitere Verschärfungen gibt es bei der Überwachung von öffentlichen Plätzen per Video sowie unter Richter*innenvorbehalt auch der Zugriff auf verschlüsselte Messenger-Dienste.

Auch im Rot-Rot-regierten Brandenburg, wo sich im Lausitzer Braunkohlerevier die LEAG-Abbaugebiete Nochten, Reichwalde, Welzow-Süd und Jänschwalde befinden, wurde im März 2019 ein neues Polizeigesetz verabschiedet. Zwar konnte die Linkspartei die Einführung des sogenannten Staatstrojaners – also des heimlichen Zugriffs und Ausspionierens von privaten Handys durch Polizei und Geheimdienste – in der Gesetzesnovelle verhindern, aber auch in Brandenburg erhält die Polizei zusätzliche Möglichkeiten, Menschen mit Repression zu belegen, die sich noch gar keiner Straftat schuldig oder überhaupt verdächtig gemacht haben. So können Menschen auf richterliche Anordnung bis zu zwei Wochen in Gewahrsam genommen werden, um eine »unmittelbar bevorstehende« Straftat zu verhindern. Diese Präventivhaft kann einmalig um weitere zwei Wochen verlängert werden. Parallel zu dieser Ausweitung polizeilicher Befugnisse stagnieren die Kontrollmöglichkeiten von polizeilichem Handeln – und das, während SPD und LINKE in anderen Bundesländern unabhängige Polizeibeauftragte fordern oder umsetzen.

Insgesamt wird auch in Brandenburg vorangetrieben, was in Polizeigesetzen anderswo bereits vollzogen wurde: Die immer stärkere Verschiebung der staatlichen Eingriffsmöglichkeiten in den präventiven Raum. Die nahezu bundesweite Verschärfung der Polizeigesetze betrifft natürlich nicht nur die Klimabewegung – aber sie soll sie in ihrer bisher sehr erfolgreichen Praxis des massenhaften Zivil Ungehorsams besonders stark treffen.

ID-Verweigerung und Angriffe auf kritische NGOs

Die Klimabewegung ist auch deshalb so stark geworden, weil wir durch kollektive Identitätsverweigerung strafrechtliche und zivilrechtliche Repression abwehren konnten und weil viele Menschen über Jahre immer wieder in Aktionen gehen konnten. Das und viele andere Gründe sprechen dafür, an der Praxis der kollektiven ID-Verweigerung bei Ende-Gelände-Aktionen (abgesehen von Ausnahmefällen, in denen das nicht möglich oder sinnvoll erscheint) auch bei zunehmender Repression festzuhalten. Es ist auch für zweifelnde Genoss*innen in unseren eigenen Zusammenhängen wichtig zu verstehen, welche zentrale Rolle diese Praxis bei Ende Gelände spielt. Diese Praxis aufzugeben, würde es RWE & Co. und dem Staat ermöglichen, die radikale Klimabewegung mit zivilrechtlichen Unterlassungserklärungen, Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe und Strafprozessen zu überziehen.

Gleichzeitig ist die verstärkte Repression auch der Versuch, den ungehorsamen Teil der Klimabewegung zu kriminalisieren und die Bewegung zu spalten. In Anbetracht der weitgehend kritischen öffentlichen Haltung gegenüber Personalienverweigerung fällt es beispielsweise den Klima- und Umwelt-NGOs schwer, sich mit Ende Gelände zu solidarisieren, wenn Menschen für Aktionen in den Knast gesteckt werden.

Dabei sollte gerade diesen NGOs bewusst sein, dass die Repression aktuell auch sie mit zunehmender Härte trifft – wenn auch auf andere Weise: Der globalisierungskritischen NGO attac! wurde jüngst vom Bundesfinanzhof der Status der Gemeinnützigkeit aberkannt. Daraufhin wurden auch wieder Stimmen laut, die forderten, der Deutschen Umwelthilfe, die zum Beispiel Fahrverbote vor Gericht erwirkt hat, die Klagebefugnis zu entziehen – vor allem von Seiten der rechtskonservativen Parteien. Auch andere NGOs sind über ihren Status der Gemeinnützigkeit angreifbar. Während die radikale Klimabewegung direkt kriminalisiert wird, zielt das Vorgehen gegen die NGOs darauf ab, die organisierte Zivilgesellschaft aus dem politischen Raum heraus zu drängen und sie in ihren Möglichkeiten der politischen Parteinahme und Solidarisierung zu beschneiden.

Unsere Solidarität gegen ihre Repression!

Die Konsequenz, die wir aus diesen Angriffen auf das gesamte Spektrum der Klima- und Umweltbewegung ziehen sollten, ist ein solidarisches Zusammenstehen. Auf keinen Fall sollten wir zulassen, uns etwa entlang der Frage der ID-Verweigerung und ihrer Kriminalisierung spalten zu lassen. Unser Ziviler Ungehorsam ist nicht nur legitim, er ist auch dringend notwendig angesichts der politischen Bankrotterklärung in Sachen Klimakrise. Was aktuell auf dem Spiel steht, zeigt sich gerade daran, dass der Staat die Klimagerechtigkeitsbewegung nun mit härteren Bandagen bekämpft und versucht, sie als gefährlich und kriminell darzustellen – und so zu delegitimieren.

Natürlich müssen wir bei der Planung und Vorbereitung unserer Aktionen auf die zunehmende Repression und die verschärften Polizeigesetze reagieren. Seit dem gekesselten Sonderzug im Herbst letzten Jahres muss allen (wieder) klar sein: Die Anreise ist Teil der Aktion. Gleiches gilt für den Zeitraum, in dem Menschen nach einer Aktion in Gewahrsam verbleiben. Der GeSa-Support muss bei der Planung von Infrastruktur und in der Mobilisierung (noch) selbstverständlich(er) mitgedacht werden. Außerdem müssen wir uns auf die gestiegene Repression im Vorfeld gezielt vorbereiten und sicherstellen, dass wir für die verschiedenen Szenarien gewappnet und in ihnen gemeinsam und solidarisch handlungsfähig sind.

In der Bevölkerung gibt es großen Rückhalt für einen deutlich schnelleren Ausstieg aus der Kohle – das zeigt nicht zuletzt »Fridays for Future« und die vielen gegründeten Unterstützungsorganisationen wie »Parents for Future«, »Scientists for Future« etc. Demgegenüber sinkt das gesellschaftliche Verständnis dafür, dass der Staat die Interessen der Kohleindustrie trotz der bevorstehenden Krise unverhohlen weiter schützt – auch das ist ein Grund, weshalb der Staat auf steigende Repression setzt und versucht, uns zu kriminalisieren und zu spalten.

Tatsächlich sollten aber genau umgekehrt die Unverhältnismäßigkeit und die moralische Absurdität, dass Menschen für ihren Kampf um einen bewohnbaren Planeten, für das Sichern ihrer Lebensgrundlagen und die zukünftiger Generationen, und für soziale Gerechtigkeit im Angesicht der ökologischen Krise in den Knast wandern, unser Hebel sein, repressive Polizeigesetze, wiederkehrende Rechtsbrüche und fehlende unabhängige Kontrolle von Polizeihandeln gesellschaftlich zu skandalisieren.

Auf viele weitere gemeinsame Aktionen, bis alle Bagger still stehen!

Die Autor*innen Linda und Anna sind in der Klima-AG der IL Berlin und u.a. bei Ende Gelände aktiv.

Das Bild entstand im Rahmen einer Baggerbesetzung in Solidarität mit den #lausitz23.