Bolivien: feministische Stimmen gegen den Putsch

Der Putsch in Bolivien ist noch immer im Gange. Über seine Bedeutung und die Gründe, die ihn ermöglicht haben, wird derzeit in Lateinamerika und darüberhinaus heftig diskutiert. Dabei tun sich zwischen verschiedenen emanzipatorischen Strukturen und Stimmen durchaus Spaltungen auf. Wir haben eine Wortmeldung indigener Feministinnen übersetzt.

Vorab: Zuletzt haben wir auf dem Debattenblog einen Beitrag von Raquel Gutiérrez veröffentlicht. Dieser wurde vor der Abdankung und der Flucht von Evo Morales und vor der Machtübernahme der sogenannten Interimspräsidentin Jeanine Añez geschrieben. Die turbulenten Wochen davor bezeichnete Raquel vor allem als »Hahnenkampf« zwischen drei Machos. Einen ähnlichen Ton schlägt die feministische Intellektuelle Rita Segato am 20. November an. Sie macht vor allem Evo Morales für die derzeitige Situation verantwortlich. Im Folgenden veröffentlichen wir eine Stellungnahme indigener Feministinnen, die sich entschieden gegen diese Deutung von Rita – und damit indirekt auch gegen den Beitrag von Raquel – wendet.

Bevor wir Feministinnen sind, sind wir zuallererst kraftvolle Frauen des Regenbogens

Wir Warmis, Zomo, wir Frauen des Südens, wir Frauen von den Territorien unserer Vorfahr*innen reichen dem Präsidenten Evo Morales Ayma unser blühendes Wort der Unterstützung. Denn laut Wahl ist er noch immer der Präsident des Plurinationalen Staates von Bolivien.

Rita Segato findet in einem (weißen?) Feminismus Gehör, in dem wir uns jedoch nicht wiederfinden. Deswegen widersprechen wir ihnen und ihrer Position, die Sie hinsichtlich des Putsches und der damit einhergehenden neoliberalen Restauration in Bolivien einnehmen.

Wenn Sie, Rita Segato, sagen, »gegenüber der Führung der Kaziquen [Anm. d. Ü.: eine koloniale Institution der Repräsentation und Autorität in Form einer Person in indigenen Gemeinden] sollten wir eine andere Rhetorik und andere Form des Gebrauchswertes entwickeln«, hört sich das sehr nett an. Aber wir fragen uns, ob Sie jemals diese Führung der Kaziquen an ihrem eigenen Körper gespürt haben? Es erfüllt uns mit Bitterkeit, diese Folge der Eroberung zu sehen. Wir spüren sie. Unsere Männer haben vom kolonialen Machismus das Schlimmste übernommen. Wir haben nicht nur andere Vorstellungen geschaffen. Wir haben Widerstände geschaffen; Widerstände und Existenzen gegenüber der machistischen Dominanz in unseren Nationen, die es vor der Eroberung schon gab, und in all jenen Ecken, in die wir vertrieben worden sind. Aber Evo als das Symbol des Patriarchats zu verstehen ist mehr als geschmacklos.

Wir heißen es nicht gut, wie sich Evo sexistisch und machistisch äußert – auch gegenüber Minderjährigen nicht. Denn wir alle spüren in unseren Körpern was es heißt, wenn der Körper verdinglicht wird. Der Körper unserer Vorfahr*innen, der mentale Körper, der physische Körper und der emotionale Körper. Und dennoch halten wir daran fest, dass das was in Bolivien passierte, ein Staatsputsch war.

Auch wenn Sie es sich nicht vorstellen können, aber es ist so viel einfacher, Bolivien zu analysieren. Ihr intellektueller Frohsinn hat sie vernebelt. Wer hat den Putsch durchgeführt – und mit welchem Ziel? Das sind zwei Fragen, die unser sentipensar, unser Fühlen-Denken, beschäftigen. Merken Sie überhaupt, dass der Putsch nicht durch die Indianer [im Original: indios] aus Chiquitanía und auch nicht durch die Feministinnen aus Bolivien vorangetrieben wurde? Nicht einmal durch »weite Teile der Bevölkerung«, die die Regierung von Evo in Verruf bringen wollen, wie Sie behaupten?

Die Trump-Administration und deren Hegemonie-Apparat versuchen mit einem messianisch-evangelikalen Arm Lateinamerika zurück zu gewinnen. Zusammen mit einer medialen Macht, die Lügengeschichten erzählt und den repressiven polizeilichen und militärischen Kräften, die mit herzlich wenig heiligen Geldern in die trüben Seelen der Indianidad injiziert wurden. Jeden Tag aufs Neue tauchen Beweise auf, die die ausgefeilte Vorbereitung des Putsches belegen.

Ihre Stimme ist nicht irgendeine Stimme. Sie ist die Avantgarde in den Diskussionen in den intellektuellen und feministischen Kreisen in Argentinien. Daher stimmen wir, mit Bitterkeit, mit Ihnen hier nicht überein. Und das müssen wir öffentlich machen.

In unseren Völkern und Gemeinden haben wir ein sentipensar der politischen Ethik entwickelt, das wir nicht verschweigen werden. Noch weniger werden wir gegenüber den Privilegien der weißen Frauen zurücktreten. Verortet im Süden und in den Subalternitäten, in den Otherings, in denen wir als minderwertig betrachtet werden, halten wir gegenüber Ihnen fest: Ihre Stimme schmerzt. Wir werden eine große Leere spüren, wenn wir in unseren sentipensares nicht mehr auf Sie verweisen können.

Wir dürfen nicht die Rolle der Frauen im Zuge des Staatsputsches romantisieren. Es war keine bürgerliche, keine feministische, keine indigene und noch nicht einmal eine demokratische Rebellion.

So wie sie es formuliert, ist das Gefährliche an den »nicht-binären« Diskursen, dass sich am Ende zwei gegensätzliche Positionen annähern, so als ob sie gleich wären. Für eine indigene Frau, die den Machismo und die alltägliche Gewalt durchlebt, ist es nicht das Gleiche, auf ein laizistisches Gesundheitssystem zurückgreifen zu können, das unsere indigene Gesundheit respektiert – oder auf Ärzte zu treffen, die gegen unsere Rechte sind und uns unterwerfen wollen. Dafür stand das Plurinationale Bolivien. Es müsste nicht nötig sein zu erklären, dass die Verteilung von Reichtum andere Möglichkeiten für den Kampf und Befreiung auf der Geschlechterbene schafft. Das hat keine depolitisierte oder neutrale indigene Bewegung in ganz Lateinamerika geschafft. Es wurde möglich durch den Neo-Konstitutionalismus, der von Evo angestoßen wurde und aus dem Kolonialen Staat den Plurinationalen Staat schuf.

Wir sind besorgt, dass Ihre Argumente über neue Vorstellungen und Formen dazu dienen, eine wunderschöne Tarnung, ein Euphemismus für den rassistischen Diskurs, zu kreieren, der in den Bevölkerungsteilen weiter existiert, die Ihnen zuhören. Plötzlich verneinen viele Frauen, die die Wirklichkeit einer indigenen Frau nicht »mit dem Körper« kennen, den Putsch. Sie verstehen ihn als eine Fatalität, die sich anbahnte und machen nun Evo als den Patriarchen aus. Ist das nicht zu viel?

Die Asymmetrie zwischen der »objektiven« oder nicht objektiven Vernunft ist Teil der Kolonie und deswegen benennen wir es auch hier so. Wir alle sentí-pensamos, wir alle denken-fühlen mit unseren Körpern in unseren Territorien. Weder sind wir noch wollen wir objektiv sein.

Das Herz ordnet das Denken in unserem Süden. Schon immer war es so und so wird es auch bleiben. Wir weisen ihre Behauptung als verleumderisch zurück, Evo sei »unter seinem eigenen Gewicht zugrunde gegangen«. Mehr als 45 Prozent der Stimmen zu bekommen bedeutet nichts? Die Regeln des Konstitutionalismus zu brechen bedeutet weniger als ein demokratisches Regime aufrecht zu erhalten? Wiegen Sie die Kugeln auf, die gerade unsere Geschwister massakrieren?

Uns schmerzt der Tod unserer Leute.

Wir sprechen in unseren eigenen Sprachen und nun schreiben wir, damit Sie uns lesen können, in der Sprache des Eroberers. Wenn Sie wollen, können wir es auch auf Mapuzungan, auf Chané, auf Chorote, auf Wichí, auf Pilagá, auf Guaraní, auf Quechua, auf Aymara, auch Qom, auf Mocoy oder auch in der Sprache unserer Träume sagen.

Bevor wir Feministinnen sind, sind wir zuallererst kraftvolle Frauen des Regenbogens, die an der Seite unserer kämpfenden feministischen Männer stehen.

JALLALA- MARICHIWEW

PROCESOS DE PLURINACIONALIZACION EN LATINOAMERICA

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Autorinnen: Lourdes Albornoz, Vero Azpiroz Cleñan, Aymara Choque. Der Text zirkuliert auf Facebook und auf unterschiedlichen Online-Portalen wie Matria.

Übersetzung: Timo

Bild: Eine indigene Frau in Bolivien schwenkt die Wiphala, die Fahne der Farben, die alle Völker Boliviens repräsentiert.