What the fuck!


Feminismus ist kein Verbrechen

Seit Jahren organisieren queer_feministische Aktivist*innen Sitzblockaden gegen den christlich-fundamentalistischen »Marsch für das Leben« in Berlin. In den letzten Jahren nahm die Repression gegen die Demonstrant*innen zu: Über 100 Personen wurden durch die Staatsanwaltschaft angeklagt. Warum ziviler Ungehorsam unerlässlicher Bestandteil im Kampf gegen die AbtreibungsgegnerInnen ist, diskutiert die Berliner Queer_Feminismus-AG.

In alljährlicher Zuverlässigkeit fand auch 2019 am 19. September der sogenannte »Marsch für das Leben« in Berlin statt. Wie jedes Jahr zogen unter dem Deckmantel des vermeintlichen »Lebensschutzes« christliche FundamentalistInnen (1) gemeinsam mit konservativen bis rechten AkteurInnen durch Berlin. So fanden sich in den Reihen des Marsches in den letzten Jahren auch immer wieder AfD-Mitglieder wie Beatrix von Storch und andere organisierte Rechte.

Die TeilnehmerInnen propagieren ein christlich-fundamentalistisches Weltbild, konservative Geschlechterrollen, eine rigide Sexualmoral, sind homo- und transfeindlich. In ihren Thesen verschränken sich antifeministische Argumentationsmuster mit rechtspopulistischen Parolen. Beispielsweise lässt sich auf Fotos erkennen, wie AbtreibungsgegnerInnen Schilder mit »All lives matter«-Parolen und »Make America great«-Caps tragen. Rassistischen Slogans, wie die Forderung nach einer »Willkommenskultur für Neugeborene« zeigen, darüber hinaus Parallelen zu nationalsozialistischen Bevölkerungspolitiken, bei der die Reproduktion des »Volkes« über die Gesundheit und das Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Person gestellt wird. Was für ein Gefahrenpotenzial eine solche Überschneidung rassistischer und antifeministischer Argumentationslinien für einen Schulterschluss zwischen antisemitischen, rechtsextremen, erzkonservativen und völkischen Milieus beinhaltet, liegt auf der Hand. Sie alle teilen ein Weltbild, in dem manche Leben mehr wert sind als andere. 

Allen emanzipatorischen Entwicklungen zum Trotz sind solche nationalen, konservativen und antifeministischen Positionen nie wirklich verschwunden und erleben gegenwärtig ein regelrechtes Comeback. So auch der selbsternannte »Marsch für das Leben«. Der Marsch fand das erste Mal 2002 in Berlin statt - damals hieß er noch »1000 Kreuze für das Leben« - und hat seither jährlich an Größe gewonnen. In den letzten Jahren lag die Zahl bei etwa 5.000 Teilnehmenden.

Ebenso zuverlässig wie diese alljährliche Manifestation misogyner und antifeministischer Kräfte im öffentlichen Raum ist auch der Protest dagegen. Seit 2013 organisiert das queer_feministische und antifaschistische Bündnis »What the fuck« laute, entschlossene und kreative Protestaktionen mit unterschiedlichsten Beteiligungsmöglichkeiten, um die Stimmen der Fundis zu übertönen und die Massenveranstaltung radikaler AbtreibungsgegnerInnen zu stören.

Und so stellten sich auch am 19. September 2019 - neben vielen weiteren Protestformen - über 100 Aktivist*innen dem »Marsch« mit einer friedlichen Sitzblockade entgegen, und das zunächst überaus erfolgreich. Allerdings endete der Tag für einen Großteil der Aktivist*innen in der Gefangenensammelstelle (Gesa). Die Strafbefehle, die den Beteiligten etwa ein Jahr später in den Briefkasten flatterten, lesen sich zunächst wie die Anerkennung einer äußerst effektiven Aktion zivilen Ungehorsams:

»Aufgrund der [...] errichteten und nicht überwind- oder umgebahren Blockade wurden die ca. 2.000 Aufzugsteilnehmer gezwungen, bis zur Räumung der Fahrbahn gegen 15.43 Uhr vor Ort auszuharren. Sie konnten den Aufzug erst im Anschluss an die Räumung und nur mit deutlich verkürzter Strecke fortzusetzen.«

Die Vorwürfe, die die Staatsanwaltschaft aus diesem Tathergang ableitet, sind weniger erbaulich: Nötigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Vermummung und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Als Nötigung (§240 StGB) gilt eine Tat, die andere durch Gewalt oder Androhung eines empfindlichen Übels« zu Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen zwingt. Wo genau in den oben genannten Fällen die Gewalt oder das angedrohte empfindliche Übel liegt, bleibt jedoch schleierhaft.

Mit einem enormen verwaltungstechnischen Aufwand wurden im letzten halben Jahr trotz Pandemie keine Kosten und Mühen seitens der Staatsanwaltschaft gespart, den Aktivist*innen den Prozess zu machen, ohne dass dabei die Verhältnismäßigkeit eines solchen Vorgehens jemals in Frage gestellt wird. Dabei deuten selbst Richter*innen in den Verhandlungen an, von der Lawine an Verfahren aufgrund solcher Lappalien genervt zu sein. Nur selten haben bisher friedliche Sitzblockaden eine solch massive Repressionswelle ausgelöst, sodass sich vermuten lässt, dass es sich bei dieser um einen Abschiedsgruß des wegen seiner AfD-Nähe abgesetzten Oberstaatsanwaltes Fenner handelt. 

Das Ausmaß der Strafverfolgung und die Höhe des Strafmaßes stellt eine massive Repression dar, wie das WTF-Bündnis, das die Prozesse solidarisch begleitet und eine Kampagne zur finanziellen Unterstützung ins Leben gerufen hat, kritisiert: »Die Kosten für Anwält*innen sowie die Gerichtskosten müssen die meisten Angeklagten selbst tragen. Das Bündnis »What-the-Fuck?!«, das die Angeklagten unterstützt und Spenden sammelt, rechnet mit rund 1.000 Euro pro Person – zusammen eine Summe im hohen fünfstelligen Bereich«, erklärt Lili Kramer, Pressesprecher*in des Bündnis.

Betrachten man das Ausmaß dieser Kriminalisierung notwendiger queer_feministischer Proteste im größeren Kontext und auch in Zusammenhang mit der Repression der Sitzblockaden gegen den Aufmarsch des III. Weges am 3. Oktober 2020 wird deutlich, dass hier der Versuch einer systematischen Kriminalisierung legitimer, angemessener und notwendiger Protestformen unternommen wird. Doch wenn Nazis durch Berlin marschieren oder Fundis ihre antifeministische Hetze auf die Straße tragen, darf das nicht unwidersprochen bleiben.

Bisher haben knapp 40 Verhandlungen vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin stattgefunden, einen Freispruch gab es bislang nicht. Die ersten Verfahren wurden noch gegen Zahlungen von jeweils einigen hundert Euro wegen Geringfügigkeit eingestellt. Mittlerweile fordert die Staatsanwaltschaft jedoch häufig explizit eine Entschuldigung ein und verlangt von den Aktivist*innen, sich von der Teilnahme an der Sitzblockade distanzieren und sogar zu versprechen, sich künftig an solchen Aktionen nicht mehr zu beteiligen.

Die Antwort hierauf kann nur lauten: Jetzt erst recht! Diese Kriminalisierung feministischen Protestes ist nur ein weiteres Beispiel für den Versuch der Kontrolle gebärfähiger Körper durch Staat und Kapital. Wir leben in einer Zeit, in der der Zugang zu sicheren Abtreibungen weiterhin erschwert wird. Darüber hinaus wird selbst deren Legalisierung zunehmend in Frage gestellt, was nicht zuletzt darin begründet scheint, dass Fortpflanzung immer auch einen ökonomischen Wert besitzt. Und gerade deshalb werden wir uns effektive Protestformen nicht nehmen lassen. Sitzblockaden dürfen nicht als Nötigung ausgelegt werden! Sitzblocken sind ein notwendiges Protestmittel gegen den rechten Backlash. Die juristischen Konsequenzen und die finanziellen Belastungen durch die Verfahren zeigen den Versuch, linken Protest durch unverhältnismäßige Repression möglichst klein zu halten, zu kriminalisieren und faktisch zu unterbinden.

Wir fordern von den Strafverfolgungsbehörden, die Anklagen zurückzuziehen und Sitzblockaden zukünftig als das zu werten, was sie sind: ein öffentliches Eintreten und Engagement für eine solidarische Gesellschaft (Zur Unterschriften-Kampagne mit WTF & dem BBgR »wir sitzen, weil sie marschieren«).

Wir solidarisieren uns mit allen Betroffenen von Repression und Kriminalisierung und lassen uns nicht spalten. Solidarität ist nicht nur eine Waffe, sondern auch das, was uns weitermachen lässt. Deswegen gehen wir auch dieses Jahr am 18. September 2021 wieder gegen die Fundis auf die Straße. Und wir hoffen, dass ihr auch am Start seid! 

(1) Warum wir von »selbsternannten LebensschützerInnen« sprechen: »Lebensschützer« ist eine Selbstbezeichnung derjenigen, die gegen Abtreibungen protestieren und gegen die sexuelle und körperliche Selbstbestimmung auf die Straße gehen. Uns ist es ein Anliegen, sichtbar zu machen, dass auch Frauen an der antifeministischen Politik beteiligt sind. Da es in dem Selbstverständnis der »LebensschützerInnen« nur zwei Geschlechter gibt, Männer und Frauen, nutzen wir das Binnen-I.

Autor*in: Die AG Queer_Feminismus der IL Berlin ist seit Jahren im Berliner »What the fuck?!«-Bündnis aktiv.

Bild: Autonomous Design Group, Defund the police, invest in our communities.