Existieren verboten


Der Kampf um Menschenrechte in Polen zwischen LGBT-freien Zonen und Abtreibungsverbot

Die sogenannten LGBT-freien Zonen sind mittlerweile in Polen zur Wirklichkeit geworden. Tausende von queeren Menschen­ wohnen in Städten und Gemeinden, wo ihre bloße Existenz sie in Gefahr bringt. Dem zugrunde liegt ein ideologischer Machtkampf um »erwünschtes« Leben, den Politik und Kirche zu gewinnen scheinen, argumentiert Magdo in diesem Debattenbeitrag.

In Polen sind faschistische Politiker in weißen Hemden schon ganz oben. Die Mitglieder rechtspopulistischer Parteien wie Recht und Gerechtigkeit (PiS – Prawo i Sprawiedliwość) und Konföderation Freiheit und Unabhängigkeit (Konfederacja Wolność i Niepodległość) machen keinen Hehl daraus, dass ihre Ansichten von Nazi-Denkern geprägt wurden. Und die populistische Regierung kokettiert nicht nur mit ihnen – es sind bereits Menschen an der Macht, die rechtsextreme Ideologie in den politischen Mainstream einführen und damit unter anderem Queermisia (1) und Transmisia (2) in der Gesellschaft aktiv vorantreiben.

Rechtsextreme Aktivist*innen wie Kaja Godek stellen sich vor Kirchen und sammeln Unterschriften, Projekte wie «Stopp LGBT» und «Ja zu Familie; Nein zu Gender» gewinnen an Zuspruch. Ihre Rhetorik basiert auf der Prämisse, dass «Genderideologie», Bi- und Homosexualität sowie Transidentitäten, Atheismus und Sexualerziehung nicht natürlich seien, weil sie «traditionellen polnischen Idealen» widersprechen.

Die «LGBT-Ideologie», wie sie es nennen, wird dabei als die Quelle allen Übels heraufbeschworen: «Haltet das von unseren Kindern fern. Kein Gender in den Schulen.» (Als nicht-binäre Person stimme ich letzterem allerdings zu. Lasst uns aufhören, Kinder nach Geschlecht zu kategorisieren.) Alles, was queer ist, stammt zwangsläufig aus dem Westen, zielt auf die Zerstörung der traditionellen Familien ab und leugnet die göttliche Ordnung der Dinge. Interessanterweise scheinen jene patriotischen Fanatiker*innen zu vergessen, dass auch der Katholizismus einst aus dem Westen kam und heidnische slawische Glaubensvorstellungen überschrieb. Kulturen, die nicht-heteronormative, inhärent queere Gottheiten feierten, die später zu christlichen Heiligen umgestaltet wurden.

Dieses eine Wort, das die Far-Right-Anhänger*innen zu triggern scheint – Ideologie – wird dabei de facto gleichgesetzt mit queeren Personen. Als ob Identität eine Wahl oder Sekte wäre, der man beliebig bei- und austreten könnte. Geschickt nutzt der Begriff der «LGBT-ideologiefreien Zonen» auch die aktuelle Gesetzeslage aus: Ende Juni 2019 entschied das Verfassungsgericht, dass Glaubens- und Gewissensprinzipien als Grund für die Verweigerung eines Dienstes ausreichen. Die Konservativen haben das Urteil laut gefeiert. Die Zeitung Gazeta Polska hat sogar Sticker mit durchgestrichener Regenbogenfahne verbreitet. Manche Unternehmer*innen haben sie in ihren Einrichtungen aufgeklebt. Die Ähnlichkeit mit «Nur für Deutsche» ist unheimlich.

Queersein in Polen

Was bedeutet all dies für queere Personen in Polen? Ich selbst musste Polen verlassen, um meine eigene Identität zu entdecken und vor allem zu akzeptieren. Meine polnischen Freund*innen in Berlin sind Personen, die sich in Polen nicht sicher fühlen. Die, die noch in Polen wohnen, versuchen, ein besseres Leben in den Großstädten zu finden. Im Kollektiv versuchen wir, mit Aktivist*innen vor Ort in Kontakt zu bleiben und konnten so z.B. Morning-After-Pillen aus Deutschland nach Polen bringen.

Wir alle haben queere Freund*innen und Familienmitglieder, die jeden Tag Angst haben, auf die Straße zu gehen. Sich zu outen ist für viele lebensbedrohlich. Sichtbar queere Menschen werden angestarrt und angegriffen, Bildungsarbeit und Aufklärung sind kaum vorhanden.Wir können in unserem Land nicht frei leben. Und wir wollen nicht zur Flucht gezwungen werden. Selbst in der akademischen Landschaft Polens und Osteuropas fehlt Sichtbarkeit: Queer Theory und Queer Studies sind für den polnischen akademischen Mainstream immer noch terra incognita, wie Wiktor Dynarski und Anna M. Kłonkowska im Jahr 2020 berichteten. Gleichzeitig sehen wir auch, wie mittel- und osteuropäische Länder aus EU-Perspektive oftmals als inhärent queerphob dargestellt werden und westliche Länder als LGBT-freundliches Paradies, dem der europäische Osten nachstreben sollte. Die Queers im Osten warten allerdings nicht auf den westlichen Retter. Wir sind bereits dabei, unseren Kampf zu führen. Dieser Kampf muss nicht aus westlicher Perspektive beurteilt werden. Wir brauchen keine Bevormundung, sondern Unterstützung.

Queerness ist für mich dabei mehr als ein Bündel von nicht-cis-heteronormativen Identitäten, sondern ein inhärent politischer Begriff. Queer zu sein, heißt normative Konstrukte überall zu hinterfragen, Beziehungen aufzubauen, die nicht auf bereits festgelegten Werten, Mustern und Rollen beruhen, niemals etwas für gegeben zu halten. Queerness ist ein sich ständig veränderndes, lebendiges Konzept, das sich innerhalb alternativer Räume entwickeln und langsam in den Mainstream einsickern kann. Radikal queere Politik wird immer außerhalb des Mainstreams stattfinden – allerdings steht dem in Polen eine bisher unerreichte, kontinuierlich wachsende soziale und staatliche Repression gegenüber, die sich schlichtweg gegen alle richtet, die heteronormativen Strukturen und Regeln nicht gerecht werden.

Der gesellschaftliche Kampf um die Körper

Paul B. Preciado sieht Heterosexualität nach Monique Wittig und Guy Hocquenghem als ein politisches Regime. Jeder Staat, unabhängig von seinem politischen System, schränkt die körperliche Autonomie und reproduktive Gerechtigkeit von queeren Menschen ein und hegemoniale Reproduktionsmethoden werden nicht-heteronormativen Individuen aufgezwungen. Und zwar auch noch, nachdem einige westliche Länder nicht-heterosexuelle Paare in den Mainstream assimiliert haben. Welche politische Sprengkraft liegt in queeren Identitäten, die ihre Reglementierung bis hin zur direkten Verfolgung antreibt?

Repressionsmethoden und Reglementierung werden durch ein ideologisches Gerüst getragen, das sich auf ‹Tradition› und ‹Natürlichkeit› beruft. Wer etwa gegen polnische Bräuche, Traditionen und die Verfassung der Republik Polen verstößt, welche die Ehe als Vereinigung von Frau und Mann rechtlich schützt, ist damit schon von der ideologischen Definition der polnischen Bevölkerung ausgeschlossen. Weiße cisheterosexuelle Männer – oft Politiker und Priester – werden in die Position der Beschützer eben dieser fiktiven Bevölkerungsmasse erhoben.

Die Ernennung von LGBTQIA+-Minderheiten zum kollektiven Sündenbock geht dabei Hand in Hand mit dem patriarchal-konservativen Würgegriff um das Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Geschlechtsorgane werden zum ausgedehnten Hoheitsgebiet des Staates und Körper werden daran gemessen, wie verwertbar sie für das System sind.

Im Oktober 2020 wurde eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas nochmal verschärft, um auch Abtreibungen im Fall einer schweren Missbildung des Fötus für illegal zu erklären. Seitdem kämpfen FLINTA*s, queere Personen und ihre Verbündeten verstärkt zusammen gegen die Regierung. Sie alle kämpfen für Menschenrechte, Freiheit, körperliche Autonomie.

Abtreibung und Transition

Wie ideologisch der Machtkampf um Körper ist, zeigt sich sowohl beim Thema Abtreibung als auch Transition: Wer in Polen einen medizinisch begleiteten Transitionsprozess beginnen möchte, muss sich nicht nur mehreren Persönlichkeits- und IQ-Tests unterziehen, sondern auch beweisen, dass eine sozial konforme Identität angestrebt wird. Diese Identität verlangt Cisheteronormativität, Katholizismus und Nationalismus. Wer dagegen spricht, ist kein Mensch. Das spiegelt sich in der Aussage des polnischen Bildungsministers Przemysław Czarnek wider: «Diese Menschen (LGBTQIA+ Personen) sind normalen Menschen nicht gleichgestellt.»

Trans-Menschen werden somit nur als Menschen anerkannt, wenn sie der ultratraditionellen Frauen- oder Männerrolle gerecht werden, auf jeden Fall binär sind und in heterosexuellen Beziehungen leben. Unser Leben ist nur dann legitim, wenn es die nationale katholisch-patriarchale Ordnung aufrechterhält. Aber auch dann ist es selten, dass wir akzeptiert und anerkannt werden.

Queere Menschen auf der ganzen Welt sind ähnlichen Machtprozessen unterworfen. Wir dürfen nicht entscheiden, was wir mit unseren Körpern machen, wen wir lieben, wie wir lieben, unsere Gesundheit und unser Glücklichsein wird aktiv sabotiert. Damit wird uns unsere Menschlichkeit Stück für Stück abgesprochen. Cisheterosexismus und Queermisia sind mächtige Herrschaftsverhältnisse, die sich konkret etwa in Form eine*r Therapeut*in oder Ärzt*in niederschlagen können, die das eigene Sein delegitimieren und das Recht auf Transition absprechen können. Sie gehen Hand in Hand mit patriarchalen Herrschaftsverhältnissen, die das Recht auf körperliche Selbstbestimmung kontrollieren.

Unsere Körper werden gegen unseren Willen benutzt, um Macht auszuüben und repressive Verhältnisse aufrechtzuerhalten. Deshalb müssen wir unsere Körper aktiv benutzen, um sozialen Ungehorsam zu üben. Deshalb sind feministischer Trans- und Queer-Aktivismus entscheidend, um diese tief verwurzelten Herrschaftsmechanismen zu brechen.

(1) Queermisie umfasst Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdrucks und / oder Sexualität, ist somit umfangsreicher als Transmisie.

(2) Transmisie ist die systematische Diskriminierung gegen trans* und nicht-binäre Personen, d. h. Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt  zugewiesen wurde. Das Suffix misia steht für Hass, im Gegensatz zu phobie, die für Angst steht, wie in dem Wort Misogynie.

Autor*in: Magdo ist ein*e slawische queer-feministische Aktivist*in und aspirierend*e Wissenschaftler*in mit den Interessenschwerpunkten Gender, Queer Theory, und Online-Kultur. Magdo zerschlägt das Patriarchat seit 1993.

Foto: Umbruch-Bildarchiv

Der Beitrag erschien erstmals im November 2021 in der arranca! #55 - Machtfragen stellen.