Solidarisch geht anders


Eine Erwiderung auf den Text »Global und solidarisch im Kampf gegen die Pandemie?«

Obwohl der Zero Covid-Aufruf schon vor mehr als zwei Monaten veröffentlicht wurde, reißt die Debatte um Sinn und Unsinn der Initiative nicht ab. Auch innerhalb der Interventionistischen Linken gibt es dabei ganz unterschiedliche Standpunkte. Im Folgenden kritisieren die Genoss*innen der Antifa AG der IL Leipzig einen Beitrag der AG Krieg und Frieden aus Berlin, der im Februar hier auf dem Blog erschienen ist.

Zur Veröffentlichung des Aufrufs von Zero Covid hagelte es Kritik, nicht zuletzt von linker Seite. Auch wir sehen einige der Positionen kritisch und haben Diskussionsbedarf. Aber grundsätzlich halten wir den Ansatz – als gesellschaftliche Linke aus der Schockstarre der vergangenen zwölf Monate herauszukommen und ein konkretes Angebot zu unterbreiten – zunächst einmal für richtig. Darüber hinaus finden wir die Forderung, dass das Ziel der Krisenmaßnahmen eine Reduzierung der Infektionszahlen auf Null sein sollte, in Anbetracht der aktuellen Lage ebenfalls völlig richtig. Wir wollen nicht mit dem Virus leben – weil das immer noch bedeutet, dass Menschen am Virus sterben –, sondern wir wollen ohne Covid leben.

Wir verstehen Zero Covid als einen Versuch, eine linke und solidarische Position inmitten der Krise sichtbar zu machen. Zunächst ist ziemlich offen, auf welche Art und Weise die gestellten Forderungen umgesetzt werden sollen und an wen der Aufruf eigentlich appelliert. Wir sehen also nicht den Staatssozialismus im bunten Gewand vor uns stehen, sondern erst einmal eine Aufforderung an Organisationen wie uns, die mögliche Umsetzung einer Zero Covid-Strategie zu denken und zu diskutieren. Es ist sicherlich richtig, den Kapitalismus als (Teil-)Ursache der Krise zu benennen, jedoch braucht es in der aktuellen Situation ebenso konkrete Handlungsoptionen, die aus der Krise führen. Dabei hilft es nur wenig, aus dem Elfenbeinturm heraus auf Ursachen zu verweisen, so wie es die Berliner Genoss*innen der AG Krieg und Frieden in ihrem Beitrag »Global und solidarisch im Kampf gegen die Pandemie? ZeroCovid und das Fehlen einer eigenständigen linksradikalen Position« tun.

In ihrem Text problematisieren die Genoss*innen explizit, dass der Zero Covid zugrundeliegende Gesundheitsbegriff zu stark auf den rein physischen Aspekt von Gesundheit fokussiert. Natürlich ist es richtig, Gesundheit nicht nur rein körperlich zu verstehen. Dabei darf aber nicht negiert werden, welche Gefahr diese Infektion für viele Menschen bedeutet. Wir können als Linke und Linksradikale keine Todeszahlen relativieren und schon gar nicht sollten wir anfangen zu bewerten, welches Leben lebenswert ist und welches nicht. Nirgends im Zero Covid-Aufruf steht etwas davon, dass alle diejenigen, die nicht an Covid erkrankt sind, »gesund« seien. In dem Aufruf geht es nicht darum, die anderen sozialen und gesundheitlichen Probleme der Gesellschaft zu bekämpfen, die auch schon lange vor Covid-19 Menschenleben erschwert und beendet haben. Es geht schlicht und ergreifend darum, die akute Krise in Bezug auf eine bestimmte Infektionskrankheit in den Griff zu bekommen. Denn, seien wir mal ehrlich: Solange diese Pandemie nicht an einen Punkt kommt, an dem man sie »unter Kontrolle« hat, haben wir auch keine Chance, die anderen Aspekte sinnvoll zu bearbeiten.

Wir verstehen auch nicht, worin das Problem des appellativen Charakters des Aufrufs besteht. Viele Dinge, die wir als iL und Linksradikale tun, appellieren in irgendeiner Form an eine andere Instanz. »Rheinmetall Entwaffnen!« appelliert in letzter Konsequenz an den Staat, keine Waffen mehr zu exportieren, und auch die Klimagerechtigkeitsbewegung hofft auf die Vernunft politischer Entscheidungsträger*innen. Wir sehen nicht, dass Zero Covid in irgendeiner Form stärker an den Staat appelliert, als andere linke Kampagnen es in den vergangenen Jahren getan haben. Womöglich fehlt es den Kritiker*innen an Vorstellungskraft, um bei dem gebotenen Forderungskatalog an etwas anderes als den hart durchgreifenden Staat zu denken.

Besonders stutzig hat uns der Abschnitt gemacht, in dem von »Naturwissenschaftsgläubigkeit« die Rede ist. Sicherlich kann Wissenschaft an vielen Stellen ideologisch beeinflusst sein, aber wir finden es extrem gefährlich, wie durch diese völlig unkonkrete Behauptung die aktuelle Situation relativiert wird. Der genannte Absatz raunt verklausuliert, die Erkenntnisse über Covid-19 seien »irgendwie beeinflusst«. Damit befindet er sich in gefährlicher Nähe zu den Argumentationsmustern der Querdenker*innen.

Die AG Krieg und Frieden stellt außerdem in den Raum, dass wir dafür kämpfen sollten, dass alle die gleichen Chancen haben, das Virus zu überleben. Wir finden diese Forderung zynisch, weil sie ausblendet, dass aufgrund der faktisch nicht vorhandenen Gleichheit aller Menschen im Kapitalismus generell auch keine Chancengleichheit fürs Überleben des Virus existiert. Zudem blendet diese Argumentation aus, dass wir es mit einem Virus zu tun haben, das insbesondere für immungeschwächte Menschen eine Bedrohung darstellt. Ziemlich sauer waren wir in dem Zusammenhang über den Vorwurf, die Linke ignoriere das Sterben im Mittelmeer. Damit ignoriert ihr all jene, die sich für globale Gerechtigkeit und offene Grenzen einsetzen.

Abschließend möchten wir noch auf den Absatz Bezug nehmen, in dem davon gesprochen wird, eine solidarische Praxis von unten zu entwickeln. Wir können beim besten Willen nicht verstehen, was daran solidarisch sein soll, in der aktuellen Situation irgendwelche linken Räume, Kulturzentren und Begegnungsstätten wieder zu öffnen, und damit potenziell weitere Orte zu schaffen, an denen Ansteckungen erfolgen können. Natürlich wissen wir, dass Arbeitsstätten weiterhin geöffnet haben, aber deswegen ist es ja nicht nach dem Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit folgerichtig, unsererseits auch wieder zu öffnen. Das wäre ebenso fahrlässig und falsch. Und ganz nebenbei: Je mehr wieder geöffnet wird, desto mehr verdrängen wir die besonders gefährdeten Menschen aus der Öffentlichkeit. Und da müssen wir sagen, liebe Genoss*innen: Solidarisch geht anders.

Autorin: Antifa-AG von PRISMA. Interventionistische Linke Leipzig. PRISMA gründete sich im Herbst 2012 in Leipzig. Die Arbeitsschwerpunkte der Gruppe sind Antirassismus, Queerfeminismus, Antifaschismus, Klima und Soziale Kämpfe. Seit Anfang 2014 ist PRISMA Mitglied im überregionalen Zusammenschluss der iL.

Bild: »solidarity«, Toronto 2009, von picturenarrative.