Die Luft ist schon lange kalt


Eine Kritik am Papier der Frankfurter iL

Im April veröffentlichte die Frankfurter iL-Gruppe einen längeren Text über die gegenwärtige rechte Offensive, die Zunahme repressiver Mittel und autoritärer Formationen. Entgegen der Flucht in die eigene Szene, plädiert die Gruppe für eine offensive linksradikale Selbstvergwisserung. Ein Genosse der Nürnberger Gruppe »Prolos» veröffentlichte daraufhin eine Kritik im »Autonomie-Magazin», die wir hier wiedergeben. Es ist bisher der einzige uns bekannte öffentliche Beitrag auf den Frankfurter Text und begrüßen die Debatte.

Liebe GenossInnen von der IL Frankfurt,

Ihr beklagt, dass euch die staatlichen Gelder in euren linksliberalen Projekten entzogen werden, eure linken Jobs und Nischen dichtgemacht und eure Karrieren durch Extremismusklauseln gefährdet werden. Auch bemerkt Ihr, dass die rohe Gewalt der Einsatzkräfte (ich denke ihr meint die Bullen) zunimmt und die öffentlichen Fahndungsaufrufe der Hetzblätter »die positiv besetzte Figur der Aktivist*innen» zerstört.

Das alles bemerkt Ihr jetzt – »Die Luft wird wieder kalt…»

Sorry Leute, die Luft ist schon lange kalt. Uns als Angehörige der arbeitenden Klasse und der Erwerbslosen bläst schon seit Jahrzehnten ein eiskalter Wind ins Gesicht. Das Nachkriegskonstrukt der »sozialen Marktwirtschaft» wurde bekannterweise schon in den 80ern ad acta gelegt. Stichwort: Reaganomics und Thatcherismus. Mit Ende der Sowjetunion und der damit verbundenen Systemkonkurrenz in der 90ern ließ das Kapital endgültig die Hosen runter und sprang der Arbeiterklasse mit nacktem Arsch ins Gesicht. Weltweit. In Deutschland vollzog sich dieses Kunststück spätestens mit der von Gerhard Schröder (SPD), dem »Genosse der Bosse», durchgesetzte Agenda 2010.

Seine neoliberale Wirtschaftspolitik brachte rigorose Privatisierung und Entsolidarisierung – mit den entsprechenden verheerenden sozialen Folgen. Nicht, dass für die unteren Klassen davor das Schlaraffenland geherrscht hätte, aber seit den 80ern ist das sozial-partnerschaftliche Konzept, dem manche noch heute nachtrauern, entsorgt worden.

Seitdem sind wir einfachen ArbeiterInnen konfrontiert mit entgarantierten Arbeitsverhältnissen, Reallohnverlusten, Arbeitszeitverlängerungen, verstärktem Arbeitsdruck, verschärften Konkurrenzsituationen und dergleichen mehr. Einfache ArbeiterInnen die eine Familie gründen, also ein Kind kriegen, sind sofort von Armut bedroht, weil heute ein ArbeiterInnengehalt nicht mehr ausreicht um mehrere Personen zu unterhalten. Oder wie es ein Kollege ausdrückte: »Ich hab mich in die Armut gevögelt.»

Repräsentiert wird diese asoziale Gesetzgebung durch Hartz IV und Riesterrente.

Schon lange gehören alte Menschen, die nach einem arbeitsreichen Leben mit Maloche und Kindererziehung ihre klägliche Rente durch Flaschensammeln aufbessern, zum Stadtbild. Ein Viertel der Kinder sind von Armut betroffen und viele Menschen müssen ihren Lohn, trotz Vollzeitbeschäftigung, aufstocken oder brauchen mehrere Jobs, um über die Runden zu kommen.

Das alles und viel mehr ist schon lange so. Vielleicht hättet ihr Euch aus euren Uni-Jobs, euren postmodernen Foucaultdiskussionszirkeln, Genderstudies und was Ihr sonst so treibt mal rausbewegen sollen, auf die Straße, ins wirkliche Leben, dann müsstet ihr Euch jetzt nicht verwundert die Augen reiben.

Nebenbei: wenn man für seine antirassistisch oder antifaschistische Arbeit ausgerechnet von dem System bezahlt wird, dass man vorgibt anzugreifen, sollte man schon merken, dass irgendwas nicht stimmen kann. Ihr wundert Euch das angesichts der Verhältnisse, »der bestehenden Angst, Frustration, Ohnmachtserfahrung» und gar des »Klassenhass», dass die Linke keine Rolle spielt und die Rechten die gesellschaftlich relevanten Themen für sich vereinnahmen.

Ihr fordert dazu auf, auf alle zuzugehen, »die merken was die Stunde geschlagen hat, die gern mal nach oben treten würden, die sich in der kritischen Wissenschaft, dem Asta–Posten oder der alternativen Kita zufrieden eingerichtet haben». Ferner »die gegen Windmühlen kämpfen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Herkunft oder ihres Äußeren tagtäglich um ihre Freiheit ringen müssen.»

Wolltet ihr damit das revolutionäre Subjekt beschreiben? Ist das eure Klassenanalyse? Glaubt ihr, dass ihr mit der alleinigen Fokussierung auf das beschriebene Klientel , wie von euch gefordert, der „linken Identitätspolitik und der Szenebeweihräucherung“ entkommt?

Kurz zu Repression

»Wenn der Feind uns bekämpft, dann ist das gut denn es ist ein Beweis, dass wir zwischen uns und dem Feind einen klaren Trennungsstrich gezogen haben.» – Mao

»Noch nie war die Repression so schlimm wie heute.» Dieser Spruch ist so alt wie die Welt.

1956: KPD – Verbot, kalter Krieg. 1968: Springer Hetze, Bullenterror, Mord an Benno Ohnesorg und Rudi Dutschke. 70er Jahre: Rasterfahndung. 1977: Heißer Herbst, Bullen mit Maschinengewehren an Polizeisperren, die Toten von Stammheim. 80er Jahre: Hausbesetzungen und Räumungen, Straßenschlachten in Berlin bei den Besuchen von Reagan und Haig; Olaf Ritzmann und Günther Sare kommen bei Demonstrationen ums Leben, bürger-kriegsähnliche Zustände in Wackersdorf und Brokdorf. Die 90er und später: Mainzer Straße, Hamburger Kessel, Siko–Verbot, Gipfel–Terror, Genua, Elmau, G20 Hamburg usw. usf. (unvollständige Aufzählung)

Immer titeln die Gazetten »Schlimmster Terror und Gewalt ever.» Die Linke schließt sich unter umgekehrten Vorzeichen dieser Meinung an.

So what?

Glaubt ihr wirklich, ihr pisst dem System ernsthaft ans Bein und bekommt dafür Applaus? Wer relevanten Widerstand leistet muss mit Repression rechnen. Anstatt an den Gegner zu appellieren, doch bitte nicht so gemein zu sein, sollten wir lieber geeignete Abwehrmaßnahmen entwickeln. Von der Propaganda, über die Organisierung bis zum effektiven Widerstand. Natürlich wird die herrschende Klasse alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um uns zu brechen. Aber die Technik arbeitet nicht nur für sie allein. Natürlich können sie uns optisch überwachen, aber auch wir können Polizeibrutalität dokumentieren und dank moderner Kommunikationsmittel weltweit bekannt machen. Für jedes Moment der Repression werden wir eine Antwort finden. Diese Spirale wird sich zwangsläufig, unaufhaltsam weiterdrehen. Entweder wir nehmen die Herausforderung an, oder wir unterlassen es von Revolution zu sprechen.

Und nach wie vor ist die aktionsfähige, autonome Gruppe die kleinste, sinnvolle Einheit und die beste Basis für aktiven Widerstand. Es ist Scheiße, wenn Ihr dieses wichtige Element im Kampf gegen die herrschende Klasse gleich von vornherein als »Mackertruppe» diffamiert.

Wir müssen nur endlich begreifen, dass wir uns gemeinsam organisieren und inhaltlich aufeinander beziehen und weiterentwickeln müssen. Das ist beileibe nichts Neues und wird immer und überall von vielen in ihren Schlussworten gefordert, aber ganz offensichtlich ist die Repression nicht groß genug, dass diese Notwendigkeit von allen erkannt wird.

Dass wir innerlinke Diskussionen führen und unsere Inhalte weiterentwickeln müssen ist hiermit gesagt. Genauso wichtig ist es aber, praktisch in die gesellschaftliche Debatte einzugreifen und das mit einer fundierten linksradikalen Position. Die Rechten haben die Menschen bei ihren diffusen Ängsten und Vorurteilen abgeholt und so angefangen die Debatte zu bestimmen. Dabei haben wir die eindeutig besseren Argumente, Antworten und Lösungen, wir müssen uns nur verstärkt aktiv in die Debatte einmischen. Dazu müssen wir allerdings eine Sprache sprechen, die die Menschen verstehen und eben nicht pseudo-intellektuelles Linkskauderwelsch oder abgehobenen Soziolgensprech. Ein guter Teil der Bevölkerung ist für unsere Argumente durchaus empfänglich. Wir dürfen das Feld keinesfalls den Rechten überlassen. Die Widersprüche verschärfen sich, die Polarisierung nimmt zu. Spannende Zeiten also, nutzen wir unsere Chancen.

Vereinzelt sind unsere Möglichkeiten jedoch begrenzt. Deshalb organisieren; wenn auch manchmal nur temporär und an einem Thema, um Synergieeffekte zu nutzen und um wirkungsmächtiger zu werden. Und raus auf die Straße, in die Betriebe, in die Schule und an die Unis. Offen auftreten, Propaganda machen statt Karriere!


Die Erstveröffentlichung des Textes findet ihr hier. Den kritisierten Beitrag der Frankfurter iL-Gruppe hier.