von Was tun? tags Bewegung Klima Datum Sep 2018
zuNicht nur im Hambacher Forst wehren sich momentan Klimabewegte und Anwohner*innen gegen den Kohleabbau, auch rund um das sächsische Dorf Pödelwitz regt sich Widerstand. Wie dieser perspektivisch aussehen sollte, legen die Autor*innen des folgenden Strategiepapiers dar.
Girlanden flattern zwischen noch bewohnten Häusern, erste Äpfel fallen hitzewellenbedingt zu früh von den Bäumen, und ein sächsischer Dorfbewohner solidarisiert sich mit einer kolumbianischen Anti-Kohle-Aktivistin. Ein kleines bisschen zeitgenössische Utopie. Pödelwitz bleibt! Bleibt Pödelwitz? Das ist jetzt sehr viel wahrscheinlicher. Und es bleibt auf jeden Fall schonmal nicht allein.
Hinter uns liegen zwei Jahre, in denen eine Menge lokale Anknüpfungsarbeit aufgebaut oder weitergeführt wurde. Wir haben diese als überraschend, bereichernd, schwierig, und vor allem Hoffnung und Kampfgeist stiftend erlebt. Die Presseresonanz zum Leipziger Land-Camp hat zudem gezeigt, dass die Zusammenarbeit von Klimagerechtigkeitsbewegung und kämpfenden Anwohner*innen eine perfekt erzählbare Geschichte ergibt, die allen mehr Legitimität verschafft. Eine Recherchefrage ist, wie weit die Tagebaue in den Revieren noch erweiterbar sind, wenn wir politisch durchsetzen, dass kein Dorf abgebaggert wird. Es könnte sein, dass die Dörfer unser bester Hebel sind, um einen möglichst schnellen Kohleausstieg durchzusetzen. Sie könnten auch ein entscheidender Faktor sein, der einen Konsens in der Kohlekommission unmöglich macht. Wir plädieren deshalb in diesem Strategiepapier für eine Fortführung und Intensivierung der lokalen Organisierungs- und Vernetzungsarbeit, sowie eine zentralere Einordnung in unsere Klimagerechtigkeitschoreographie.
Neben der Grube steht das Dorf. Das Dorf wird verlassen.
Da stehen wir momentan. Wenn nicht gerade Klimacamp in Pödelwitz ist, fühlt sich das manchmal ganz schön trostlos an. Selbst widerständige Dorfbewohner*innen im rheinländischen Keyenberg planen gezwungenermaßen den Umzug, die Einwohner*innenzahlen sinken, in fünf Jahren soll das Dorf abgerissen werden. Dennoch kommen immer mehr Anwohnende zu Vernetzungstreffen, Klimacamps werden zu Anlaufpunkten, und es gibt ein Bedürfnis, die eigene Geschichte weiter zu erzählen. Einige Klimaaktivistis versuchen das aufzufangen und wachsen zu lassen – aber wir sind wenige und wir sind meist weit weg von den Orten des Geschehens. Es gibt noch keinen Ort, keine Gruppe, die eine Zukunft der Braunkohleregionen wirklich weiterdenkt und gerecht möglich erscheinen lässt, geschweige denn die Umsetzung einer regionalen Transformation tatsächlich angeht und aushandelt. Auf der einen Seite steht die Kohlekommission, auf der anderen die Dörfer, und nirgendwo gibt es eine Idee von radikaler demokratischer Entscheidung. Irgendwo dazwischen stehen wir. Vielleicht haben wir ein paar mehr Ideen für diese Umgestaltungsprozesse, aber es mangelt an sichtbaren Anknüpfungspunkten. Klimacamps können solche Punkte sein, nur ein paar von vielen notwendigen. Neben den Camps gibt es lokale Initiativen, Veranstaltungen, Protestformate. Es gibt in Keyenberg vielleicht noch nicht besonders viel Hoffnung, aber es gibt Potenzial, sie zu schaffen, wenn wir weitermachen mit unserer Arbeit.
Neben der Grube steht das Dorf. Das Dorf steht zusammen. Vor dem Dorf steht ein Zirkuszelt. In der Grube stehen tausende von Leuten. Der Bagger steht still.
Die Klimagerechtigkeitsbewegung steht derzeit vor Richtungsentscheidungen. Aus verschiedenen Ecken werden viele Themen in den Ring geworfen, an denen sich die Bewegung im deutschsprachigen Raum in den nächsten Jahren ausrichten könnte: Autos, Flugzeuge, Gas, Steinkohle, Landwirtschaft, Finanzen. All diese Themen sind wichtig – aber wir sollten die Braunkohle nicht vorschnell für besiegt erklären. Der Widerstand gegen die Braunkohle gilt momentan als eine der stärksten und breitesten sozialen Bewegungen in Deutschland. Vergleiche des Rheinlandes mit dem Wendland, der Anti-Kohle- mit der Anti-Atom-Bewegung drängen einen weiteren auf: den des halbgaren Atomausstiegs mit der drohenden Perspektive von Kohleausstieg 2030, daran anschließend drastisches Schrumpfen der Bewegung. Und was bedeutet es für unsere politische Glaubwürdigkeit, wenn wir erst alles fordern und dann beim niedrigsten Gebot sofort still werden? Wir glauben: statt Abkehr von der Braunkohle braucht es jetzt erst Eskalation. Und zwar eine glaubwürdige, eine anschlussfähige, eine die in die Tiefe geht, in das Herz der Gesellschaft. Dafür sind die Dörfer zentral. Die Dörfer können ein starkes Symbol sein– noch stärker als der Hambacher Forst, welcher derzeit unser stärkstes Symbol ist. Keyenberg ist älter als Berlin, hat eine schöne Kirche, eine Bäckerei in Familienbesitz, die den Arbeitenden morgens die Brötchentüten vor die Haustür legt. Diese Geschichten können und wollen Leute erzählen. Das spricht Menschen emotional an – eine Ebene, die wir politisch viel zu oft vergessen. Es weckt Erinnerungen und Sehnsüchte, es ist überhaupt vorstellbar, man kann es anfassen und besuchen. Gerade im ländlichen Raum ist das eine politische Praxis, die wir nicht den Rechten überlassen sollten.
Die Bürger*innen-Initiative »Pro Pödelwitz« hat schon 2017 eine Einladung an Ende Gelände ausgesprochen. Lasst uns daran arbeiten, dass solche Einladungen auch aus dem Rheinland und der Lausitz kommen. Dafür wollen wir vor Ort noch aktiver werden, einerseits langfristig in konkreten Kampagnen – von »Kirche(n) im Dorf lassen« bis zum Hambacher Forst – präsent sein, andererseits linke Inhalte und radikale Visionen in die Dörfer und auf die Tagesordnungen bringen. »Kohlekommission von unten« klingt gut, finden wir.
Wie könnte es weitergehen?
Pödelwitz kämpft schon, in Keyenberg, das mitten im Umsiedlungsprozess steckt, gibt es erste Anfänge. Es gibt die Idee, verschiedene Veranstaltungen dort zu machen, die auf eine Rote Linie-Aktion im Februar hinarbeiten. Wie wäre es mit einer Bestandsgarantie der Klimagerechtigkeitsbewegung an die Dörfer? Und den »Keyenberger Kulturtagen« als kleines Pendant zur »Kulturellen Landpartie«? 2019 wären dann Klimacamps in allen drei deutschen Braunkohlerevieren denkbar, in und an den Dörfern, in Solidarität mit den Kämpfen vor Ort, mit Betonung auf die globale Klimagerechtigkeitsdimension. An allen drei Orten gibt es Aktionen massenhaften zivilen Ungehorsams, der von den Anwohner*innen unterstützt wird. Damit dieses Vorhaben nicht in massenhafter ziviler Überforderung mündet, strukturieren wir unsere Camp-Orgaprozesse im Voraus, holen »alte Hasen« zurück, konzentrieren uns auf das Wesentliche, lassen relevante Verantwortungen bei Ortsgruppen.
Das Dorf steht für Hoffnung.
Langfristig gewinnen wir so den Kampf um eins der Dörfer. Vielleicht liegt es nicht nur in unserer Hand – vielleicht geht das verantwortliche Energieunternehmen EPH ja pleite. Aber dann inspiriert dieser Erfolg noch viel mehr Menschen, das mit dem Widerstand doch ernst zu nehmen. Wir schaffen Präzedenzfälle, knüpfen die Geschichten von Menschen, die sich weigern, ihre Häuser zu verlassen in Kontexte globaler Gerechtigkeit. Die Pastorin und die Bäuerin, die ihre Kirchen und Höfe verteidigen, zieht. Damit das gelingt, müssen wir Solidarität ernst nehmen, und nicht nur aus strategischen Gründen ab und zu antanzen, sondern dauerhafte Beziehungen eingehen und uns trauen, wirklich mit betroffen zu sein. Dafür müssen wir uns trauen, Bündnisse einzugehen – und dabei unsere eigenen politischen Ansprüche weiter hochhalten, auch wenn wir mit den Gewerkschaften, der Kirche, dem Heimatverein reden. Wir müssen unser Wissen um Bewegungsaufbau und Kampagnenarbeit weitergeben, damit ein lokaler Widerstand wachsen kann, und wir müssen da sein, wenn wir gebraucht werden. Linksradikale Bewegungen haben schon immer um Häuser gekämpft, und schon öfter gewonnen. Oops, we blocked it again!
Das Dorf steht in der blühenden Landschaft, die wir gemeinsam säen.
Dann sind wir und unsere Werte vielleicht so präsent, dass sich wirklich etwas ändert.
Die Autor\innen: Charli, Christopher, Mai, Ruth, Sebastian, Wiebke – aktiv beim Klimacamp im Rheinland, Pödelwitz bleibt!, lokale Vernetzung im Rheinland, Ende Gelände, Interventionistische Linke und allem möglichem anderen.… Das Strategiepapier entstand für die Strategiekonferenz auf dem vergangenen Klimcamp im Rheinland.
Das Bild entstand auf einem Dorffest in Pödelwitz.