Die radikale Linke nach der Wahl

Nicht erst das erfolgreiche Abschneiden der AfD bei den Bundestageswahlen und der fehlende Aufschrei im Nachgang haben gezeigt, dass die (radikale) Linke in den letzten Jahren keine erfolgreiche Strategie gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck gefunden hat. Was also tun? Linker Antifaschismus muss sich dringend weiterentwickelt, argumentiert Timo Brym – z.B. über eine gemeinsame Praxis mit den (potentiellen) Betroffenen rechter Gewalt oder eine stärkere linke Präsenz im Alltag und in der Nachbarschaft.

Die Bundestagswahl ist vorbei und die Ergebnisse des Wahlabends waren vorherzusehen – alle Prognosen der vergangenen Wochen sind eingetreten. Dennoch ist es ein Schock und die Katerstimmung bleibt. Die AfD zieht als drittstärkste Fraktion mit 12,6 Prozent in den deutschen Bundestag ein, in Ostdeutschland ist die Partei mit 22,5 Prozent besonders stark und in Sachsen geht sie mit 27 Prozent sogar als stärkste Kraft aus der Wahl hervor. Dieses Ergebnis bedeutet, dass die Partei in Zukunft ihre menschenverachtende Propaganda noch leichter in die mediale Öffentlichkeit tragen kann. Hinzu kommt vor allem, dass mit dem Geld, was Parteien ab dem Einzug in den Bundestag erhalten, rassistische Strukturen gefestigt und ausgebaut werden können.

Der notwendige Aufschrei bleibt aus

Die Antwort auf das Ergebnis dieses Wahlabends waren Demonstrationen in verschiedenen Städten, zu denen das Bündnis »Nationalismus ist keine Alternative« und das »...ums Ganze!«-Bündnis aufgerufen hatten. So zogen in Frankfurt am Main mehr als 800 Menschen durch das Bahnhofsviertel, in Berlin kamen über 1000 Menschen vor der Wahlparty der AfD zusammen und auch in Köln, München und Hamburg gab es Proteste.

Doch seien wir ehrlich: Der große gesellschaftliche Aufschrei, den es verlangt hätte, war nicht zu hören. Der Einzug einer extrem rechten Partei wie der AfD in den Bundestag scheint in Deutschland keine Zäsur mehr zu sein. Während die AfD in den vergangenen vier Jahren nahezu alle »liberalen« Kräfte aus der Partei gedrängt hat und kein Problem darin sieht, mit offen faschistischen Strukturen einen Schulterschluss zu bilden, hat eine Normalisierung stattgefunden. Es scheint einen großen Teil der Gesellschaft nicht mehr zu schockieren, wenn eine offensichtlich faschistische Partei öffentlich auftritt und ihr Gedankengut kundtut. Wenn wir über den Rechtsruck in der Bunderepublik sprechen, dürfen wir nicht vergessen, dass die AFD bereits bei der letzten Wahl den Einzug ins Parlament nur knapp verfehlte. Richtig gerahmt durch die enorme Fülle von Brandanschlägen gegen Geflüchtetenunterkünfte und von Angriffen gegen die heterogene Gruppe von potentiell Betroffenen neonazistischer Straßengewalt erscheint das Wahlergebnissen vielmehr als folgerichtige Konsequenz der Entwicklung der letzten Jahre.

Die AfD ist und bleibt eine rassistische, sexistische und rückwärtsgewandte Partei. Sie setzt auf das Thema innere Sicherheit und versucht geschickt die Angstfelder der Deutschen – Migration, »Extremismus« und Terrorismus – zu bespielen und für sich zu nutzen. Gleichzeitig schwenkt sie dabei das Feigenblatt der vermeintlich westlichen Werte, die es zu verteidigen gilt. So wird Antisemitismus als ein muslimisches Phänomen propagiert, um ihr rassistisches Gedankengut reinzuwaschen und die eigene Verwicklung zu untergraben. Auch stellt die AfD einen Angriff auf die feministischen Errungenschaften der letzten 70 Jahre dar. Sie vertritt einen aggressiven Anti-Feminismus, welcher von einer angeblich natürlichen Verbindung von Mann und Frau ausgeht und alle Fortschritte gegen Sexismus und Homophobie angreift. Die geschichtsrevisionistischen Äußerungen von AFD-Spitzenpolitiker*innen sind ebenso offenkundig wie ihr Bezug auf völkische Kategorien.

Der gesellschaftliche Rechtsruck

Wir müssen uns eingestehen, dass wir es die letzten vier Jahre nicht geschafft haben, eine wirksame Strategie gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck zu finden. Natürlich bleibt für uns klar, dass es hier nicht um die Wahl eines parlamentarischen kleineren Übles gehen kann; die Überwindung dieser Verhältnisse, in dem Kapitalismus, Rassismus und Sexismus erst möglich sind, bleibt unverhandelbar. Dennoch bedeuten die Wahlergebnisse der AfD eine gesellschaftliche Zuspitzung dieser Übel.

Zur selben Zeit zeigen Parteien von der CSU bis zu Teilen der Linkspartei Verständnis für den zündelnden rassistischen Mob. Bei gleichzeitiger Frontstellung gegen Neonazis relativieren Teile der etablierten Parteien den praktizierten Rassismus, in dem sie ihn zu angstbegründeten »Protest« degradieren. Ausgangspunkt ist dabei immer die sogenannten »Flüchtlingskrise« bzw. die weiterhin zu lasche Abschottung Europas durch Merkel. Während das Erstarken der rassistisch-völkischen AfD als immer normaler erscheint, werden täglich Angriffe auf Migrant*innen gemeldet, das Asylrecht wird bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt und Angriffe auf fortschrittliche Kräfte seitens des Repressionsapparates immer drastischer. Dazu gehören unter anderem das Verbot, verschiedene Fahnen emanzipatorischer kurdischer Organisationen – darunter die der YPG und YPJ – zu tragen, das Verbot der Internetseite »Linksunten Indymedia« und die unzähligen Angriffe auf Autonome Zentren.

Alte Strategien …

Für die radikale Linke muss eins klar sein: Es kann keine Normalität mit der AfD geben. Es muss nun darum gehen, aus der Ohnmacht aufzuwachen, in die Offensive zu gehen und aus unserer marginalisierten Lage praktische Strategien gegen einen Rechtsruck in Deutschland und auch Europa zu entwickeln. Klassische Aktionsformen wie Blockaden, Outings und direkte Aktionen, welche die antifaschistische Bewegung lange Zeit begleitet haben, scheinen in Teilen an Grenzen gelangt zu sein. Die Strategien des militanten Antifaschismus und der großen Bündnisse mit bürgerlichen Kräften zeigen sicherlich Wirkung, sind isoliert jedoch zum Scheitern verdammt, da sie nur begrenzt langfristige Ziele verwirklichen können. Wenn eine rassistische Partei gesellschaftlich so eingebunden und akzeptiert ist wie aktuell die AfD, kann dies wohl nur noch die wenigstens wachrütteln. Auch müssen wir feststellen, dass die ehemals starke Antifabewegung – ursprünglich ausgehend von den Antifa-Jugendfrontgruppen der 90er – sich umorientiert und in Teilen neuen Feldern zugewandt hat. Es stellt sich auch die Frage, wie sich der Umgang mit einer vermeintlichen Zivilgesellschaft weiter gestaltet, wenn ein gesellschaftlicher Rechtsruck bis in die Reihen der Linkspartei reicht. Es müssen neue Wege gefunden werden gegen den rassistischen und sexistischen Rollback.

… und neue Wege

Doch was können neue Strategien sein? Alte Strategien, wie oben benannt, sind weiterhin relevant, es bedarf jedoch einer Neukomposition und Neuerfindung. Militanter Antifaschismus bleibt wichtig, ebenso die Blockade von Aufmärschen oder Parteitagen der Rechten. Entgegen der Meinung »die Ängste der Leute ernst zu nehmen« positionieren wir uns klar und gehen nicht davon aus, dass es weiterer Aufklärungsarbeit über die AfD bedarf oder eine Bewegung hin auf ihre Wähler*innenschaft benötigt. Die Partei ist sozialchauvinistisch, antifeministisch, geschichtsrevisionistisch und argumentiert völkisch. Wir müssen parteiisch sein und uns mit denen zusammentun, die potentielle Betroffene ihrer Politik sind. Die letzten Jahre haben die Langeweile der politischen Sphäre aufgelöst und eine Polarisierung ausgelöst, auf der wir aufbauen können. Support, Vernetzung und gemeinsame Sache mit Geflüchteten und ihren Supporter*innen im Alltag wären erste Schritte – ein radikaler Antirassismus der eigene Antworten liefert, was die wahren »Fluchtursachen« in kapitalistischen Gesellschaften sind. Eine andere längerfristige Strategie verfolgen wir lokal im Aufbau von Strukturen, die bewusst die elitäre Sprache der Linken, die Didier Eribon in seinem Bestseller »Rückkehr nach Reims« anspricht, zu durchbrechen versucht. Wir müssen als Linksradikale im Alltag erlebbar und anfassbar sein. Klandestinität und die Fähigkeit, im Verborgenen zu agieren, bleibt in vielen Ecken der BRD notwendige Voraussetzung der Politik, aber wo diese zum subkulturellen Lifestyle verkommt, ist sie als solche zu demaskieren.

Wir können uns linke Arroganz nicht mehr leisten, müssen bestehende linke Jugendkulturen jedoch verteidigen. Wir versuchen das mit einem linken Nachbarschaftszentrum zur Selbstorganisation im Alltag, damit erfahrene Wut diskutiert und gemeinsam besprochen werden kann und nicht schlussendlich auf andere Menschen projiziert wird. Diese Strategie des sozialen Antifaschismus setzt einiges an Privilegien voraus, die wir in Frankfurt besitzen. So muss jedoch über Strategien gegen den Rechtsruck gesprochen werden: Und das bedeutet immer, die Grundvoraussetzungen regional zu bestimmen und gleichzeitig ihre globale Bedingtheit zu analysieren. Wir müssen transnational antifaschistische Strategien diskutieren. Wir müssen uns auf eine lange Auseinandersetzung gefasst machen und dürfen angesichts der eigenen Nervosität nicht in Aktionismus verfallen. Es geht nicht weiter wie bisher. Als emanzipatorische, antiautoritäre Kommunist*innen muss uns klar sein, dass es keinen Frieden mit einem System geben kann, welches diese Gesamtscheiße produziert. Es ist trotzdem unsere Aufgabe, feministische und soziale Errungenschaften zu verteidigen. Wir müssen darüber hinaus unsere Antworten für die positive Zukunft einer klassenlosen Gesellschaft stark machen. Die Lösung muss immer noch bleiben, »alle Verhältnisse umzuwerfen«. Eine antifaschistische Perspektive gegen die AfD darf nicht bei einem bloßen Abwehrkampf stehen bleiben, sondern muss immer auch eine feministische und antikapitalistische Perspektive bieten.

Timo Brym engagiert sich seit Jahren in antifaschistischen Zusammenhängen und ist bei »kritik & praxis – radikale linke frankfurt« und im kommunistischen Bündnis »...ums Ganze!« organisiert.

Bild: Proteste gegen den Naziaufmarsch der Partei »Die Rechte« am 18.03.2017 in Leipzig, Foto von strassenstriche.net.