von Was tun? tags AfD (Anti-)Rassismus Österreich Datum Dec 2017
zuDie Ergebnisse der Bundestagswahl 2017 gilt es im breiteren Kontext zu betrachten. In Österreich wird seit geraumer Zeit an einer Verschiebung nach rechts gearbeitet. Was von der kommende Regierung aus Konservativen und Rechtsextremen zu erwarten ist und was hinter derem autoritär-neoliberalen Klassenprojekt steht, analysiert die IL-Graz – Mitteilung aus Österreich.
»Die beste Regierung ist die, die am wenigsten regiert«, heißt es. Die kommende schwarz-blaue Regierung wird viel, wird sehr viel regieren. Sie wird versuchen das Projekt, dass sie in ihrem ersten Anlauf im Jahr 2000 aufgrund der massiven Proteste im In- und Ausland nur beginnen konnte, nun zu vollenden. Die kommende Regierung wird einen massiven Angriff auf die Arbeiter*innenklasse organisieren, auf all jene, die sich Tag für Tag den Rücken krumm schuften; unbezahlte Hausarbeit machen und sich um Angehörige kümmern; am AMS (Jobcenter) in der Schlange stehen; in Klassenzimmern und Hörsälen sitzen, um sich für all das zurichten zu lassen. Die kommende Regierung wird versuchen Arbeitszeiten zu verlängern und die Löhne und Pensionen zu kürzen. Die kommende Regierung wird für eine noch massivere Umverteilung von unten nach oben sorgen, uns eine österreichische Variante von »Hartz IV« aufzwingen und den Reichen die so gesparten Millionen nachwerfen. Die kommende Regierung wird den staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus noch weiter befördern, teils aus tiefer Überzeugung, teils, um die aufbrechenden sozialen Widersprüche zu kanalisieren. Die kommende Regierung wird weiterhin Grundrechte einschränken und an ihrem Projekt einer autoritären Wende basteln. Die kommende Regierung wird den Klimawandel leugnen und alles tun, um die imperiale Lebensweise und die post-kolonialen Verhältnisse abzusichern.
Was heißt hier Rechtsruck?
Der globale Kapitalismus versucht seit der Krise 2007/08 auf Grundlage eines umfassenden Klassenprojekts seinen Kopf wieder aus der Schlinge zu ziehen. Mühsam erkämpfte Errungenschaften wurden der Arbeiter*innenklasse so wieder aus der Hand geschlagen, um die Geschäfte des Kapitals auf ihre Kosten wieder profitabel zu machen. Wir erleben die Situation, dass, während die Kapitalströme wieder fließen, das Wirtschaftswachstum steigt und die Arbeitslosigkeit sinkt, parallel dazu die Zahl der Wohnungslosen überall in Europa wächst und die Konzentration des Reichtums in den Händen einiger Weniger seit der Krise extrem beschleunigt wurde.
An der Peripherie der Europäischen Union wie in Griechenland, Portugal und Spanien entstanden seit der Krise breite linke Bewegungen. Dort jedoch, wo sich diese Prozesse schleichend vollzogen, wurde die Durchsetzung dieser Politik über autoritär-ausnahmestaatliche Maßnahmen und die Spaltung der Klasse entlang rassistischer Linien organisiert. Die Rechten übernehmen nun das Ruder, weil sie sich als die legitimen Vertreter*innen dieser Politik gerieren können, vorbereitet wurde dieser Rechtsruck aber oftmals von liberalen Parteien und innerhalb der liberalen Institutionen. In Österreich arbeitete die große Koalition schon lange zuvor an grundrechtswidrigen Maßnahmen wie der Einschränkung des Versammlungsrechts und Obergrenzen für das Recht auf Asyl. Zusätzlich wird diese Entwicklung in den letzten Jahren von einem mit neuem Selbstbewusstsein ausgestatteten Mob auf der Straße vorangetrieben, der in Form rechtsextremer bzw. neofaschistischer Bewegungen wie Pegida oder den Identitären zunehmend an Stärke gewinnt. Sie sehen ihre Aufgabe darin, eine kulturelle Hegemonie von rechts aufzubauen, um soziale in kulturelle Konflikte umzudeuten und so den diskursiven Boden für den Rechtsruck zu bereiten.
Entsprechend war auch der Wahlkampf in Österreich dominiert von den Themen Flüchtlinge, Zuwanderung und Islam. Die Partei, die hier wie immer Maßstäbe setzte, war die FPÖ. Sie wird nun mit 20 deutschnationalen Burschenschaftern als Abgeordnete in den Nationalrat einziehen. Ihr Koalitionspartner, die ÖVP, wandelt mittlerweile nicht nur in migrationspolitischen Themen auf den Spuren Orbans, sondern hat auch antidemokratische Prinzipien für ein bürgerliches Milieu salonfähig gemacht. Auch die SPÖ und die Liste Pilz, eine Abspaltung der Grünen, haben ihrer Rhetorik dem Trend folgend einen rot-weiß-roten Anstrich verpasst. Anders ist es 2017 in Österreich scheinbar nicht möglich, parlamentarische Mehrheiten zu gewinnen.
Die Grünen waren die einzige Partei, die realistische Chancen hatte ins Parlament einzuziehen und sich diesem Konsens weitgehend verweigerte. Durch ihre Regierungsbeteiligungen auf lokaler und regionaler Ebene und ihr dortiges Mittragen neoliberaler Politik, diskreditierten sie sich jedoch ebenfalls. Sie flogen mit großen Stimmverlusten aus dem Nationalrat und wurden durch ihr nationalistisches und antifeministisches Konterfei Pilz ersetzt. Die »Jungen Grünen«, die bereits vor diesem Eklat aus der grünen Partei geschmissen wurden, weil sie gegenüber der Parteiführung aufbegehrt hatten, beteiligten sich an einem Wahlbündnis mit der österreichischen KP unter dem Namen »KPÖ Plus«. Diese kam im Gegensatz zu den letzten Nationalratswahlen nicht einmal auf 1%. Nicht nur der parlamentarischen, sondern auch der gesellschaftlichen Linken wurde ihre marginalisierte Rolle so dramatisch vor Augen geführt.
»Sicherheit, Ordnung und Heimatschutz«
Nachdem die Koalitionsverhandlungen von ÖVP und FPÖ bereits auf Augenhöhe aufgenommen wurden, steht Österreich vor der zweiten Koalition mit der FPÖ seit Schwarz-Blau-I Anfang des Jahrtausends. Die erste Auflage einer schwarz-blauen Regierung im Jahr 2000 konnte ihr Amt nur unter massivem Widerstand, der noch lange in die Legislaturperiode hinein fortdauern sollte, antreten. Letztlich sowohl an internen Streitigkeiten als auch der Ablehnung durch die Bevölkerung gescheitert, sorgte das Regierungsprojekt im Nachhinein vor allem durch seine milliardenschweren Korruptionsskandale für Aufsehen. Oft wird dabei vergessen, dass »Wendekanzler« Schüssel ebenfalls für eine aggressive neoliberale Politik stand, die nicht immer, anders z.B. als im Eisenbahner*innenstreik 2003, durch Kampfmaßnahmen verhindert werden konnte. Die FPÖ spaltete sich während dieser Regierungsbeteiligung und verlor gegenüber der Wahl 1999 insgesamt über 15% ihrer Stimmen. Sie konnte sich unter Heinz-Christian Strache aber schnell wieder erholen und rangiert mittlerweile sogar auf einem leicht höheren Wert als 2000.
Die Befürchtung, dass eine Neuauflage von Schwarz-Blau aus den Fehlern in der Vergangenheit gelernt hat, scheint berechtigt. Anders noch als damals scheint die breite Öffentlichkeit auch kein Problem mit dieser Konstellation zu haben. Und dass, obwohl neonazistische »Ausrutscher« innerhalb der FPÖ mittlerweile zum Tagesgeschäft gehören. Ein qualitativer Sprung, was die Normalisierung des Rechtsextremismus in Österreich betrifft, war doch die FPÖ-Regierungsbeteiligung 2000 noch ein klarer Tabubruch. Bereits jetzt zeichnen sich mehr als harmonische Koalitionsgespräche ab, die das Ende einer Phase der Annäherung zwischen Freiheitlichen und Konservativen bilden, welche spätestens mit dem Führungswechsel in der ÖVP im Frühling dieses Jahres nicht mehr zu übersehen war. Während Sebastian Kurz seine Partei in Fragen der Abschottungspolitik ganz auf FPÖ-Kurs brachte, leistete Strache ganze Arbeit darin, die Wirtschaftspolitik der Freiheitlichen am neoliberalen Kurs der ÖVP auszurichten. Im Resultat unterscheiden sich die beiden Parteien eigentlich nur mehr stilistisch voneinander und bilden einen fast einheitlichen autoritär-neoliberalen Rechtsblock mit über 57% der Stimmen.
Inzwischen zeichnen sich auch bereits inhaltliche Schwerpunkte der neuen Regierung ab: Die bisherigen Koalitionsverhandlungen, die vor allem im Themenbereich »Sicherheit, Ordnung und Heimatschutz« (selbstgewählter Titel) geführt wurden, lassen durchscheinen, dass die neue Koalition im ersten Jahr ihrer Amtszeit darauf hinarbeiten wird, Sozialleistungen in Österreich unter rassistischen (unterschiedliche Ansprüche für Staats- und Nichtstaatsbürger*innen) und sozialchauvinistischen (Verhärtung des Arbeitsregimes durch Kürzung, Streichung und Deckelung von Leistungen für die untersten Schichten) Vorzeichen umzustrukturieren. Es ist anzunehmen, dass man sich die unpopulärsten Maßnahmen für die Zeit nach den Landtagswahlen in Niederösterreich, Tirol, Kärnten und Salzburg während der ersten Monaten in 2018, bei denen beide Koalitionsparteien viel zu verlieren haben, aufspart. So etwa die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern. Diese Maßnahme würde die kollektive Verhandlungsmacht der Arbeiterkammer als Vertretungsorganisation massiv schwächen und das Kollektivvertragssystem, das in Österreich Minimalstandards in 97% der Branchen festlegt, de facto außer Kraft setzen.
Der parlamentarische Traum ist aus
Auch wir haben die Kandidatur von »KPÖ Plus« mit Wohlwollen verfolgt und gehofft, dass hier mittelfristig ein linkes Projekt entsteht, was sich auch parlamentarisch verankern kann. Das Gegenteil ist passiert. Dass diese Verluste zu einem erheblichen Teil dem taktischen Wahlverhalten, noch ein letztes Mal die SPÖ als vermeintliches Bollwerk gegen Schwarz-Blau zu wählen, geschuldet sind, ist dabei nur ein schwacher Trost. Als IL-Ortsgruppe, die in Graz aktiv ist, kennen wir die linke Hoffnung auf das Parlament und das schwarz-blaue Elend. Wir leben in einer Stadt mit einer linken Partei, die regelmäßig auf zwanzig Prozent der Wähler*innenstimmen kommt, und das ist, bei aller Kritik an der KPÖ Graz, gut so. Aber wir erleben zugleich, wie zahnlos die parlamentarische Arbeit bleibt, wenn sie nicht von einer breiten Organisierung ergänzt und vor sich her getrieben wird. Zugleich erleben wir in Graz seit einigen Monaten, was es bedeutet, wenn Schwarz-Blau regiert, wie Druck auf fortschrittliche Initiativen und Gruppen ausgeübt wird, Angriffe auf uns alle organisiert werden. Wir sagen nicht, dass es keinen Unterschied macht eine linke Partei zu haben, die sich diesen Angriffen auf parlamentarischer Ebene entgegenstellt. Wir halten die Hoffnungen großer Teile der Linken in Österreich aber für überzogen und sollten uns nach dem »schwarzen Sonntag« erst einmal eingestehen, dass auch die österreichische Linke das Pferd nicht von hinten aufzäumen kann. Eine linke Partei wird erst dann erfolgreich sein, wenn sie als Ausdruck verschobener Kräfteverhältnisse gewählt wird. Nichts anderes kann das Wort »Bewegungspartei« bedeuten. So wichtig Prozesse sind, bei denen linke Strömungen einander solidarisch näherkommen, die bloße Addition unterschiedlicher marginalisierter Gruppen zu einem breiten Bündnis kann hier nicht als Ersatz dienen. Aus dieser Erfahrung müssen wir lernen.
Stadt und Land unregierbar machen
Wir wissen bereits jetzt, dass eine zukünftige schwarz-blaue Regierung massive Geschütze auffahren wird, um das autoritär-neoliberale Klassenprojekt weiter voranzutreiben. Wir gehen ebenfalls davon aus, dass sich gegen diese Politik Widerstand regen wird. Unser Selbstverständnis als IL besteht darin, eine Linke zu sein, die dazwischen geht, also dort sein muss, wo diese Risse aufbrechen und Konflikte entstehen, und dort, wo dies nicht der Fall ist, die Widersprüche zu vertiefen versucht. Anstatt alle Ressourcen in den Aufbau einer wahlwerbenden Partei zu stecken, müsste es uns deshalb zuerst gelingen, zwei, drei, viele Organisationen zu schaffen, in der Stadt und am Land, in unserer Straße, dem Stadtteil, dem Betrieb, der Schule und der Universität. Der mühsame Aufbau von Gegenmacht mag kein attraktives Angebot sein, doch er ist unsere einzige Chance, wenn wir dem Rechtsruck wirklich etwas entgegensetzen wollen.
Was Bündnisse betrifft, haben Projekte wie »Aufbruch« oder auch »KPÖ Plus« bereits die Richtung vorgegeben, wenn es darum geht, Linke verschiedenster Spektren an einem Tisch zu versammeln. Die Früchte dieser Prozesse ernten wir nun bei der Tag-X-Mobilisierung gegen die Regierungsangelobung, wo plötzlich in Wien Bündnisse zwischen moderaten und radikalen Linken entstehen, die lange nicht möglich schienen. In Graz haben in letzter Zeit vor allem die Kämpfe um das Murkraftwerk, bei denen es darum geht ein unökologisches und verschwenderisches Bauprojekt mitten in der Stadt zu verhindern, den Anstoß dazu gegeben. Wir müssen diese Bündnisse verstetigen, uns dabei aber gleichzeitig auf einen Diskussionsprozess einlassen, der nicht zwangsläufig einer der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner ist. In diesem Prozess müssen wir uns alle verändern und alte Weisheiten über Bord werfen. Es wird um Konzepte gehen, die erstens eine feministische und antirassistische Klassenpolitik auf Höhe der Zeit entwerfen; zweitens Richtungsforderungen mit utopischem Potential beinhalten, die neue Perspektiven eröffnen, anstatt die kapitalistische Traurigkeit zu zementieren; und drittens eine langfristige Strategie verfolgen, die über Ländergrenzen hinweg an diesem Projekt feilt. Wir haben also einiges vor uns, packen wir’s an.
Die Interventionistische Linke Graz hat sich 2015 gegründet.
Bild: Interventionistische Linke Graz