von Was tun? tags Solidarität Bewegung (Anti-)Faschismus Datum Jul 2018
zuWeil es thematisch gut zu unserem «Was tun nach der Bundestagswahl 2017?«-Strang passt, dokumentieren wir im Folgenden eine Mitteilung, die wir als Interventionistische Linken im Anschluss an das Wochenende vom 6.-8. Juli 2018 veröffentlicht haben.
Ein Wochenende im Zeichen grenzenloser Solidarität
Wir haben gedürstet nach einem Zeichen der Solidarität – und wir haben es gesetzt. Wir, das sind die Zehntausenden, die am Wochenende gegen Rechtsruck, Repression und die Festung Europa auf der Straße waren: In Düsseldorf gegen das neue NRW-Polizeigesetz, in Hamburg zum Jahrestag der NoG20-Proteste und in mehr als 15 Städten bei den #seebruecke-Demonstrationen. Nach den Protesten gegen die AfD in Berlin und das bayerische Polizeigesetz in München im Mai haben wir erneut gezeigt, dass es Widerstand gegen die Entwicklung unserer Gesellschaft nach Rechts gibt. Wir haben gezeigt, dass sich das Gefühl der Vereinzelung, Ohnmacht und Unsichtbarkeit gemeinsam überwinden lässt. Und wir haben gezeigt, dass wir viel mehr sind, als es Politik und Medien glauben machen wollen. Der gesellschaftliche Pol der Solidarität hat sich am Wochenende zusammengefunden und ein Signal gesendet, das den Moment zu überdauern verspricht – das ist viel wert!
Der moralische Bankrott der herrschenden Politik
Die Proteste der letzten Tage haben an verschiedenen Punkten angesetzt, doch für uns gehören sie zusammen. Sie speisen sich aus der Empörung über die herrschende Politik – eine Politik, die selbst gemessen an ihren eigenen Maßstäben längst jedes Maß verloren hat. Das massenhafte Sterben im Mittelmeer liegt in der direkten Verantwortung all der Regierungen, Parteien und Medien, welche die Kriminalisierung der Seenotrettung und den Ausbau der Festung Europa befürworten und vorantreiben. Dabei ist der Unterschied zwischen der nationalistischen und der europäischen Variante der Abschottung, der Unterschied zwischen Seehofer und Merkel, gering: In beiden Fällen handelt es sich um eine beuwsste und kaltblütige Politik des Sterben-Lassens. Die Rede von Aufklärung, Zivilisation und »europäischen Werten« ist längst zum blanken Hohn verkommen. Die Politik der Abschottung und Entrechtung an den Außengrenzen findet ihre Fortsetzung in den Politiken der »Inneren Sicherheit«. Angesichts der Aufrüstung von Polizei und Geheimdiensten, der Einführung flächendeckender Überwachung und der Verfolgung politischer Gegner*innen werden Bürger*innenrechte und Demokratie zunehmend zu holen Phrasen.
Je mehr die Politik versucht, die herrschende Ordnung durch Grenzziehungen nach Außen und Innen zu verteidigen, desto sichtbarer wird, wie wenig Kapitalismus und bürgerliche Gesellschaft tatsächlich mit Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit vereinbar sind. Und je weniger Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft der Kapitalismus verbreiten kann, desto hässlicher wird sein repressives, nationalistisches und rassistisches Gesicht.
Europapolitik von Rechts
Die alte Losung »Sozialismus oder Barbarei« gewinnt tagtäglich an neuer Aktualität. Und gleichzeitig scheint ihre positiven Auflösung so weit entfernt zu sein. Stattdessen werden wir entsetzte Zeug*innen eines Siegeszugs der gesellschaftlichen Rechten in Deutschland und in Europa. Beim »Asylstreit« zwischen CDU und CSU ging es in erster Linie weder um die persönliche Eitelkeit Seehofers noch um die bayerische Landtagswahl. Es ist viel ernster und gefährlicher. Der inszenierte Streit war Teil einer gezielten Europapolitik von Rechts, die in der Achse Orban, Salvini, Kurz und Seehofer ihren konkreten Ausdruck findet. Die bereits begonnene Orbanisierung Europas zielt zugleich auf die Abschottung nach Außen und die autoritäre Zurichtung nach Innen – und droht damit zu verwirklichen, was die extreme Rechte schon seit Jahren anstrebt. Dass deren Begriffe und Forderungen mittlerweile von weiten Teilen der Medien und des Parteienspektrums unkritisch übernommen wurden, verweist zurück auf die Bedeutung des vergangenen Wochenendes: Wo die herrschende Politik jeden moralischen Anspruch verloren hat und die Rechte ihre Agenda fast ungehindert umsetzen kann, liegt die einzig mögliche Antwort in der gesellschaftlichen Mobilisierung all jener, die sich Solidarität und Menschlichkeit bewahrt haben.
Den Pol der Solidarität sichtbar machen!
Das vergangene Wochenende der Solidarität darf jetzt keine Eintagsfliege bleiben. In den kommenden Wochen und Monaten kommt es darauf an, immer wieder sichtbar zu werden – und Verbindungen herzustellen, wo diese bisher nicht bestehen. Dies gilt für die Proteste gegen die Polizeigesetze in den verschiedenen Bundesländern, die Repression im Nachgang von G20 oder die Verfolgung unserer türkischen und kurdischen Genoss*innen ebenso wie für die Situation im Mittelmeer, die Kämpfe gegen Abschiebungen und Lager im Inneren oder die zahlreichen Initiativen für solidarische Städte. Hier wie dort ist es wichtig, dass diejenigen, die sich jetzt zu Recht empören, mit jenen zusammenkommen, die selbst betroffen sind – und zum Teil schon seit Jahren kämpfen.
Kommen wir also in den nächsten Wochen und Monaten mit den Vielen zusammen. Treffen wir uns auf den Straßen und Plätzen unserer Städte, bei assambleas unter Sternenhimmel, bei der nächsten #seebruecke-Aktion oder im gemeinsamen Kampf gegen Abschiebungen und Repression. Machen wir das Orange von #seebruecke weithin sichtbar, als Symbol für gelebte Solidarität und praktisches Engagement. Kommen wir am 29. September nach Hamburg zur großen antirassistischen Parade von We’ll Come United - gegen Abschiebung, Ausgrenzung und rechte Hetze und für Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte für Alle!
Nach dem Sommer der Migration kann jetzt ein Sommer der Solidarität folgen – und kämpfen wir dafür, dass dieses Mal der Winter ausfällt!
Unsere Solidarität ist grenzenlos und unteilbar! Und am Ende entscheidet die Straße!
Interventionistische Linke, 9. Juli 2018
Bild: Die #Seebrücke-Demo in Berlin am 7. Juli 2018.