Cool down? Rise up!

Der Historiker und Schriftsteller Per Leo hat die Initiative »Nationalismus ist keine Alternative« dafür kritisiert, mit ihren Aktionen gegen rechte Aktivisten deren Zielen zuzuarbeiten. Eine Entgegnung.

Nazis damals, Nazis heute

Um zu verstehen, was gerade passiert, lohnt ein Blick zurück. Vor zwanzig Jahren durfte man Nazis noch Nazis nennen, sie trugen Springerstiefel und Reichskriegsflaggen durch die Straßen und warfen Brandsätze auf Asylunterkünfte. Es gab SPDler und Grüne, die Straßenfeste für mehr Toleranz organisierten, von der Verantwortung vor der Geschichte sprachen und wütend wurden, wenn jemand zuviel Verständnis für »fehlgeleitete Jugendliche« äußerte. Auch damals gab es schon die »geistigen Brandstifter«, die in Talkshows von der »Asylantenflut« raunten, und einen Bundestag, der das Grundrecht auf Asyl in einer Weise einschränkte, dass es zur Farce verkam. Schön war das nicht. Doch zumindest in einer Hinsicht hatten es Antifa-Aktivistinnen einfacher, denn mit der linksliberalen Öffentlichkeit hatte man immerhin einen gemeinsamen Nenner, und der lautete: »Nie wieder!« Die einen setzten sich auf die Straße, um Naziaufmärsche zu blockieren, die anderen gingen eben etwas handfester zu Werke.

Und heute? Die Brandsätze fliegen immer noch auf Geflüchtetenunterkünfte. Aber jetzt sitzt die extreme Rechte als Oppositionsführerin im Bundestag, ihr Fraktionsvorsitzender will eine Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund in Anatolien »entsorgen«. Journalisten schreiben einfühlsame Porträts über Pegida und geben sich bei deren Ideologen in der Provinz die Klinke in die Hand. All das beunruhigt zwar die Reste der linksliberalen Öffentlichkeit, für einen Aufschrei aber reicht es nicht. Das Höchste der Gefühle: eine wütende Online-Kolumne hier, »kreatives« Straßentheater oder eine saftige Bundestagsrede da. Währenddessen schenkt die Große Koalition der CSU ein Heimatministerium und der AfD eine faktische Obergrenze für Menschenrechte, alles, um die »rechte Flanke« zu schließen.

In dieser Situation hat der Historiker und Schriftsteller Per Leo im Freitag dafür plädiert, rechte Positionen endlich ernst zu nehmen. Das wäre zu begrüßen, würde sein Vorschlag nicht darauf hinauslaufen, den Rechten den öffentlichen Raum einfach zu überlassen. Diese demokratische Kapitulationserklärung verkauft der Autor als innovative Strategie. Erfolgsbeweise bleibt er schuldig. Stattdessen knöpft er sich ausgerechnet die linken Aktivistinnen und Aktivisten vor, die lautstark gegen Rechte protestieren, jüngst etwa anlässlich der Leiziger Buchmesse. »Nützliche Idioten« poltert Leo gegen die Kampagne Nationalismus ist keine Alternative. Sie spiele einer Rechten in die Hände, die geschickt die medialen Erregungsdynamiken für sich nutze. Mit diesen Thesen erntete Leo beträchtlichen Zuspruch – insbesondere im liberalen Milieu, das offenbar froh ist, weiter die Hände in den Schoß legen zu dürfen.

Entspannt in die Barbarei

Leos Hinweis auf die Diskursstrategien der Rechten könnte dabei durchaus anregend sein, weil sie ein zentrales Element ihres gefährlichen Kulturkampfes darstellen. Exemplarisch dafür ist die permanente Unterstellung der Rechten, einer linken Meinungsdiktatur unterworfen zu sein. Folgt man Leo, dann ist der lautstarke Protest gegen Nazis so fatal, weil man mit ihm dieses Wahngebäude der Nazis stabilisiere – und die bislang unbeteiligte Öffentlichkeit in die Arme der rechten Demagogen treibe. Das Argument wiederholt die klassische Täter-Opfer-Verkehrung des deutschen Konservatismus, nach der am Faschismus vor allem seine Gegner Schuld sind. Auch dürften nur die wenigsten die AfD wählen oder auf eine Pegida-Demonstration gehen, weil sie sich darüber täuschen, was das Programm der Rechten ist. Zu offenkundig sprechen diese es selber aus. Und wer mehr über sie wissen will, der muss deshalb noch lange keine öffentliche Diskussion mit ihnen führen. Von A wie Adorno bis W wie Volker Weiss haben viele schlaue Leute kluge Analysen autoritärer Mobilmachung vorgelegt.

Gegen (völkischen) Wahn aber hilft zumeist nur die Konfrontation mit der nüchternen Realität, was, zumal in einem Land, in dem der letzte Faschismus durch demokratische Wahlen an die Macht kam und nicht durch den zwanglosen Zwang des besseren Arguments beendet wurde, eigentlich bekannt sein könnte.

Auch tut Leo so, als handle es sich beim Trommelfeuer der rechten Grenzüberschreitung ausschließlich um Taktik. Ihre Hetze ist aber keine Formfrage, sondern wesentlicher Inhalt des völkischen Projektes. Die gesellschaftlichen Krisenerfahrungen werden auf vermeintliche innere wie äußere Feinde projiziert, die dann als Sündenböcke dienen müssen. »Existierte der Jude nicht, der Antisemit würde ihn erfinden«, hat Jean-Paul Sartre diesen Vorgang einmal bündig zusammengefasst. Inwischen ist auch »der Flüchtling« bzw. »der Muslim« dran. Die Grenzüberschreitung höhlt auf Dauer die Grundlagen der demokratischen Öffentlichkeit aus. Diese kann nur dann funktionieren, wenn zumindest dem Anspruch nach jeder und jede gleichberechtigt an ihr teilnehmen kann. Die Grundbedingungen eines demokratischen Diskurses kann man in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nachlesen. Sie sind so ziemlich das Gegenteil davon, einen willkürlichen »Meinungskorridor« (Uwe Tellkamp) zu statuieren. Wer das schon wegen zuviel Freiheit und Gleichheit für eine Zumutung hält, dem ist nicht zu helfen.

Die Rechten von AfD, Pegida und Co stehen eben nicht für mehr, sondern für weniger Teilhabe. Nichts anderes meint die Rede vom »rotgrünversifften 68er-Deutschland«, von »Feminazis« und »Kameltreibern«, vom »Jagen« und »Entsorgen«. Mit solchen Leuten auf Augenhöhe zu diskutieren setzt die Bedingungen des demokratischen Diskurses selbst außer Kraft, weil mit ihrer Beteiligung an der Diskussion immer der Auschluss anderer einhergeht. Der trifft mit schlafwandlerischer Sicherheit stets diejenigen, die in dieser Gesellschaft ohnehin unter Ausgrenzung und Diskriminierung leiden. Dass das ganz konkret aufs Vermöbeln, aufs Jagen und Entsorgen hinausläuft, kann man auf Tausenden von Facebookseiten nachlesen. Selbst der Antaios-Verleger Götz Kubitschek, als Gesprächspartner einer »intellektuellen« neuen Rechten bei Funk und Fernsehen gefragt, räumt in seinem Buch Provokation unumwunden ein, der »Ernsthaftigkeit unseres Tuns« mit einem »Schlag ins Gesicht« nachhelfen zu wollen. In einer anderen Welt könnte so etwas als »reine Provokation« durchgehen, als die Leo Kubitscheks Sprechen freundlich interpretiert. In unserer Welt ist es der Aufruf zum Totschlag.

Dem Bürgertum seinen Abwasch machen

Unser Ziel ist es daher weiterhin, den Aufbau rechter Strukturen zu stören und so deren Hegemonieprojekts zu unterlaufen. Rechte Veranstaltungen verhindern ist dafür ein Mittel, ob durch öffentlichen Druck auf Veranstalter, durch zivilgesellschaftliche Blockaden, durch militante Interventionen – am Besten durch alles zusammen. An die solche Aktionen begleitenden JournalistInnen geben wir dabei gerne Leos Ratschlag zur Entskandalisierung – cool down – zurück. In einer Gesellschaft, die um ihre eigenen Widersprüche weiß, muss es kein Skandal sein, wenn soziale Bewegungen öffentliche Auftritte von Faschisten verhindern. Es würde genügen, die Verhinderung faschistischer Veranstaltungen und Aufmärsche nüchtern zu vermelden. Dass wesentliche Teile der liberalen Öffentlichkeit heute auf die rechte Umdeutung antifaschistischer Aktionen zu einer Agentur staatlicher Zensur reinfallen, zeigt insofern vor allem, was autoritäre Formierung bedeutet: Eine Gesellschaft, die sich politisches Handeln außerhalb des Staates kaum mehr vorstellen kann. Dass die Antifa-Strategie dagegen weiterhin aufgehen oder mindestens Teilerfolge erzielen kann, macht die kürzlich erfolgte Absage der Campus-Tour des Stars der Alt-Right in den USA, Richard Spencer, deutlich. Aufgrund der Proteste seien seine Veranstaltungen schlicht kein »fun« mehr gewesen, so Spencer.

Das zeigt: Das Problem bei den Frankfurter und Leipziger Buchmessen waren weniger die rechten Hanseln, als dass zu wenige Leute ein Problem mit ihnen hatten. Nicht die Störung der rechten Veranstaltungen, sondern dass es zu ihrer tatsächlichen Verhinderung an Masse wie Militanz gefehlt hat, ist der Skandal. Es wäre also darüber zu reden, wie – nicht ob – in Zeiten des Rechtsrucks die nötige Mischung aus Masse und Entschlossenheit erreicht werden kann, damit eine Buchmesse nicht noch einmal zum Aufmarschort von völkischen Faschisten wird.

Appelle an staatliche Verbote und Machtmittel scheinen uns hingegen langfristig nicht das beste Mittel gegen das rechte Hegemonieprojekt zu sein und zwar nicht allein deshalb, weil die sich allzu schnell (und in schöner Regelmäßigkeit) auch gegen fortschrittliche Politik richten. Staat, Nation und kapitalistische Wirtschaft sind selbst Teil jener Gesellschaftsordnung, die notwendig Gewinner und Verlierer produziert, und damit der faschistischen Propaganda ihren Resonanzraum verschafft. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Weil jede Faschisierung auch Index einer unvollständigen Befreiung ist, braucht es neben der notwendigen Zumutung des Antifaschismus außerdem einen neuen gesellschaftlichen Aufbruch.

Ein solcher Aufbruch von links und nicht das Gespräch mit den Faschisten ist es, was die Ratlosen am Rande davon überzeugen könnte, dass der Faschismus, ja der Nationalismus allgemein keine Alternative darstellt. Eine solche emanzipatorische Politik voranzubringen, wäre allerdings erheblich einfacher, müsste die radikale Linke hierzulande nicht stets die Drecksarbeit für ein liberales Bürgertum erledigen, das die Monster das Faschismus mit hervorbringt – und sich dann zu fein ist, sie wieder auf die Plätze zu verweisen.

Der vorliegende Text ist zuerst in der Wochenzeitung »der Freitag« erschienen.

Juliane Sommer, 38, lebt in Berlin, arbeitet im Gesundheitsbereich und schreibt für der Freitag. Seit 2016 ist sie im Rahmen von Nationalismus ist keine Alternative (NIKA) aktiv. Als bundesweite Mit-Mach-Kampagne ist das Ziel von NIKA, den Aufstieg der Alternative für Deutschland (AfD) ins Zentrum antifaschistischer Analyse und Aktivität zu rücken.

Bild: I feel you, Esel von Nicolas Schabram