Brandbeschleuniger der Revolte I


1968, der Kampf gegen die Notstandsgesetze und die Frankfurter Linke. Teil 1

Aktuell sehen wir uns vielerorts neuen Formen autoritärer Staatlichkeit gegenüber. Damit gewinnt auch die Frage nach möglichen Gegenbewegungen und -strategien wieder an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund lohnt der Blick zurück: Wie unser Frankfurter Genosse Rolf zeigt, war der Kampf gegen die Notstandsgesetze in Deutschland eine wichtige Triebfeder der »1968er Jahre«. In Teil I seines Artikels beleuchtet er die besondere Rolle Frankfurts für die Entstehung der breiten Bewegung gegen die »NS-Gesetze« und zeichnet deren Entwicklung vor dem Jahr 1968 nach.

Der folgende Text versucht sich als, sicherlich unvollständige, punktuelle Chronik und Aufzählung der 1968er-Ereignisse in Frankfurt am Main. Vorab aber einige Anmerkungen zu ortspezifischen Bedingungen der Vorgeschichte der sozialen Kämpfe und zur gegenwärtigen innerlinken dominanten Sichtweise auf die besagten Notstandsgesetze (im Folgenden wie auch in der Bewegung von 1967/68 selbst üblich als »NS-Gesetze« abgekürzt) als einer der großen Brandbeschleuniger für die Revolte, die in aller Regel auf die »Studentenbewegung« reduziert wird.

Relevanz gewinnen die Kämpfe gegen die »NS-Gesetze« bis heute nicht zuletzt dadurch, dass sie sich gegen einen in Gesetzesform gegossenen Formierungsschub in Staat und Gesellschaft in Richtung »Autoritärer Staat« richteten, auch wenn die »NS«-Etikettierung dieser Entwicklung der BRD einem heute nicht behagen mag. Relevant erscheint aber auch, dass sich in diesen Kämpfen neue Protestformen – vom »zivilen Ungehorsam« bis zur »Straßenschlacht« – entwickelten, die deutlich über das kritische Kommentieren beklagenswerter Zustände hinauswiesen.

Frankfurter Besonderheiten

Schon seit Beginn der 1960er Jahre hat Frankfurt am Main den Ruf der »Wirtschaftshauptstadt« der BRD und künftigen Metropole, d.h. Finanzmetropole am Main. Damit einher gehen entsprechende »Probleme« in der Stadtentwicklung und Fragen des Wohnens als Teil sozialer Infrastruktur. Spätestens ab 1970, also nur zwei Jahre nach 1968, werden diese Fragen zu Kristallisationspunkten heftiger urbaner Konflikte in Frankfurt. Zugleich gilt Frankfurt am Main nach 1945 als sozialdemokratische Musterkommune. Unter Führung der SPD-Kommunalpolitik bereitet sich die Stadt auf ihre künftige Rolle als Metropole vor, während sie sich bundesweit als das Zentrum von linkssozialdemokratischer, linksgewerkschaftlicher, pazifistischer und linksintellektueller Opposition etabliert. Eine widersprüchliche Konstellation, wie sich v.a. in den urbanen Kämpfen der 1970er Jahre erweisen wird. Ein Moment dieser linken Opposition ist die ›Frankfurter Schule‹ und ihr universitäres und studentisches Umfeld – das wird für den Kampf gegen die »NS-Gesetze« von Belang sein.

Daneben ist Frankfurt außerdem Ort des zunächst linkssozialdemokratischen, ab 1968 linksradikalen Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) mit bundesweiter Bedeutung. Diese Studentenorganisation wird den Protest gegen die »NS-Gesetze« wesentlich tragen. Frankfurt ist der Sitz des Bundesvorstands, der Delegiertenkonferenzen und der meisten vom SDS in den 1960er Jahren organisierten Kongresse mit bundesweiter Bedeutung. Diese stehen für »Aufklärung im Diskurs« – und später im Kontext der antiautoritären Studierendenbewegung für »Aufklärung durch Aktion«. Frankfurt wird damit auch zentraler Ort der Organisierung der Anti-Notstandsproteste, die ein Moment der Bewegung von 1968 und der Zuspitzung der Proteste ausmachen.

»NS-Gesetze«: Aufhänger der Revolte?

In den aktuellen politischen Diskursen um 1968 sind Sinn und Zielsetzung insbesondere um das widerständige Erbe umstritten. Auch was das Thema Kampf gegen die »NS-Gesetze« betrifft, ist Delegitimierung angesagt. War der Kampf gegen die Notstandsgesetze ein Kampf gegen ein »Phantom«? War er Ausdruck einer »totalitären« Fehlentwicklung der Linken? Lautstarke Töne und fadenscheinige Interpretationen, die von prominenten (männlichen) Vertretern zuletzt heraus posaunt wurden und werden. So zum Beispiel Daniel Cohn-Bendit in einem Interview aus dem Jahr 2017:

»Eine der großen Auseinandersetzungen damals war der Kampf gegen die Notstandsgesetze. Es wurde behauptet: Wenn die Notstandsgesetze kommen, ist dies das Ende der Demokratie. Das ist totaler Quatsch. Wo stören uns die Notstandsgesetze heute? Wann haben sie uns gestört? … Der Streit um die Notstandsgesetze war eine Scheindebatte. … Wenn man sich heute, im Abstand von 50 Jahren, die Texte durchliest, die damals gegen die Notstandsgesetze formuliert wurden, denkt man: Mein Gott!« (Cohn-Bendit, Daniel in: Göpfert, Claus-Jürgen/Messinger, Bernd: Das Jahr der Revolte. Frankfurt 1968, Frankfurt 2017, 190f)

Mein Gott, Dany! So viel Aufruhr – mit dir als Berichterstatter aus dem Pariser Mai mit dem Megaphon vor der verbarrikadierten Uni – und so wenig Sinn dahinter, alles Quatsch?! Auch der unvermeidliche selbsternannte 68er-Experte Wolfgang Kraushaar vermutet »Hysterie« in der Bewegung:

»Die 68er Bewegung war einem Phantom hinterhergerannt. Das Phantom besaß einen Namen, es lautete ›neuer Faschismus‹. Aber ein neues ›33‹ war weder 68, 69, 70 noch in irgendeinem Jahr danach zustande gekommen. … Keine Bundesregierung ist bislang jemals auf die Idee gekommen, sich auf das Gesetzeswerk zu berufen und von irgendeinem der neuen Artikel Gebrauch zu machen. Der innere Notstand wurde ebenso wenig wie der äußere erklärt.« (Kraushaar, Wolfgang: 1968. 100 Seiten, Ditzingen 2018, 81f)

Aber vielleicht lassen sich die Proteste gegen die »NS-Gesetze« auch als Ausdruck radikaldemokratischer Sensibilität gegenüber einer möglichen – und nach einer kurzen Reformphase auch eingetroffenen – autoritären Verschiebung verstehen, Herr Kraushaar?

Bewegungs-Rekonstruktion in sechs Schritten

Im Folgenden wage ich den Versuch einer realhistorischen Rekonstruktion der »Bewegung gegen die NS-Gesetze« vs. »Bewegung gegen ein Phantom«, um herauszuarbeiten, was die Bedeutung dieser Bewegung ausmacht. Dabei bewege ich mich weitgehend chronologisch. Angefangen bei der Vorgeschichte der Bewegung bis zu deren Ende im Mai 1968 und dem Versuch der Aufarbeitung. Ich stelle einige Thesen zur inneren Dynamik der Kämpfe auf sowie zu den diversen linken Lagern und Positionen, die diese Auseinandersetzungen durchzogen, um schließlich zum vermeintlichen (?) Scheitern bzw. zur Niederlage der Bewegung zu gelangen.

1. Beginn der Planung der Notstandsgesetze: 1964–1966

Die Konzeptualisierung der »NS-Gesetze« erfolgt durch die CDU/CSU-Innenministerien seit Ende der 1950er Jahre. Zum Ziel haben diese die Einschränkung von im Grundgesetz formulierten Grundrechten durch eine »ergänzende« Notstandsverfassung, die im »Krisenfall« (äußerer oder innerer Notstand, Naturkatastrophen) wesentliche Grundrechte aushebeln bzw. auf dem Verordnungswege ihres Sinnes berauben sollte. Bereits 1961 gibt das Bundesinnenministerium eine Broschüre mit dem Titel »Das Gesetz für die Stunde der Not« heraus, das für den Fall politischer und militärischer Krisen die quasi grenzenlose Ausweitung der Macht der Exekutive und ein »Notparlament« vorsieht.

Dagegen entwickelt sich ab ca. 1964 radikaldemokratischer Protest. Getragen wird dieser vor allem von linksliberalen Intellektuellen, Gewerkschafter*innen mit antifaschistischem Background, linken und linksliberal-humanistisch-pazifistischen Studierendengruppen (Gruppen des ›Höchster Abkommens‹: SDS, SHB, Liberaler Studentenbund, Humanistische Studentenunion). Dem Protest liegen verschiedene Motivationen und Hauptziele zugrunde, die sich im Zuge ihrer Dynamik nochmals verändern werden:

  • Zunächst geht es den Akteur*innen nur um die Verteidigung des Grundgesetzes und gegen dessen »Aushöhlung« durch obrigkeitsstaatliche Reglementierung. Dabei ist die jüngste deutsche Geschichte – 1933 und der deutsche Faschismus – immer gegenwärtig. Allein die Begrifflichkeit verdeutlicht dies auf drastische Art und Weise: »NS-Gesetze». Die Parole, die ausgerufen wird, bringt’s auf den Punkt: »Wir wollen kein neues Ermächtigungsgesetz!« Gegenwärtig ist auch stets die hohe Präsenz von exponierten Gestalten aus der NS-Zeit; vor allem in der westdeutschen Politik und Wirtschaft. Bestes Beispiel, neben unzähligen weiteren, ist der Bundeskanzler der Großen Koalition, Kurt Georg Kiesinger, ein ehemals hoher Regierungsbeamter im NS-Außenministerium und NSDAP-Mitglied;

  • Dazu kommen die offenen Tendenzen zur Entdemokratisierung der BRD durch die angestrebte »formierte Gesellschaft« (Kanzler Ludwig Erhard/CDU), das KPD-Verbot von 1956, die Quasi-Ausschaltung der marginalen (parlamentarischen) Opposition durch eine Große Koalition und schon seit den 1960er Jahren die Diskussionen über eine Wahlrechtsänderung, die ein stabiles Zwei-Parteien-Regime im Bundestag garantieren soll;

  • Hinzu kommt schließlich nach der Konstituierung der Großen Koalition 1966 der rasante Aufstieg der neofaschistischen NPD als rechte Protestpartei mit erheblichen Wahlerfolgen (z.B. Einzug in den hessischen Landtag). Für die damalige Lagebewertung bedeutet dies eine weitere Aktualisierung des »Faschismus-Problems«.

Erste Höhepunkte der Protestbewegung gegen die geplante »NS-Gesetzgebung« sind der ›Kongress Notstand der Demokratie‹ im Mai 1965 in Bonn und im Juni 1965 eine große Protestkundgebung auf dem Frankfurter Römer. Getragen werden diese Veranstaltungen und Aktionen von einer »Koalition« der Notstandsgegner. Die Entscheidung, Frankfurt als Ort des Geschehens zu wählen, entsteht nicht zuletzt aus der Zusammensetzung des Trägerkreises der Protestbewegung: IG Metall, linksintellektuelle Szene und SDS.

In der Oktoberausgabe von 1965 der SDS-Theoriezeitschrift ‚Neue Kritik‘ beschreibt Helmut Schauer für den SDS und die linkssozialistische Strömung innerhalb des Verbandes die »SDS-Vorstandstaktik«, die auf ein Bündnis des SDS mit Teilen der Gewerkschaften ausgerichtet ist:

»Bestimmend für die politische Arbeit des Verbandes im vergangenen Jahr war, daß es ihm als Teil der Intellektuellenbewegung gegen die Notstandsgesetzgebung gelang, zu praktisch-politischem Zusammenwirken mit den die Notstandsgesetzgebung bekämpfenden Gewerkschaften zu kommen. Die Struktur dieser gemeinsamen Front ist das exemplarische Beispiel für unsere politischen Arbeitsmöglichkeiten über die Hochschule hinaus, mit Gewerkschaften und anderen Organisationen.«

Der SDS-Bundesvorstand und die anderen linken Studierendenverbände (SHB, LSD, HSU) fordern den DGB auf, am Protest gegen die »NS-Gesetzgebung« festzuhalten, da es seitens der SPD starke Tendenz gibt, mit der CDU-Bundesregierung zu einer »konstruktiven« Vereinbarung zu kommen. Das wiederum setzt die sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaften unter Druck. Der Exponent des rechten Gewerkschaftsflügels, der Vorsitzende der Bau-Steine-Erden-Gewerkschaft und spätere Verteidigungsminister der GroKo, Georg Leber, fordert, das der DBG das »Misstrauen gegenüber dem Staat« endlich überwinden müsse. Im Zustandekommen der Großen Koalition Ende 1966 und akzeptiert durch den überwiegenden Teil der DGB-Gewerkschaften findet der Anpassungsprozess der SPD schließlich ihren institutionellen Abschluss. Der DGB bleibt flügelübergreifend bis zur Verabschiedung der NS-Gesetze 1968 mehrheitlich beim »papierenen« Protest – und schließt gleichzeitig («politische») Streiks als Kampfmittel aus.

Die Kooperation zwischen SDS und IG Metall mit ihrem linkssozialdemokratischen Vorsitzenden Brenner hat jedoch zunächst Erfolg im Sinne von »Gegenhegemoniebildung«. Im September 1966 konstituiert sich das Komitee ›Notstand der Demokratie‹ als »Schaltzentrale« für den Protest. Finanziert wird dieses durch die IG Metall mit Sitz in Frankfurt. Sekretär des Kuratoriums wird übrigens der ehemalige SDS-Bundesvorsitzende Helmut Schauer.

2. Bewegungszentrum Frankfurt 1966/67: Kongress und eine erste Großdemo

Nächster Höhepunkt der Bewegung ist der noch im Oktober 1966 stattfindende Frankfurter Kongress ›Notstand der Demokratie‹. Dem schließt sich eine überraschend große Demo von 25.000 Menschen gegen die geplanten »NS-Gesetze« an. Der Philosoph Ernst Bloch drückt in seiner Kundgebungsrede eine »warnende Ähnlichkeit mit der gehabten Weimarer Demokratie und ihren diktatorischen Ende« aus. Weiter folgert er:

»Die Spuren also schrecken, wir wollen uns von ihnen endlich aufschrecken lassen … Wir Wissenschaftler, die den Aufruf gegen den Skandal (der Notstandsgesetze) unterschrieben haben, rufen mit dem einsichtigen überwiegenden Teil der Gewerkschaften zum Protest auf, ehe es zu spät ist. Die alten Herren mit ihrem Artikel 48 haben bereits die Vergangenheit verspielt, die neuen Herren mit ihrem Notstandsunrecht sollen nicht unsere Zukunft verspielen.« (Miermeister, Jürgen/Staadt, Jochen (Hrsg.): Provokationen. Die Studenten- und Jugendrevolte in ihren Flugblättern 1965 – 1971, Darmstadt/Neuwied 1980, 151f)

Die Zielsetzung dieses Kongresses und der Demo richtet sich nicht zuletzt gegen die Große Koalition Kiesinger/Brandt, die Ende 1966 das Licht der Welt erblickt. Eine der ersten »Amtshandlungen« der GroKo, die die »Warnungen« der Notstandsgegner*innen bestätigt, ist im März 1967 die Verabschiedung eines (neuen) Vorschlags für eine Notstandsverfassung durch das Bundeskabinett. Alle Vorbehalte innerhalb der linkssozialistischen Strömungen gegenüber der Rolle der SPD in der GroKo finden darin ihre Bestätigung. Im Rückblick von 1968 erscheint der Kongress ›Notstand der Demokratie‹ als Beginn einer auf den »Aufbau einer außerparlamentarischen, nicht auf das Parlament fixierten Protestbewegung« (so A. Grunenberg vom SDS-Frankfurt, Studentenzeitschrift diskus, Ausgabe 4/68). Mehr noch, er gilt als »Geburtsstunde einer außerparlamentarischen Opposition als Handlungszusammenhang«, so Karl A. Otto (Otto, Karl A.: Vom Ostermarsch zur APO. Geschichte der außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik 1960 – 1970, Frankfurt/New York 1977)

3. Repression und Radikalisierung: Sommer 1967

Mit der Ermordung von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 tritt die Bewegung in eine neue Phase ein, die den Kampf gegen die »NS-Gesetze« aktualisiert und radikalisiert. Von West-Berlin ausgehend entwickelt sich eine reale, handlungsfähige »Studentenbewegung« mit dem SDS als Bewegungsakteur. Neue Aktionsformen, provoziert durch staatliche Repression und Pressehetze gegen die Bewegung, erscheinen angemessen. Im SDS selbst dominiert zunehmend der antiautoritäre, aktionsorientierte Flügel über den »traditionalistischen«, bündnispolitisch orientierten.

Aus der Erklärung des SDS nach dem 2. Juni: »Das postfaschistische System in der BRD ist zu einem präfaschistischen geworden … Die Vorfälle in Berlin sind ein Exempel, wie eine mit Notstandsgesetzen ausgerüstete Staatsgewalt, dann sogar völlig legal, der Verschärfung der politischen und sozialen Konflikte begegnen könnte.« Und über den Tellerrand der Situation an der Uni hinaus wird »Realpolitik« mit einer radikal-linken Perspektive angemahnt: »Die Proteste der Studenten bleiben ohnmächtig, soweit es ihnen nicht gelingt, sich gesamtgesellschaftlich Rückhalt zu verschaffen und der kapitalistischen Oligarchie in Ökonomie, Öffentlichkeit und Staatsapparat selbst Machtpositionen streitig zu machen.«

Sowohl die Ereignisse als auch die sich darauf beziehenden Erklärungen lassen die These zu, dass der zunächst handzahme Protest gegen die »Aushöhlung« des Grundgesetzes gerade in der Konfrontation mit dem Staat zunehmend systemoppositionelle, ja antikapitalistische Züge annimmt. Damit einher geht notwendigerweise auch eine andere Art von Aktions- und Bündnisstrategie. Die Phase der Appelle und Manifeste als auch die Versuche der parlamentarischen Einflussnahme erscheinen dem antiautoritär dominierten SDS und der sich verbreiternden Studierendenbewegung immer mehr als sinnlos. Gar Theodor W. Adorno attestiert in diesem Kontext und mit Blick auf die Ermordung von Benno Ohnesorg: »Die Studenten haben so ein wenig die Rolle der Juden übernommen.« In seiner Ästhetik-Vorlesung erläutert er, dass er seine »Sympathie für den Studenten« ausspreche, »dessen Schicksal, gleichgültig was man berichtet, in gar keinem Verhältnis zu seiner Teilnahme an einer politischen Demonstration steht«. Zugleich sorge er sich darum, dass der »demokratische Geist in D’land« durch »obrigkeitsstaatliche Praktiken erstickt« werden könnte.

Handfeste konfrontative Aktionen gegen die Verabschiedung der NS-Gesetze werden durch den aktionsorientierten SDS gerade in Frankfurt in die universitären Räume getragen. Es erfolgt eine erste Vorlesungssprengung bei Prof. Carlo Schmid (SPD-MdB und Befürworter der »NS-Gesetze«), der sich der Diskussion jedoch verweigert: »Als Professor der Politik doziert er den Studenten Demokratie, als Minister der Großen Koalition praktiziert er den Notstand der Demokratie«. Der liberal-konservative Uni-Rektor Rüegg warnt im Gegenzug den SDS vor der »Einübung faschistischer Terrormethoden« und suspendiert nach der Aktion diesen als politische Hochschulgruppe.

Ende von Teil I. Im zweiten Teil seines Beitrags rekonstruiert Rolf die Dynamik des Jahres 1968 und gibt den Verlauf der Anti-Notstandsproteste nach dem Sternmarsch wieder. Außerdem untersucht er, wie die Bewegung nach ihrem Ende innerhalb der Linken aufgearbeitet wurde und die »liberale Opposition« ihre anfängliche Solidarität aufkündigte.

Einige der Zitate im Text sind nur unvollständig ausgewiesen, für Nachfragen oder allgemeine Kommentare zum Text könnt Ihr Rolf direkt anschreiben, er freut sich über Post: rolf_NS-Gesetze (ät) gmx.de

Der Autor Rolf (* 1948) ist in seiner linken Politisierungsgeschichte eng mit den Ereignissen der Revolte von 1968 verbunden. Er kam im gleichen Jahr an die Uni in Mainz, beteiligte sich eher als Beobachter an den Notstandsprotesten in der Stadt - seine erste Demo war eine Solidaritätsdemo mit dem »Pariser Mai« - und wechselte bald nach Heidelberg, wo er sich im Umfeld des SDS bzw. des späteren KBW organisierte. Mit dem frustrierenden Ende des BRD-Maoismus näherte er sich, nicht ganz untypisch für ehemalige »Marxisten-Leninisten«, der »Grünen« Partei, den (scheinbar?) erfolgreichen Konkursverwaltern des linken Radikalismus. Die »realpolitische« Linie gerade der hessischen »Grünen« beendete dieses Zwischenspiel ziemlich rasch. Rolf war in der Folge in sozialen Bewegungen, insbesondere in der Anti-AKW-Bewegung und im Startbahnwiderstand, aktiv. Seit den Antiglobalisierungsprotesten von Heiligendamm (2007/8) zählt sich Rolf zur Interventionistischen Linken (Frankfurt). Eines seiner politischen Hauptinteressen ist die kritische Aufarbeitung der Geschichte der Post-68er-Bewegung, die er nicht den (neo-)liberalen Forschermainstream um Kraushaar & Co. überlassen möchte. Gleichzeitig beschäftigt sich Rolf intensiv mit Fragen von Stadtentwicklung, Wohnen und Miete und ist in diesem Feld in Frankfurt und überregional aktiv.

Bild: Transparente am Architektur-Gebäude der TU Berlin im Protest gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze (28. Mai 1968), von Holger Ellgaard.