Tesla: Es gibt keinen »grünen« Kapitalismus!

Die Macht der fossilen Automobilindustrie als Rückgrat des deutschen Exportkapitalismus ist noch längst nicht gebrochen. Die Berliner Klima-AG argumentiert, dass es trotzdem strategisch richtig ist, jetzt mit Tesla die Illusion einer ökologischen Verkehrswende durch elektrisch angetriebene PKW und damit den »grünen« Kapitalismus anzugreifen.

Mit Vollgas auf den Abgrund zu

Klimapolitisch passiert im Verkehrssektor praktisch nichts: Die verkehrsbedingten Treibhausgas-Emissionen sind in Deutschland seit 1990 nicht gesunken. Im EU-Durchschnitt haben sie sogar um 25% zugelegt. Insgesamt verursacht der Mobilitätssektor mehr als ein Viertel aller Emissionen in der EU, Tendenz steigend. Davon macht der Straßenverkehr knapp drei Viertel aus.

Zwar sinkt der durchschnittliche CO2- und Schadstoffausstoß von PKW und LKW. Aber das Mehr an Fahrzeugen auf den Straßen macht jegliche Emissionseinsparungen durch Effizienzgewinne oder schärfere Abgasauflagen zunichte (die Anzahl der PKWs hat sich allein in Deutschland seit 1970 mehr als verdreifacht).

Die Expansion des motorisierten Individualverkehrs hängt mit der neoliberal entfesselten Produktions- und Lebensweise des globalen Kapitalismus zusammen: nach Jahrzehnten der Spar- und Privatisierungspolitik im ÖPNV und bei der Bahn ist die öffentliche Verkehrsinfrastruktur in schlechtem Zustand. Überall fehlt es an Zügen, Bussen und Personal. Strecken wurden stillgelegt, obwohl die absoluten Passagierzahlen steigen. Immer mehr Menschen müssen zur Arbeit oder zu Freund*innen und Familie pendeln, auch weil das Leben in den Innenstädten zunehmend unerschwinglich wird. Vor allem aber nimmt der Warenhandel mit der Ausweitung transnationaler Wertschöpfungsketten (Outsourcing) und entgrenzter Standortkonkurrenz immer weiter zu. Während die Gleisanschlussstellen der Güterbahn seit den 1990er Jahren radikal zurückgebaut wurden, hat sich der Güterverkehr auf der Straße seit 1970 etwa verzehnfacht.

Die Unwilligkeit der Bundesregierung und der Spitzenverbände der deutschen Automobilindustrie, die Weichen für eine Verkehrswende zu stellen, ist offensichtlich. Wohl wissend, dass die Politik das Rückgrat des deutschen Exportkapitalismus mit Zähnen und Klauen verteidigen wird, hat die Automobilindustrie hierzulande in den vergangenen Jahren vor allem auf ein fossiles Weiter-So gesetzt. So haben sich deutsche Entscheidungsträger*innen beispielsweise auf EU-Ebene konsequent gegen schärfere Grenzwerte im Verkehrssektor eingesetzt und im Bereich von Bahn und ÖPNV Marktliberalisierungen vorangetrieben, die zu steigendem Kosten- und Wettbewerbsdruck führen und eine Politik der Privatisierung begünstigen. Auch auf nationaler Ebene sind die Beharrungskräfte groß, ein bundespolitisches Umsteuern ist kaum in Sicht .

Selbst die Investition in Elektroantriebe, die auch aus einer rein kapitalistischen Wettbewerbsperspektive geboten erscheint, wird seit Jahren verschleppt.

Auch angesichts dieser korrupten Bräsigkeit (Stichwort: Dieselskandal) sitzt die deutsche Automobilindustrie aber tatsächlich weniger fest im Sattel als es scheint. Bei den neuen elektrischen Antriebstechnologien hat sie den Anschluss an die internationale Konkurrenz weitgehend verschlafen. Ohnehin bestehen im Automobilsektor, von dem in Deutschland gut 800.000 Arbeitsplätze abhängen, gewaltige Überkapazitäten. Aggressive Absatzkampagnen, staatliche Subventionen und eine Konzentration auf den ökologisch und sozial besonders schädlichen Luxussektor von SUVs, Limousinen und Sportwagen für die in Kaufkraft schwimmenden globalen Eliten und oberen Mittelschichten können die für kapitalistische Ökonomien typische Tendenz zu Überproduktion und Überakkumulation nur sehr begrenzt ausgleichen. Auch die immer stärkere Verdichtung und Entgrenzung der Arbeit, die Auslagerung in Niedriglohnsektoren und interne Flexibilisierung können die sinkenden Profitraten auf Dauer nicht auffangen.

Die Zeichen stehen auf Schrumpfung: Allein die Umstellung auf Elektroantriebe könnte einer aktuellen Branchenstudie zufolge bis 2030 in Deutschland zum Verlust von bis zu 410.000 Arbeitsplätzen führen (vgl. Richard Detje: Elektromobilität: Beschäftigungseffekte, in: Sozialismus 2/2020, S. 60-61). Früher oder später dürfte der deutschen Automobilindustrie eine schwere Krise ins Haus stehen. Schon in der globalen Rezession von 2009 konnte sie nur mit massiven Interventionen des Staates (in Deutschland u.a. »Abwrackprämie« und »Kurzarbeit«) abgewendet werden.

Nix Giga... Der Tesla-Hype als »False Solution«

Vor diesem Hintergrund verdichten sich in der aktuellen Debatte um die Ansiedelung einer sogenannten »Giga-Factory« des US-Konzerns Tesla im brandenburgischen Grünheide sowohl Befürchtungen als auch Hoffnungen rund um die Restrukturierung der Automobilindustrie hin zur vermeintlich »grünen« Antriebswende.

Blieb der Diskurs um Elektromobilität in Deutschland lange noch recht abstrakt, so materialisiert er sich nun mit der geplanten »Giga-Factory«. Dort sollen schon ab 2021 bis zu 500.000 Elektro-SUVs vom Band gehen (das entspräche ca. 10% der gesamten Jahresproduktion an PKW in Deutschland). Dafür wird aktuell bereits eine 300 Hektar große Nutzwaldfläche mitten in einem Trinkwasserschutzgebiet abgeholzt. Zudem schätzt Tesla selbst den Wasserverbrauch der Fabrik auf 372.000 Liter pro Stunde (!) - und das im ohnehin schon trockenen Brandenburg, wo in den letzten Sommern immer wieder Waldbrände ausbrachen.

Während bei einem Teil der deutschen Automobilindustrie die Angst vor der womöglich innovativeren Konkurrenz umgeht, feiern die Fans des Unternehmer-Gurus Elon Musk, aber auch Spitzenpolitiker*innen aller Couleur (mit Ausnahme der AfD) das Projekt als wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region und zur Bekämpfung des Klimawandels. Selbst in der Ökologiebewegung wird Tesla teilweise als progressiver Akteur wahrgenommen, der die deutsche Autoindustrie unter Zugzwang bringt und nachhaltige Zukunftstechnologien auf den Markt wirft.

Bei näherem Hinsehen erweist sich die Tesla-Euphorie jedoch als Ausdruck eines finanzmarktgetriebenen Hypes und einer besonders erfolgreichen Greenwashing-Kampagne. Tesla ist ein ideales Beispiel für das, was in der Klimagerechtigkeitsbewegung als »false solutions« bekannt ist: Eine Scheinlösung, die in Wirklichkeit keine Antwort auf die Klimakrise ist, sondern das Problem höchstens verlagert und dabei neue schafft.

Finanzmarkthype und Greenwashing

An der Börse wurde Tesla im Januar 2020 mit einem Wert von über 100 Mrd. Dollar gehandelt. Damit notierte das kalifornische Unternehmen höher als VW - und das obwohl der Wolfsburger Konzern mit seinen knapp 700.000 Beschäftigten über 10 Mio. PKWs im Jahr produziert und hohe Gewinne einfährt, während Tesla weniger als 50.000 Menschen beschäftigt und seit seiner Gründung 2003 noch nie einen Gewinn ausgewiesen hat. Tesla wird insofern auch von einer Spekulationsblase an den Finanzmärkten getragen, ähnlich wie viele Firmen aus dem Silicon Valley während des New Economy Booms vor dem Kriseneinbruch 2001. Viele der Ankündigungen von Tesla zu Investitionen in Beschäftigung und Produktion erwiesen sich in der Vergangenheit als weit übertrieben.

Wie auch immer das unternehmerische Geschick des charismatischen Elon Musk und die technische Innovationskraft seiner Forschungsabteilungen einzuschätzen sein mag: Die von Tesla geschürten Hoffnungen auf eine Lösung der ökologischen Probleme des Verkehrssektors durch elektrifizierten Individualverkehr sind haltlos.

Der Energie- und Ressourcenbedarf ist bei der Produktion von Elektroautos ungleich höher als bei Verbrennermotoren. Große Mengen an seltenen Mineralien wie Lithium oder Kobalt, abgebaut etwa in Chile und dem Kongo unter ökologisch wie sozial unerträglichen Bedingungen, werden für die Produktion der Batterien benötigt. Und solange die Energieversorgung nicht auf erneuerbare Quellen umgestellt ist, sondern (wie in Deutschland) zur Hälfte aus Kohle und Gas gewonnen wird, erweist sich auch der Betrieb der Fahrzeuge als nur geringfügig weniger emissionsintensiv als das Verfeuern fossiler Brennstoffe direkt in den Motoren. Der Strombedarf bei einer Umstellung der gesamten derzeit auf den Straßen bewegten Fahrzeugflotte wäre enorm.

Es ist bisher nicht ansatzweise absehbar, wie dies durch regenerative Quellen gedeckt werden soll, zumal die Energiewende hin zu Wind- und Solarenergie in Deutschland aus Rücksicht auf die Profitinteressen der fossilen Industrien in den letzten Jahren politisch massiv abgewürgt wurde (»Abstandsregel«, »Solardeckel«) - unter Inkaufnahme der Vernichtung zehntausender Jobs. Auch die Probleme bei Ladeinfrastruktur und Reichweite der Fahrzeuge sind nicht annähernd gelöst.

Bei den Tesla-Modellen »Y« und »3«, die in Grünheide gebaut werden sollen, handelt es sich um großräumige Luxuskarossen im Preisklassement ab 50.000 Euro. Es sind schnittige SUVs, die damit beworben werden, in rund 3 Sekunden von Null auf Hundert km/h zu beschleunigen. Also alles andere als massentaugliche und ressourcenschonende Kleinwagen.

Tesla bedient mit seiner Produktpalette, ähnlich wie die deutsche Konkurrenz von Porsche, BMW und Mercedes, vor allem das wachsende Bedürfnis vieler Angehöriger der gehobenen Klassen, sich auch im öffentlichen Raum durch Panzerglas und Chrom von der ungemütlichen Mitwelt abzuschotten. Es geht bei diesem Mobilitätsmodell insofern auch um die Verlängerung einer Kultur des Privatismus und des rücksichtslosen Statuskonsums für die oberen Schichten, die sich mit dem Tesla-Image des Nachhaltigkeits-Champions schmücken und so auch noch vom Makel der ökologischen Sünde entlasten möchten. Elon Musk hat seine Verachtung gegenüber öffentlichen Verkehrsmitteln und der in ihnen unvermeidlichen Begegnung mit Fremden aus allen Gesellschaftsklassen sogar bemerkenswert offen zur Schau gestellt.

Auch Gewerkschaftsfeindlichkeit und Löhne weit unter Branchenniveau wollen nicht so recht in das Bild von Tesla als sozial-ökologischer Visionsschmiede passen. Tesla ist eher Teil eines Elitenprojektes, in dem es darum geht, Lösungen für jene anzubieten, die sich perspektivisch in den Enklaven des Wohlstands einbunkern und dennoch mobil bleiben wollen.

Tesla und den »grünen« Kapitalismus jetzt angreifen!

Die Existenz und Dringlichkeit des Klimawandels ist - auch dank der Klimagerechtigkeitsbewegung - nicht mehr zu leugnen. Im Zuge dieser Diskursverschiebung wird es umso bedeutender, die Auseinandersetzung um unterschiedliche gesellschaftliche Projekte zum Umgang mit der sich abzeichnenden Katastrophe zu führen. Wir halten es deshalb für strategisch richtig, Tesla und andere Unternehmen, die prominent für die Illusion eines »grünen« Kapitalismus stehen, genau jetzt gezielt ins Visier zu nehmen, statt allein die Auseinandersetzung mit den alten fossilen Industrien zu suchen.

Das hat im Kontext der Automobilindustrie auch damit zu tun, dass hier nicht der »grüne« Kapitalismus den fossilen plötzlich ersetzen wird. Vielmehr wird die deutsche Automobilindustrie mit ihren engen Verflechtungen in die Politik weiter versuchen, ökologische bzw. klimapolitische Einschränkungen ihres Geschäftsmodells zu verhindern. Gleichzeitig setzt die kapitalistische Konkurrenz sie aber, wie beschrieben, bereits erheblich unter Druck. Perspektivisch wird die Automobilindustrie also parallel versuchen müssen, auf den Elektromobilitätszug aufzuspringen. Dafür wird sie dann vermutlich umfangreiche staatliche Förderung benötigen, die mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen gerechtfertigt werden, von denen in der Elektromobilität aber ohnehin nur ein Bruchteil benötigt wird.

Das Argument ist hier also nicht, die fossile Automobilindustrie als Klimabewegung aus der Verantwortung zu nehmen, sondern den Umbau hin zum elektrifizierten Individualverkehr als Scheinlösung anzugreifen, bevor dieser vollzogen ist.

Weniger Verkehr, mehr Mobilität für alle

In den Auseinandersetzungen um Tesla verdichtet sich also nicht nur das Ringen um technische Innovationspfade und die Verteilung des relativen Mehrwerts (also der durch Produktivitätsfortschritte ermöglichten Extraprofite) in der Automobilindustrie. Es geht bei solchen Weichenstellungen für oder gegen bestimmte Mobilitätskonzepte, Produktionsstandards und -normen immer auch um klassenspezifische Lebensweisen und die Ausgestaltung und Nutzung des öffentlichen Raumes insgesamt.

In diesem Sinne darf auch die heutige Auseinandersetzung um die Mobilität der Zukunft nicht auf technische Fragen reduziert werden. Sie führt vielmehr mitten ins Herz dessen, was wir mit dem Begriff der »Vergesellschaftung« im Bereich sozialer Infrastrukturen umschreiben: Der Kampf gegen die Verwertungsstrategien im Management von Tesla, VW und RWE muss verbunden sein mit dem Kampf für eine radikal-demokratische Aneignung und demokratische Steuerung der Produktion.

Eine Mobilitätswende wäre insofern zu verbinden mit dem Kampf für eine umfassende Demokratisierung von Arbeit und Produktion. Denn nur dann werden auch die in den betroffenen Unternehmen beschäftigten und indirekt von diesen abhängigen Menschen die notwendige Transformation und Schrumpfung nicht allein als Bedrohung ihrer Arbeitsplätze, sondern auch als Chance auf echte Mitgestaltung und mehr Lebensqualität durch Arbeitszeitverkürzung und andere gesellschaftliche Naturverhältnisse wahrnehmen.

Für eine solche Mobilitätswende müssten Stellen mit guten Arbeitsbedingungen im öffentlichen Nahverkehr geschaffen werden, nicht in einer grün-angepinselten Autofabrik, die der deutschen Überproduktion an Autos weitere 10 Prozent oben drauf setzen will. Natürlich braucht es auch weiterhin technische Innovationen für ressourcensparende Antriebe und Elektromobilität spielt dabei eine Rolle (Züge fahren seit langem elektrisch). Aber wir müssen auf einen klaren Bruch mit dem motorisierten Individualverkehr und kapitalistischer Profitsteuerung setzen – hier und heute.

Solche Forderungen wollen wir auch in aktuelle Initiativen für einen Ausbau von ÖPNV, Bahn und Radwegen als Teil einer umfassenden Verkehrswende einbringen. Aktive aus Fridays for Future vernetzen sich derzeit mit anderen Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung, um im Juli den bundesweiten Streik von ver.di im öffentlichen Dienst zu unterstützen und die Dringlichkeit öffentlicher Investitionen in eine nachhaltige Verkehrsinfrastruktur zu unterstreichen. Für die Gewinnung gesellschaftlicher Hegemonie dürfte entscheidend sein, ob es auch mithilfe solcher neuen Bündnisse gelingt, im öffentlichen Diskurs glaubwürdig die soziale und die ökologische Frage zu verbinden.

Autor*innen: Klima-AG der IL Berlin

Bild: Morten Schwend