Populismen – Gestern und Heute

In der Suche nach einer linken Klassenpolitik auf Höhe der Zeit, werden immer wieder Rufe nach einem linken Populismus laut. Toni Negri fragt sich, was hat es eigentlich auf sich mit einem linken Populismus? Wie verändert sich der Populismus in der Postmoderne und welche Vorstellung von Klasse verbirgt sich hinter ihm?

Populismus in der Moderne: die demagogische Einsetzung des Monarchen

Als ich jung war, in der Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg, gab es keinerlei Zweifel daran, dass der Populismus eine Sache der Rechten war, der extremen Rechten. Was Carl Schmitt 1933 in seiner der nationalsozialistischen Bewegung gewidmeten Schrift gesagt hatte, erkannten wir im Populismus wieder: ein Regime, in dem das Volk »von oben bis unten und in jedem Atom seiner Existenz von dem Gedanken des Führertums beherrscht und durchdrungen ist« und indem »(b)is in die tiefsten, unbewusstesten Regungen des Gemütes, aber auch bis in die kleinste Hirnfaser hinein, der Mensch in der Wirklichkeit dieser Volks- und Rassenzugehörigkeit (steht) «. (Carl Schmitt: Staat, Bewegung, Volk; Hamburg 1933, Seite 33 und 45, Anm. d. Ü.)

Konnte es einen »Populismus von links« geben, der – so wie wir es damals waren – in die Moderne eingelassen war? Wenn das Politische tief in der nationalen Souveränität und der kapitalistischen Hegemonie verankert war? Wir schlossen es aus. Und auch wenn der Populismus unübersehbar auftauchte, wie z.B. im »National-Popularen« der PCI (Kommunistische Partei Italiens, Anm. d. Ü.), so schätzten wir ihn als geringeres Übel ein, das allerdings nur wenig später größer wurde, als die PCI begann, ihren Klassencharakter schamlos zu verwässern und sich ausschließlich als »Partei des ganzen Volkes« zu präsentieren.

Die ersten Zweifel über die Möglichkeit einer anderen Einordnung des Populismus kamen angesichts der argentinischen Erfahrung mit der peronistischen Partei auf, die zunächst als para-faschistisch eingeschätzt und dann in zweifelhafter Weise als mehrdeutiges Modell einer para-demokratischen Struktur betrachtet wurde – vereinzelt und vorübergehend in der politischen Veränderung eines unterentwickelten Landes. Solange bis Laclau kam.

Zurück zu uns: Ab dem Ende des 19. bis ins 20. Jahrhundert hinein hatte es jedenfalls einen Populismus gegeben, der sich im Niedergang der Moderne durchgesetzt hatte und immer rechts gewesen war. In dreifacher Hinsicht war dieser eine Antwort auf die Krise des souveränen Staates in der Moderne.

Erstens: Als Abhilfe gegen das Unvermögen des Staates, zwischen der Vielfalt der Interessen zu vermitteln, zwischen den Widersprüchen und Antagonismen innerhalb einer Gesellschaft, die in den voll entwickelten Kapitalismus eingetreten war.

Zweitens: Als Versuch, diese Krise mittels des Glaubens in eine neue Legitimität zu überwinden, die in der Triade Volk-Nation-Vaterland verkörpert wurde.

Drittens: In der Anrufung der naiven und ehrlichen Werte des Volkes, des Ursprungsortes, gegen die Abstraktion der Arbeit und die Warenförmigkeit des Lebens sowie gegen die verbrauchten Strukturen der repräsentativen Demokratie konnte sich die Tatkraft eines fähigen Leaders auflehnen und die Subjekte zusammensetzen, ihren Bedürfnissen Ausdruck verleihen und ein politisches Projekt begründen. Es ist angebracht sofort hervorzuheben, dass sich im Zuge dieser Mission, im Voranschreiten des Populismus, alle erwähnten Elemente durchdringen und sich wechselseitig implizieren, in einem Kreislauf, aus dem es kein Entkommen gibt. Schauen wir auf die Verworrenheit des ersten Punktes, in dem der Populismus (der Moderne) sich als Antwort auf die immer größer werdende Schwierigkeit präsentiert, auf die Vielfalt der widersprüchlichen Interessen und Antagonismen zu antworten, die die voll entwickelte kapitalistische Gesellschaft repräsentiert. Das Projekt, eine Vermittlung herzustellen, das sich hier mit der Dringlichkeit verbindet, die Souveränität als Ort des Kommandos zu reaktivieren: Welche Erscheinungsform ist für die Übersetzung der Souveränität in die Leadership geeignet? Wenn wir uns auf die klassische Klassifizierung der Formen des Regierens beziehen (Monarchie/Aristokratie/Demokratie und deren »böse« Kehrseite Tyrannei/Oligarchie/Demagogie, die in komplementärer und zyklisch aufeinander folgender Beziehung zueinander stehen), so kann man sagen, dass wir hier der »bösen Seite« der Demokratie gegenüberstehen also an jenem Punkt, an dem im Zyklus der Formen des Regierens angesichts der demokratischen Krise, d.h. auf die Demagogie die Restauration der monarchischen Macht folgt. Der Populismus kann in diesem Fall als demagogische Einsetzung des Monarchen, der Macht eines Einzigen, klassifiziert werden.

Aber das bedeutet nicht, dass sich in diesem Fall die Dinge zum Besseren wenden würden. Die reductio ad unum der Souveränität eröffnet vielfache Widersprüche und unterschiedliche Aporien. Und deshalb, immer im Rahmen der Moderne, sucht die Anrufung der Leadership neue Legitimität mittels des Rückgriffes auf Volk/Nation/Vaterland. Eine solide Sache, wo Ortung und Ordnung (Deutsch im Original, Anm. d. Ü.), Nation/Boden und Ordnung übereinstimmen und sich die Macht als Körper des Souveräns zeigt. So lobpreist man im Populismus eine leviathaneske Konzeption der Macht (weit jenseits des Begriffes bei Hobbes): eine organische Potenz, eine Kraft ohne Beziehung, die nur außerhalb ihrer Selbst Grenzen findet. Es ist jedoch einfach zu sehen, wie auch in dieser Passage die legitimierende Anrufung vielfältige Widersprüche hervorbringt. Was ist das Erkennungszeichen der Anrufung der populistischen Triade? Diese kann materiell sein (die Tradition, die Sprache, die Anthropologie und die Lebensformen, wie es Carl Schmitt will), oder sie kann sich auch in Verhältnissen der souveränen und charismatischen Hegemonie/Ausnahme zeigen (wie Laclau behauptet). D.h. sie kann reaktionär oder konservativ sein, zur Barbarei der Traditionen und des Rassismus hinführen und zu jener des Krieges, oder auch ganz einfach ein Identitätsangebot sein und offen für fortschrittliche Zeichen der souveränen Hegemonie. Alles in allem bewegt sich das zweite Gesicht des Populismus (unter dem Regime der Moderne) als Figur des Regierens und politischen Zusammensetzens, die sich auf das »Volk« beruft, zwischen souveräner Ausnahme und souveränem Formalismus – Figuren, die jedenfalls instabil und oszillierend sind und in Richtung Nihilismus schlittern, dem charakteristischen Kennzeichen des Endes der Moderne.

Am Ende dieses ersten Durchlaufes können wir also den Schluss ziehen (und diesen durch einige Analysen des Populismus in Lateinamerika wie in Europa erhärten, um verschiedene Perspektiven miteinzubeziehen), dass der Populismus eher ein Anzeichen der Krise als ihrer konsistenten Überwindung ist. Er ist eher ein Problem als ihre Lösung. Wenn der Populismus von rechts als reaktionäres Angebot entsteht, um die Widersprüche der Ausübung der Souveränität zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert in krisenhaften Regimen des voll entwickelten Kapitalismus zu blockieren, so bringt er in seiner Neuauflage am Ende des 20. Jahrhunderts unrealistische Figuren der Legitimation und der Rechtswirksamkeit hervor.

Der Populismus der Postmoderne: ein Gespenst ohne Substanz

Dennoch müssen wir darauf schauen, ob dieser Populismus (im Besonderen jener von links) nicht ein Symptom anderer Entwicklungen ist und ihn als solchen analysieren, der methodischen Anregung von Althusser folgend, die das Symptom entweder als Zeichen der Realität oder der Verfälschung derselben ansieht. Der Populismus scheint sich tatsächlich, wie wir sehen werden, quasi als Effekt mit paradoxen Konsequenzen darzustellen und sich bisweilen als spezifischer und mystifizierter Hinweis auf das Wiedererscheinen des Politischen angesichts der Produktionsweise in der Postmoderne zu konfigurieren – und ich möchte sagen, angesichts des Gemeinsamen. Wenn wir uns auf diese letzte Mystifikation des Symptoms beziehen, die den Populismus durchzieht, speziell den linken Populismus, so ist es möglich, ihn zu analysieren und das Symptom zu erkennen, zu wenden und zu bekämpfen.

Heute existieren also die Bedingungen nicht mehr, die den Populismus in der Moderne haben entstehen lassen. Der Populismus, der sich heute in der Postmoderne (im Postfordismus und im digitalen Zeitalter) auf der politischen Bühne zeigt, ist ein müder Abklatsch jenes Populismus, der sich in der Moderne entwickelte und schließlich zum Faschismus führte. Er ist ein Gespenst ohne Substanz. Warum? Im Wesentlichen, weil die Widersprüche im souveränen Staat der Moderne, die der Populismus in Begriffen der Leadership zu vermitteln und/oder zu lösen versuchte, strukturelle Widersprüche geworden sind. Der Niedergang der Mittelschicht und die Auslöschung der Zivilgesellschaft nicht weniger als die digitalen und gesellschaftlichen Metamorphosen der Arbeit und das Auflösen der alten korporativen Verbände (inklusive jener, die die Arbeiter*innenklasse repräsentierten) bestimmen eine soziale Konfliktualität und einen gesellschaftlichen Antagonismus, angesichts derer der populistische Vorschlag nur die Produktion von illusorischen Lösungen vervielfachen kann. Wo das politische Subjekt zerbrochen ist, kann die Möglichkeit entstehen, demagogisch eine Leadership einzusetzen. Aber die Situation kann weder als stabil eingeschätzt, noch die Widersprüche als gelöst angesehen werden. Wo der Populismus auf der Partizipation insistiert, verursacht die Multitude (das zerbrochene und vervielfachte Subjekt) Effekte der Entmachtung (man sieht z.B. das Sinken der Wahlbeteiligung und viele andere ähnliche Aspekte zum aktuellen politischen Zeitpunkt). Ebenso kann man, was die Wirksamkeit der populistischen governance betrifft, festhalten: Hier erkennt die Multitude (das fragmentierte und vervielfachte Subjekt) die Wirksamkeit der souveränen Handlung als Faktor des politischen Gleichgewichtes in der Konfliktualität zwischen gesellschaftlichen Kräften nicht an (z.B. kann man in dieser Hinsicht heftige Kämpfe um die »Arbeitsgesetze« in Europa feststellen). Und sobald der Populismus versucht, das zerbrochene und vervielfachte Subjekt in ein immer engeres konstitutionelles Kleid zu zwingen, erleben wir einen gigantischen Exodus der Multitude aus den Strukturen der politischen Organisation des Lebens (infolgedessen kommt es z.B. zu den Polizeigesetzen und den »Ausnahme«-Gesetzen).

Wenn dann der Populismus versucht, eine neue Ordnung der Legitimation zu produzieren, aufgebaut auf Volk/Nation/Vaterland, so scheint auch diese Operation wenig realistisch. Wo soll die Leidenschaft/Nation im Rahmen des globalen Marktes ihren Platz finden und welche Bedeutung soll ihr zukommen? Wo ist das Vaterland noch nach den zwei großen Kriegen des 20. Jahrhunderts und im nuklearen Zeitalter? Und im Hinblick auf die Globalisierung: Sind die Bedingungen, unter denen diese vollzogen wurde, vielleicht reversibel? Und was soll man zu solchen Positionierungen angesichts der ökologischen Frage sagen? Es ist klar, dass die Antwort auf diese Fragen nur negativ ausfallen kann.

Diese Negativität wird natürlich relativiert. Tatsächlich existieren wichtige Bewegungen und diffuse individuelle Verhaltensweisen, die sich in Abgrenzung zur Globalisierung entwickeln und großes Vertrauen demonstrieren. Nicht so sehr in die Erneuerung von »nationalen« Machtstrukturen, sondern in die Möglichkeit, ausgehend von nationalen Bedingungen innerhalb der globalen Dimension Kämpfe zu entwickeln und Resultate zu erzielen. Es wäre blind, diese Handlungsmöglichkeiten zu negieren, die aktuell sogar im Anwachsen begriffen sind. Gleichzeitig muss man sich jedoch vergegenwärtigen, dass diese Kämpfe von der globalen Bühne gerahmt werden. Es ist wichtig anzumerken, dass ganz im Gegensatz zu der Vorstellung, es gäbe keine politischen Möglichkeiten mehr, wenn das nationale und souveräne Regime der Moderne zusammengebrochen ist, die Krise als Raum der allgemeinen Reorganisierung des globalen Systems wahrgenommen werden muss: Die Globalisierung ist eine Chance, kein Nachteil.

Der Populismus von links: die – mystifizierte – Kehrseite des Gemeinsamen

Wohlwollend interpretiert, wie wir es tun wollen, schlägt der »Populismus von links« heute zuallererst die Vertikalität der Leadership vor. Wovon ist dieser Anspruch Symptom? Von einer neuen Wahrnehmung des Umstands, dass die demokratische Legitimität auf einem »Volk« beruht, das materiell gesehen eine mächtige Vielfalt ist, ein kommunikativer horizontaler Zusammenhang, eine Menge von Singularitäten. Es geht nicht einfach darum, die Vielfalt zu vereinheitlichen, sondern darum, die Horizontalität, die Menge der Singularitäten unter der Vertikalität des Kommandos zu subsummieren. Und so widersetzt sich das populistische Kommando der horizontalen Form, in der die Bewegungen von 2011 die Kämpfe sowie Besetzungen organisiert und sich zugunsten der Leaderless und gegen Repräsentanz und politische Hierarchien ausgedrückt haben. Der linke Populismus transformiert folglich das Phänomen Leaderless (es sei uns erlaubt, die Überlegungen in dieser Weise abzukürzen) in sein Gegenteil und betrachtet die Verweigerung der Repräsentanz (der politischen Kaste, eines verknöcherten politischen Systems etc.) sowie der »Autonomie des Politischen« als Rohstoff einer »rousseauanischen« Transformation der Vielfalt in den souveränen Einen.

Wie auf diese Operation reagieren? Indem wir darauf pochen, dass diese Horizontalität, die die Kämpfe hergestellt haben, nicht in autoritärer Weise mystifiziert und reduziert werden kann. Diese Horizontalität erfordert es, jede gesellschaftliche Legitimität in politischen Projekten zu gründen, die von den Bewegungen der Multitude vorangebracht werden. Jede politische und gesellschaftliche Strategie kommt von den Bewegungen und kann nicht enteignet werden. Die vertikale Transfiguration der Vielfalt mystifiziert, wieviel Neues und Starkes es in der Gestalt der Bewegungen heute gibt: das Faktum, dass sie die politische Strategie in sich selbst enthalten und versucht werden muss, diese in »nicht-souveränen Institutionen« zu organisieren, aufzubauen und zu entwickeln. Im Fehlen der Einheit in der »Menge der Singularitäten« der Multitude (als die sie von unten sichtbar ist, wohingegen sie von oben als fragmentiertes Subjekt wahrgenommen wird) lebt vielmehr das Begehren, eine plurale und kooperative Ontologie von politischen Koalitionen zu bilden. Viele Bewegungen sprechen deshalb in Begriffen der Interrelationalität, der unbeständigen und mächtigen Verknüpfungen von Forderungen, Kämpfen und Institutionen: So organisiert sich die neue Macht der Multitude.

Hier liegt außerdem ein weiterer symptomatischer Ansatz, der in den Analysen des linken Populismus durchlaufen werden muss, um darin eine weitere Mystifikation zu enthüllen. In der Hartnäckigkeit, mit der dieser die Diskurse über die Werte des Volkes (Nation/Vaterland) vorantreibt, können sicherlich widerwärtige identitäre und rassistische Impulse erkannt werden. Aber es gibt auch eine verschwommene gemeinschaftliche Wahrnehmung, die hier begriffen und kritisiert werden soll, weil es nichtmöglich ist, weder den Protest gegen die Herrschaft der Finanz über das Leben, noch die Denunzierung der wachsenden Entfremdung, der die lebendige Arbeit in der Ausbeutung/Extraktion ihres Wertes unterworfen ist zu verhöhnen. Es dürfte nicht schwierig sein, hinter diesen Leiden des »Volkes« die finstere Annahme einer ziemlich komplexen und wohldefinierten Operation zu erkennen: jene des Geldes, des Finanzkapitals, das das Gemeinsame – die kollektive assoziierte Arbeit – ausbeutet und der biopolitischen Menge der Natur und der Gesellschaft Wert entzieht. Der Populismus übersetzt hier die kooperierenden Vielfalten in ein einheitliches Ungeheuer, dem es nichts anderes als die Transfiguration im Identischen, im abstrakten Äquivalent des Volkes anzubieten weiß. Er wiederholt die Illusion des dialektischen Spiels, das die Verfälschung der Wirklichkeit in der Beschreibung der Ausbeutung durch das Kapital immer wieder erneuert. Wenn wir diese Operation kritisieren, so erkennen wir jedoch die darin wirksame Aktualisierung, die diese (von kapitalistischer Seite) bürgerliche Mystifikation in der Identifikation des neuen Subjektes der Ausbeutung vollbringt: die Multitude, die von der Produktionsweise des Gemeinsamen angetrieben wird.

Ist unsere Einschätzung des postmodernen Populismus zu wohlwollend? Vielleicht. Jedenfalls ist es nützlich, sie zu entwickeln, weil sie nicht nur zur formalen Entmystifizierung dieses dialektischen Prozesses führt. Sondern auch zu einer sukzessiven und viel wichtigeren Vertiefung der Kritik. Im Sinne der Enthüllung dessen, was erscheint, wenn das Spielbrett umgedreht wird: die Dringlichkeit einer Politik der Wiederaneignung eben dieses Gemeinsamen, um es vonseiten der Multitude der ausbeuterischen Ordnung der Finanzwelt zu entreißen, vonseiten der Menge der mächtigen Subjektivitäten, die die Multitude konstituieren. Den Staat demaskieren und all die verqueren Fiktionen, die der Populismus bereithält, durch das Organisieren des Gemeinsamen unter konstituierenden Rahmenbedingungen, die kooperativ sind und nicht auf Eigentum abheben.

Eine Politik der Solidarität und des Gemeinsamen

Ein letztes Kapitel. Es gibt ein charakteristisches Merkmal des postmodernen Populismus (das auch im linken Populismus versteckter vorhanden ist) und zwar das sich Gemeinmachen mit dem Neoliberalismus. Was ist gemeint? Wir sehen es in den »zentristischen« Versionen des Populismus (heute besonders lebhaft bei: Macron, 5-Sterne-Bewegung und – vielleicht – bei Ciudadanos), wenn die liberale Mythologie der Leistung, des Marktes und des Unternehmungsgeistes den kleinen und großen Fesseln entgegengesetzt wird, die dem Markt von der alten Gewerkschaftsbewegung und den Interessensorganisationen der Lohnabhängigen auferlegt werden. Aber wie geschieht dies? Indem eingefordert wird, der Arbeit, der harten Arbeit des Volkes den Verdienst zuzuerkennen, den Reichtum zu schaffen und zu den staatlichen Finanzen, zu den Steuereinnahmen beizutragen. So werden die Individuen mittels der Arbeit zum Volk – eine Arbeit, die in der Einheit des Volkes Reiche und Arme koordiniert, Unternehmer*innen und Ausgebeutete, Kommandierende und Kommandierte. Die Regeln dieser Arbeit sind nicht mehr und nicht weniger als die Regeln des Kapitalismus, des Lebens unter dem Kapitalverhältnis. Aber heute taucht ein Missverhältnis auf, oder besser es erscheint eine Phasenverschiebung, ein Riss in der Aufteilung der gesellschaftlichen Arbeit zwischen Unternehmer*innen und Ausgebeuteten, oder besser zwischen fixem Kapital und lebendiger Arbeit. Diese Phasenverschiebung besteht in dem Faktum, dass sich die lebendige Arbeit in der Form der Kooperation zeigt. Die Entwicklung der Wissenstechnologien und die gesellschaftliche Expansion der Produktionsweise – das der Arbeit unterworfene Leben – zeigen die Arbeit nicht mehr einfach als gesellschaftliche Kraft, die vom Kapital organisiert wird, sondern als gemeinsame Kraft, die die Subjektivierung der lebendigen Arbeit verbindet und verdichtet. Die gemeinsame lebendige Arbeit widersetzt sich der kommandierten Arbeitskraft (in den Formen der marktförmigen Individuation). Die Innovation, der Unternehmungsgeist, das Wachstum des Vermögens der lebendigen Arbeit residieren also außerhalb der kapitalistischen Organisation der Produktion (und somit des Volkes, das arbeitet). An diesem Punkt wird der Populismus als Mystifikation des Unternehmungsgeistes der Multitude, des Gemeinsamen, der lebendigen Arbeit erkennbar.

Und nur an diesem Punkt kann eine »Politik der Klasse« vorgeschlagen werden. Im Vorantreiben eines Weges, der über den Populismus hinausgeht und zum einen dessen Unzulässigkeit in der Postmoderne unterstreicht: daraus folgt, dass der Populismus einfach gewendet werden muss. Und zum anderen ist der Hinweis auf eine Politik der Solidarität und des Gemeinsamen, die der Populismus anregt gut und nützlich. Auf diesem Terrain würde nun, gegen den Vorschlag der populistischen Leadership, das Maximum an basisdemokratischer Opposition entwickelt. Auf dem gesellschaftlichen Terrain Gewerkschaftskämpfe, Welfare-Kämpfe, gesellschaftliche Streiks; auf dem institutionellen Terrain kommunale und föderalistische Vorschläge; auf dem konstitutionellen Terrain von Vorschläge für Institutionen der Gegenmacht und für die horizontale Organisierung von Vorschlägen und von Kontrolle. Es geht darum, der Multitude das weitmöglichste Terrain zu verschaffen, auf dem der Einsatz der Aporie der Vielfalt in Erfahrungen des Umschlagens jeder Ideologie des Identischen und des Einen transformiert werden kann. Ohne jemals die Verweigerung der Leadership mit der Verweigerung der Organisierung zu verwechseln. Zum zweiten Punkt, d.h. dazu, woher die Legitimation kommt, die auf dem nationalen Terrain gesucht wird, müssen Abläufe und Momente der internationalen und kontinentalen Organisierung vorbereitet werden. Und hinsichtlich des dritten Themas, d. h. einem Programm und alternative Erfahrungen des Gemeinsamen. Die zwei großen Erfahrungen der Kämpfe mit den Migrant*innen und der Kämpfe der neuen Frauenbewegung müssen an diesem Punkt hervorgehoben werden. Der Schlüssel, der hier zu verwenden ist, liegt in der intersektoralen Koordination, in der Verbindung der Bewegungen der Multitude.

In den Theorien über Souveränität werden Klassifizierungen ihres Wesens in Bezug auf die drei Funktionen des »Nehmens«, des »Teilens« und des »Produzierens« getroffen. Nun, in jener Zeit, die sich uns präsentiert, setzen wir gegen den Populismus im »Nehmen» die horizontale Ausübung der Macht der Multitude gegen die souveräne Vertikale; im »Teilen« die Verbindung des Gemeinsamen gegen das hypostasierte »Volk«; und im »Produzieren» den Unternehmergeist der Multitude und die »Verweigerung der Arbeit«, die vom Kapital organisiert wird.

Toni Negri

Diese Bemerkungen wurden für die Tagung über Populismen vorbereitet, die von 16. bis 18. Juni 2017 in Rom stattfand. Danach wurden sie ergänzt, um die Diskussionsprozesse wiederzugeben. Der Text erschien zuerst unter dem Titel "Populismi di ieri e di oggi" auf EuroNomade

Übersetzung: Renate Nahar

Bild: CC BY 2.0 KY State Fair 2013 von Jason Meredith