Es geht schon lange nicht mehr nur um Bäume! Der Kampf gegen das Murkraftwerk in Graz

Energie-Kämpfe sind Klassenkämpfe! Was im globalen Süden augenscheinlich ist, scheint hierzulande teilweise noch schwer vermittelbar. Wie scheinbar konservative oder reformistische Kämpfe auf das große Ganze verweisen, diskutieren Nanni + Hofmann von der IL Graz am Beispiel des Murkraftwerks in Graz. Ihr Plädoyer: weder »grau« noch »grün«, sondern Demokratisierung und Commoning.

Seit einigen Jahren wird gegen den Bau eines Wasserkraftwerks im Süden der steirischen Landeshauptstadt mobilisiert. Wiederholt sind tausende Grazer*innen auf die Straße gegangen, um gegen die Zerstörung des letzten freien Fließstücks der Mur zu protestieren. Als die Bauarbeiten im Februar 2017 begannen, haben sich dutzende Aktvist*innen quergestellt, die Baustelle zeitweilig besetzt und die Bagger blockiert.

Zwar gilt eine dezentrale und kleinstrukturierte Nutzung der Wasserkraft gemeinhin als nachhaltige Form der Energiegewinnung und demzufolge als wichtig für den Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter. Allerdings geht es in den Protesten, die neben Umweltschutzverbänden und Bürger*inneninitiativen auch von Teilen der Linken und der radikalen Linken getragen werden, um mehr als »bloß« die Rettung der gefährdeten Flora und Fauna. Die Bewegung gegen das Murkraftwerk ist zugleich Teil der globalen Klimabewegung und der vielfältigen Kämpfe um Energie, wie beispielsweise die Bewegungen gegen Fracking, gegen Atomkraft oder gegen den jüngst wieder forcierten Abbau von Kohle. In Österreich spielt die Kohleförderung keine Rolle und die Nutzung von Atomkraft konnte Ende der 70er Jahre erfolgreich verhindert werden. Die Fracking-Projekte im Nordosten des Landes liegen aufgrund lokaler Proteste und der (noch) zu hohen Förderkosten im Moment auf Eis. Kämpfe um Energie sind in Österreich daher vor allem Kämpfe gegen die Wasserkraft. Das mag mancherorts für Irritationen sorgen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass auch in der Linken hinsichtlich der Bearbeitung der Klima- und Energiekrise häufig technizistische Lösungsmodelle vorherrschen und man meint, dass diese Krisen durch eine andere energetische Grundlage – den Wechsel von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern – bewältigbar wären.

Über Energie-Kämpfe zum großen Ganzen

Ein Blick in den globalen Süden reicht, um die Perspektive zu verschieben. Kämpfe gegen Wasserkraftwerke und Staudämme lassen sich seit Jahrzehnten insbesondere in Süd- und Mittelamerika beobachten, in Chile, Mexiko, Bolivien, Guatemala, Brasilien, Kolumbien etc. Natürlich ist das Murkraftwerk in Graz nicht mit Megaprojekten wie z.B. dem Bela-Monte-Wasserkraftwerk in Brasilien vergleichbar, welches mit 11 Gigawatt Leistung bald das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt sein wird und die Lebensgrundlagen von 40.000 Menschen – insbesondere der indigene Bevölkerung – zerstört. Man kann an diesen internationalen Auseinandersetzungen um Wasserkraft aber sehen, dass auch die Fraktionen des »grünen« Energiekapitals bereit sind, zum Zweck der Profitmaximierung über Leichen zu gehen und katastrophale Folgen für Mensch und Natur in Kauf zu nehmen. (Detail am Rande: Der Grazer Turbinenhersteller Andritz AG beliefert sowohl das Murkraftwerk als auch das Belo-Monte)

An erster Stelle muss deshalb immer die Frage nach den gesellschaftlichen Verhältnissen stehen und erst in einem zweiten Schritt kann nach den stofflichen Grundlagen eben dieser gefragt werden. Ein Blick in die Entstehungsgeschichte des Kapitalismus macht das deutlich. Die kapitalistische Produktionsweise wurde nicht in englischen Kohlebergwerken abgebaut, noch sprudelte sie aus texanischen oder saudischen Ölquellen, sondern der Kapitalismus bediente sich nachhaltiger Energiequellen, er wurde durch Holz befeuert und durch die Nutzung von Wind- und Wasserkraft angetrieben.

Die Energiefrage war und ist für den Kapitalismus, wie auch für jede andere Gesellschaftsformation, von entscheidender Bedeutung. Wir können auf Autos verzichten und diese nicht mehr produzieren, aber wir würden noch immer Energie brauchen, um individuelle und gesellschaftliche Mobilität zu ermöglichen. Energie-Kämpfe berühren demzufolge immer grundlegende Fragen und Umweltbewegungen mögen »für sich« häufig konservativ und reformistisch sein, weil es nur allzu oft bloß um die Verhinderung eines bestimmten Projekts geht. Gleichzeitig bekommen diese Bewegungen aber »an sich« schnell eine Dynamik, die über die Verhältnisse hinaus weist, weil sie den Kern kapitalistischen Wirtschaftens, die »Akkumulation um der Akkumulation wegen«, angreifen.

Kraftwerk und Krise

Der Bau des Murkraftwerks muss deshalb vor dem Hintergrund der Krise in Österreich betrachtet werden. Jedoch: Die einfache Rechnung, dass die Firma Energie Steiermark das Kraftwerk baut, um entsprechende Profite zu generieren, geht hier nicht auf, denn rein betriebswirtschaftlich betrachtet macht das Kraftwerk keinen Sinn. Auch wenn sie die Baukosten auf rund 80 Millionen halbieren konnten, weil die Kosten des für das Kraftwerk notwendig gewordenen »Zentralen Speicherkanals« nun zur Gänze von der Stadt Graz übernommen werden, sind die Strompreise im Moment so gering, dass das Murkaftwerk auf absehbare Zeit nicht gewinnbringend betrieben werden kann.

Um zu verstehen, warum dieses Kraftwerk gebaut werden soll, ist es daher notwendig über enge betriebswirtschaftliche Überlegungen hinaus zu gehen. Die Krise ist für die österreichische Wirtschaft noch lange nicht ausgestanden, sondern bisher bestenfalls rausgezögert worden. Strabag und Porr, die beiden größten Baukonzerne des Landes – und die einzigen, die große Infrastrukturprojekte überhaupt stemmen können – schrieben in den letzten Jahren ebenso Verluste wie die österreichischen Banken und Versicherungen, die wichtige Unternehmensanteile halten. Diese Konzerne haben also ein sehr großes Interesse daran, dass nicht nur das Kraftwerk, sondern auch der dafür notwendige Speicherkanal gebaut wird.

Diese Form der Krisenbearbeitungsstrategie erleben wir weltweit. Besonders jene Teile des Kapitals, die – um es mit Marx zu sagen – eine hohe organische Zusammensetzung, also große Maschinen und wenige Beschäftigte haben, dürfen nicht brachliegen. Unabhängig vom gesellschaftlichen Nutzen sie besonders stark »akkumulieren um zu akkumulieren«. In Österreich bedeutet das eben, dass Tunnel in den Semmering und durch die Koralm gegraben, Flughäfen vergrößert und Kraftwerke in die Landschaft gesetzt werden. Neben der fortgesetzten Austeritätspolitik und einem neuerlichen Run auf Land und Ressourcen sind es vor allem gigantomanische Infrastrukturprojekte, mit denen sich der Kapitalismus weltweit an den Haaren der betroffenen Bevölkerung aus dem Schlamassel ziehen möchte.

Perspektiven antikapitalistischer Energiepolitik

Das Murkraftwerk berührt eine ganze Reihe von Fragen, die im Zentrum von gegenwärtigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen stehen, hier aber aus Platzmangel nicht ausgeführt werden können. Ausgehend von der Bewegung gegen das Murkraftwerk lassen sich aber einige Punkte für eine linke Strategiedebatte zum Thema Energie und antikapitalistischer Energiepolitik ausloten.

Dabei spielen zunächst die Eigentumsverhältnisse der Energieproduktion und insbesondere die Grenzen »öffentlichen« Eigentums eine zentrale Rolle. Die »alte« Linke klammert sich gerne noch an die Vorstellung, dass durch die Verstaatlichung von Infrastruktur gesellschaftliche Widersprüche aufgelöst werden könnten. Am Murkraftwerk wird aber deutlich, dass die Eigentumsform alleine das nicht zu leisten vermag, denn, welche Ironie der Geschichte, wäre die Energie Steiermark zur Gänze privatisiert worden, würde sie dieses Kraftwerk (im Moment) aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht bauen. Das Kraftwerk macht deutlich, dass es einer weitergehenden Vergesellschaftung, oder, wenn man so will, der Schaffung von »Commons«, von Gemeingütern, bedarf. Es ist nicht nur die Form, die es zu verändern gilt, sondern auch die gesellschaftlichen Prozesse, also das »Commoning«, das gemeinsame Aus- und Verhandeln über die Produktion und Distribution von Energie, die radikal verändert werden müssen.

Hinzu kommt, dass die Frage nach der Energieproduktion auch eine Klassenfrage ist: Nach der (noch nicht abgeschlossenen) Aufwertung der proletarischen Viertel Lend und Gries und der Verbauung ehemaliger Industrie- und Gewerbeflächen orientiert sich die Immobilienbranche zunehmend in den Westen und den Süden der Stadt Graz, also zu den proletarischen Zonen rund um das Kraftwerk. Hier soll nun kräftig »entwickelt« und kommodifiziert werden. Dort, wo angeblich bis dato nichts war, weil das kostenlose proletarische Vergnügen am Fluss spazieren zu gehen oder – fernab der stets kontrollierenden Ordnungswache – ein paar Bier zu trinken, nicht zählt, soll nun ein »Naherholungsgebiet« als Aufwertungsprojekt entstehen. Diese Rechnung wird der Grazer Bevölkerung mittels Umverteilung von Steuergeldern zu Großkonzernen sowie einer mutmaßlichen Erhöhung der Strompreise, die sich laut Schätzungen aus der Unwirtschaftlichkeit des Kraftwerks zwangsläufig ergibt, obendrein noch selbst präsentiert. Sozial schwächere Haushalte sind davon ungleich schwerer betroffen: Einerseits, weil das hausgemachte Budgetdefizit als Legitimationsdiskurs für Sozialkürzungen instrumentalisiert zu werden droht, andererseits, weil die Belastung durch steigende Strompreise für kleine Haushalte überproportional höher ausfällt.

Last but not least macht der Kampf gegen das Murkraftwerk deutlich, dass sich linke Energiepolitik nicht auf die Forderung nach erneuerbarer Energie beschränken darf. Kampagnen wie Ende Gelände sind von enormer Wichtigkeit für die Konstituierung einer europäischen Klimabewegung und bilden auch hier in Graz positive Bezugspunkte für vielfältige Widerstandspraktiken in Verbindung mit Energiekämpfen. Solange die Kritik aber in der Dichotomie zwischen »grauer« und »grüner« Energieproduktion verhaftet bleibt und nicht die Demokratisierung und Commonisierung in den Blick nimmt, wird die Zerstörung von natürlichen Lebensgrundlagen unter dem Deckmantel der »guten« grünen Energie weitergehen. Was die diskursiven Strategien betrifft, macht es diese Dichotomisierung, und das erleben wir gerade auch innerhalb der Linken, ungeheuer schwierig, Proteste gegen Wasserkraft überhaupt zu vermitteln – sichtbar etwa im Vorwurf »Aber Atomkraftwerke wollt ihr doch auch keine!«. Es muss heute darum gehen, eine breite, transnationale Klimabewegung gegen die durch das Kapital organisierte Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen gemeinsam mit allen Betroffenen aufzubauen. In Südamerika gibt es mit der MAB („Bewegung von Menschen, die von Staudämmen betroffen sind“) bereits Versuche in die Richtung. Anstatt diese Perspektive für kurzfristige Mobilisierungserfolge zu opfern, weil die Forderung nach erneuerbaren Energien in unseren Breitengraden anschlussfähiger ist, sollten wir uns auf diese Kämpfe beziehen und in unseren Forderungen sichtbar machen.

Die Autor*innen Nanni + Hofmann sind in der Interventionistischen Linken Graz organisiert.

Bild: Interventionistische Linke Graz