von Internationalismus tags Internationalismus Arbeit Organisierung Datum Nov 2022
zuVom 9. bis 11. September 2022 kamen kapitalismuskritische Initiativen aus ganz Europa zum Transnational-Social-Strike-Treffen in Sofia zusammen. Der Autor Hans berichtet von den Kämpfen der bulgarischen Linken und den Diskussionen über ein transnationales Netzwerk.
Vom 9. bis 11. September 2022 fand wieder ein Transnational-Social-Strike-Treffen (TSS-Treffen) in Sofia statt. Die Zusammenkünfte gibt es seit 2015, wobei das erste Treffen am Rande von Blockupy abgehalten wurden. Auf den Treffen kommen kapitalismuskritische Initiativen aus ganz Europa zusammen von Basisgewerkschaften wie Solidaires aus Frankreich über linksradikale Bündnisse wie die Interventionistische Linke oder Plan C bishin zu Gruppen wie Angry Workers of the World aus Großbritannien. Es nehmen darüber hinaus auch viele Einzelpersonen teil. Das Treffen in Sofia war das erste seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie in Europa. Die feministische Gruppe LevFem aus Bulgarien organisierte das Treffen und leistete auch währenddessen enorm viel Reproduktionsarbeit inklusive einer sehr spannende Stadtführung durch das ehemals realsozialistische Sofia. Hierfür möchte ich mich an der Stelle bedanken!
Die Genoss*innen auf dem Treffen teilen die grundlegende Ansicht, dass in der heutigen polit-ökonomischen Situation die Linke ihre Kampfarena über die Grenzen des Nationalstaats hinaus erweitern muss, wenn sie die Interessen der Unterdrückten erfolgreich durchsetzen will. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg. Wichtiges Thema des Treffens war zum einen der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine im Zuge einer neuen globalen Blockbildung zwischen den imperialistischen Großmächten. Bedeutend für die Teilnehmenden waren vor allem die politökonomischen Folgen für die Bevölkerungen der europäischen Staaten wie Inflation und die Kriegskosten, für die nun die europäische Arbeiter*innenklasse aufkommen soll. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Lage von Frauen und LGBTQ+ sowie Migrant*innen im Krieg. Zum anderen fanden Diskussionen zu der sich immer weiter zuspitzenden Klimakrise statt, wobei auch die negative Auswirkung des Krieges für das Weltklima hervorgehoben wurde. Für uns war insbesondere der Austausch mit Genoss*innen aus osteuropäischen Ländern zu diesen Fragen wichtig, die etwa zum russischen und EU-Imperialismus ein anderes Verhältnis haben als wir, also Bewohner* des europäischen Hegemon Deutschland. Im Folgenden werde ich zunächst auf die Situation der Linken in Bulgarien eingehen, da ich glaube, dass die dortige Situation in Deutschland weitgehend unbekannt ist, und zugleich Bezüge zu den Debatten auf dem TSS-Meeting herstellen. In einem zweiten Teil werde ich mich einer Kritik des Treffens widmen.
Zu den Kampfbedingungen der bulgarischen Linken
Bei der Darstellung der politischen Situation in Bulgarien beziehe ich mich nur auf die Erfahrungen, die Genoss*innen der feministischen Gruppe LevFem und der arbeitskampforientierten Gruppe Konflikt mit uns geteilt haben. Bulgarien war seit dem Ende des WK II Teil des imperialen Blocks der Sowjetunion gewesen. Die Vertreter*innen des realsozialistischen Regimes leiteten im Zuge der Massenproteste im Ostblock 1990 Wahlen ein, wobei die Proteste in Bulgarien kleiner waren als in anderen Staaten. Wie in den meisten anderen Ostblock-Staaten ging die postsozialistische Transformation Bulgariens mit einer enormen Deindustrialisierung und dem Verlust von Arbeitsplätzen einher. Die Reformen, die im Zuge Bulgariens EU-Beitritts 2007 stattfanden, sorgten für eine weite Privatisierung öffentlicher Infrastrukturen. Mehrere Genoss*innen aus ehemaligen Ostblock- und Sowjet-Staaten beschrieben die Erfahrungen der Einführung des Kapitalismus als sehr schmerzhaft. Hierbei wurde sowohl von Genoss*innen aus Mitgliedsstaaten als auch aus Beitrittskandidat*innen massive Kritik an der EU und ihrer Anforderungen an die Staaten geübt. Konkret kritisierten Genoss*innen aus Georgien von Solidarity Network Georgia etwa die Freihandelspolitik der EU. Ein Genosse aus Belgrad bezeichnete Serbien vor dem Hintergrund der noch geforderten Reformen als einen Kindergarten Europas.
Bulgarien befindet sich seit mehreren Jahren in einer politischen Krise, die sich in ständigen Neuwahlen äußert. Das politische Klima in dem Land ist rechts. Auftrieb erhält die Rechte in jüngster Zeit, weil sie die sogenannte Flüchtlingskrise politisch nutzen kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Bulgarien ein Nachbarland der Türkei ist. Aus Sicht der Genoss*innen gibt es in Bulgarien keine linke parlamentarische Kraft. Die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP), die Nachfolgeorganisation der kommunistischen Partei, war seit den 1990ern eine treibende Kraft hinter den neoliberalen Reformen und machte in den 2010ern mit einer erfolgreichen Kampagne gegen die Ratifizierung der Istanbuler Konvention gegen Gewalt gegen Frauen aufgrund der enthaltenden „Gender-Ideologie“ auf sich aufmerksam. Auch die außerparlamentarische Linke Bulgariens ist schwach aufgestellt. Antikommunismus und die Stärke der Rechten stehen ihrer Ausbreitung entgegen. Die linken Gruppen haben nur wenige Mitglieder und viele migrieren. Die einzelnen Aktivist*innen sind daher stark überlastet. Die Probleme konnten viele Genoss*innen aus osteuropäischen Ländern nur bestätigen.
Insgesamt arbeiten heute 2,5 Millionen Bulgar*innen im Ausland und 2,2 Millionen in Bulgarien selbst. Der Druck zu migrieren und Gelder zurückzuüberweisen, wurde auch von Genoss*innen aus Georgien als ein großes Problem osteuropäischer Staaten thematisiert. Die Migration gilt als Folge neoliberaler Reformprogramme, die mit Jobverlusten und Deindustrialisierung einhergingen. Laut einer Genossin produzieren die Staaten des Ostblocks heute nichts mehr außer billige Arbeitskräfte. Das Problem ist, dass mit der Migration eine Krise der sozialen Reproduktion der Herkunftsländer einhergeht, weil die Care-Arbeiter*innen in den Privathaushalten sowie in den öffentlichen und privaten Care-Einrichtungen fehlen. Weiterhin wurde die Ungerechtigkeit thematisiert, dass die Staaten Westeuropas sich nicht an den Ausbildungskosten für die Care-Arbeiter*innen beteiligen. Generell finden in den Betrieben in Bulgarien wenige Kämpfe statt. Hingegen gab es Protestbewegungen auf der Straße. Bulgarien ist laut den Genoss*innen das Land mit den wenigsten Streiks in der EU, wobei der gewerkschaftliche Organisationsgrad bei 20 Prozent liegt, also in etwa so hoch wie in Deutschland. Allerdings stammen die meisten Mitglieder aus dem öffentlichen Sektor. Seit 2014 versucht die Gruppe Konflikt und ihre Vorgängerorganisation Arbeitskämpfe zu fördern. Eine bedeutende Klassenauseinandersetzung in jüngster Zeit waren die Kämpfe von Krankenhauspersonal. Diese fanden vor allem auf der Straße statt, aber es gründete sich währenddessen auch eine unabhängige Gewerkschaft des Krankenhauspersonals (SMBS), die für diesen Herbst und Winter Streiks in bulgarischen Krankenhäusern angekündigt hat. Die Streiks sollen sowohl in öffentlichen als auch privaten Krankenhäusern stattfinden, wobei Arbeitskämpfe im Privatsektor sonst eher die Ausnahme sind. Es ist noch schwer vorherzusagen, wie groß die Beteiligung sein wird. Weiterhin berichteten die Genoss*innen von einem Wildcat-Streik beim deutsch-schweizerischen Maschinenbauer Liebherr. Hintergrund ist eine derzeitige Inflationsrate in Bulgarien von ca. 18 Prozent
Das Treffen lebt von diesem Austausch mit Genoss*innen. Wir tauschten zahlreiche Kontaktadressen aus und entwickelten gemeinsame politische Projekte, von denen wir nur leider einen überschaubaren Teil werden umsetzen können. Insofern fuhren wir mit einer leichten Euphorie nach Hause. Neben diesen schönen Erfahrungen möchte ich aber zwei Aspekte nennen, die meiner Meinung nach bei künftigen Treffen besser laufen sollten.
Zwei kritische Anmerkungen zum Transnational-Social-Strike-Treffen
(1) Auf den Plena des Treffens kam es nur selten zu Diskussionen über politische Analysen oder, was noch wichtiger ist, zu einer gemeinsamen Strategie. Man muss etwa nicht dem gesamten Manifesto for a Transnational Politics of Peace von TSS zustimmen , wenn man den grundsätzlichen Perspektivwechsel teilt, der darin vorgenommen wird. Anstatt dass wir uns als Linke auf die Seite einer der beiden Kriegsparteien stellen, stellen wir uns gegen diese weltpolitische Konstellation, die auf dem Rücken der proletarischen Bevölkerungen in Form von Zerstörung der unmittelbaren Lebenssituation, aber auch der Inflation ausgetragen wird. Leider fand aber weder eine Diskussion über die Analyse noch die Strategie statt, wie wir für unsere Position im öffentlichen Raum streiten wollen. Viel eher wurden Statements vorgetragen, in denen wir uns unserer politischen Einigkeit versicherten. Vielleicht müsste es bei kommenden TSS-Treffen mehr Kleingruppen geben, in denen ausgearbeitete Strategieentwürfe gemeinsam diskutiert werden. Andernfalls fahren die Genoss*innen, gerade aus kleineren Gruppen, ratlos nach Hause oder es führt dazu, dass wir uns auf lokale und nationale politische Strategien zurückziehen und die transnationale Sphäre wieder verlassen.
(2) In ihrem Statement in der Abschlussrunde beklagten die Angry Workers, dass sie gerne mehr kämpfende Belegschaften auf dem Treffen gesehen hätten wie die Hafenarbeiter*innen in Genua, die das Verladen von Waffenlieferungen auf das Territorium der Ukraine verhinderten, oder Vertreter*innen von Belegschaften, die für einen ökologischen Umbau ihrer Produktionsmittel kämpfen, oder Kollektive von migrantische Arbeiter*innen. Das Problem wurde im Panel zur ökologischen Krise deutlich: Dort wurde die strukturelle Macht der Logistikarbeiter*innen, die für die Kämpfe der Klimabewegung nützlich wären, genannt – allerdings ohne, dass Sprecher*innen der Logistikarbeiter*innen vor Ort gewesen wären. Das Treffen erhält auf diese Weise den Charakter, den wir in vielen linken Bündnissen in Deutschland im letzten Jahrzehnt erlebt haben. Studierende, Arbeiter*innen im akademischen Betrieb, Gewerkschaften oder NGO-Sektor diskutieren gemeinsam eine politische Agenda, aber die kämpfende Arbeiterklasse, die die Kämpfe am Ende führen soll, ist aus den Diskussionen ausgeschlossen. Das kann politisch nicht gut gehen. Ich will nicht behaupten, dass keine Arbeiter*innen aus kämpfen Belegschaften dort waren, aber eben viel zu wenige bzw. waren sie wenig sichtbar. Sie ergriffen in den Diskussionen selten das Mikrophon. Hierbei war eine Ausnahme ein Workshop von europäischen Arbeiter*innen im Care-Sektor, wo sich über Erfahrungen ausgetauscht wurde. Eine Aktivistin behauptete in der Diskussion, dass die Treffen für die basisaktiven Arbeiter*innen nicht geeignet sind und diese anderes zu tun hätten. Hiermit könnte sie recht haben. Mir selbst fällt es schwer, Arbeiter*innen zu motivieren zu einem Treffen mit so einem geringen politischen Output zu gehen. Zugleich muss erwähnt werden, dass dies früher anders war. An den Treffen 2015 in Poznań und 2016 in Paris etwa fanden jeweils eigene Versammlungen von Logistikarbeiter*innen und anderer Sektoren während der Treffen statt. Die Entstehung von Amazon Workers International als transnationalen Netzwerk von Amazon-Arbeiter*innen konnte in seinen Anfangszeiten von den Treffen stark profitieren. Die Abwesenheit kämpfender Belegschaften ist dabei nicht den Organisator*innen anzulasten. Dies müssen die im TSS-Netzwerk assoziierten Gruppen leisten und dabei gemeinsam Übersetzung und Fahrkostenzuschüsse organisieren. Dieser Kosten- und Ressourcenaufwand kann nicht bei einzelnen Gruppen hängen bleiben Diese beiden Punkte sind als Anregung für die Organisator*innen der künftigen TSS-Treffen gedacht, an denen wir bestimmt wieder teilnehmen werden. Denn es ist es wert, eine europäische Linke aufzubauen, die politisch über den Nationalstaat als Terrain unserer Kämpfe hinausgeht. Hierfür ist der Austausch von Genoss*innen aus West- und Osteuropa auf solchen Treffen unerlässlich.
Autoreninfo: Hans ist im Streiksolibündnis für Amazon in Leipzig organisiert und nahm mit einer kleinen Delegation mit weiteren Genossen* aus Leipzig und Berlin an dem Treffen teil. Er hatte bereits 2015 und 2016 an TSS-Treffen teilgenommen.
Bildinfo: Sofia, 2022, privat.