Es braucht mehr als ein Nein

Die ganz große Aufregung hat sich gelegt, doch die Debatte über die Ereignisse der G20-Proteste in Hamburg geht weiter – auch in der Interventionistischen Linken. Wie viel wurde durch die Proteste erreicht? Wie ist die politische Debatte im Nachhinein zu bewerten? Welche Effekte hat Hamburg auf andere linke Projekte? Der folgende Beitrag einiger IL-Aktivist*innen zieht hier eine negative Bilanz: Die gesellschaftliche Position der radikalen Linken habe sich durch die Proteste nicht verbessert, sondern verschlechtert, so die These – und zwar nicht nur durch die vieldiskutierten Ausschreitungen.

Die G20-Proteste und die Selbstisolation der radikalen Linken

Linksextremistendatei, Schließung autonomer Zentren, Fußfesseln: Nach den Krawallen in Hamburg überbieten sich „Sicherheitspolitiker“ aller Parteien mit Forderungen gegen die radikale Linke. Nun lässt sich darüber streiten, ob diese Debatte wirklich bedrohlicher scheint als Sicherheitsdiskurse nach vergangenen Ausschreitungen – einige erfahrene Genoss*innen tendieren hier durchaus zu einem „Ja“. Auch wenn diese Frage im Moment noch nicht beantwortet werden kann, ist eines schon jetzt klar: Die gesellschaftliche Position der radikalen Linken hat sich mit Hamburg nicht verbessert, sondern verschlechtert – und das hat nicht nur etwas mit den Krawallen zu tun.

Vorab: Wir denken nicht, dass in den Protesten zu G20 keine Chance gelegen hätte, aber wir sind überzeugt, dass diese Chance nicht genutzt wurde. Und wir glauben, dass der G20-Beitrag der IL seinen Anteil daran hatte: sowohl an den verpassten Chancen als auch der Unfähigkeit, die Situation nach den Ausschreitungen zugunsten der radikalen Linken zu wenden. Diese Feststellung soll nicht die Arbeit der vielen Genoss*innen aus der IL und anderen Organisationen entwerten, die Herzblut und Energie in den Gipfelprotest gesteckt haben. Von dieser Arbeit lebt die radikale Linke und es ist uns wichtig, dass unsere Energie nicht verpufft, sondern die Welt verändert. Unsere Kritik will linke Organisierungsarbeit ernst nehmen. Sie ist daher ein Statement gegen einen Zweckoptimismus, bei dem im Interesse kurzfristiger Erfolgsmeldungen unsere Projekte nicht ausgewertet und eigene Fehler zu wenig reflektiert werden. Vor dem G20-Gipfel ist es in der IL nicht gut genug gelungen, eine tatsächliche politische Verständigung über dieses Projekt und die dahinter stehenden Fragen zu organisieren. Versuchen wir es wenigstens jetzt.

Sieben Gründe für Katerstimmung – und für eine ernsthafte, selbstkritische Diskussion

1) Wo waren die Inhalte?

Schon vor über einem Jahr war klar: Die Mobilisierung zu G20 ist gesetzt. Dass »Hamburg groß wird« war in aller Munde – ebenso, dass die IL dort nicht fehlen darf. Trotzdem kamen sie, die guten Hinweise: Wir brauchen einen inhaltlichen Aufhänger, der verständlich ist, wir müssen uns auseinandersetzen mit dem, was konkret bei diesem Gipfel passieren soll, mit der weltpolitischen Gemengelage und der Art, wie sie rund um G20 verhandelt werden wird. Dazu gab es in der IL auch immer wieder Versuche und Beiträge, die wir nicht klein reden wollen, so etwa die Veranstaltung in Berlin zur G20-Afrikakonferenz. Nach außen waren diese Inhalte jedoch wenig sichtbar, vor allem ergaben sie kein großes Ganzes, das für eine Kampagne getaugt hätte.

Bei Blockupy 2015 war das noch anders. Hier gab es ebenfalls Ausschreitungen, dennoch war die Austeritäts- und Sparpolitik in den Medien stets präsent, auch durch die Zuspitzung von uns. Klar: Ein Gipfel macht es nicht leicht, einen klaren inhaltlichen Punkt zu machen, eine zentrale Frage zu stellen. Wenn man aber der Meinung ist, dass alles andere dafür spricht, trotzdem dagegen zu mobilisieren, ist genau das die Herausforderung, der man sich stellen muss. Eine Möglichkeit wäre die Thematisierung von Welt- und Freihandel gewesen. Schließlich gelang es zuvor dem NGO-Spektrum in Kampagnen gegen TTIP und CETA Hunderttausende zu mobilisiern, indem konkrete Bedrohungen der kapitalistischen Freihandelsordnung für Gesundheit und Arbeitswelt aufgezeigt wurden. Die radikale Linke hat jedoch diese zentrale Debatte auch beim G20-Gipfel kaum behandelt. Auch der Ausschluss Afrikas durch die neokoloniale Wirtschaftspolitik und militarisierte Migrationskontrolle schaffte es nicht auf unsere Plakate. Jetzt versuchen wir nachzuarbeiten und fragen: »Was sind verbrannte Autos gegen tausende Tote im Mittelmeer?« – die Situation, in der wir diese Inhalte offensiv hätten setzen können, ist aber vorbei.

Verpasst wurde diese Chance bereits im Vorfeld: Die Autonomen erfanden mit »Welcome To Hell« den am wenigsten einladenden Demoslogan des Jahres, und die IL sprach mit »Hoffnung entsteht aus Rebellion – Rebellion entsteht aus Hoffnung« das revolutionäre Begehren einer Minderheit an. Dies setzte sich in Hamburg fort: Unser Block auf der Demonstration am Samstag hatte keine erkennbaren Inhalte außer nicht weiter ausgeschmücktem Antikapitalismus. Immerhin haben wir zusammen mit Tausenden ein Zeichen der Solidarität mit der YPG und der kurdischen Befreiungsbewegung gesetzt, was wir für sehr richtig halten – aber da wir vorher keine Kampagnenarbeit zur Verbindung von G20, Türkei und Syrienkrieg gemacht hatten, ging dieses Zeichen unter, tauchte kaum in einer Zeitung auf. Nach dem G20 wurde Kurdistan von uns wieder beschwiegen. Unsere Nacharbeit kreiste um die Begriffe »Hoffnung«, »Rebellion«, ja sogar »Aufstand«.

Worum es bei den G20-Protesten inhaltlich ging, blieb also bis zum Schluss auch in unserer Mobilisierung weitestgehend unklar. Das von der IL zumindest teilweise angestrebte Narrativ – die solidarische Alternative gegen Neoliberalismus einerseits und Autoritarismus andererseits – verfing nicht, weil es viel zu abstrakt blieb, nicht mit Leben gefüllt wurde. Um die Mehrheit, die erst mal nicht revolutionär ist, aber vom kapitalistischen Normalzustand der Ordnung der G20 ebenso betroffen, kümmerten sich noch am ehesten und weitgehendsten ohne unser Zutun NGOs und der von den Medien kaum thematisierte Gegengipfel. Von den Medien wurden dies jedoch weitestgehend ignoriert.

Statt einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Gipfel standen dann also vor, in und nach Hamburg zwei andere Themen im Vordergrund: Die Aushebelung von Grundrechten und der Kampf um das Recht auf Stadt, und zwar ganz konkret als Kampf darum, welche Bürgersteige abgesperrt und welche Straßen benutzt werden dürfen. Das war nicht unbedingt schlecht: Diese Kämpfe sind anschlussfähig und waren es insbesondere in Hamburg. Uns aber ist es nicht gelungen, diese Entwicklung vorauszusehen und unsere Mobilisierung und BlockG20 als unsere zentrale Aktion darauf einzustellen. Nur spontan vor Ort haben wir es mit kleineren Aktionen wie der Besetzung des Rathausmarkts oder der »Schlafen-gegen-Schlafverbote-Aktion« im Camp geschafft, diese Entwicklung aufzugreifen und zu nutzen.

2) Unsere Verankerung im Alltag ist beschädigt

Selbst jene, die ein subjektives Erfolgsgefühl bei Blockaden, Demonstrationen und Riot verbuchen konnten, werden hinterher ins Schleudern kommen, wenn sie von Nachbarn, Eltern und Medien gefragt werden: Wie passt eure Selbstbefreiung zusammen mit der Notstandswarnung von Kitas und der Angst von Anwohner*innen, auf die Straße zu gehen? Und: Kommst du mit, um die Straßen im Schanzenviertel aufzuräumen?

Wir glauben, dass in dieser Entwicklung aus zwei Gründen die größte Tragik der G20-Proteste liegt: a) Erst sorgen wir durch eigene inhaltliche Schwäche mit dafür, dass die G20-Proteste in erster Linie ein Kampf um die Viertel werden, und dann versagen wir genau auf diesem Kampffeld. Das ist bitter. b) Mehr noch als der politisch-mediale Diskurs wird unsere beschädigte Glaubwürdigkeit die Verankerung der IL im Alltag der Städte erschweren.

Denn bei den Nachbarn im Schanzenviertel und in anderen Städten haben die Krawalle uns nicht ermächtigt, sondern in eine peinliche Lage versetzt. Nicht wir, sondern »Hamburg räumt auf« traf mit einer Putzaktion den Geist der Stunde. Wir können von Glück sagen, dass einige Gewerbetreibende in einer Erklärung die Fahne hochhielten und die Polizei als Ursache des Ausnahmezustandes benannten. An dieser Erklärung wird auch deutlich, welches Potenzial es an kritischer Stadtöffentlichkeit in Hamburg gegeben hätte und wie wenig wir als Gesamtorganisation – anders als die IL Hamburg – das für uns nutzen konnten. Aber auch sie distanzierten sich von sinnloser Gewalt gegen Kleingewerbe und Infrastruktur im eigenen Viertel.

Vor den Protesten warb die IL »Hamburg wird in diesen Tage zur Stadt für alle werden – Alle werden unseren rebellischen Willen zur Demokratie von unten spüren.« Eingetreten ist das Gegenteil. Schuld daran ist nicht nur die böse bürgerliche Presse. Die Wut gegen die Linke kommt von unten und ist authentisch. Das Video einer Anwohnerin, dass schwarz gekleidete Autonome beim Anlegen ihrer Zivilkleidung zeigt, wurde auf Facebook zum viralen Knaller. Der Kommentar lautete »Erst meine schöne Stadt & mein schönes Viertel zerstören und sich dann als Zivilist wieder ins Getümmel stürzen – FEIGE, DUMM & WIDERLICH«. Der Post wurde 12.000 Mal geteilt und 800.000 mal geliked – Zahlen, die wir mit unseren Mitteilungen und Aktionsvideos noch nie erreicht haben.

Mit den Krawallen am Freitag wurde zerstört, was in den vorhergegangen Tagen – weniger durch die IL als durch andere Akteure, aber immerhin – geschaffen wurde: Die massive Repression und Polizeigewalt, die anschlussfähigen, sympathischen und erfolgreichen Aktionen wie das Cornern, die außergewöhnlich polizeikritische Berichterstattung bis über den Donnerstagabend hinaus und die für jeden sichtbare Absurdität des Gipfelbrimboriums hatten eine Stimmung erzeugt, in der Hamburger*innen, Linksradikale und viele Medien sich trotz aller Differenzen einig darüber schienen, dass etwas in Hamburg eingefallen ist, was besser nicht da sein sollte. Am Samstagmorgen hatte sich das verschoben: Erst fällt die Polizei in mein Viertel ein, dann die Autonomen, lautete nun der Tenor.

Die Selbstbefreiung im Riot – die Begründung, warum der G20-Krawall ein Erfolg gewesen sein soll – existiert nur in der emotionalen Innenwelt von wütenden linksradikalen Aktivist*innen. Ein Blick auf die Außenwelt zeigt jedoch: Krawalle, gestartet und im Kern getragen von krawall-professionalisiert erscheinenden, schwarz vermummten Menschen, verbinden sich in den Köpfen kaum mehr mit linken Inhalten und der Hoffnung auf ein besseres Leben (auch bei denen, die dazukommen, um der Polizei auch mal eins mitzugeben und sich auszutoben). Stattdessen mobilisieren sie vor allem Feindbilder, die das Vertrauen in unsere Gesellschaftsvorstellung auslöschen. Deren Wirkung wird durch die mediale Verarbeitung exponentiell gesteigert. Die Aufmerksamkeitswelle, auf der wir teils mitschwimmen, in der wir teils aber auch selbst unsichtbar und für den Krawall verantwortlich gemacht werden, hat eine hohe Hypothek.

Wenn wir ein solches Szenario erwarten, und das konnten wir, müssen wir uns umso drängender fragen, was darin zu holen ist. Hier zeigt sich unseres Erachtens auch, dass der Versuch, unterschiedliche Politikansätze in der IL miteinander zu vereinen oder als Pluralität zu entproblematisieren, an seine Grenzen gerät: Wenn das Projekt der einen dazu führt, dass die Glaubwürdigkeit der IL in manchen oder vielen politischen Spektren leidet, kann das die Arbeit der eigenen Genoss*innen behindern. Dies fordert umso mehr eine gemeinsame Bestimmung von Strategien. Eine Lösung wäre, dass die IL ihre Praktiken des zivilen Ungehorsams offensiv hervorhebt und absetzt. Nicht nur die Medienhetze, sondern auch latente Sympathien für die als »kleinen Aufstand« oder »gesellschaftliche Zurückweisung der herrschenden Ordnung« verklärte Randale verhinderten dies jedoch. Wir haften für Dinge, die wir nicht organisiert haben und werden zum Regenschirm für Aktionen, die uns mehr schaden als nutzen.

3) Der Grundrechtsdiskurs rettet uns nicht

Ein Gegengewicht zur rechten Mobilisierung ist die nicht abreißende Kritik an Grundrechtsverletzungen während des Gipfels. Das ist gut und wir sollten hier mit eigenen Erklärungen anschließen. Dennoch ist alles, was wir hier noch tun können, Feuerwehrarbeit, damit es in Hamburg nicht bald so zugeht wie bei Erdogan und Putin. Hier verteidigt dann die radikale Linke den bürgerlichen Rechtsstaat. Das ist in Zeiten massiver Grundrechtsverletzungen notwendig und nichts Schändliches, aber eben das Gegenteil von einer antikapitalistischen Offensive oder Ermächtigung.

4) Die Linke hat an Bündnisfähigkeit verloren

Das Auseinanderbrechen des Bündnisses aus NGOs, der radikalen Linken und Linkspartei ist kein Fehler der radikalen Linken (auch wenn sich die IL wohl mehr Vertrauen in diesen Spektren erworben hätte, hätte sie nicht etwa die TTIP-Mobilisierungen komplett ignoriert). Es ist im Wesentlichen auf die Hasenfüßigkeit der NGOs zurückzuführen, die sich dafür entschieden hatten, ihre Inhalte eine Woche vor den Ereignissen alleine im Regen zu verbreiten und von der Öffentlichkeit ignoriert wurden. Grund zur Häme ist das jedoch nicht. Die Unbestimmtheit der linksradikalen Mobilisierung konnte diese Lücke nicht kompensieren. Durch die Abwesenheit von legitimen Forderungen war es dann nach den Krawallen unmöglich, der Gewaltdebatte einen Diskurs der gerechtfertigten Rebellion entgegenzusetzen – es wurde versucht und ignoriert. Deshalb ist zu befürchten, dass die Bündnisfähigkeit der radikalen Linken dauerhaft beschädigt ist. Ein »Weiter so« oder eine Glorifizierung der Ereignisse ohne Selbstkritik sind in dieser Lage nicht angebracht.

5) Die Rechte kann sich als Partei der Ordnung darstellen

Wo die Linke politisch in die Ecke getrieben ist, triumphiert die Rechte. Ob nun Grenzkontrollen für Linksextreme, eine europaweite Linksextremistendatei, Aussteigerprogramme und »Rock gegen Links« wirklich zustande kommen, ist dabei zweitrangig. Wichtig ist: Die Kampagne hört nicht auf und wird sich über die nächsten Monate hinziehen, der Sicherheitsdiskurs wird im Wahlkampf andere Themen ersticken und soziale Forderungen unsichtbar machen. Auch die Forderung nach Aufklärung der NSU-Morde droht im Geschrei noch weiter unterzugehen – denn die »Linksextremen« sind ja genauso schlimm wie der »Rechtsextremismus«. Dass das jeder Realität spottet, sollte uns nicht davon abhalten, den Hetzdiskurs als reale Drohung einzuschätzen. Er trifft uns, jede*n von uns, und wird nicht Ermächtigung, sondern Ohnmacht bringen. Die Hetzkampagne gegen links zeigt, wie sehr sich das politische Spektrum nach rechts verschoben hat. Hier wieder mehr in die Offensive zu kommen, wird eine der größten Herausforderungen der nächsten Zeit sein. Ohne ein intensives Bemühen um Bündnisfähigkeit und Verankerung werden wir hier sehr, sehr schlecht aussehen. Wer es sich in der Pose der radikalen Minderheit bequem machen will, den wird das nicht schrecken. Unser Verständnis von interventionistischer Politik sieht jedoch anders aus.

6) Unsere Aktionsformen haben nicht funktioniert

So, wie wir BlockG20 gestaltet haben, war es ein professionelles Angebot für uns selbst und aktivistische junge Menschen, die es vertragen können, erst kilometerweise zu rennen und dann verprügelt zu werden. Gerade vor dem Hintergrund massiver Repression, die alle in Mitleidenschaft zieht, braucht es aber keinen großen Militanzgestus, um widerständig zu sein, sondern Angebote für niedrigschwelligen zivilen Ungehorsam, Konzepte für und Einladungen an alle: die blaue Zone fluten, das Dasein selbst zum Störfaktor werden lassen, anstatt die Stadt zu verlassen. Wir wissen, dass das von vielen in der IL bereits erkannt wurde und sind zuversichtlich, dass wir uns Gedanken machen werden über aktualisierte Formen zivilen Ungehorsams, die auch in Städten und in Zeiten des Ausnahmezustands funktionieren. Deshalb führen wir das hier nicht weiter aus – wollen aber noch mal auf den Zusammenhang hinweisen, der zwischen fehlender Verankerung, einem daraus folgenden fehlenden Gespür für gesellschaftliche Dynamiken und der daraus folgenden, teilweise fehlgeschlagenen Aktionsplanung besteht.

7) Wir verheddern uns in nutzlosen Begriffen

Unsere Pressearbeit war vor, während und nach dem Gipfel ausgesprochen professionell und hat aus unserer Sicht das Maximum an Inhalten rausgeholt, die man in unserem Protest finden konnte. Dennoch konnte sie nicht kompensieren, was im Vorfeld an inhaltlichen Zuspitzungen fehlte. Das wiederum führte zum Rückgriff auf die Mobilisierungsslogans von Hoffnung & Rebellion, die in ihrer Vagheit jedoch an den Ereignissen vorbei liefen. Gleichzeitig stand die Pressearbeit vor dem Dilemma, das wir Aktionen rechtfertigen mussten, die mit unserer Mobilisierung nichts zu tun hatten. Um die Pressearbeit noch zu erschweren, hatten wir schon im Vorfeld offensiv angekündigt, uns von nichts zu distanzieren – ohne zu wissen, was passieren würde. Dieses Dilemma sollten wir in Zukunft vermeiden. Vorschlag: Wir werfen das Wort Distanzieren über Bord, aber wir grenzen uns ab. Wir kritisieren, was wir Mist finden, aber wir entdramatisieren, wo notwendig, wir setzen es ins Verhältnis. Wir werfen die Distanzierungsfrage nicht schon im Vorfeld auf. Wir übernehmen die Verantwortung für unsere Mobilisierung, bilden breite Aktionskonsense – aber wenn die nicht zustande kommen, begeben wir uns nicht in Vor-Verantwortung für Mobilisierungen anderer Spektren. Es ist keine Schwäche, sondern ein notwendiges Bildungsprojekt, der Welt da draußen beizubringen, dass es unterschiedliche Linke gibt mit unterschiedlichen Strategien – und dass manche davon nicht weiterhelfen. Dieser Aufgabe können wir uns nicht durch »wir distanzieren uns nicht«-Floskeln entziehen, weil es nicht der richtige Weg ist – und, nebenbei, auch schlicht nicht funktioniert. Wir sind als IL ansprechbar, daher landen auch die Beschwerden bei uns.

Und nun?

Zum Schluss nur noch kurz, was wir uns wünschen: Nicht die Abkehr von Protest-Großereignissen, sondern eine ernsthafte politische Debatte im Vorfeld solcher Ereignisse, was es dort unter welchen Bedingungen zu gewinnen und zu verlieren gibt. Was sind die Kriterien für unseren Erfolg? Welche inhaltlichen Themen stellen wir warum und wie in den Vordergrund? Wie passen wir unsere Aktionsformen den spezifischen Gegebenheiten an? Welche Bündnispartner wollen wir gewinnen und wie erreichen wir das? Welche medialen und politischen Debatten erwarten wir? Was ist in ihnen unser inhaltlicher Punkt? Mit welcher lokalen Gemengelage haben wir es zu tun, und was ist in dieser die Position, die wir anstreben? Welche Gefahren oder Potentiale bringt dieses Projekt für unsere anderen Projekte mit sich?

Diese Diskussionen verlangen zweierlei: Einerseits eine ernsthafte Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Entwicklungen und politisch-medialen Diskursen, um uns darin frühzeitig und strategisch positionieren zu können. Andererseits eine Nähe zu den lokalen und konkreten Geschehnissen jenseits der linken Szene, aber auch jenseits von Talkshows und Leitartikeln, um nicht Gefahr zu laufen, unsere Projekte am Reißbrett und an den tatsächlichen Dynamiken vorbei zu planen. Dies erfordert auch, dass wir in Auseinandersetzungen langfristig präsent sind. Das ist mühseliger, als bewährte Konzepte aufzuwärmen und sich in der blumigen Rhetorik einer radikalen Minderheit einzurichten, die Projekte aus einer linksradikalen Emotionalität heraus begründet und jede Niederlage als Erfolg umdeuten kann, weil man angesichts dieser schlimmen Mehrheitsgesellschaft ja noch das Beste aus der Situation herausgeholt habe und das Ganze für eine*n selbst doch außerdem so schön ermächtigend gewesen sei. Aber wenn wir die gesellschaftliche Position der Linken ernsthaft verbessern wollen, um so unserem Ziel eines Bruchs mit den Verhältnissen tatsächlich näherzukommen, führt uns kein Weg daran vorbei.

Die Autor*innen terz, mimi und Titow sind Mitglieder der IL und in verschiedenen AGen der Berliner Ortsgruppe aktiv.

Bild von Montecruz Foto