Der 8. März und die Revolution im Iran


»Solidarität bedeutet sich für die Revolution im Sinne des eigenen politischen Kampfes stark zu machen«

Mit Bahar, einer feministischen Wissenschaftlerin und Aktivistin aus der Berliner Gruppe Bolandg00 und dem Netzwerk Feminist4Jina, sprachen wir im Vorfeld des 8.März über den feministischen Kampftag im Iran und Deutschland, die Iranische Revolution und ihr Verständnis von internationaler Solidarität.

Redaktion: Hallo Bahar, wir treffen uns heute anlässlich des 8. März, um über den feministischen Kampftag, die Iranische Revolution und internationale Solidarität zu sprechen. Was bedeutet der 8. März für dich?

Bahar: Es gibt diesen bekannten Satz: »Der 8. März ist jeden Tag«. Ich versuche jeden Tag feministisch aktiv zu sein, also hat der 8. März für meinen feministischen Kampf nicht diese ganz herausragende Bedeutung. Was ich aber an dem Tag schön finde, ist diese Sichtbarkeit zu haben und zu merken, dass mit mir gemeinsam unzählige andere Personen auf die Straße gehen. Viele haben ähnliche Anliegen wie ich, andere solche, die mich weniger direkt betreffen, die ich aber unterstütze und teile. Sich gemeinsam feministisch zu organisieren und auf der Demo mitzulaufen, gibt einem das Gefühl, nicht allein zu sein.

Gleichzeitig ist es aber auch ein Tag, an dem einem klar wird, was für ein Privileg es ist, sich hier in so großen Massen versammeln zu können, während der 8. März beispielsweise im Iran in einem ganz anderen Kontext stattfindet. Aktivist*innen versuchen sich natürlich auch dort zusammenzuschließen und Aktionen zu organisieren, das sind dann meistens aber kleine Gruppen, die sich dreimal verhüllen und irgendwo ein paar Fotos machen, um nicht erkannt zu werden. Wenn man sich dann vor Augen führt, mit welchem Risiko das im Vergleich zu unseren Demos verbunden ist, wird deutlich, wie unterschiedlich der 8. März begangen wird.

Welche spezifische Geschichte hat der 8. März im Iran?

Der 8. März direkt nach der Revolution 1979 war ein historischer Augenblick des feministischen Kampfs im Iran. Es war die Zeit, in der die Kleriker dabei waren sich zu etablieren und ihre Rufe nach extrem misogynen Familiengesetzen sowie dem obligatorischen Hijab immer lauter wurden. Gegen diese Politik gingen damals am 8. März Millionen Frauen auf die Straße, nicht nur in Teheran sondern in zahlreichen Städten. In letzter Zeit habe ich mir öfters die Videos von diesem Tag angeschaut. Einerseits machen sie Mut, andererseits ist es aber auch so frustrierend zu sehen, dass Frauen und feministische Kämpfer*innen vor 44 Jahren genau die gleichen Dinge einforderten wie wir heute. Sie waren es, die die Revolution mitgetragen und gegen den Schah protestiert hatten, und nur wenige Monate später wurden ihre Rechte dermaßen beschnitten. Diese Frauen wurden um ihren Beitrag in der Revolution betrogen, und trotzdem - oder gerade deswegen - gingen sie auf die Straße.

Du bist in Berlin in verschiedenen politischen Gruppen aktiv. Was macht ihr als Bolandg00? Wie seid ihr entstanden? Wie seid ihr in die Proteste im Iran involviert?

Ich bin Soziologin von Beruf und würde mich als feministische Wissenschaftlerin und Aktivistin bezeichnen. Organisiert bin ich in der Gruppe Bolandg00, Bolandg00 bedeutet übersetzt Megafon. Wir sind eine Plattform mit dem Ziel, die Stimmen der Revolution im Iran zu verstärken, sie hörbar zu machen und uns mit anderen solidarischen Gruppen zu vernetzen. Gegründet wurde Bolandg00 im Kontext der Proteste im Frühsommer 2022, die dem Einsturz eines Hochhauses in der iranischen Stadt Abadan folgten, bei dem zahlreiche Menschen gestorben sind. Während der Revolution ist die Gruppe gewachsen und wir organisieren parallel unterschiedliche Projekte, von Kundgebungen bis Veranstaltungen, die immer wieder daran erinnern, dass gerade im Iran eine Revolution stattfindet, selbst wenn medial darüber inzwischen nicht mehr so stark berichtet wird. Uns geht es auch darum, Verbindungen mit anderen progressiven, linken Gruppen in Berlin aufzubauen, um zu verdeutlichen, dass die Forderungen der revolutionären Bewegung im Iran Dinge sind, für die viele andere progressive linke Organisierungen kämpfen. Darüber hinaus vernetzen wir uns mit vielen exilierten Dissident*innen aus der WANA-Region (West Asia North Africa), beispielsweise mit feministischen Aktivist*innen aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak.

Die andere Gruppe, in der ich organisiert bin, ist Feminists4Jina (F4J), ein dezidiert feministisches transnationales Netzwerk meist iranischer aber auch nicht-iranischer Feminist*innen, das sich im Verlauf der Jin Jiyan Azadî-Revolution gegründet hat. Die Idee dahinter ist, die feministischen Stimmen vor Ort im Iran sichtbar zu machen und andererseits transnationale feministische Solidarität zu verstärken. In Deutschland ist F4J in Stuttgart, Frankfurt, Hamburg, Berlin und Köln aktiv.

Lass uns zunächst über die aktuelle Situation im Iran und die Gründe für den Ausbruch der Revolution sprechen. Zum Anfang interessiert uns deine Perspektive auf die viel gestellte Frage, warum sich die Revolution gerade an einem Feminizid an einer kurdischen Frau entfacht hat?

Ja, der Feminizid an Jina Mahsa Amini ist der Auslöser der aktuellen revolutionären Bewegung, aber wir dürfen nicht vergessen, dass es zuvor schon sehr viele Protestwellen im Iran gegeben hat. Ich denke, die revolutionäre Dynamik ergibt sich aus genau dieser Mischung: Einerseits die Kontinuität mit früheren Bewegungen, andererseits das Neue und die Alleinstellungsmerkmale der Jin Jiyan Azadî-Revolution.

Die früheren Protestwellen waren von den zivilgesellschaftlichen Protestgruppen im Iran getragen, wie beispielsweise den Kämpfen der Lehrer*innen, der Studierendenbewegung und der Arbeiter*innenbewegung, die trotz der enormen Repression schon länger organisiert sind und auch immer wieder auf der Straße sichtbar werden. Außerdem hat es immer wieder spontane Proteste von Menschen gegeben, die nicht unbedingt politisch organisiert sind. Grund dafür waren meistens ökonomische Fragen, denn der Iran steckt seit langem in einer enormen Wirtschaftskrise, die die Widersprüche zwischen Arm und Reich verschärft. Daraus ergeben sich Proteste, die in erster Linie von Menschen getragen werden, die in ihrem Alltag mit großen sozialen Herausforderungen konfrontiert sind. Darüber hinaus konnten wir in den letzten Jahren immer wieder zivilen Ungehorsam gegen den obligatorischen Hijab beobachten. Das bekannteste Beispiel sind die sogenannten »Töchter der Revolutionsstraße«. Frauen haben sich auf einer der Hauptstraßen Teherans auf Anhöhen gestellt, ihre Hijabs abgenommen und wie Fahnen in der Luft geschwungen. Diese Aktionen fanden danach auch in anderen Straßen Teherans und anderer Städte des Landes statt. All diese verschiedenen Protestformen kulminieren heute in der Revolution.

Dass sich die Revolution im September 2022 an dem staatlichen Feminizid von Jina Mahsa Amini entfacht hat, liegt nicht zuletzt daran, dass in ihrer Figur verschiedene Herrschaftsstrukturen der Islamischen Republik zusammenlaufen: Erstens die Frage des obligatorischen Hijabs. Jinas Tod hat gezeigt, dass die Hijabpolizei nicht nur durch die Straßen geht und Frauen darauf aufmerksam macht, wie sie ihr Hijab zu tragen haben - was an sich schon furchtbar ist, sondern dass sie als staatliche Institution auch töten kann. Es wurde deutlich, dass der obligatorische Hijab, der für die Disziplinierung und Kontrolle weiblich markierter Körper steht, auch lebensgefährlich sein kann. Zweitens die Tatsache, dass Jina Kurdin war. Wie brutal die Hijabpolizei gegen sie vorgegangen ist, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sie einer nationalen Minderheit angehört. Das hat eine enorme Wut ausgelöst und dazu beigetragen, dass sich im Anschluss an den Feminizid eine enorme revolutionäre Kraft entwickeln konnte. Bei ihrer Begräbnisfeier in ihrer Heimatstadt Saqqez in Kurdistan nahmen die Frauen ihre Hijabs ab und riefen »Jin Jiyan Azadî«. Es ging nicht nur darum, Jina zu betrauern, sondern sich politisch zu positionieren. Und die Stimmung war reif dafür, diesen feministischen Ruf überall im Land zu übernehmen.

Du hast jetzt schon viel den Begriff der Revolution verwendet. Magst du einmal beschreiben, worin die Revolution besteht und warum wir gerade bei dieser aktuellen Bewegung von einer Revolution sprechen können, obwohl es die Jahre davor immer schon Protestwellen gegeben hat?

Dass wir die Proteste als Revolution bezeichnen können, würde ich mit zwei Aspekten begründen: erstens mit der Radikalität der Forderungen. Bei den vergangenen Protesten ging es um die Wirtschaftslage, um die rigiden und misogynen Familiengesetze oder den Bildungssektor. Vorherrschend war dabei lange Zeit jedoch der Diskurs der Reformist*innen, die Änderungen im Rahmen des Systems der Islamischen Republik vorschlugen. Lange hat dieser Versuch, in einen Dialog mit dem Regime zu treten, große Bevölkerungsgruppen mobilisiert. Das ist nun aber komplett gekippt. Inzwischen ist klar, dass die Menschen nicht auf die Straße gehen, um Reformen zu fordern, sondern weil sie Forderungen haben, die nur zu erreichen sind, wenn es die Islamische Republik nicht mehr gibt. Das ist revolutionär.

Der zweite Grund liegt in der sozialen Zusammensetzung der Proteste: Es ist nicht mehr nur die Mittelschicht der urbanen Zentren wie Teheran, die gegen Wahlfälschungen protestiert, wie es 2009 der Fall war. Menschen mit unterschiedlichsten Identitäten und sozialen Positionen gehen auf die Straße, formulieren ihre eigenen Forderungen und solidarisieren sich gleichzeitig miteinander. Es ist das erste Mal, dass auf den Straßen Teherans Slogans in Solidarität mit Kurdistan und Belutschistan gerufen werden. Die Forderungen der Bewegung gehen über die Belange einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe hinaus und vermögen, zwischen den einzelnen Gruppen eine Solidarität herzustellen, die die Islamische Republik über eine lange Zeit hinweg erfolgreich zu verhindern wusste. Auch das ist revolutionär.

Welche Effekte hat dieser revolutionäre Prozess auf der Ebene von Beziehungsweisen und dem alltäglichen Zusammenleben?

Allein der Slogan »Jin Jiyan Azadî« steht nicht für Reformen, sondern hat eine gesellschaftliche Vision: Er ruft dazu auf, Beziehungen anders zu gestalten. Es geht darum, mit patriarchalen Beziehungen zu brechen und Arbeit anders zu organisieren, es geht darum, sich die Frage zu stellen, wie man das Zusammenleben in einem Land organisiert, das religiös und ethnisch extrem plural ist. Es geht aber auch um Fragen des Umweltschutzes und der Ökonomie.

Wie würdest du den Stand der Revolution aktuell beschreiben?

Aktuell ist die Revolution in einer Phase, in der es weniger darum geht, spontan auf die Straße zu gehen, wie es im Oktober und November der Fall war, sondern um Organisierungsformen: Es gilt darüber nachzudenken, welche Forderungen wir haben, welche Strategien angemessen sind und welche Allianzen wir schließen wollen. Das sehen wir sowohl in der Diaspora als auch im Iran. Mich persönlich stimmt das optimistisch. Ich glaube nicht, dass die Revolution vorbei ist, nur weil die Menschen nicht mehr in dem Maße auf die Straße gehen und ich glaube nicht, dass die Revolution jetzt erfolgreich unterdrückt wurde. Im Gegenteil, wir beobachten, dass es in der Gesellschaft brodelt. Es findet eine revolutionäre Bewegung und vor allem Organisierung statt, selbst wenn sie auf der Straße aktuell nicht so präsent ist.

Auf der anderen Seite gibt es immer wieder neue, kreative und sehr brutale Formen der Unterdrückung. Vielleicht habt ihr zuletzt von den Vergiftungen in Schulen mitbekommen. Es gab Massenvergiftungen an Mädchenschulen überall im Land, und offiziell weiß keiner, wer dahintersteckt. Es ist nicht offiziell bewiesen, dass das Regime dafür verantwortlich ist. Wenn wir uns aber daran erinnern, wie die Schüler*innen im Kontext der Revolution in den letzten Monaten aktiv und sichtbar wurden, kann man sich aber vorstellen, dass das Regime zumindest die Verantwortlichen gewähren lässt, wenn es nicht selber dahinterstecken sollte.

Insgesamt sehen wir also auf der einen Seite eine Organisierung der protestierenden Menschen und auf der anderen Seite unterschiedliche, verzweifelte Versuche des Regimes, die Menschen zu unterdrücken. Zusammenfassend würde ich sagen, dass die Situation sich immer weiter zuspitzt.

Welche politischen Konfliktlinien gibt es innerhalb der Protestbewegung im Iran und in der Diaspora?

Während es in den ersten Monaten der Revolution darum ging, unabhängig von politischen Differenzen gemeinsam gegen das Regime vorzugehen, positionieren sich mittlerweile die politischen Gruppen mit ihren Visionen für die Zukunft Irans nach dem Sturz des Regimes. Das ist auch Teil eines revolutionären Prozesses. Es stellt sich mittlerweile nicht mehr die Frage, ob das Regime abtritt, sondern was danach passiert. Da gibt es starke Konfliktlinien innerhalb der Protestbewegung, und es geht jetzt darum zu sagen, dass wir uns nicht mit jedem einig sind, der gegen die Islamische Republik demonstriert. Es gibt Monarchist*innen, die sich die Rückkehr des Sohns des Schahs wünschen, und er [Reza Pahlavi A.d.R.] positioniert sich immer stärker als politische Figur in der Öffentlichkeit, die von ausländischen Instanzen wahrgenommen wird. Wenn man ihn fragt, sagt er zwar noch nicht, dass er vorhat, als König zurückzukehren, aber er hat sehr viele Anhänger*innen, die sich genau das wünschen. Daneben gibt es politische Kräfte, die auf die direkte Unterstützung westlicher Mächte setzen, und es gibt Gruppen, die ich als links-progressiv bezeichnen würde, die immer noch im Land und in der Diaspora auf die autonome Kraft der Menschen setzen und die Ideen einer pluralen Gesellschaft visionieren, in der unterschiedliche und konfliktive Perspektiven nebeneinander existieren können.

Hast du eine Einschätzung zu den Kräfteverhältnissen in der Protestbewegung, insbesondere zur Stärke der monarchistischen Kräfte?

Ich würde sagen, es gibt sie und sie sind nicht wenige. Es ist ein Problem, dass die Monarchist*innen deutlich mehr öffentliche Sichtbarkeit erhalten. Wenn man sich das als Kräfteverhältnis anschaut, dann haben sie einfach mehr Geld, bekommen mehr mediale Unterstützung und erscheinen dadurch bedeutsamer, als ihre tatsächliche Unterstützung in der Basis ist. Außerdem fällt es den Rechten leichter, sich zu organisieren. Linke halten sich bei vielen Debatten auf, die wichtig sind, aber manchmal sind sie nicht so effektiv wie rechte Kräfte. Deshalb haben es rechte Kräfte einfacher, sich zu organisieren, wobei das kein Problem ist, das nur den iranischen Kontext betrifft. Das beobachten wir auch in den europäischen und westlichen Kontexten. Jedoch trägt es dazu bei, dass es von außen so aussieht, als wären rechte Kräfte im Iran stärker, obwohl sie es an der Basis gar nicht sind.

Welche Visionen für die politische Zukunft des Irans, die gerade in der Protestbewegung diskutiert werden, findest du attraktiv?

Ich finde eine Vision attraktiv, die der Pluralität im Land auf verschiedenen Ebenen gerecht wird: auf der Ebene der verschiedenen ethnischen, nationalen und religiösen Minderheiten, die im Iran leben, aber auch auf der Ebene der politischen Positionen, die es gibt. Ich träume von einer Gesellschaft, die mit patriarchalen Strukturen bricht, Pluralität anerkennt und ein System schafft, das alle Menschen von den Ressourcen, die es im Land gibt, profitieren lässt. Das ist ein System, das mit neoliberalen Strukturen, die es entgegen allen Erwartungen westlicher Perspektiven im Iran gibt, bricht und eine demokratische, egalitäre, plural organisierte Gesellschaft schafft.

Wie reagiert das iranische Regime auf die anhaltende Protestbewegung? Ist die Antwort eine Kombination aus Befriedung und Repression?

Es gibt keine Befriedung der Proteste. Das Gerücht über die Abschaffung der Sittenpolizei gehörte beispielsweise zu den Fakenews des Regimes. Das war Quatsch. Die Hijabpolizei wurden in den letzten Monaten immer wieder gesichtet, aber defacto ist die Islamische Republik gerade mit grundsätzlicheren Problemen beschäftigt als der Präsenz der Hijabpolizei auf der Straße. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie als Zugeständnis an die Protestbewegung abgeschafft wurde. Das Regime setzt mit voller Wucht auf Unterdrückung als letztem Mittel, um seine Macht zu verteidigen. Ich empfinde das auf der einen Seite als beängstigend und es macht mich wütend. Meiner Meinung nach zeigt es andererseits aber auch die Verzweiflung des Regimes, dem kaum noch Mittel zur Verfügung stehen, um diesen Protesten zu begegnen. Gleichzeitig wird auch deutlich, dass sich die Protestierenden mit nichts weniger zufriedengeben als dem Sturz des Regimes.

Wir haben den Eindruck, dass die Jin Jiyan Azadî-Revolution innerhalb der deutschen Linken kein großes Thema ist, sie nur kurz Aufmerksamkeit bekam und es bisher kaum eine gemeinsame internationalistische Arbeit gibt. Deckt sich das mit deiner Einschätzung? Was wäre deine Vorstellung von einer besseren Zusammenarbeit? Wie sähe eine internationalistische und solidarische Praxis aus?

Gerade am Anfang war das Schweigen der deutschen Linken schon sehr hörbar. Ich glaube, das hat viel mit den Debatten in Deutschland über antimuslimischen Rassismus zu tun, da viele linke Gruppen vor diesem Hintergrund zögern, sich dezidiert gegen ein islamistisches Regime und den obligatorischen Hijab zu positionieren. Es fällt den Linken schwer, dieses Spannungsverhältnis und die darin liegende Ambivalenz auszuhandeln und davon ausgehend politische Aktionen zu formulieren. Das ist eine Erklärung, aber keine Entschuldigung. Auch wenn es die meisten Linken nicht zugeben würden, bemerke ich, dass sie sich oft raushalten, da ihnen das Thema Iran zu heikel ist, ihnen der Kontext fremd ist oder die Angst besteht, sich zu wenig auszukennen.

Ich würde dieser Haltung einen Ansatz entgegenstellen, der über die Kontextualität der Revolution hinaus Forderungen abstrahiert und es schafft Parallelen zwischen den Kämpfen der Menschen im Iran und den Kämpfen hierzulande zu ziehen. Es gibt sehr viele Überschneidungen, wir kämpfen alle gegen das kapitalistische, neoliberale System, gegen misogyne, patriarchale Praxen, die häufig mit religiösen Argumenten begründet werden, gegen die Einschränkung von reproduktiven Rechten und die Konstruktion des weiblichen Körpers als Schlachtfeld für Macht- und Herrschaftsdemonstrationen. Natürlich ist es wichtig, die Spezifika des iranischen Kontextes anzuerkennen und gleichzeitig von ihnen zu abstrahieren, um uns bewusst zu machen, wofür wir gemeinsam kämpfen. Es geht darum, sich für die Revolution im Sinne des eigenen politischen Kampfes stark zu machen. So verstehe ich Solidarität. Jede andere Form der Solidarität reproduziert die Kräfteverhältnisse, die wir überwinden wollen. Hier in Deutschland ist ja auch nicht alles super, sonst würden wir hier nicht kämpfen.

Deutsche Kapitalfraktionen haben in den letzten Jahrzehnten gute Geschäfte mit dem Regime gemacht. Es heißt nicht umsonst »Der Hauptfeind steht im eigenen Land«. Wie kann auf so einer Ebene die Unterstützung der Revolution aussehen?

Die Bürger*innen dieses Landes und die Linken sollten den eigenen Staat sichtbarer in die Verantwortung ziehen. Ich hätte mir gewünscht, dass es mehr Aktionen der deutschen Linken gegeben hätte, um die Bundesregierung für die ewig lange Kooperation mit der Islamischen Republik in die Mangel zu nehmen. Das gelang in einigen Momenten, wie zum Beispiel mit der Blockade der iranischen Botschaft im Dezember, aber ist durchaus noch ausbaufähig.

Was gibt dir Hoffnung weiterzukämpfen?

Mir geben meine Freund*innen und Genoss*innen Hoffnung. Weil sie weiterkämpfen, kämpfe auch ich weiter. Wenn ich sehe, wie viel Kraft, Energie, Zeit und Gedanken sie in diese Kämpfe investieren, dann motiviert auch mich das weiterzumachen. Hoffnung spenden auch die Bilder aus dem Iran, die mich von den Protesten erreichten. Und es gibt natürlich noch die Wut auf dieses menschenverachtende, widerliche und faschistische Regime, das mit unverschämter Brutalität jeden Tag gegen die Menschen vorgeht. Diese Wut treibt mich an weiterzukämpfen.

Bahar Oghalai ist feministische Sozialwissenschaftlerin und forscht zu Politisierungsbiografien migrantischer Feministinnen auf dem Iran und der Türkei. Sie ist außerdem wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Alice-Salomon-Hochschule. Sie publiziert regelmäßig zu den Themen Feminismus und Migration mit einem besonderen Fokus auf die WANA-Region.

Bild: Jin Jiyan Azadî-Wandbild am Teutoburger Platz in Berlin, das aus einer Kooperation der Gruppen Bolandg00, MalCrew, Orangotango, Leute vom Teute und der IL Berlin entstand. Foto: privat.