Vergesellschaftung als roter Faden interventionistischer Politik

Spätestens seit dem erfolgreichen Volksbegehren von »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« ist »Vergesellschaftung« in der deutschen Linken in aller Munde. Zur anstehenden Vergesellschaftungskonferenz in Berlin haben sich weit über eintausend Teilnehmende angemeldet. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir einzelne Beiträge unserer 2012 erschienenen IL-Vergesellschaftungsbroschüre hier auf dem Blog – als Rückblick auf unsere eigene Geschichte und als Anstoß für zukünftige Debatten. Wir beginnend mit Vorwort und Einleitung.

Vorwort

Diese Broschüre dokumentiert den Stand einer Debatte in der »interventionistischen Linken« (iL) aus dem Frühjahr 2012. Sie beschäftigt sich anhand konkreter Beispiele mit dem Konzept der Vergesellschaftung. Die Texte der Gruppen entspringen ihrer politischen Arbeit in den Tätigkeitsfeldern Energie, Gesundheit, Recht auf Stadt und Care-Arbeit. Sie machen deutlich, wie vielfältig die sozialen Auseinandersetzungen sind, die derzeit geführt werden (müssen). Zugleich zeigen sie auch, dass die vermeintlich so unterschiedlichen Kampfe über eine Vielzahl an Gemeinsamkeiten verfügen.

Ausgangspunkt aller Beitrage sind die vielfältigen Probleme, die von der kapitalistischen Profitlogik andauernd hervorgebracht und durch die derzeitige Krise weiter verschärft werden. Das macht besonders deutlich, dass es grundlegender Veränderungen bedarf. Insbesondere dort, wo die Folgen neoliberaler Krisen»lösungen« besonders drastisch sind, sind Menschen gezwungen, zentrale Lebensbereiche selbst zu gestalten und zu organisieren.

Dabei zeigt sich, dass die notwendige Überwindung der Profitlogik verknüpft ist mit der Frage, wie die jeweiligen Bereiche – letztendlich aber auch die gesamte Gesellschaft – anders, solidarisch und ohne Kapitalismus organisiert werden können. Diese Broschüre soll der Anfang einer breiten Debatte darüber sein, wie eine solidarische Gesellschaft konkret aussehen kann, und wie wir sie in die Realität umsetzen oder ihr zumindest Schritt für Schritt näher kommen können.

Wir wenden uns mit dieser Broschüre insbesondere an die assambleas auf den Plätzen, die Foren von Gewerkschafter*innen, an Vollversammlungen und Zusammenschlüsse von Betroffenen. Wir hoffen, dass wir so einen Beitrag dazu leisten können, dass sie sich über den Weg zu einer neuen, freien, solidarischen Gesellschaft austauschen und neue Formen der Organisation als einen Beitrag zur Lösung ihrer Probleme auffassen. Entscheidend ist, dass diese neuen Formen ausprobiert und erprobt werden, denn eine freie Gesellschaft kann nicht am Reißbrett entworfen werden. In diesem Sinne wollen wir hier Denkanstöße, Vorschläge und Ideen liefern – vor allem aber dazu aufrufen eine mutige, offensive und neue Praxis zu entwickeln.

Einleitung

Warum diese Broschüre

Spätestens die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre hat vielen Menschen vor Augen geführt, dass eine kapitalistisch organisierte Welt nicht das Gelbe vom Ei ist. Doch trotz aller Legitimitätsprobleme sitzt der Kapitalismus scheinbar unumstößlich im Sattel. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass es seinen Verfechter*innen immer wieder gelingt, den Kapitalismus als absolut alternativlos darzustellen. Und das liegt wiederum auch daran, dass es progressiven gesellschaftlichen Kräften nicht gelingt, dieser Alternativlosigkeit eine über den Kapitalismus hinausweisende und zugleich greifbare Perspektive entgegenzusetzen.

In Ermangelung einer solchen Perspektive sind unsere Kämpfe selten nach vorne gerichtet, sondern häufig Abwehrkämpfe oder beschränken sich auf Minimalforderungen, die wie Rettungsmaßnahmen oder Schönheits-OPs wirken und dadurch den Kapitalismus sogar stabilisieren können. Eine Alternative zum Kapitalismus wird dadurch nicht vorstellbar.

Innerhalb der Gesellschaft besteht eine Vielzahl von Konflikten, die vereinzelt ausgetragen werden. Die Betroffenen sind somit leicht gegeneinander auszuspielen, und die Vereinzelung verstellt den Blick für die gemeinsamen Ursachen der Konflikte. Diese verschiedenen Konflikte zusammenzuführen und den verschiedenen Partikularinteressen eine gemeinsame Stimme zu geben, könnte die radikalen Perspektiven aus ihrer gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit heben und uns alle einem gesellschaftlichen Umbruch näher bringen.

Wir halten es für problematisch, uns mit einer immer weiter und besser ausgearbeiteten Kritik des Kapitalismus zu begnügen. Vielmehr muss der vermeintlichen Alternativlosigkeit ein ernstzunehmender Gegenvorschlag entgegengehalten werden. Die so oft genutzte Parole einer solidarischen, an den Interessen der Menschen ausgerichteten Gesellschaft ist nur eine Floskel und kein ausgearbeiteter Gegenentwurf. Für uns resultiert daraus die Notwendigkeit, einen Kampfbegriff zu entwickeln, der in verschiedensten Auseinandersetzungen eingesetzt werden kann, der auf mittelfristige Veränderungen abzielt und zugleich die Utopie, die hinter den Kämpfen steht, greifbar macht. Vorerst verwenden wir hierfür den Begriff »Vergesellschaftung«.

Dieser Begriff dient als roter Faden, um die verschiedenen Teilbereichskämpfe miteinander zu verbinden und darüber Perspektiven für gemeinsame Kämpfe zu eröffnen. Ein roter Faden ist dabei etwas anderes als die berühmte »Klammer«, nach der in der linken Politik immer wieder gesucht wurde. Es geht nicht darum, einen Slogan zu finden, der lediglich den kleinsten gemeinsamen Nenner linker Politik formuliert, während alle Beteiligten ansonsten so weiter machen wie bisher. Wir wollen etwas entwickeln, das uns verbindet und für uns verbindlich ist. Unser Gegenentwurf kann jedoch erst in der Auseinandersetzung und Verständigung der unterschiedlichen Teilbereichskämpfe an Kontur gewinnen. Deswegen handelt es sich um einen Prozess und nicht um ein Programm.

Unsere Idee ist, »Vergesellschaftung« in diesem Sinne als einen roten Faden zu nutzen, um an verschiedenen Orten gleichzeitig, wiederholt und wiedererkennbar in soziale Kämpfe zu intervenieren. Wir müssen den Blick in die Zukunft richten und dabei Anknüpfungspunkte im Hier und Jetzt gesellschaftlicher Realität finden. Wir wollen ein breites Bewusstsein davon vermitteln, dass die nichtkapitalistische Vergesellschaftung aller Bereiche der Produktion, aber eben auch der Reproduktion möglich und nicht nur eine Utopie ist. Dabei streben wir konkrete Verbesserungen in diese Richtung bereits im Hier und Jetzt an.

Vergesellschaftung, Kapitalismus, Sozialismus, Verstaatlichung, dritter Weg

Wir haben Vergesellschaftung zum Roten Faden dieses Prozesses gemacht, der Begriff stammt jedoch nicht von uns. Zunächst einmal bezeichnet Vergesellschaftung das, was jede Gesellschaft und damit auch die Weltgesellschaft konstituiert. Gesellschaften sind nicht einfach da, sondern werden in Prozessen der Vergesellschaftung immer neu hervorgebracht und dabei permanent verändert. Diese Prozesse prägen die in ihnen vergesellschafteten Individuen samt ihren Wünschen, Lüsten, Bedürfnissen und Begierden, samt ihrem Wissen, ihren Meinungen und Überzeugungen, und in ihren näheren und ferneren Beziehungen zu anderen Individuen und Dingen.

Die Besonderheit der bürgerlich-kapitalistischen Vergesellschaftung ist es, Gesellschaft in »abstrakter« Weise herzustellen und aufrechtzuerhalten: über den Nationalstaat, das Recht, die Arbeit, den Markt, das Geld, das Kapital. Von links wurde der bürgerlich-kapitalistischen Vergesellschaftung die Verstaatlichung entgegengesetzt. Ein anderer Staat, der »gute« sozialistische Staat sollte die Arbeit befreien, den Markt durch den Plan ersetzen und sich dazu der Produktionsmittel bemächtigen, sie revolutionär oder reformistisch aus privatem in staatliches Eigentum überführen. Die Verstaatlichung sollte allerdings nur eine vorübergehende sein: »Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt – die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft, ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem andern überflüssig und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht ›abgeschafft‹, er stirbt ab« (Engels, MEW 19:225).

Die Verstaatlichung wurde jedoch schon in den 1920er Jahren auch von links kritisiert. Rätekommunist*nnen, Anarchist*nnen, auch linke Sozialist*innen und Sozialdemokrat*innen knüpften dabei an noch ältere Erfahrungen an, die in Produktions- und Konsumgenossenschaften und in der »sozialen Infrastruktur« des proletarischen Vereinslebens gemacht wurden, und an Erfahrungen der bäuerlichen Vergesellschaftung.

Später kam dann die Rede vom »Dritten Weg« jenseits von Staat und Markt auf. Prominent wurde sie im Blick auf ganz unterschiedliche Vergesellschaftungsexperimente wie chinesische Volkskommunen oder die jugoslawische Arbeiter*innenselbstverwaltung. In der BRD inspirierte letztere noch in den 1970er Jahren linkssozialdemokratische Debatten, für die Vergesellschaftung zur unmittelbar realpolitischen Maßgabe wurde. Dabei berief man sich auf den Artikel 15 des Grundgesetzes, in dem es heißt: »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.«

Aber auch jenseits von Verstaatlichung und Drittem Weg haben die Alternativ- und autonomen Bewegungen Vergesellschaftung subkulturell in besetzten Häusern, Landkommunen und Alternativbetrieben ausprobiert.

Und was nun?

Überall auf der Welt gibt es Orte und Projekte, in denen im Kleinen oder temporär etwas kollektiv organisiert und zumindest partiell kapitalistischer Verwertungslogik entrissen wird. Diese Projekte geben uns einen Ausblick auf das Leben in einer nicht-kapitalistische Gesellschaft. Doch wir dürfen nicht dabei verharren, alternatives Leben nur in Nischen zu führen. Wir brauchen einen Prozess, der eine Alternative zum Kapitalismus auch in breiten gesellschaftlichen Bereichen erlebbar macht.

Solche Veränderungen setzen sich nicht einfach so in der kapitalistischen Konkurrenz durch: Diese bittere Erfahrung mussten viele Kollektivbetriebe der grün-alternativen Bewegung machen. Deshalb müssen wir für den politischen Druck sorgen, der zur Durchsetzung solcher Projekte auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gebraucht wird.

Das Konzept, das wir als »Vergesellschaftung« bezeichnen, bricht mit den realsozialistischen Vorstellungen einer Diktatur des Proletariats und eines disziplinierenden Staates, der die Gesellschaft verwaltet, kontrolliert und überwacht. Es wendet sich aber ebenso gegen die Vorstellung, dass über eine andere Gesellschaft erst nach dem Ende des Kapitalismus nachgedacht werden kann, genauso wie gegen ein rein utopistisches Herangehen, das sich über die notwendige Transformation keine Gedanken macht. Aber es bricht auch mit Sozialstaatsromantik und idealisierenden Vorstellungen eines Versorgungsstaats.

In einer solidarischen, an den Interessen der Menschen ausgerichteten Welt treffen die Menschen Entscheidungen, die von diesen betroffen sein werden. Beispielsweise entscheiden die Bewohner*innen eines Gebietes über den Ausbau des ÖPNV und nicht eine gewinnorientierte Betreibergesellschaft. Ebenso entscheidet die Bevölkerung kollektiv über die Erzeugung von Strom oder die Gestaltung der Städte, Stadtviertel und Dörfer oder ehemaliger Flughäfen. Liegt die Entscheidungsgewalt über diese Bereiche in den Händen der Betroffenen, kann das ein erster Schritt in Richtung Vergesellschaftung sein. Ein solcher Schritt bedeutet, Selbstverwaltung und Erfolge erfahrbar zu machen und so Motivation für neue Kämpfe zu geben. Dabei zeigt sich, dass eine Organisierung jenseits der üblichen kapitalistischen Muster auch zu handfesten Verbesserungen führen kann.

Niemand von uns kann derzeit sagen, wie Selbstverwaltung im gesellschaftlichen Maßstab am besten funktioniert und wie die kommunistische Gesellschaft später aussieht. Der Begriff und die Utopie »Vergesellschaftung« kann nur durch die Praxis gefüllt und erarbeitet werden. Im Vergleich zur Forderung nach Enteignung sehen wir in einer Forderung nach Vergesellschaftung einen doppelten Vorteil: Zuerst entsteht nicht der Reflex »die wollen uns alles wegnehmen«. Vor allem ist mit der Vergesellschaftung ein Konzept über das Enteignen hinaus verbunden.

Uns geht es darum, dem Kapitalismus zunehmend die Verfügungsgewalt über den gesellschaftlichen Reichtum aus der Hand zu nehmen. Wir wollen, dass alle kollektiv entscheiden was, wie, wann und wo produziert wird. Die damit verbundenen Entscheidungsprozesse sehen wir auf drei Ebenen angesiedelt:

  1. Die Belegschaft eines Betriebes entscheidet, wie sie produziert.

  2. Die Nutzer*innen der Produkte müssen ebenso in den Entscheidungsprozess eingebunden werden.

  3. Zugleich muss die gesamte Gesellschaft die Möglichkeit haben, Richtungsentscheidungen zu treffen. Beispielsweise durchzusetzen, dass Atomkraftwerke abgeschafft werden.

Solche komplexen Organisierungs- und Entscheidungsprozesse vorstellbar zu machen, indem wir die erfolgreichen Ansätze, die es hierzu gab und gibt, populärer machen, wäre ein gewichtiger Schritt dahin, den Kampfbegriff »Vergesellschaftung« mit Leben zu füllen. Wir sind uns aber bewusst, dass mit diesem Begriff und dem Vorgehen auch Probleme verbunden sind.

  1. Eines der größten Probleme ist – wie eingangs schon erwähnt - die Unterscheidung von der Verstaatlichung. Verstaatlichung bricht nicht mit der kapitalistischen Logik, ist historisch gesehen nicht unbedingt ein Erfolgsprojekt und bringt uns vor allem auch nicht einer kollektiven Entscheidungsfindung und gesellschaftlichen Organisierung näher. Im Gegenteil dazu gewinnt die Vergesellschaftung erst dadurch emanzipatives und revolutionäres Potential, dass sie jenseits staatlicher Ordnung eigene Organisationsprinzipien entwickelt. Bei diesen geht es darum, konsensorientierte Entscheidungsfindungsprozesse zu etablieren und die hierfür angemessenen Formen der Repräsentation zu entwickeln.

  2. Ein weiteres Problem ist, dass der Begriff nicht von sich aus mit gesellschaftlichen Rollenzuweisungen oder der Trennung in private und öffentliche Arbeit bricht. Haushalts- und Care-Arbeit müssen in Konzeptionen zur gesellschaftlichen Organisierung von Arbeit ein bezogen werden. Ebenso braucht es politischen Druck, um die ungleiche Verteilung dieser Arbeit zwischen den Geschlechtern aufzubrechen.

  3. Auch führt die Kollektivierung von einzelnen Betrieben oder Wirtschaftsbereichen nicht per se einen Bruch mit kapitalistischen Prinzipien herbei. In Kollektivbetrieben, die ihr Produkt vermarkten müssen, werden die Betriebsmitglieder allzu leicht in die Rolle der sich selbst ausbeutenden Unternehmer*innen gedrängt. Diese Zwickmühle besteht erst dann nicht mehr, wenn sowohl die Verteilung des Produkts als auch die Versorgung des Betriebs mit dem, was er zur Produktion braucht, vergesellschaftet sind – also nach der Revolution. Deshalb ist die Einbettung in soziale Bewegungen und politischer Druck nötig, um Bedingungen herzustellen, in denen emanzipative Erfahrungen mit Selbstorganisierung der Produktion gesammelt werden können, statt kapitalistische Ausbeutung zu perfektionieren und auf eine neue Stufe zu stellen. Dass und wie das passiert ist, lässt sich in Deutschland beispielsweise an den Alternativbetrieben der 1970er und 1980er wie an der Jobber*innenbewegung zeigen.

  4. Schließlich ist die Stimme der Mehrheit nicht automatisch progressiv. Würde beispielsweise das Gesundheitswesen in der heutigen Gesellschaft von einem auf den anderen Tag nach dem Willen der Mehrheit organisiert, haben wir Zweifel, dass uns das Ergebnis gefallen würde. Denn das gesellschaftliche Bewusstsein ist von Patriarchat und Kapitalismus geprägt, rassistische und antisemitische Denkmuster sind häufig. Vor einem gesellschaftlichen Umbruch und auch parallel dazu sind daher Bewusstseinsbildungsprozesse nötig, um die vorherrschenden Denkmuster zu überwinden und hinter sich zu lassen. Dies ist jedoch kein spezielles Problem des Kampfbegriffes »Vergesellschaftung«, sondern ein Problem, mit dem wir als Linke durchgängig konfrontiert sind und welches uns noch länger beschäftigen wird.

Mögliche Bereiche für Interventionen

Wir haben für diese Broschüre verschiedene Bereiche ausgewählt, um zu konkretisieren, wie sich der Blick auf diese Auseinandersetzungen vor dem Hintergrund von »Vergesellschaftung« verändert. Die Auswahl ist ein Stück weit willkürlich – genauso hätten wir auch die Vergesellschaftung des öffentlichen Personenverkehrs oder die Frage danach aufnehmen können, welche Nahrungsmittel auf welche Weise produziert werden sollten. Die nachfolgenden Artikel stellen die Konflikte und Kräfteverhältnisse in den von ihnen beschriebenen Feldern jeweils sehr unterschiedlich dar. Auch zeigt sich bei den beiden Artikeln zu Energiekämpfen die unterschiedliche Gewichtung der notwendigen Prozesse. Während der eine auf den Prozess der Vergesellschaftung und die Mechanismen gesellschaftlicher Teilhabe fokussiert, legt der andere seinen Schwerpunkt auf die Enteignung als eine Grundlage des Vergesellschaftungsprozesses.

Die Kämpfe (so sie denn stattfinden) beziehen sich zunächst auf einzelne Bereiche. Doch über »Vergesellschaftung« werden Anknüpfungspunkte deutlich und lassen sich die Kämpfe miteinander verbinden.

What’s next?

Die Analyse und Kritik des Kapitalismus ist und bleibt eine wichtige Grundlage antikapitalistischer Arbeit. Doch für politische Interventionen braucht es mehr. Mit dem Konzept »Vergesellschaftung« wollen wir in den Diskurs zur sozialen Frage (zunächst in Deutschland) eingreifen. Darüber hinaus werden wir Verbündete in aller Welt brauchen. Vor allem soll dieses Konzept mit seiner Konkretisierung einen Weg in eine andere Gesellschaft jetzt und hier vor Ort denkbar machen. Es geht darum, die Lücke zwischen Ist-Zustand und Utopie zu schließen und dabei einen konkreten Gesellschaftsentwurf zu wagen. Dabei müssen wir aus den Fehlern der Grünen lernen und dürfen nicht zur Unternehmensberatung für Kollektivbetriebe werden. Mit dem gemeinsamen Projekt »Vergesellschaftung« kann eine Stärke entwickelt werden, die da sie nicht auf einzelne Kampagnenhöhepunkte beschränkt bleibt. In diesen Prozess könnten einzelne Menschen wie auch Gruppen nach und nach mit einsteigen. Vergesellschaftung wäre dabei der rote Faden, der sich durchzieht aber auch – bildlich gesprochen – gesponnen werden muss. Wir müssen eine gemeinsame, verständliche Sprache entwickeln. Interventionen müssen an verschiedenen Orten ausprobiert werden. An die Stelle eines Programms von oben muss das gemeinsame Suchen und Weiterentwickeln treten.

Der Text entstammt der 2012 erschienenen »Vergesellschaftungsbroschüre« der IL. Neben Vorwort und Einleitung der Broschüre lässt sich hier auf dem Debattenblog ein Text zur Enteignung und Vergesellschaftung von Energiekonzernen nachlesen, die gesamte Broschüre gibt es zum Download auf der IL-Homepage.

Autorin: Interventionistische Linke, im Frühjahr 2012

Bild: Frontumschlag der Vergesellschaftungsbroschüre, von attenzione photographers.