Der Kampf für die Enteignung und Vergesellschaftung von Energiekonzernen


Ein Rückblick und Ausblick aus Düsseldorf

Die aktuelle Energiekrise zeigt deutlich, warum man die Energieversorgung nicht dem Markt überlassen sollte – und warum große Energiekonzerne dringend enteignet und vergesellschaftet werden müssen, wie es die Initiative »RWE & Co. enteignen« fordert. Dass diese Debatte nicht neu ist und welche grundlegenden strategischen Fragen damit verbunden sind, zeigt der folgende Text der initiative k aus Düsseldorf, der 2012 in unserer Enteignungsbroschüre erschienen ist.

Der Impuls für die Beschäftigung mit diesem Thema kam in Düsseldorf nicht aus der Ökologie-Bewegung, sondern aus dem Bereich der Sozialen Kämpfe: Wir, die initiative k, beschäftigten uns seit unserer Gründung im Jahre 1994 sowohl theoretisch als auch praktisch mit dem Themenbereich Stadtentwicklung, Wohnungsnot, Armut. Dabei tauchte auch immer häufiger das Problem der armutsbedingten Stromabschaltungen auf.

Neben kleineren lokalen Interventionen wandten wir uns im Frühjahr 2008 mit dem Papier »Warum die Kampagne zur Enteignung und Vergesellschaftung von Energiekonzernen für die (radikale) Linke Sinn macht« an die Offene Arbeitskonferenz der »Interventionistischen Linken« (iL). In dem Papier formulierten wir:

»Für uns ist die Eigentumsfrage die Grundfrage in Hinblick auf die Überwindung der kapitalistischen Ökonomie. Ohne Überwindung des Privateigentums an (zumindest den zentralen) Produktions- und Distributionsmitteln kann u.E. keine nachkapitalistische, emanzipatorische Gesellschaft entstehen. Dabei wissen wir, dass die Enteignung notwendig, aber nicht hinreichend ist. Wir benutzen daher das Wortpaar Enteignung und Vergesellschaftung in unserer Arbeit, um den demokratischen und emanzipatorischen Charakter unseres Ziels zu beschreiben. Vergesellschaftung meint u.a. die Herstellung von dauerhafter demokratischer Kontrolle, partizipativen Gestaltungsmöglichkeiten, ökologisch und sozialer Zielorientierung und teilweiser Dezentralisierung.«

Zur Begründung, warum wir die Beschäftigung ausgerechnet mit Energiekonzernen für sinnvoll halten, führten wir aus:

»Weil anhand der Strom- und Mineralölkonzerne exemplarisch die Schädlichkeit des Kapitalismus für die Mehrheit der Bevölkerung demonstriert werden kann – und weil es jede Menge Anknüpfungspunkte für (radikal) linke Politik gibt.

Wir denken, dass die Energiekonzerne berechtigterweise verhasst sind. Ihre Oligopole sorgen für Extraprofite, herausgepresst aus den Millionen von Strom, Öl, Gas und Benzin abhängigen Menschen in diesem Land. Jede Nachzahlung , jede Preiserhöhung sorgt für Ärger – dem stehen satte Profite gegenüber.

Die Energiekonzerne werden von vielen Menschen aus sozialer, ökologischer und demokratischer Sicht als ein Übel ersten Ranges begriffen, was uns die Argumentation für ihre Enteignung und Vergesellschaftung erleichtert. Darüber hinaus denken wir, dass die Lösung der ökologischen Frage (Klimakatastrophe, AKWs etc.) für die Menschheit überlebenswichtige Bedeutung hat – und dass das Zeitfenster für die Lösung stetig kleiner wird.«

Als Elemente einer langfristigen, kontinuierlichen Arbeit zu diesem Thema wurden u.a. genannt:

»Kampf gegen die Privatisierung von städtischen Energieunternehmen bzw. für die Rekommunalisierung. Kampf für Sozialtarife in der Energiegrundversorgung. Kampf gegen Kohle- und Kernkraftwerke. Kampf für die Durchsetzung alternativer Energien in der Region. Kampf gegen die Verwendung von Nahrungsmitteln als Biosprit.«

Das Papier hält fest: »Unser Erfolg hängt davon ab, ob auch andere Gruppen bereit sind, die Eigentumsfrage aufzugreifen. Wir haben daher hohes Interesse an einer Zusammenarbeit mit anderen Gruppen.«

Wenn jetzt, vier Jahre später, eine Zwischenbilanz zu ziehen ist, so enthält diese Fortschritte und Stagnation, aber erfreulicherweise keine Rückschritte.

Ein wichtiger Fortschritt ist in der Ausdehnung des Diskurses in größere Teile der Linken zu sehen. Waren es zunächst nur attac und kleinere Gruppen der radikalen Linken, die die Eigentumsfrage anhand der Energiekonzerne überhaupt thematisierten, so erweiterte sich das Spektrum durch die Übernahme entsprechender Positionen durch Teile der Linkspartei. Die LINKE NRW, immerhin der drittgrößte Landesverband dieser Partei, bestritt die Landtagswahl 2010 mit der Forderung nach Zerschlagung der Großkonzerne und führte im Wahlprogramm aus:

»Die Energiekonzerne in NRW – RWE und E.ON – müssen vergesellschaftet werden. Sie gehören in öffentliche Hand und müssen demokratisch kontrolliert, perspektivisch entflochten und dezentralisiert werden. Bereits privatisierte Anteile von Stadtwerken müssen rekommunalisiert werden. Die Energiepreise werden sozialverträglich gestaltet. Eine neue Energiepolitik ist an Energieeffizienz, Energieeinsparung , Förderung erneuerbarer Energien und Klimaschutz auszurichten.«

Die Reaktionen der bürgerlichen Kräfte waren eindeutig. »Wer ein solches Programm beschließt, steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes« ließ sich der damalige NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) vernehmen, die SPD sprach von »Quartalsirren« und die Grünen konstatierten »Damit katapultiert sich die Linkspartei endgültig ins politische Absurdistan«. Die reformistische Führung der Bundespartei der LINKEN war genervt, da die Chancen auf eine Regierungsbeteiligung in NRW und im Bund schwanden, aber die Wähler*innen in NRW honorierten die antikapitalistischen Positionen mit über 430.000 Stimmen, 5,6% und 11 Landtagsmandaten.

Ein weiterer Fortschritt ist die Verankerung des Denkansatzes in Teilen der (post-) autonomen Linken. Wurde das Thema Eigentum dort lange Zeit weitgehend ignoriert oder völlig abstrakt (»Alles für alle – und zwar umsonst« / »Kapitalismus abschaffen«) behandelt oder auf individueller Lösungen in kleineren Milieus bezogen (Hausbesetzungen, Schwarzfahraktionen), so öffnete sich dieses Spektrum mit der Enteignungs-/Vergesellschaftungsposition beispielsweise in der Moorburg-Kampagne oder in der Kampagne Castor Schottern einem gesamtgesellschaftlichen Ansatz.

Diese Fortschritte gehen einher mit einer Stagnation in einigen Bereichen. So gelang es bislang nicht, die Enteignungs- und Vergesellschaftungsposition in breiten Kreisen der Bevölkerung zu verankern oder in den Massenmedien auch nur ansatzweise unterzubringen. Zugleich gelang es nicht, die Bedeutung des Zusammenhangs von Enteignung und Vergesellschaftung innerhalb der Linken breit zu verankern.

Die Gründe für die nicht vorhandene Massenakzeptanz der Enteignungs- und Vergesellschaftungsposition sind vielfältig. Zwar ist die absolute Mehrzahl der Bevölkerung beispielsweise von steigenden Energiekosten betroffen, dennoch resultiert aus der Erfahrung von Missständen nicht automatisch Widerstand. Hinzu kommt, dass die von uns angebotene Lösung – so sie denn überhaupt bekannt ist – als tiefer Eingriff in eine komplexe Welt wahrgenommen wird, an dessen Erfolg im Sinne einer (schnellen) Lösung der eigenen Probleme gezweifelt wird. Ebenfalls hemmend: Die (radikale) Linke verfügt derzeit weder über das Aktivist*innenpotential, noch über den Medienzugriff, um das Thema zügig in breiten Kreisen der Bevölkerung zu verankern. Dort, wo die (radikale) Linke bislang jedoch aktiv wurde, gab es von gut einem Drittel der mit der Enteignungs-/Vergesellschaftungsposition konfrontierten Menschen Zustimmung. Beachtlich ist die vorhandene Furcht der Aktivist*innen vor einem vermeintlichen Populismus – so gab es beispielsweise bisher keine Aktivitäten, um die ständig steigenden Benzinpreise zugunsten einer ökologisch konnotierten Enteignungskampagne gegen die Mineralölkonzerne (als Teil der Energiekonzerne) zu wenden.

Die Bedeutung des Zusammenhangs von Enteignung und Vergesellschaftung trifft bei vielen Linken aus verschiedenen Gründen auf Unverständnis oder Ablehnung. Ein Teil scheut die Zustimmung zum autoritären Akt der Enteignung. Hier herrscht u.a. die Illusion vor, dass man die Macht der Großkonzerne nicht durch Enteignung brechen müsse, sondern – beispielsweise mittels Genossenschaften – mit diesen konkurrieren könne. Einige befürchten eine prinzipielle Ablehnung von weiten Teilen der Bevölkerung, die vielleicht die Inhalte teilen könnten, aber von den verwendeten Begriffen abgeschreckt werden. Enteignung hört sich zudem auch ein bisschen nach Sozialismus/Kommunismus an, da wollen viele reformorientierte Linke nichts mit zu tun haben. Diese Haltung ist anschlussfähig an die Position, die das Dezentrale, das vermeintlich Demokratische der Vergesellschaftung soweit akzentuiert, dass es ins Individualistische (»Jeder kann schon jetzt seinen Strom selber machen«) und damit ins Ungefährliche für das Bestehende abdriftet.

Demgegenüber ist festzuhalten:

  • Die Enteignung bestimmter Sektoren der Wirtschaft ist zwar im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung, muss aber nicht zwangsläufig antikapitalistisch sein. Die Geschichte bürgerlicher Staaten kennt eine Reihe von Enteignungen im Interesse der Stabilisierung des Gesamtsystems. Unter den Bedingungen der BRD ist eine Enteignung der Energiekonzerne zugunsten von staatlichen Konzernen oder kleineren nichtstaatlichen Unternehmen durchaus denkbar. Damit wäre unsere Vorstellung von Vergesellschaftung noch nicht umgesetzt, dennoch sehen wir darin einen Fortschritt gegenüber der jetzigen Situation

  • Vergesellschaftung darf nicht als Insellösung gedacht werden. Vergesellschaftete Betriebe, die unter kapitalistischen Bedingungen mit kapitalistischen Konzernen konkurrieren müssen, haben aus ihrer ökologischen und sozialen Verantwortung heraus auf dem Markt Nachteile gegenüber den profitorientierten Konzernen. Notwendig ist daher, die Enteignung und Vergesellschaftung innerhalb eines Staatsterritoriums mindestens auf Branchenebene. Perspektivisch natürlich international.

  • Vergesellschaftung bedeutet nicht die Konkurrenz beispielsweise von privaten Stromerzeuger*innen oder Genossenschaften untereinander, sondern die planvolle Entwicklung einer ökologischen und sozialen Wirtschaft.

  • Der letzte Punkt berührt nicht nur die formale Eigentumsstruktur, sondern auch die Frage des Verhältnisses von Zentralität zu Dezentralität: Auf welcher Ebene ist es sinnvoll zentral bzw. dezentral Entscheidungen zu treffen? Welcher gesellschaftliche Vorteil wäre beispielsweise erreicht, wenn 30 regionale Genossenschaften Benzin in der BRD verkaufen würden? Würde da nicht ein einziger Staatskonzern unter demokratischer Kontrolle mehr Sinn machen?

  • Die Beschäftigung mit der Eigentumsfrage ist eine unumgängliche Aufgabe für die radikale Linke. Denn solange die Mehrheit der Bevölkerung (und insbesondere die Mehrheit der Lohnabhängigen) das Eigentum der (Groß-)Konzerne nicht in Frage stellt, ist die Überwindung des Kapitalismus unmöglich.

Zugleich erfordert die Eigentumsfrage die Beschäftigung mit weiteren Aspekten der gesellschaftlichen Umgestaltung: Was bedeutet planmäßiges Handeln? Wer plant aufgrund welcher Ziele? Was meint bedürfnisgerechte Produktion und Verteilung – insbesondere von knappen Gütern? Was bedeutet gesellschaftliches Eigentum in Hinblick auf demokratische, partizipative Strukturen? Welche Arbeitszeitmodelle sind dafür notwendig?

Offenkundig ist, dass diese Fragen von Kleingruppen weder umfassend mit der nötigen Qualität beantwortet werden können, noch die aus den Antworten resultierenden Positionen in der Gesellschaft hegemonial gemacht werden können. Die Eigentumsfrage zwingt daher auch, über Organisation und Intervention nachzudenken.

Aus dem bislang Genannten resultieren folgende Aufgaben, an deren Bewältigung die (radikale) Linke teilweise bereits arbeitet:

  • Formulierung einer Kritik des Bestehenden sowie der daraus abgeleiteten Alternativen, sowohl im Rahmen des Kapitalismus (Reform, bei Betonung der Begrenztheit) als auch nach dem Bruch mit dem Kapitalismus (Revolution), inklusive der Beantwortung der Fragen des formellen Eigentums sowie der Partizipations- und Entscheidungsmöglichkeiten. Ein wesentlicher Schritt ist dabei, die Frage der Energiepolitik nicht mehr vorwiegend unter klassenneutralen ökologischen Gesichtspunkten zu thematisieren, sondern den Blick auf den Klassencharakter der sozialen Seite der Energiepolitik zu schärfen.

  • Formierung eines antimonopolistischen Blocks unter Einschluss prokapitalistischer Kräfte, Bildung von Bündnissen, die die Macht der Großkonzerne zurückdrängen und konkrete Reformschritte zu realisieren versuchen. Rekommunalisierung der Energieerzeugung und -verteilung bzw. die Überführung in Genossenschaften, bei Festschreibung einer sozialen und ökologischen Orientierung als konkreter Reform.

  • Aufbau einer Struktur der radikalen Linken, die in der Lage ist, den notwendigen Bruch mit dem Kapitalismus in der Gesellschaft zu verankern und vorzubereiten.

Das alles wird lange brauchen und von Experimenten, Fehlern und deren Korrekturen begleitet sein. Viele Probleme und deren Lösungen werden sich erst im Verlauf einer gemeinsamen Praxis ergeben. Wir arbeiten daran.

Der Text entstammt der 2012 erschienenen »Vergesellschaftungsbroschüre« der IL. Vorwort und Einleitung der Broschüre lassen sich hier auf dem Debattenblog nachlesen, die gesamte Broschüre gibt es zum Download auf der IL-Homepage.

Autorin: initiative k aus Düsseldorf, eine der Quellgruppen der Gruppe see red! Interventionistische Linke Düsseldorf (iL).

Bild: Black Steel Electric Post, von Pixabay.