Sexarbeit in der Krise


Solidarität mit Sexarbeiter*innen

Mit dem #RotlichtAn fordern Sexarbeiter*innen das Ende des Verbots ihrer Arbeit. Inwiefern dieses Verbot insbesondere informelle Sexarbeiter*innen hart trifft und warum das Prostituiertenschutzgesetz eben keinen Schutz - schon recht nicht in der Pandemie - bietet, diskutieren die Genoss*innen der Queerfeminismus AG der IL Berlin in diesem Artikel.

Sexarbeiter*innen trifft die Corona Krise besonders hart und ihre Notsituation bleibt weitgehend unbeachtet. Im Anschluss an die Vorgabe der Bundesregierung nicht medizinisch notwendige, körpernahe Dienstleistungen zu untersagen, ist Sexarbeit seit März in vielen Bundesländern, darunter auch Berlin, untersagt. Heute bedeutet dies bereits mehr als drei Monate Verdienstausfall für die ca. 50.000-400.000 Sexarbeiter*innen in Deutschland. Die wenigsten von ihnen sind jedoch – wie vom Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) vorgesehen – offiziell angemeldet. Während der Verdienstausfall von jenen, die als »Solo-Selbstständige« oder Angestellte angemeldet arbeiten durch staatliche Ausfallzahlungen zumindest teilweise aufgefangen werden kann, ist es die Mehrheit der nicht-angemeldeten Sexarbeiter*innen, die es jetzt am härtesten trifft. Sie stehen plötzlich ohne Einkommen, ohne staatliche Hilfen und häufig ohne Obdach da. Einige Personen haben keine andere Möglichkeit als trotz des Risikos von Ansteckung und Strafe weiterzuarbeiten. Die Anfang April getroffene Entscheidung, dass Sexarbeiter*innen in Berlin an ihren Arbeitsstätten übernachten dürfen (entgegen dem ProstSchG), kam für die meisten zu spät: Sie waren in ihre Herkunftsländer zurückgegangen, lebten seit einem Monat auf der Straße oder gerieten unter massiven Druck eine neue Unterkunft zu finden. Mittellosigkeit und Wohnungslosigkeit, gepaart mit einem gesellschaftlichen Wegschauen in dieser Notsituation, drängen marginalisierte Sexarbeiter*innen noch mehr ins Abseits. Für Personen, die trotz Verbot weiter sexuelle Dienstleistungen im direkten Kontakt anbieten, sind Strafen in Höhe von bis zu 10.000€ möglich.

Die Kombination mehrerer repressiver Maßnahmen und Vorgaben bei gleichzeitigem Fehlen von staatlicher Unterstützung trifft Sexarbeiter*innen weit mehr als andere Berufsgruppen. Während die prekären Verhältnisse zahlreicher Lebensbereiche und Wirtschaftszweige im öffentlichen Diskurs verhandelt werden, bleiben die Auswirkungen der Krise auf Sexarbeiter*innen weitestgehend ausgeblendet und ignoriert. Überlegungen dazu, wie Sexarbeit während und nach Corona aussehen kann, scheinen im Gegensatz zu Lockerungen in anderen körpernahen Dienstleistungsbereichen vernachlässigt zu werden. Vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. liegt jedoch bereits ein Hygiene-Konzept zu Lockerungen in der Branche vor.

Nicht erst während Corona: Stigmatisierung in langer Tradition

Bei Sexarbeit handelt es sich um einen Beruf, der in der christlichen Tradition kontinuierlich und in mehrfacher Hinsicht abgewertet wurde, da er religiösen Moralvorstellungen widersprach. In einer paradoxen Zwiespältigkeit wurden Sexarbeiter*innen, ausgegrenzt und gleichzeitig als das ‚Andere‘ der ›guten, sittlichen Frau‹ geduldet. Dabei galt das Stigma immer schon der historisch vornehmlich weiblichen Sexarbeiter*in, nicht dem historisch vornehmlich männlichen Freier. Der heterosexuellen Kleinfamilie und ihrem konservativ-patriarchalen Wertekodex gegenüberstehend, bedroht die Sexarbeit jene christliche Grundprämisse, nach der Sexualität nur zwischen Ehemann und –frau und mit dem Ziel der Fortpflanzung stattfinden und erst recht kein finanzieller Verdienstbereich der Frau sein darf. Das Jahrhunderte alte Stigma der ›Unsittlichkeit‹ des Sexes und im Besonderen der sexuell aktiven Frau, führt immer noch dazu, dass ein Tabu über dem Bereich der Sexarbeit liegt, welches den Kampf um Anerkennung und Arbeitsrechte erschwert. Schlechte Arbeitsbedingungen kennzeichnen weiblich konnotierte Arbeitsbereiche grundsätzlich, die Auswirkungen von Sexismus sind jedoch im öffentlichen Diskurs um Sexarbeit bis heute besonders augenfällig. Sexarbeiter*innen werden häufig wahlweise als hilflose Opfer dargestellt, die aus der Sexarbeit befreit werden müssen oder als ›aggressiv‹ abgewertet. Beiden Positionen ist gemein, dass es im Kern um eine christlich-moralisch begründete Kontrolle über Sexarbeiter*innen geht. Körperliche Selbstbestimmung, gesellschaftliche Anerkennung, rechtliche Absicherung und gute Arbeitsbedingungen werden noch immer von einer christlich-patriarchalen Gesellschaft verweigert.

Das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG): gescheiterter ›Schutz‹ auch schon vor der Pandemie

Das Prostitutionsgesetz (ProstG) von 2001 hatte bereits den Zugang zu Sozialversicherung geschaffen, das ProstSchG von 2017 sollte die Gesundheitsfürsorge verbessern und den rechtlichen Schutz von Sexarbeiter*innen erhöhen. Ziel war es auch Zwangsprostitution durch diese und weitere Maßnahmen, wie Beratungsgespräche zu (Arbeits-) Rechten, einzudämmen. Natürlich spielten aber auch wirtschaftliche Überlegungen eine maßgebliche Rolle, da durch das ProstSchG Steuern aus dem Bereich der Sexarbeit verlässlich generiert und eingetrieben werden sollten. Selbstorganisierungen von Sexarbeiter*innen übten schon damals vehement Kritik an den Plänen, da diese an ihren Lebensrealitäten vorbeigingen. Insbesondere die namentliche Anmeldepflicht bei den Behörden, das Mitführen eines »Prostitutionsausweises« und die verpflichtenden gesundheitlichen Beratungen stießen auf Gegenwehr. Die Praxis zeigt, dass die Umsetzung des Gesetzes an genau diesen Punkten scheitert. Nur ein Bruchteil der Sexarbeiter*innen entschied sich in den vergangenen drei Jahren für die Anmeldung bei den Behörden. Das liegt zum Teil am stigmatisierenden Effekt eines solchen namentlichen »Registers«, an der Angst, ungewollt geoutet und erpressbar gemacht zu werden. Auch der Pflichtcharakter der Beratungen wird von vielen als bevormundend empfunden und abgelehnt, die Pflicht zu gesundheitlichen körperlichen Untersuchungen wurde mit den ProstG von 2001 bereits aufgehoben. Für andere ist die Anmeldung schlicht nicht möglich, etwa für Sexarbeiter*innen in Abhängigkeits- oder Zwangssituationen oder auch für illegalisierte Personen. Die Folge ist ein Zweiklassensystem, indem eine verhältnismäßig kleine Anzahl von Sexarbeiter*innen legal arbeitet und besser sozial abgesichert ist, während die Mehrheit inoffiziell sexuelle Dienstleistungen anbietet. Im Zuge der Corona Krise verschärft sich dieses Ungleichgewicht weiter. Die Situation unterstreicht den dringenden Änderungsbedarf am ProstSchG und zeigt deutlich, dass es mehr braucht als nur gesetzliche Reformen, um die strukturelle Diskriminierung von Sexarbeiter*innen zu beseitigen. › ‹

Auch das sogenannte ›Nordische Modell‹ oder ›Schwedische Modell‹, dass die Klient*innen bestraft und illegalisiert führt nach Studien zu einer erhöhten Diskriminierung und damit verbunden Gewalt gegen Sexarbeiter*innen. In der Corona Krise geraten die unter dieser Rechtslage Arbeitenden unter Druck Preise zu senken und Dienstleistungen ohne Kondom anzubieten. Ein generelles sogenanntes ›Sexkaufverbot‹ so zeigt sich in der Krise besonders, ist nicht wirksam. Es verschiebt Arbeit in die Illegalität. Historisch und international wird Sexarbeiter*innen wie in keinem anderen Berufszweig ein selbstbestimmtes Leben und Arbeiten abgesprochen.

Qu(e)er zur Norm

Der tabuisierende Diskurs hemmt den Blick auf die Vielfältigkeit von Sexarbeit. Queere Sexarbeit passt nicht zu den gängigen heteropatriarchalen Vorstellungen und Mythen, sodass queere Sexarbeiter*innen und ihre spezifischen Forderungen weitgehend übergangen werden. Der große Anteil migrantischer Sexarbeiter*innen hat mit sich intersektional verschränkenden Diskriminierungsmechanismen zu kämpfen.

RotlichtAn: Für legales Arbeiten

Die aktuelle Krise und das Ausmaß, mit dem Sexarbeiter*innen von dieser betroffen sind, verdeutlichen, wie prekär die Situation dieses Berufstandes bereits schon vor Covid-19 war.Wir fordern, die Überarbeitung des ProstSchG in Zusammenarbeit mit selbstorganisierten Sexarbeiter*innen-Gruppen, damit es eine tatsächliche rechtliche Absicherung bietet. Krisen wie diese spitzen gesellschaftliche Missstände weiter zu. Doch das Sichtbarwerden von Problemen birgt auch die Chance zur Veränderung. Darum: Sexarbeit ins Rampenlicht!

Autor*innen: die Queerfeminismus AG der Interventionistischen Linken Berlin

Bild: #RotlichtAn!