Kein Shutdown für Antifaschist*innen


Während der Corona-Krise gehen die völkische Formierung und Militarisierung weiter

So allgegenwärtig die Pandemie ist, sie ist bei Weitem nicht das einzige Problem. Dieser Artikel legt ausführlich dar, in welchem faschistischen Normalzustand wir uns befinden und wie die aktuelle Krise rechten Machenschaften in die Hände spielen kann – und was antifaschistische Praxis in diesen Zeiten bedeuten sollte.

So schnell kann’s gehen: War noch der Februar der furchteinflößende Monat einer bevorstehenden rechten Machtergreifung, ist nun seit März Corona das Thema. Seitdem beobachten wir die Machtübernahme von Virolog*innen, Seuchenexpert*innen und politischen Figuren wie Spahn, Scholz, Seehofer oder Laschet. Sie berufen sich auf eine vermeintliche Autorität der Vernunft und eine Art elterliche Fürsorge für ihre Bürger*innen und können auf die Unterwerfung des Souveräns zählen. Aber auch viele - überwiegend männliche - vermeintlich kritische Bescheidwissende setzen sich mit klugen Agamben- oder Schmitt-Zitaten in Szene und »mansplainen« die Krise. Und die Anfälligkeit einer mosaiklinken Szene für krudeste Verschwörungsfantasien schließlich ist ein Fest für Extremismustheoretiker*innen jeder Schattierung, die mit Verweis auf Antisemitismus, Nationalismus und Autoritarismus die angebliche Nähe der radikalen Linken zu rechtem Denken abfeiern können. Einzig die besorgte Kanzlerin Merkel scheint akzeptable Moves hinzulegen, was die fatale Situation der Orientierungslosigkeit noch potenziert.

Das Entsetzen darüber, dass auf unbestimmte Zeit Grund- und Freiheitsrechte suspendiert sind, findet seinen Ausdruck einzig in der Frage, ob man es sich gefallen lassen soll, keine Latschdemos, Mahnwachen und Kundgebungen aller Art mehr auf die Straßen tragen zu dürfen. Jenseits der Frage nach der Einschränkung etwa der Versammlungsfreiheit sind es eher wenige, die stichhaltig auf die Zusammenhänge von viralen Pandemien mit kapitalistischer Zerstörungsdynamik in sozialer wie ökologischer Hinsicht und dem unumkehrbaren Klimawandel und darin auf die katastrophale Deklassierung einer Mehrheit der Menschen hinweisen.

Dass pandemie-bedingt für Hunderte von Millionen Euro »deutsche Staatsbürger*innen« mit dem Flugzeug aus allen Erdteilen »heimgeholt« werden und für Zehntausende osteuropäische Erntehelfer*innen das Corona-Regime ausgesetzt wird, während im Mittelmeer weiter zahllose Geflüchtete ertrinken, Zehntausende Geflüchtete unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern in Griechenland und Libyen zurück- und ihrem Schicksal überlassen werden und auch im Inland gegenüber Asylsuchenden das Recht auf Infektionsschutz, Gesundheitsversorgung und akzeptable Unterbringung eingeschränkt oder ganz ausgesetzt werden, wird mehrheitlich zur Kenntnis und hingenommen. Geschlossene Grenzen, eine Renationalisierung des Corona-Handlings und ein Über-, was die harten Grundrechtseinschränkungen angeht, bzw. Unterbietungswettbewerb, was die Anrufung niedriger nationalistischer Instinkte angeht, prägen das gesellschaftliche Leben dieser Tage.

Vorher war längst nicht alles besser

Seitdem wir im Minutentakt über die Auswirkungen der Pandemie informiert werden, bleibt kaum Zeit, sich klar zu werden, dass die Zustände auch schon vor der Seuche unerträglich waren. Seit Jahren sind sie zurecht von Nachrichten über eine faschistische Formierung im Lande, in Europa und großen Teilen der Welt dominiert. Am 5. Februar 2020 gelang es der »Alternative für Deutschland« (AfD) erstmals, das ganze Land in eine Krise zu stürzen: Eine Krise der Demokratie, eine Krise des Konservatismus alter westdeutscher Prägung, Krise einer Linken ohne Orientierung und Krise des Liberalismus, Krise des Parlamentarismus, Krise der Institutionen, Krise der Männlichkeit, Krise des »Zusammenwachsens« dessen, was angeblich zusammengehörte usw. usf.

Was war geschehen: Nach zwei vergeblichen Anläufen verhalf im Thüringer Landtag ausgerechnet die AfD des faschistischen »Flügel«-Führers und Fraktionschefs Björn Höcke einem FDP-Ministerpräsidenten ins Amt und führte so die dortige CDU und die Fünf-Prozent-Liberalen als Spielball der völkisch-nationalistischen Partei vor. Auf der Straße gab es bundesweite Proteste gegen diese gruselige rechtskonservativ-faschistische Kollaboration, die die Fortsetzung einer rot-rot-grünen Regierung verhindern sollte. Die Empörung war groß, wie nach jedem Tabu- oder wie im Thüringer Fall gern strapaziert – »Dammbruch«: Die Medien waren in Aufruhr, die CDU stürzte in die größte Sinnkrise seit ihrem Bestehen und nach den fatalen 18 Prozent in Thüringen bei der Landtagswahl 2019 auf ein nie dagewesenes Tief von 11 Prozent bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen am 23. Februar 2020. Der »versehentlich« gewählte FDP-Ministerpräsident dachte erst, es habe die große Stunde seiner politischen Karriere geschlagen, als ihm Björn Höcke mit einem geradezu hitlerschen Diener gratulierte und die linke Fraktionsvorsitzende Susanne Henning-Wellsow ihm einen Blumenstrauß vor die Füße warf und den Handschlag verweigerte. Der schmierige Triumph währte nur einen Tag, dann trat er unter dem Druck nicht zuletzt aus den Chefetagen seiner eigenen Partei und selbst konservativer Medienhäuser zurück. Noch im Februar folgte ihm eine glücklose Kanzlerinnenkandidatin und CDU-Vorsitzende.

Triumphierend wieherten die AfD-Abgeordneten im Thüringer Landtag über die alte bürgerliche Demokratie in Deutschland. Sie war mit diesem Tag in der Weise entzaubert, wie es der einstige Partei- und noch Fraktionschef im Bundestag, Alexander Gauland, nach dem Bundestagswahlerfolg seiner Partei 2017 angekündigt hatte: »Wir werden sie jagen, wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen – und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen«. Die AfD hat sich in Rekordgeschwindigkeit von einer »Euro-skeptischen« und »Europa-kritischen« Partei gesellschaftlicher Eliten in eine bis in ihre gemäßigten Teile hinein völkisch-nationalistische Partei gewandelt. Ihr beispielloser Aufstieg hat von der viel beschworenen, angeblich durch die Katastrophen von Nationalsozialismus und Shoah geläuterten, »wehrhaften Demokratie« nicht viel übrig gelassen. (Als SPD-Anhänger*innen an jenem 5. Februar vor der FDP-Zentrale in Berlin-Mitte skandierten »Wer hat uns verraten, Freie Demokraten!«, stand für einen Moment die Zeit vor Scham still.) Aber auch eine linke, linksbürgerliche, eine - im AfD-Jargon »links-grün-versiffte« - Gegenmacht gab sich dystopischer Verzweiflung hin und erwartete die nächsten Schläge gegen demokratische Kultur und humane Orientierung.

Der Blick auf die Zusammenhänge

Der Februar ließ auf diese Schläge nicht lange warten: Am 19. Februar fühlte sich ein von nazistischem Größenwahn und rassistischen Vorstellungen beflügelter Attentäter ermächtigt, in Hanau ein Massaker in zwei Shisha-Bars anzurichten, dem neun Menschen zum Opfer fielen, ebenso seine Mutter, die er vor seinem Suizid erschoss. Die neun ermordeten Menschen hatte der 43-Jährige wegen ihrer (familiären) Migrationsgeschichte ausgewählt und mit der Tat einmal mehr als »Nicht-Zugehörige« aus einer völkisch definierten deutschen Mehrheitsgesellschaft »ausgebürgert«.

Manche*r mag keinen Zusammenhang sehen zwischen der Bluttat von Hanau und den beschriebenen politischen Verwerfungen im Land. Ihn nicht zu sehen, könnte für ein halbwegs demokratisches Gemeinwesen und ein humanes Miteinander allerdings verheerende Folgen haben. Die Ankunft Hunderttausender Geflüchteter in den Jahren 2014 und 2015 führte bundesweit zu Tausenden rassistischen Gewaltausbrüchen und Anschlägen und dazu, dass eine scheinbar - bei aller grundsätzlichen Kritik - stabile demokratische Ordnung ins Wanken und ihre Standards ins Rutschen gerieten. Allein Brand- und Sprengstoffanschläge des Jahres 2016 auf Geflüchtetenunterkünfte sowie Attacken auf Refugees bzw. ihre Unterstützer*innen füllen in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag eine Liste mit 2500 Einträgen, die Postleitzahlen im ganzen Land zugeordnet sind, Ost wie West, Nord wie Süd. Es wurden hier nur polizeibekannte Taten abgefragt, nicht die millionenfachen Anfeindungen, Beleidigungen, Pöbeleien und nicht angezeigten Körperverletzungen gegenüber Geflüchteten, Migrant*innen, Minderheiten und Staatsbürger*innen, die nicht ins Weltbild der Täter*innen passten.

Männerbündelei der unterschiedlichsten Art

Die Stimmung heizte sich auf und Männerbünde, die den »Krisenfall« schon lange ersehnt und erwartet hatten, begannen im Geheimen den Ernstfall, den Tag X, den Tag der Rache zu proben, an Waffen zu trainieren, sich mit Vorräten und sogar Leichensäcken für die am »Doomsday« zu liquidierenden politischen Gegner*innen einzudecken. In den ausgehobenen Zellen, Preppergruppen und Nazi-Bünden waren unter den Verhafteten auch immer wieder Staatsbeamte in Uniform, Bundeswehrsoldaten und jede Menge wohlanständige »besorgte« Bürger, Ärzte, Rechtsanwälte, Jäger, Sportschützen und sogar Richter und Staatsanwälte. Parallel zum vor dem Oberlandesgericht in München laufenden Prozess gegen ein Mitglied und vier Unterstützer der terroristischen Neonazi-Vereinigung »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU), der neun rassistische Morde, der Mord an einer Polizistin (und Mordversuch an ihrem Kollegen), drei verheerende Sprengstoffanschläge und 15 Bank- und Raubüberfälle zur Last gelegt wurden, formierte sich ein solcher, wenn auch diverser »Untergrund« im ganzen Land, nervös auf einen Ausnahmezustand wartend, der ihnen ein Losschlagen erlauben würde.

Verschiedene Täter*innentypen, die von antifaschistischen Recherchegruppen seit Jahren beobachtet und benannt worden waren, tauchen nun auch auf dem Radar der Strafverfolgung auf. Schwer bewaffnete »Reichsbürger*innen«, scheinbar bürgerliche Prepper, Terrorverdächtige in unterschiedlichen Uniformen und Netzwerke von bewaffneten Neonazis im Stile des NSU - wie etwa »Revolution Chemnitz« - flogen auf oder schritten mutmaßlich zur Tat, wie die beiden Mitglieder der Kasseler Neonaziszene, die am 2. Juni 2019 den nordhessischen CDU-Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf seiner heimischen Terrasse erschossen. Als Strafe dafür, dass er sich im Oktober 2015 bei einer Bürger*innenversammlung, wo es um die Unterbringung von Geflüchteten ging, für eine humane Politik einsetzte.

Mit den Attentaten am 22. Juli 2016 im Münchener Olympiaeinkaufszentrum mit neun jugendlichen Toten, vom Täter wieder wegen ihrer Migrationsgeschichte oder der Zugehörigkeit etwa zur Sinti-Community ausgewählt, dem versuchten antisemitischen Anschlag von Halle am 9. Oktober 2019, dem zwei zufällige Passant*innen zum Opfer fielen, und zuletzt Hanau tauchen Täter auf, deren psychische Auffälligkeiten mit einer weitgehend im Internet erworbenen, geschlossen rassistisch und nazistisch geprägten Weltsicht korrespondieren und sie zu entschlossenen Vollstreckern einer immer völkischen, immer antisemitischen, immer rassistischen und immer misogynen Mission im Alleingang machen. Dabei sind sie keine »Einzeltäter«, sondern mit einer globalen Community weißer Krieger*innen im »Rassenkrieg« verbunden und tauschen mit ihr die (oft selbst mit Helmkameras aufgenommenen) Bilder des Terrors über einschlägige Kanäle aus, wo die Mitschnitte ihrer Taten und die unerträglich anmaßenden Bekennermanifeste zirkulieren. Anleitungen zum Bau von Bomben und Waffen aus dem 3-D-Drucker finden sie - wie der Täter von Halle - ebenfalls im Netz.

Mitte Februar, wenige Tage vor dem Hanauer Anschlag, waren zwölf Männer in verschiedenen Bundesländern verhaftet worden. Darunter in Hamm wieder ein Verwaltungsbeamter der Polizei, der zeitweise auch für die Erteilung von Waffenscheinen zuständig war. Die »Gruppe S«, benannt nach Werner S., dem Antreiber der Gruppe, machte aus ihren mörderischen Absichten kein Hehl: Man wollte in einer koordinierten Aktion im ganzen Land Moscheen und muslimische Gebetsräume angreifen und Massaker anrichten. Die Männer, die sich hier verschworen hatten, waren alle legal bewaffnet und kommen aus einem eher, wie die Süddeutsche Zeitung in ihrem Distinktionsbedürfnis schreibt: »kleinbürgerlichen« Milieu, sind Familienväter, Kleinunternehmer, Sportschützen, Jäger etc. Dass immer wieder auch Beamte, zum Teil aus Strafverfolgung, Justiz und Staatsanwaltschaft, Anwälte und Ärzte - also eben gerade nicht kleinbürgerliche Klientel - unter den Verdächtigten sind, trübt die vorgedeutete Einschätzung kaum.

Die Durchseuchung der Institutionen und der »Untergrund«

Rassismus,Hass und weitgehend geschlossene faschistische Weltbilder sind die maßgeblichen Antriebe dieser »normalen« Bürger. Sie wollen auch nicht länger warten auf den Tag X, sondern ihn selbst herbeiführen durch ihre blutigen Anschläge und Massenmorde. Und auch ein Verein wie Uniter, der einem Prepper-Milieu durchaus nahekommt und sich den harmlosen Anstrich einer fürsorglichen Unterstützungs- und Beschäftigungsstruktur für (ehemalige) Angehörige der bewaffneten staatlichen Organe ausgibt, hat ebenso handfeste künftige Attentäter wie Franco A. in seinem Einzugsbereich, wie Verbindungen zu den Leuten der rechten Preppergruppe Nordkreuz. A. gab sich als syrischer Asylbewerber aus und wollte als solcher Anschläge in Deutschland verüben, um ebenso gewaltsame Gegenreaktionen der »Deutschen« auszulösen. Er wurde am Wiener Flughafen bei dem Versuch ertappt, aus einer Toilette eine dort versteckte Waffe zu holen. Trotz dieser Hintergründe bedurfte es erst eines Beschlusses des Bundesgerichtshofes, damit das Frankfurter Oberlandesgericht überhaupt zu einem Verfahren gegen den Ex-Bundeswehr-Soldaten gezwungen werden konnte. Der unangemessene Umgang der deutschen Strafverfolgungsbehörden mit diesem neonazistischen Terrorismus gehört zur nationalen Anamnese dazu.

Was diesen Sachverhalt wie auch bei Nordkreuz so gefährlich macht, ist die Tatsache, dass hier Waffenprofis am Start sind, die Zugriff auf große Mengen von Waffen haben, im Umgang mit dem Mordgerät geschult sind und im Zweifel keine Skrupel haben werden, die Waffen gegen politische Gegner*innen oder andere Opfer einzusetzen. Seit vielen Jahren gehören Feindeslisten zum Metier der Prepper und Nazis, was ihre Rache-, Säuberungs- und Vernichtungsfantasien noch unterstreicht. Neben Nordkreuz-Mitgliedern führte auch Franco A. eine solche Liste. Meist fliegen sie auf, weil sie über offene Chatgruppen ihre Verschwörungen planen und Nazi-Bildchen verschicken. Diese Gruppen changieren auch in der Selbstdarstellung zwischen offen terroristischen Absichten, in der Regel garniert mit »witzig gemeinten«, die Shoah verharmlosenden und die Verbrechen der deutschen Wehrmacht verherrlichenden Posts, und der Selbstverharmlosung als sorgende Familienväter, die nur die legitime »Selbstverteidigung« organisieren.

Die Corona-Krise als Katalysator?

Nach der höchst fragwürdigen Urteilsverkündung im NSU-Prozess am 11. Juli 2018 werden immer wieder Polizeiskandale aus dem ganzen Bundesgebiet bekannt: Schon einen Monat nach dem Münchener Urteil begann eine Serie von Drohbriefen und -faxen gegen die Nebenklageanwältin im NSU-Prozess, Seda Başay-Yıldız, in Frankfurt. Es stellte sich bald heraus, dass ihre an sich geschützten privaten Daten über einen Polizeicomputer in Frankfurt abgefragt worden waren. Es gab Haussuchungen bei fünf Polizeibeamt*innen, denen eine Beteiligung an den Drohbriefen vorgeworfen wird. Die Drohungen waren mit »NSU 2.0« unterzeichnet. Weitere Beamte der hessischen Polizei wurden in der Folge wegen Weitergabe oder Missbrauch von Daten politischer Gegner*innen vom Dienst suspendiert.

Schon fast gewöhnt hat man sich seither an eine beispiellose Drohbrief-Kampagne und Serie von Bombendrohungen gegen hunderte kommunale Behörden, Institutionen, antifaschistische Initiativen, Politiker*innen und Einzelpersonen. Sie kommen von bis heute weitgehend unbekannten Absendern, die sich wahlweise »NSU 2.0«, »Staatsstreichorchester«, »Atomwaffendivision« oder »Wehrmacht« nennen - und sie dauern an. Mitte April begann vor dem Landgericht Berlin der Prozess gegen den bisher einzigen dingfest gemachten mutmaßlichen Täter André M., der unter anderem mit unbekannten Komplizen als »Nationalsozialistische Offensive« firmierte. Auffällig an den Drohschreiben ist neben dem kruden Neonazismus vor allem eine fassungslos machende Misogynie, die sich unter anderem gegen die Schlagersängerin Helene Fischer und die feministische Spiegelkolumnistin Margarete Stokowski wegen ihrer »slawischen Herkunft« richtet. Die Rache der »unfreiwillig zölibatär« lebenden Männer an »den Frauen« schlechthin gehört neben Antisemitismus, Antikommunismus und Rassismus zu den Konstanten dieses nicht neuen, aber nun gehäuft auftretenden Tätertyps.

Ob Reichsbürger, Prepper oder schlicht Neonazis: Sie legen Waffen- und Sprengstoffdepots an, horten Munition, suchen nach »Safe Houses« und bereiten sich mit Vorräten an Benzin, Nahrungsmitteln und Hygieneartikeln auf den Ausbruch des Bürgerkrieges vor, auf den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung oder andere Übel, die ins Haus stehen könnten. Insofern besteht aktuell die akute Gefahr, dass nun die SARS-CoV-2-Pandemie als der Trigger verstanden wird, der die schwer bewaffneten Gruppen zum Losschlagen veranlassen könnte. Wer schon immer vor rechtem Terror gewarnt und recht behalten hat, fürchtet wie kaum je zuvor, dass er*sie wieder recht behalten könnte.

Der Soundtrack des rechten Terrors

Gerne werden diese schwer bewaffneten Männerbünde zu »Waffennarren« und »Sprengstoffenthusiasten« (wie etwa am 2. März 2020 vor dem Landgericht Hagen) verharmlost und vor Gericht mit entpolitisierender Empathie für ihre »Sorgen« überschüttet. Die Verfahren werden so auseinanderdividiert, dass nie die magische Zahl von drei Beteiligten dabei herauskommt, die eine Verfolgung als terroristische Vereinigung ermöglichen würde. Der einstige SEK-Beamte Marko Groß in Mecklenburg-Vorpommern etwa durfte sich des Verständnisses der, mit Blick auf das Wissen über den organisierten Neonazismus im Lande fachlich offensichtlich überforderten Richter in Schwerin sicher sein. Groß war als Chat-Administrator der rechten Preppergruppe Nordkreuz auch für Nazi-Posts verantwortlich und Teil einer Gruppe, der mindestens zwei weitere Männer - einer von ihnen ebenfalls Polizist - angehörten, die nun wegen der »Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat« verfolgt werden. Groß kam selber aber mit einer, angesichts der Zusammenhänge und ungeklärten Fragen zur Herkunft von bei ihm beschlagnahmten Waffen und Unmengen Munition, völlig unangemessenen Bewährungsstrafe davon. Ein Gutteil dieser mehreren Zehntausend Schuss Munition könnte von uniformierten Helfern im ganzen Bundesgebiet gekommen sein und seinen Weg zu Groß über Schnittpunkte zwischen Staatsapparat und rechter Prepperszene gefunden haben.

Es geht bei dieser faschistischen Formierung und Militarisierung im Lande aber auch um »intellektuelle Gewalt« (Demirović): Es tauchen wieder Begriffe, Phrasen und Worte aus der Versenkung des zurückliegenden Jahrhunderts auf, die die unheilvollen Zeiten, denen sie entstammen und einen Namen gegeben haben, in kleinen Debattierzirkeln überdauert haben. Gegenwärtig erleben sie eine ideologische Renaissance, die durch das Internet, durch sogenannte soziale Medien und Echokammern des Grauens eine verhängnisvolle Verstärkung erfahren und einen Soundtrack zum rechten Terror liefern. Vom Hass auf den »Kulturmarxismus« über das Phantasma des »Volkstodes« aka »Bevölkerungsaustauschs« bis hin zum amorphen Gebilde eines (wahlweise in Abgrenzung zum Islam christlichen) Abendlandes kommen die Begriffe der vorangegangenen »faschistischen Denker« in unseren Tagen wieder zum Vorschein.

Es besteht höchste Gefahr

So nimmt etwa der rassistische Attentäter, der am 15. März 2019 im neuseeländischen Christchurch 51 muslimische Gläubige in zwei Moscheen tötete und 50 weitere zum Teil schwer verletzte, Bezug auf die Wahnvorstellung einer von finsteren Mächten geplanten totalen »Umvolkung«. Seine Tat übertrug er über eine Helmkamera live ins Internet. Dieser Fanatiker hatte sich im Netz Tage vor dem Anschlag in Neuseeland auf Seiten getummelt, auf denen es um rechte Kreise in deutschen Behörden, bei Polizei und Bundeswehr, ging. Der »Tag X« muss aus ihrer Sicht in Kürze eintreffen, weil der sogenannte Bevölkerungsaustausch in eine dramatische Phase treten werde, wie sie meinen. Und sie meinen es ernst. Und zwar vom oben zitierten AfD-Gauland bis hin zu fanatischen Täter*innen wie dem NSU, den Mördern Walter Lübckes sowie den Tätern im norwegischen Utøya (Juli 2011), in Charleston (Juni 2015), Charlottesville (Mitte 2017), Kassel (Juni 2019), Halle (Oktober 2019), Pittsburgh (Oktober 2018) oder eben Hanau (Februar 2020). Sie schwafeln vom »Großen Austausch«, das Manifest des Christchurch-Killers zu seinem Massaker titelt mit »The Great Replacement«, der faschistische französische »Philosoph« Renaud Camus hat beim neurechten Antaios-Verlag des völkischen Vordenkers Götz Kubitscheck die deutsche Übersetzung seines Buches »Le Grande Remplacement« vorgelegt und Alexander Gauland faselt auf dem nationalistischen Kyffhäuser-Treffen des rechten Flügels der AfD 2018 davon: »Die Bundesregierung will, dass wir für die Einwanderer arbeiten, damit die in Ruhe Kinder in die Welt setzen und den Bevölkerungsaustausch vollenden können.«

Die männliche Interpretation von Welt als Daseinskampf, in dem der soldatische Held im Krieg die Oberhand behält und über die Körper der Frauen* und deren Reproduktion verfügt, gehört zu diesem Denken ebenso dazu, wie die Vorstellung einer Ungleichwertigkeit unter Menschen. Und wenn sich dann die Träger dieses neuen faschistischen oder völkisch-nationalistischen Diskurses auf der Straße versammeln wie etwa am 1. September 2018 in Chemnitz, dann besteht höchste Gefahr für ein (zumindest innenpolitisch) friedliches, offenes und demokratisches Gemeinwesen: neben der äußersten rechten AfD-Führungsriege um Björn Höcke, Andreas Kalbitz und Jörg Urban und dem Pegida-Begründer Lutz Bachmann tummelte sich dort auch die Crème de la Crème dessen, was sich »rechte Intellektuelle« nennt: nämlich eben jener Götz Kubitschek oder Martin Sellner von der »Identitären Bewegung«, aber auch organisierte gewaltbereite Neonazis, Nazi-Hooligans aus der Fangemeinde des Chemnitzer FC und auch die mutmaßlichen späteren Lübcke-Mörder Stephan Ernst und Markus Hartmann.

Und der Antifaschismus!?

Für antifaschistische Arbeit bedeutet der hier skizzierte Befund, auch weiterhin auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge hinzuweisen, die die Entstehung einer neuen faschistischen Bewegung nicht nur in Deutschland begünstigen. Die geradezu wissenschaftliche Expertise antifaschistischer Recherche muss gegen einen staatstragenden Extremismusdiskurs ebenso in Anschlag gebracht werden wie andere Formen antifaschistischen Aktivismus: Dazu gehört die systematische Beobachtung, Dokumentation und politische Begleitung von Prozessen gegen Nazitäter*innen, was in den kommenden Monaten durchaus eine Herausforderung werden könnte. Die Prozesse gegen die Attentäter von Halle und Kassel sowie gegen Franco A. könnten fast gleichzeitig beginnen. Hinzu kommen Verfahren wie das wegen des brutalen Nazi-Angriffs 2014 auf die Kirmesgesellschaft im thüringischen Ballstädt, wo der Bundesgerichtshof eben das Urteil vom Mai 2017 aufhob und den Prozess zurückverwies. Wie lange eine solche »Begleitung« dauern kann, hat der NSU-Prozess in München vor Augen geführt. Er dauerte 438 Prozesstage und steht auch fast zwei Jahre nach seinem Ende angesichts der Vorlage der schriftlichen Urteilsbegründung noch immer im Fokus antifaschistischen Protests wie etwa der »Kein Schlussstrich«-Kampagne und des NSU-Tribunals.

Neben der Skandalisierung der justiziellen, politischen und staatlichen Bagatellisierung und De-Politisierung neonazistischer Organisationen und Taten und der Benennung des antikommunistischen Konsenses westdeutschen Zuschnitts, der einem konsequenten Vorgehen gegen die faschistischen Vernichtungsideologien von jeher im Wege steht, sowie der Pflege des Gedenkens an die Shoah, die deutschen Vernichtungskriege und die Straffreiheit für die meisten NS-Täter*innen gehören ebenso zu einer antifaschistischen Tradition wie antifaschistische Stadtteil- und Bildungsarbeit, Publizistik und Archivarbeit und Formen der Selbst- und die Verteidigung Schutzbedürftiger. Wirkungsvolle Mittel waren, sind und werden auch künftig Protestkundgebungen, Demonstrationen, Blockaden und Mahnwachen sein - unter welchem pandemie-bedingt eingeschränkten Versammlungsrecht auch immer. Fantasievollen Formen antifaschistischer Initiative sind dabei kaum Grenzen gesetzt.

Bildet Banden!

Während diese Zeilen geschrieben werden, werden auf den Schulhöfen im Lande Markierungen angebracht, um zu verhindern, dass sich die Schüler*innen, die nun im Zuge erster Lockerungen des Shutdowns in die Schulen zurückkehren dürfen, sich in den Pausen zu nahe kommen. Der Rassismus dieser peniblen bis pedantischen und in manchen Bundesländern bei Zuwiderhandlung auch strafbewehrten Maßnahmen der physischen Separierung der zu potenziellen »Spreadern« reduzierten Staatsbürger*innen liegt in der Tatsache, dass Nicht-Staatsbürger*innen dieser autoritären Gesundheitsfürsorge nicht teilhaftig werden: Sie werden etwa in überfüllten Geflüchtetenunterkünften festgehalten und müssen dort den Tag der Infektion abwarten, ohne - mangels auch nur minimaler Sprachmittlung - oft auch nur zu verstehen, was ihnen geschieht. Es hat also für eine radikale Linke überhaupt keinen Zweck, monothematisch auf eine faschistische Bedrohung hinzuweisen und die antifaschistische Grundhaltung zu betonen.

Aufgabe linksradikaler Organisierung muss die Betonung einer Art kapitalistischer Intersektionalität sein: so kann nicht vom drohenden Faschismus reden, wer nicht von einem, der bürgerlichen Gesellschaft eingeschriebenen Rassismus reden mag, der sich im Umgang mit Geflüchteten (innerhalb und außerhalb der eigenen Grenzen), Minderheiten wie Sinti und Roma, Migrant*innen jedweder Generation und Illegalisierten, aber auch Obdachlosen und Prekarisierten augenblicklich in deren Deklassierung zu Bürger*innen nachrangiger Bedeutung oder gar »Non-Citizens« manifestiert. Es kommt darauf an, die Überschneidungen und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Proteste und linken Bewegungen zu identifizieren und die Kämpfe zu verbinden: die Zusammenhänge zwischen Antifaschismus, Antirassismus, Klimaprotesten, sozialen und feministischen Kämpfen liegen auf der Hand und bedürfen der Benennung, Vernetzung und vor allem der Solidarität untereinander. Aber vielleicht wussten oder zumindest ahnten wir das auch schon vor der Pandemie.

Autoreninfo: Friedrich Burschel ist Historiker, Politikwissenschaftler und Journalist. Er arbeitet zum Schwerpunkt Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit an der Akademie für Politische Bildung der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Als Journalist hat er u.a. den NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht in München von 2013 - 2018 für die Rosa-Luxemburg-Stiftung, NSU-Watch und Radio Lotte Weimar beobachtet.

Bild: Eichhörnchen verstecken Nahrung in Depots, die sie bei Nahrungsengpässen plündern. Im Original von Katya.