Vom ersten Versuch, das Unerwartete zu tun

Die radikale Linke scheitert gegenwärtig daran, Strategien gegen die selbstbewusst auftretende »Neue Rechte« zu finden. Dabei tappt sie immer wieder in dieselbe diskursive Falle. Warum eigentlich? Die Leipziger iL-Gruppe Prisma hat stattdessen etwas Neues gewagt. Zur (selbst)kritischen Auswertung einer antifaschistischen Intervention.

Wer sich vor dem Lesen des Textes selbst ein Bild machen möchte, hier ein Facebook-Video der Aktion.

»Doctor, it hurts when I do this. – Don‘t do that.«

Noch vor wenigen Jahren fand Antifapolitik unter anderen Vorzeichen statt: Gegen NPD und Co. waren auch offensive Aktionsformen leicht zu rechtfertigen. Dass ihnen der öffentliche Raum zu nehmen ist, war weit über die radikale Linke hinaus Konsens. Die heutige Situation ist aber eine andere: Die sogenannte »Neue Rechte« hat sich ihren Stammplatz in deutschen Talkshows und Feuilletonspalten gesichert. Sie ist Teil der öffentlichen Debatte geworden, wenn auch ein umstrittener. Antifaschistische Bewegungen stoßen hier bei der Frage nach alternativen Formen der Auseinandersetzung bzw. des Widerstands offensichtlich an ihre Grenzen.

Man könne denken, die Linke hätte aus den Ereignissen auf der Frankfurter Buchmesse 2017 gelernt. Das in Frankfurt praktizierte Protestformat gilt mittlerweile als Paradebeispiel dafür, wie man es besser nicht machen sollte. Denn die Rechten haben von dem Protest dort in dem Sinne profitiert, als dass sie ihn als Plattform ihrer eigenen realen, noch stärker jedoch medialen, Selbstinszenierung nutzen konnten. Der vorhersehbare Protest wurde von ihnen als Bühne vereinnahmt und sicherte ihnen – die sich als Hüter der Meinungsfreiheit gerierten – Aufmerksamkeit und teilweise Unterstützung bis hinein in bürgerliche Kreise. Mitte März haben wir als Teil des lokalen Bündnisses »Buchmesse gegen Rechts« auf der Leipziger Buchmesse den Versuch unternommen, dem Antaios-Verlag als Stellvertretung für die Intellektuelle Rechte in Form einer kreativen Intervention zu begegnen.

Die Selbstinszenierung der Neuen Rechten – Ein »One-Trick-Pony«

Die Attraktivität der Rechten basiert auf ihrer Selbstinszenierung. Um diese zu verstehen, muss man sich die Welt aus Sicht der Rechten anschauen. In deren Sicht sind Linke zwar gewalttätig, aber feige, da sie die »mannhafte« Auseinandersetzung scheuen. Sie haben eine laute Meinung, doch keine Intelligenz und gelten letztlich als Anführer*innen des Multikulti-Mainstreams. Mit ihnen im Bunde ist irgendwie die Mehrheitsgesellschaft, die auf die rationalen rechten Argumente nur moralische »Das darfst du nicht«-Antworten parat hat. Ihnen gegenüber stehen die Identitären: schlau, männlich genug für jeden Kampf und ohne ideologische Scheuklappen der Wahrheit verpflichtet. Das heißt also: Die rechte Inszenierung entsteht erst dadurch, dass ihre Gegner*innen genauso reagieren, wie die Rechten es von ihnen erwarten. Wenn die Linken bei jeder Aktion der neuen Rechten erschrocken reagieren, moralische Appelle vom Stapel lassen und sich hinter Transparenten versteckend »Nazis raus!« rufen, dann ist die Bühne frei für das rechte Theater. Die Logik der medialen Aufmerksamkeit besorgt den Rest.

Meinungsfreiheit als Kampfbegriff

Der Begriff der Meinungsfreiheit ist zur Zeit der diskursive »Joker«. Die Neue Rechte bedient sich an ihm, um sich in die öffentlichen Debatte zu drängen und ihren inhaltlichen Kurs zu bestimmen. Wird ihnen das verwehrt, so schreien sie laut: »Schaut alle her, wir werden vom Mainstream unterdrückt!«

Jegliche Form von Widerspruch wird von neurechten Akteur*innen in eine Opfer-Inszenierung verdreht. Es wird immer wieder deutlich, dass es ihnen dabei nicht um eine wirkliche Debatte geht, sondern lediglich darum, Grenzen zu überschreiten, zu provozieren und damit den Bereich des Sagbaren immer weiter nach rechts zu rücken. Damit schaffen sie es, mit ihren Inhalten den gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu prägen – und gewinnen dadurch an Sprechfähigkeit.

Handlungen und Äußerungen neurechter Akteure wie Götz Kubitschek, Gründer des Antaios-Verlags, zeigen deutlich, wie es um das Verhältnis der Rechten zur Meinungsfreiheit wirklich bestellt ist: »Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform. (…) von der Ernsthaftigkeit unseres Tuns wird euch kein Wort überzeugen, sondern bloß ein Schlag ins Gesicht.« (Götz Kubitschek: Provokation, 2007) Daran wird deutlich: das Ziel der Rechten – entgegen aller Inszenierung – ist nicht die Rettung der öffentlichen Debatte, sondern ihre Abschaffung als Ort der freien Meinungsäußerung.

Warum Linke immer wieder in die gleiche Falle tappen

Auf der Suche nach geeigneten Protestformen gegen die Neue Rechte stößt die radikale Linke immer wieder an ihre Grenzen. Das ist verständlich, stellt uns doch der Umgang mit AfD und PEGIDA vor das Problem, dass eingeübte und erfolgreiche Aktionsformen Bestandteil rechter Inszenierung geworden sind.

Es herrscht die allgemeine Annahme, Rechten müsse jeder Raum genommen werden. Das ist zum einen die Lehre aus dem Nationalsozialismus und folgt zum anderen aus der richtigen Analyse, dass Rechte demokratische Freiheiten solange in Anspruch nehmen, bis sie stark genug sind, diese abzuschaffen. Um dies durchzusetzen, propagierte die (radikale) Linke Kampfbereitschaft und Stärke. Das machte es dem politischen Gegner leicht, die Antifa anhand der Militanz- oder Legalitätsfrage als Antidemokrat*innen zu brandmarken. Trotzdem war dieses Konzept durchaus erfolgreich. Mit dem Drohszenario antifaschistischer Militanz im Hinterkopf konnten rechte Veranstaltungen häufig nicht ohne Polizeischutz stattfinden, durch direkte Konfrontationen wurden Neonazis von der Straße gedrängt. Doch lassen sich solche Konzepte nicht ohne Weiteres auf jede Auseinandersetzung mit Rechten übertragen. Die Buchmesse ist enger und dichter. Überall sind Kameras und Polizei. Vor allem aber folgt eine Auseinandersetzung im »intellektuellen Milieu« der Buchmesse anderen Regeln als eine »auf der Straße«. Wenn aufgrund dieser besonderen Bedingung die üblichen Konzepte scheitern, strahlt die Linke statt Stärke nur noch Hilflosigkeit und Sprachlosigkeit aus. Folge davon ist: Weder kann den Rechten der Raum genommen, noch können eigene Inhalte gesetzt werden. Genau auf diesem Bild der erfolglosen Linken bauen die Neuen Rechten im Allgemeinen und die Identitären im Besonderen ihre Selbstinszenierung auf.

Vier kontinuierliche Merkmale der Neuen Rechten

Wir haben mit unserer Intervention auf der Buchmesse versucht, das Unerwartete zu tun. Die Rechten zu überraschen und in eine Situation zu bringen, an der ihr »One-Trick-Pony« scheitert. Zentral war für uns, ein Aktionsformat zu entwickeln, das uns erlaubt, sowohl inhaltliche Kritik an Strategien und Zielen der Neuen Rechte zu üben, als auch eigene Inhalte an die Öffentlichkeit zu vermitteln. Durch ihre immergleiche Inszenierung haben wir vier zentrale Punkte ausgemacht, an denen sich diese brechen lässt.

  1. Dies wäre zum einen ihre fragile Männlichkeit, die sie hinter der Fassade eines politischen Soldatentums verstecken und welche sich durch das selbstbewusste Auftreten starker Frauen* schnell untergraben lassen würde.
  2. Ihre apokalyptische Sehnsucht, ihre Vorstellung, mit einer finalen Schlacht die gegenwärtige Ordnung endgültig abzuschaffen und mit Gewalt eine neue aufzubauen, ist ebenfalls ein Punkt, an dem man sie für ihren unterkomplexen und realitätsfernen Gesellschaftsentwurf angreifen kann.
  3. Ihre instrumentelle Bezugnahme auf Themen wie Feminismus und
  4. die Meinungsfreiheit ist lediglich ein strategisches Werkzeug, welches im absoluten Widerspruch zu ihren eigentlichen Inhalten steht.

Der Versuch, das Unerwartete zu tun

Diese vier Merkmale gilt es aufzudecken und dem unsere eigenen Inhalten entgegenzustellen. Dafür schien es uns notwendig, ihnen ihren Wunsch nach einem Gegner, der zwar lauthals tönt, dann aber im Gegenüberstehen weder durch Stärke noch durch Wortgewandheit überzeugen kann, nicht zu erfüllen.

Während der Aktion hat sich gezeigt, dass unsere strategischen Überlegungen zunächst erfolgreich waren: Die anwesenden Rechten wussten mit der gegebenen Situation nicht umzugehen. Somit haben wir erreicht, dass die Rechten unsere Intervention nicht als Grundlage ihrer eigenen Choreographie zur Selbstinszenierung instrumentalisieren konnten. Weder ihre vorbereiteten Hochglanzschilder (z.B. »Wer schreit, kann nicht Recht haben«), noch ihre Kameras kamen zum Einsatz. Ihre Überforderung drückte sich kurzzeitig in unkoordiniertem Stören unserer Show aus. Im Großen und Ganzen standen sie passiv und ohne mediale Aufmerksamkeit am Rande des Geschehens. Der allgemeine Fokus war auf unsere Veranstaltung und unsere Redebeiträge gerichtet. Dies änderte sich nach Ende unserer Intervention, als eine Störaktion der Veranstaltung ihnen (dann doch) ihre erwartete Kulisse bot und sie sich als Opfer linker Zensur und Retter*innen der Meinungsfreiheit inszenieren konnten.

Die eigene Wiederholung unterbrechen

Mit dieser Perspektive auf die nachfolgende Aktion wollen wir uns keineswegs distanzieren, sondern ihren Effekt analysieren und solidarisch kritisieren. Uns ist bewusst, dass Grundlage hierfür eine bestimmte Positionierung ist und wir wollen damit keine Allgemeingültigkeit unserer Argumentation in Anspruch nehmen, sondern sie zur Diskussion stellen. Wir sind solidarisch mit allen Genoss*innen die sich ins Handgemenge begeben haben. Trotzdem sind wir der Meinung, dass die radikale Linke sich eben nicht immer auf den gleichen Methodenpool zu Aktionsformen berufen sollte. Stattdessen muss rechtem Stumpfsinn auch anders, auch kreativer entgegentreten werden. Eine Störung rechter Veranstaltungen ist für uns dann kein Erfolg, wenn dadurch ein Vortrag vor wenigen Zuhörer*innen ausfällt, die Rechten dafür aber im Gegenzug in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit und Sympathie erfahren. Vielmehr müssen die Mittel dem jeweiligen Setting angepasst werden.

Die Grenzen unserer Aktion

Zuallererst gehört gesagt, dass unsere Form der Inszenierung ihre Grenzen hat und uns für das spezifische Setting auf der Buchmesse passend erschien. Ob und in welcher Form diese Inszenierung – auch wenn alles gelaufen wäre, wie geplant – die von uns antizipierte (mediale) Wirkung gehabt hätte, bleibt nun im Nachhinein schwer zu sagen. Keineswegs wollen wir sie nun auf alle Situationen übertragen und beispielsweise von Blockaden rechter Aufmärsche abrücken.

Diese Wirkung, die vor allem auf der Ebene der Bilder erzielt werden sollte, war der zentrale Punkt in unserer strategischen Analyse. Auch wenn dies vorher ausgiebig kommuniziert wurde, gibt es Kritik an der Art und Weise, wie hier agiert wurde. Nicht nur weil unverpixeltes Bildmaterial zur Verfügung gestellt wurde, sondern auch, weil die Aktion mit ihrem Fokus auf (Selbst-)Inszenierung nicht unbedingt dem Methodenkoffer der radikalen Linken entspricht. Trotzdem verfolgen wir einen offensiveren Umgang mit der Wirksamkeit von Bildmaterial und wollen die mediale Darstellung unserer Aktionen stärker selbst in die Hand nehme. Teil jeder Aktion sollte gezielte Pressearbeit sein, um unseren strategischen Ansatzpunkt und unsere eigenen Inhalte in der öffentlichen Debatte zu platzieren.

Es bleibt, was zu tun ist

Abschließend lässt sich konstatieren, dass wir einen ausbaufähigen Versuch einer neuen Aktionsform gegen die Neue Rechte initiiert haben. Ausbaufähig, weil es uns nicht gelungen ist, ihren Resonanzraum zu verkleinern.

Durch die undifferenzierte Berichterstattung mit Fokus auf die Störaktionen blieben nicht nur unsere Inhalte auf der Strecke, sondern die neue Rechte schaffte es abermals, die Deutungshoheit über die Situation für sich zu beanspruchen.

Was bleibt also? In den Medien überwiegt das Bild des typischen (entpolitisierten) Kampfes zwischen Rechts und Links, zwischen den Rändern der Gesellschaft. Tatsächlichen Einfluss auf die öffentliche Debatte über den gesellschaftlichen Umgang mit der neuen Rechten zu nehmen, ist uns nur bedingt gelungen.

Trotzdem glauben wir, dass wir mit unserer »Show für die Meinungsfreiheit« einen Schritt in die richtige Richtung gegangen sind und es nun, anknüpfend an diese Erfahrung, weiterzudenken gilt. Denn wir haben unsere Stärken genutzt. Wir haben unsere Empathiefähigkeit, unsere Offenheit und unsere Kreativität gegen ihre Hetze, ihr politisches Soldatentum und ihre Menschenfeindlichkeit gestellt.

Prisma gründete sich im Herbst 2012 in Leipzig. Die Arbeitsschwerpunkte der Gruppe sind Antirassismus, Queerfeminismus, Antifaschismus, Klima und Soziale Kämpfe. Seit Anfang 2014 ist PRISMA Mitglied im überregionalen Zusammenschluss der iL.

Bild: Fursuiter auf der Leipziger Buchmesse 2013, von jashi_2002.