Wenn DIE LINKE untergeht, was reißt sie mit?

Das Verhältnis zwischen der radikalen Linken und der Linkspartei ist ambivalent. Als parlamentarischer Arm der Bewegung erfüllt sie wichtige Funktionen für unsere Arbeit und trägt unsere Anliegen im Idealfall in die Parlamente und einen bürgerlichen Diskurs. So zumindest die Idee. In der Realität wird sie diesem Anspruch nur selten gerecht. Kann uns der Untergang der Linkspartei also egal sein?

Ein Text über die Partei DIE LINKE (PdL) aus radikal linker Perspektive zu schreiben ist immer ein schwieriges Unterfangen. Das Verhältnis einer radikalen Linken, die eine antagonistische Position zum bürgerlichen Staat einnimmt, und einer Partei, die sich innerhalb dieser Institutionen bewegt, ist von Widersprüchen durchzogen. Das liegt vor allem in den unterschiedlichen Systemlogiken begründet. Während z.B. die Bewegungen von der Partei zurecht verlangen, ihre Anliegen innerhalb des Staates einzubringen oder sogar umzusetzen, verfügt die Partei in vielen Fällen gar nicht über die dafür notwendige Macht. So ist eine Partei in der Opposition real recht machtlos, kann dort aber auch radikalere Positionen zum Ausdruck bringen. In einer Koalition kann sie wiederum nur durchsetzen, was auch die anderen bürgerlichen Partner mitmachen und muss im Gegenzug faule Kompromisse hinnehmen. Aus Perspektive der Bewegungen entsteht hier zwingend der Eindruck, es werde nur halbherzig von der Partei geliefert.

Darüber hinaus hängt das Überleben von Parteien davon ab, dass sie massentauglich sind, während die radikale Linke genau weiß, dass sie das oftmals nicht ist und unter den gegebenen Umständen nicht sein wird. Das ständige Schielen auf die öffentliche Meinung und der bange Blick auf Umfragen und Wahlergebnisse verhindern oftmals notwendige klare Entscheidungen, da diese zu massiven Verlusten führen würden. In diesem Zusammenhang ist auch der Konflikt zwischen der Partei und Teilen ihres Spitzenpersonals einzuordnen. Hier wünschen sich viele innerhalb und außerhalb der Partei eine klare Kante und letzten Endes einen Ausschluss jener Personen, die im Alleingang und gegen die Beschlüsse der Partei unhaltbare Positionen vertreten. Gleichzeitig ist klar, dass z.B. ein Parteiausschlussverfahren gegen prominente und von vielen Teilen der Bevölkerung angesehene Personen ein sehr langwieriges und schmerzhaftes Verfahren wäre, was der Partei über einen langen Zeitraum hinweg öffentliche Konflikte, Verluste von Wähler*innen, Mitgliedern und nicht zuletzt wesentliche Strukturen samt den dazugehörigen Mitteln bedeuten würde. Daher wird dieser Schritt gescheut, nicht aus politischen, sondern primär aus strategischen Überlegungen. Gleichzeitig führt diese Unklarheit auf Dauer auch zu einem schleichenden Ausbluten der Partei und der öffentlichen Wahrnehmung der Partei als völlig zerstritten. Dies ist nur einer der Gründe für die momentane Schwäche der Partei, alle weiteren aufzuführen würde den Rahmen dieses Textes sprengen.

Es bleibt zunächst festzustellen, dass die Partei nach allen Indikatoren in einer tiefen Krise steckt. Der Zeitpunkt für diese Krise ist denkbar schlecht. Gerade jetzt bräuchte es eine starke linke Partei in den Parlamenten. Diese hätte die Aufgabe den Bewegungen dort Gehör zu verschaffen und innerhalb der Institutionen Druck aufzubauen, um längst überfällige Veränderungen anzustoßen.

Aus dieser kurzen Bestandsaufnahme ergeben sich nun eine Reihe von Fragen von denen ich drei im folgenden kurz beginnen möchte zu besprechen.

  1. Was bedeutet die Schwäche der PdL für die radikale Linke?
  2. Was würde real wegfallen, wenn es die PdL nicht mehr gäbe?
  3. Was könnte nach der Partei kommen?

Blick nach Osten

Die Frage, was die Schwäche der Partei für die radikale Linke für Folgen hätte, lässt sich nicht pauschal beantworten, da es immer auf die konkreten Umstände ankommt. Um sich dennoch einer Antwort anzunähern, werfen wir einen Blick in den Osten. Dort lassen sich die Folgen des Verschwindens der PdL seit langem beobachten. Die PdL, und davor die PDS, hatte eine breite Basis von Mitgliedern und Strukturen, war damit ein politischer Faktor und ein (nicht immer einfacher) Bündnispartner für andere Linke. Mit dem Wegfall von Parteistrukturen im Osten und der in weiten Teilen oft nicht vorhandenen so genannten Zivilgesellschaft, hat sich die Lage für radikale Linke deutlich verschlechtert. Der Wegfall linker Angebote ist einer von vielen Gründen dafür, warum es den Nazis und Faschisten gelungen ist, hier in vielen Regionen eine rechte Hegemonie aufzubauen. Dies zwingt radikale Linke oftmals dazu, sich ausschließlich mit Abwehrkämpfen zu beschäftigen. Wir können im Osten folgendes sehen:

  1. Wenn die Strukturen und Angebote der parteiförmigen Linken in der Fläche wegfallen, werden auch die Handlungsspielräume für andere linke Gruppen und fortschrittliche Bewegungen kleiner.
  2. Nach dem Wegfall entsteht nicht einfach etwas Neues und vielleicht sogar Besseres, sondern es bleibt eine Lücke, die im schlimmsten Fall von rechts besetzt wird.

Ein materieller Verlust

Wir neigen dazu zu vergessen, dass die Verbreitung von Ideen und Weltanschauungen eine materielle Basis braucht. Die PdL ist in der Fläche, im Osten wie im Westen, die Organisation, die diese materielle Basis zur Verfügung stellt. Auch hier ein Beispiel: Wir sprechen von einer Partei mit ca. 57.000 Mitgliedern. Diese Mitglieder sind zwar sehr unterschiedlich was ihre politischen Überzeugungen oder ihre reale Aktivität vor Ort anbelangt. Dennoch sind sie es, die vor Ort den erfahrbaren Unterschied machen wenn es darum geht, ob eine linke Perspektive überhaupt als eine mögliche Option wahrgenommen wird. Wenn z.B. in ganzen Landstrichen auf den Dörfern bei der Wahl nur noch AfD-Plakate hängen, dann macht das was mit den Menschen die dort leben, die sich ihre Meinung bilden und sich in diesem Umfeld politisieren. Konkret gesagt, wenn es ein für die Bewegungen offenes Büro der Linken in einem Ort gibt, in dem man sich treffen und vernetzen kann, wo man mal was drucken kann, eine Sozialberatung erhält usw. dann macht das einen Unterschied für alle, die vor Ort aktiv sein wollen.

Der Keil in der Tür

Schauen wir weiter nach Berlin, wo die PdL verhältnismäßig stark und (noch) Teil der Regierung ist. Trotz allem Reformismus und den ideologischen Deformationen, die eine Regierungsperspektive mit sich bringt, ist die PdL hier ansprechbar für Bewegungen und Initiativen. Das beste Beispiel ist Deutsche Wohnen und Co. enteignen. Hier ist die PdL die einzige Partei im Parlament, die sich hinter die Initiative gestellt hat, die selbst Unterschriften gesammelt hat, eigenes Material produzierte und die den Druck der Bewegung immer wieder ins Parlament und den Staatsapparat hineingetragen hat. Dies tat sie wiederum nur, weil die reformistische Parteiführung von den Bewegungen außerhalb der Partei und den bewegungsorientierten Leuten innerhalb der Partei dazu gedrängt wurde. Ohne die PdL als Teil der Koalition, wäre der Volksentscheid in Senat und Parlament schon lange begraben worden, weil SPD und Grüne aus ideologischen und materiellen Gründen nicht bereit sind, mit der privaten Eigentumslogik zu brechen. Am Berliner Beispiel sieht man, dass die PdL ein Keil in der Tür für die Bewegungen sein kann, aber nur, wenn sie selbst von innen und außen konstanten Druck erhält, die Bedingungen für die Bewegungen real zu verbessern und ihre Themen in den öffentlichen Debatten zu verstärken.

Ort der linken Politisierung

Es gibt viele Menschen, die prinzipiell offen sind für linke Ideen, die aber gleichzeitig kein antagonistisches Verhältnis zur bestehenden Ordnung haben. Diese Menschen würden sich vermutlich niemals spontan in linksradikalen Gruppen organisieren, weil es weder ihrer Weltanschauung noch ihren realen Lebensbedingungen entspricht. Für diese Menschen ist die Wahl einer linksreformistischen Partei bereits eine Möglichkeit der Beteiligung und jene, denen diese Form zu wenig ist, finden in der PdL einen Ort um aktiv zu werden. Damit ist die Partei ein realer Ort der Aktivierung, Politisierung und nicht selten der Radikalisierung von Menschen, ähnlich wie es Bewegungen und breite Kampagnen sein können. Auch wenn dieser Prozess in ganz unterschiedliche ideologische und praktische Richtungen laufen kann, ist diese Funktion der Partei nicht zu unterschätzen. In vielen Gegenden ist die PdL das einzige derartige Angebot, über das man auch einen Weg zur radikalen Linken finden kann.

Was kommt nach der PdL?

Dies lässt sich seriös kaum beantworten, aber wir können uns eine mögliche Option kurz ansehen. Seit längerem gibt es Hinweise darauf, dass der Wagenknecht Flügel sich selbst an dem Punkt angekommen sieht, wo man den endgültigen organisatorischen Bruch wagen sollte. Dieser Schritt wurde bisher gescheut, da man um die enormen Schwierigkeiten weiß, die der Aufbau einer neuen Partei mit sich bringt. Schon das klägliche Scheitern von »Aufstehen« hat gezeigt, dass der Aufbau einer Bewegung nicht so leicht ist, wie man geglaubt hat. Es steht aber weiterhin die Option im Raum, dass Wagenknecht zur nächsten Europawahl ein eigenes Projekt ins Rennen schickt. Die Folge wäre, dass wir dann zwei Parteien haben, die das ohnehin schon geringe Wähler*innen-Potential untereinander auf-teilen. Das würde jegliche linke parlamentarische Kraft über Jahrzehnte marginalisieren. Solche Entwicklungen konnten wir in anderen europäischen Ländern zur Genüge beobachten. Die damalige Gründung der PdL als Sammlung unterschiedlicher linker Traditionen stellte hier eine europäische Besonderheit gegen den allgemeinen Trend zur Aufspaltung dar. Konkret hätte es die radikale Linke dann auf der einen Seite mit einer Partei zu tun, die sich aufgrund ihrer konservativ-linken Ideologie explizit von wichtigen Bewegungen abgrenzt und somit auch kein Bündnispartner sein kann. Auf der anderen Seite bliebe eine geschwächte PdL, die vermutlich weiterhin offener für Bewegungen ist, aber aufgrund des Bedeutungsverlustes nicht mehr die strategischen Funktionen für die Bewegungen ausführen könnte.

Was noch zu sagen bleibt

Bei aller berechtigten Kritik an der PdL bleibt festzuhalten, dass die PdL eine Reihe von Funktionen erfüllt, die auch der radikalen Linken und linken Bewegungen zugute kommen. Ein Wegfall der genannten Funktionen und einer Reihe weiterer, die hier nicht behandelt wurden, würde auch die radikale Linke auf Dauer strukturell schwächen. Was dieser Befund dann konkret für uns als radikale Linke bedeutet und ob sich hieraus irgendeine Handlungsnotwendigkeit ableitet müsste diskutiert werden. Klar ist aber schon jetzt, dass uns die momentane Schwäche der PdL nicht einfach egal sein kann.

Autor*in: Crimson ist aktiv in der IL Berlin.

Bild: Autonomous Design Group