Social Climate Turn – Ein Klimadebattenbeitrag der IL Ortsgruppe Leipzig

Die IL Leipzig fasst die aktuellen Strategiediskussionen der Klima-Bewegung zusammen und fordert einen Social Climate Turn.

Keine sechs Jahre ist es her, dass die Klimakrise so viele Menschen auf die Straße zog, wie kaum ein anderes Thema zuvor in der BRD. 1,4 Millionen demonstrierten damals in Deutschland dafür, dass fossile Brennstoffe im Boden bleiben, dass wir aufhören, die Klimakrise zu produzieren. Heute scheint davon kaum noch etwas übrig zu sein. Ein Großteil der Menschen scheint also entweder zu glauben, dass die deutsche Klimapolitik auf einem guten Kurs sei, oder hat die Hoffnung aufgegeben, die Klimakrise noch aufhalten oder auch nur eindämmen zu können. 2024 wurden die 1,5 Grad globaler Erwärmung zum ersten Mal überschritten, doch es blieb still in Deutschland und dem Rest der Welt. Zurück blieben Orientierungslosigkeit, Ohnmacht, Angst und ein Jahrhunderthitzesommer, der dem nächsten folgt.

Währenddessen scheinen die Katastrophen auf uns niederzuprasseln. Neben Kriegen, Rechtsruck und sich zuspitzender sozialer Kälte scheint Klima fast ein Luxusthema geworden zu sein.

Das, worin wir als Klima-Bewegung erfolgreich waren - viele Menschen auf die Straße und an die Orte der Zerstörung zu bringen und so in den Diskurs zu intervenieren - funktioniert nicht mehr. Die diskursiven und gesetzlichen Erfolge (früherer Kohleausstieg, Klimaschutzgesetz, CO2-Bepreisung usw.) setzen auf sozial ungerechte und marktkonforme Scheinlösungen. Vor allem reichen sie nicht aus, um die Klimakrise wirklich aufzuhalten. Denn wir hatten Recht: Die Klimakrise lässt sich nicht im Kapitalismus lösen. Und um den Kapitalismus zu überwinden, braucht es mehr als 1,4 Millionen Menschen, die fürs Klima auf die Straße gehen.

Kurz: Es braucht neue Strategien, weil die alten nicht mehr funktionieren. In folgendem Debattenbeitrag wollen wir drei Strategieansätze diskutieren, die die Klimagerechtigkeitsbewegung in den letzten Jahren stark geprägt haben und zusätzlich einen vierten Ansatz zur Diskussion stellen, der gerade in letzter Zeit immer häufiger thematisiert wird.

1. Radikale Flanke – wenn die Klimakrise sich zuspitzt, müssen unsere Mittel militanter werden

Vertreter*innen dieses Ansatzes argumentieren für militantere Aktionen als Antwort auf die sich zuspitzende Klimakrise und haben diese zum Teil erprobt. Damit sind zum Beispiel Sabotage-Aktionen gemeint, bei denen klimaschädliche Infrastruktur zerstört wird. Wir sehen diese Ansätze bei Gruppen wie Disrupt, zählen aber auch Teile des Aktionsrepertoires der Letzten Generation oder Tesla den Hahn abdrehen dazu.

Allerdings wurden von solchen Aktionen in der Vergangenheit nur sehr wenige von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen. Sie haben auch nicht zu einer Verbesserung unsere Position geführt, in dem sie zum Beispiel den Druck auf die Regierenden erhöht hätten. Aktionsformen müssen in der jeweiligen gesellschaftlichen Situation vermittelbar sein. In den Hochzeiten der Klimabewegung wäre der Aufruf zu militanteren Aktionsformen vielleicht auf fruchtbareren Boden gefallen. Hätten alle Menschen, die zu den Zeiten des Klimaaufwinds mit uns auf der Straße waren, angefangen, SUVs, Kohlebagger und Gaskraftwerke zu sabotieren, dann wäre das die vielleicht beste Antwort gewesen auf eine Krise, die unsere Lebensgrundlagen zerstört. Aktuell ist die Situation eine andere. Die gesellschaftliche Stimmung kippt immer mehr nach rechts und in Richtung von Law and Order. Wir glauben, dass aktuell die Vermittelbarkeit von militanten Klimaaktionen noch schwerer ist, als sie es in einer Stimmung des gesellschaftlichen Aufwindes schon war.

Natürlich kann es durchaus sinnvoll sein, auszuprobieren, wie militante Aktionen in einer bestimmten Situation von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen werden und ob sie einer Bewegungsdynamik schaden oder nützen. Zurzeit scheint es aber keine Anhaltspunkte dafür zu geben, dass eine Radikalisierung der Aktionsformen der Klimabewegung nutzen könnte. Stattdessen befürchten wir dadurch aktuell eher Vereinzelung, Repression, Isolation und Aktionen mit wenig transformativem Potential. Dabei geht es nicht darum, Militanz an sich zu verurteilen, sondern darum, dass Aktionsformen nicht zum Selbstzweck verkommen, sondern als situativ spezifisches Mittel eingesetzt werden, um Gesellschaft zu verändern.

2. Labour Turn – keine Klimagerechtigkeit ohne Arbeiter*innen

Eine zweite Strategierichtung ist die des Labour Turns. Hier wird versucht, Klima- und Arbeitskämpfe zu verbinden. Somit wird auf zwei wichtige Erfahrungen der Klimabewegung reagiert:

Erstens: Wir haben zwar sehr viele Menschen mit der Klimafrage erreicht, aber eben auch viele nicht. Nicht erreicht haben wir vor allem Arbeiter*innen in nicht akademischen Berufen. Der strategische Ansatz des Labour Turns ist es, Arbeitskämpfe zu unterstützen. Je nach strategischer Ausrichtung sollen das entweder Arbeitskämpfe im klimafreundlichen Bereich der öffentlichen Daseinsversorgung (Streiken fürs Gemeinwohl) oder in klimaschädlichen Bereichen wie der Automobilindustrie sein. Die Kämpfe sollen die direkten Lebensumstände der Arbeiter*innen verbessern, die sich darüber für Klimaanliegen einsetzen.

Zweitens: Die Klimabewegung hat diskursiv gewonnen, konnte dies aber nicht in reale, materielle Gewinne umsetzten. Es braucht also außer Diskurshoheit auch Machtmittel, um Forderungen durchzusetzen. Und diese Machtmittel werden im Streik gesucht, der sowohl finanziell fürs Kapital als auch politisch für den Staat hohe Kosten hat.

Wir halten es für sehr sinnvoll bei den konkreten Bedürfnissen von Menschen anzusetzen und tatsächliche Gegenmacht durch die Organisierung zum Streiken aufzubauen. Allerdings scheint es in der Praxis nicht so einfach zu sein, aus den Arbeitskämpfen Klimakämpfe zu machen. Das liegt zum einen an dem regressiven Streikrecht in Deutschland, das politischen Streik verbietet. Aber eben auch daran, dass der Schritt vom Kampf für eine Gehaltserhöhung hin zum Kampf für eine klimagerechte Gesellschaft zu groß ist. Das zeigt sich besonders dort, wo Arbeitskämpfe in den engen Strukturen und Routinen der Gewerkschaftsbürokratie gefangen bleiben. Selbst im ÖPNV, wo sich die Verbindung zwischen den Arbeitsbedingungen und Klimagerechtigkeit besonders klar zeigt, scheint der Climate Labour Turn bislang nicht wirklich gelungen zu sein. Das wurde in der Kampagne #wirfahrenzusammen versucht, wo Klimaaktivist*innen im Tarifstreit an der Seite von ÖPNV-Angestellten gekämpft haben. Weder hat sich ein Großteil der Beschäftigten hinter Klimaforderungen gestellt, noch hat #wirfahrenzusammen erreicht, dass die politischen Forderungen breit öffentlich diskutiert, geschweige denn umgesetzt wurden.

Noch schwerer wird die Verbindung von Arbeits- und Klimakämpfen in Bereichen sein, in denen die Erwerbsarbeit schlecht fürs Klima ist. Natürlich könnten und würden die Arbeiter*innen bei VW auch Straßenbahnen produzieren. Aber mit Straßenbahnen kann VW einfach nicht so viel Geld verdienen wie mit Autos. Solange es dem Unternehmen wirtschaftlich einigermaßen gut geht, werden die Arbeiter*innen es auch nicht durch Konversionsforderungen in den Ruin treiben wollen. Sie werden versuchen, ihre gut bezahlten und gewerkschaftlich abgesicherten Industriejobs zu erhalten. Außerdem gibt es einen realen Widerspruch zwischen den Interessen vieler Arbeiter*innen im Globalen Norden und der Eindämmung der Klimakrise im Kapitalismus. Das bedeutet weder, dass Arbeiter*innen das Klima oder die Umwelt egal sind, noch, dass sie nicht in einer anderen Gesellschaftsform liebend gerne mit den Produktionsmitteln von VW in Selbstverwaltung E-Rollstühle, Straßenbahnen oder Erntemaschinen produzieren würden. Es bedeutet jedoch, dass sie -- während sie ausgebeutet werden -- im globalen Vergleich über relative Privilegien verfügen. Ihnen ist bewusst, dass diese Privilegien davon abhängen, wie es ihrem Unternehmen und dem Wirtschaftsstandort Deutschland geht.

Klimaschutzmaßnahmen sind unter kapitalistischen Bedingungen für beides eher hinderlich. Gerade deshalb ist es auch in der Praxis so schwierig, die berechtigten Interessen deutscher Arbeiter*innen zum Ausgangspunkt der Kämpfe zu machen und zugleich gegen die Klimakrise zu kämpfen. So ging auch die Kampagne #wirfahrenzusammen ziemlich nahtlos in Unterstützungsarbeit für die Tarifverhandlung im öffentlichen Dienst über. Inwiefern bessere Gehälter im Ordnungsamt und der Verwaltung zur Eindämmung der Klimakrise beitragen sollten, wurde kaum noch versucht zu erklären.

Trotzdem sind Arbeitskämpfe wichtig - schon allein deshalb, weil Menschen in ihnen lernen, sich zu organisieren, Solidarität erleben und gemeinsam zu kämpfen. Oft sind das das genau jene Menschen, die in der Klimabewegung eben diese Erfahrungen bislang nicht gemacht haben.

3. Kollapsbewegung - die Krise ist längst da

Trotzdem erscheint es vielen auch absurd, von Tarifrunde zu Tarifrunde zu hetzen und für ein paar Euro mehr zu kämpfen. Denn die Krise ist ja schon längst da. Vor allem die Teile der Klimabewegung, die sich als Kollapsbewegung neuformieren, betonen das stark. Sie argumentieren, dass die Bewegung jetzt in Umweltkatastrophen, die für Menschen spürbar sind, aktiv werden muss und argumentiert für eine links-solidarische Katastrophenhilfe wie im Ahrtal. Sie versucht damit auch, Menschen an ihren konkreten Alltagserfahrungen zu organisieren, zum Beispiel, indem man Skills für Naturkatastrophen lernt.

Teile der Kollapsbewegung erklären aber einfach den Großteil der Deutschen zu Arschlöchern und geben sie so politisch auf. Sie argumentieren, dass der Großteil der Menschen in Deutschland lieber Klimakrise und Ungleichheit verdrängt und diese Verdrängung aggressiv verteidigt.

Es geht also nicht mehr darum, Mehrheiten zu gewinnen, sondern mit einer kleinen Minderheit, die man anhand der Alltagserfahrungen für das Kollaps-Narrativ gewinnen konnte, autonome Freiräume zu erobern und zu verteidigen.

Das erscheint uns nicht sinnvoll. Wir teilen die Analyse, dass Klimaschutz im Kapitalismus dem materiellen Interesse eines Großteils der Bevölkerung (der Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschlands) widerspricht (siehe oben). Dennoch vertreten viele Menschen Werte, wie Klimaschutz und Gerechtigkeit, die diesem Interesse eigentlich widersprechen. Dass Menschen nicht hinter den uneffektiven und sozial ungerechten Klimaschutzmaßnahmen der Ampel stehen, muss nicht bedeuten, dass sie nicht für sozial gerechten Klimaschutz oder für einen System Change gewinnbar wären. Statt die Mehrheit einfach zu Arschlöchern zu erklären, müsste es darum gehen die realen Ängste der Menschen (bspw. Wohlstandsverlust durch Schwächung der Wirtschaft) ernst zu nehmen ohne bei ihnen stehen zu bleiben. Das ginge zum Beispiel darüber, Klimakämpfe mit Umverteilung zu führen., die durch Umverteilung auch Vorteile für ärmere Menschen bedeuteten. Natürlich ergibt es Sinn, erst einmal Politik mit den Menschen zu machen, die keine »Arschlöcher« sind, sondern sich eh schon gegen menschenverachtende Positionen und Politiken einsetzen.

Wenn wir uns aber in autonome Kleinsträume zurückziehen und uns auf den Zusammenbruch vorbereiten, bedeutet das auch, jegliche Eindämmung der Klimakrisenverursachung aufzugeben. Es stimmt, dass die Klimakrise schon da ist, aber es lohnt es sich weiter dafür zu kämpfen, dass sie nicht noch heftiger wird.

Wir unterstützen die Teile der Kollapsbewegung, die anhand der konkreten Klimakrisenfolgen wieder eine breite gesellschaftliche Klimagerechtigkeitsbewegung aufbauen wollen. Dadurch könnte es möglich sein, sowohl solidarische Praktiken über die linke Szene hinaus aufzubauen als auch Hitzewellen, Fluten und andere Klimakatastrophen als menschlich verursacht zu markieren und die Verursacher*innen konkret zu benennen.

4. Was dann? Social Climate Turn – soziale und ökologische Fragen verbinden

In allen drei Strategiefeldern sind wichtige und richtige Punkte enthalten. In Leipzig konnten wir jedoch aus keinem davon überzeugende Projekte ableiten, von denen tatsächlich gesellschaftliche Wirkmacht zu erwarten gewesen wäre. Das mag an anderen Orten anders sein. Durch die Verbindung der Vorzüge der einzelnen Ansätze und durch unsere Kritik an ihnen landen wir bei einem vierten Ansatz: Dem Climate Social Turn, der Verbindung von sozialen und ökologischen Themen. Unter Climate Social Turn als Strategie verstehen wir für Zwischenziele zu kämpfen, die gut fürs Klima und für die Mehrheit der Menschen sind. Damit können wir zunächst wieder mehr Stärke gewinnen und Schritt für Schritt Gegenmacht aufbauen.

Beispiele für diese Zwischenziele könnten kostenfreier ÖPNV oder die Vergesellschaftung von energetisch saniertem Wohnraum sein. Die Kampagne zur sozialen Wärmewende, die Genoss*innen aus der Mietenbewegung und neuerdings auch der Klimagerechtigkeitsbewegung verfolgen, halten wir für ein gutes Beispiel einer solche Strategie.

Das Problem bei der Wärmewende der Ampel-Regierung: Durch die Notwendigkeit von energetischen Sanierungen werden immer öfter soziale und ökologische Bedürfnisse gegeneinander ausgespielt – zum Nachteil von Mieter*innen und zum Vorteil von Vermieter*innen. Etwas, was eigentlich gut für Mieter*innen und das Klima wäre, nämlich Wohnungen energetisch zu sanieren, wird so zum Mittel von Verdrängung und Profitsteigerung für die Vermieter. Hier müssen wir konkrete Verteilungskämpfe führen, in denen Antikapitalismus und sozialökologische Transformation praktisch werden. Über das Thema Miete erreichen wir Menschen an ihren konkreten Problemen und können Solidarität praktisch erfahrbar machen. Diverse Mieteninitiativen zeigen, dass sich zu diesem Thema viele Menschen organisieren wollen.

Aber auch andere Themen, wie kostenfreier gut ausgebauter ÖPNV, die Vergesellschaftung von Wasser oder erneuerbare Energieversorgung in Bürger*innenhand, bieten sich im Rahmen der Strategie des Climate Social Turns an Damit kämpfen wir dann sowohl für bessere Lebensbedingungen im hier und jetzt als auch für eine Eindämmung der CO2-Emission.

Wenn wir die Basiskämpfe von Mieter*innen, Beschäftigen und Fahrgästen im ÖPNV als Wasser- und Stromverbraucher*innen führen, erreichen wir viele neue Menschen. Sie machen dort eine kollektive Erfahrung, erproben gemeinsam Widerstand, erleben Solidarität und Unterstützung. Vereinzelung nutzt den Faschisten. Wir dürfen unsere Klimakämpfe nicht nur auf die Klimakrise beziehen, sondern müssen auch darauf abzielen, eine widerstandsfähige Gesellschaft gegen die faschistischen Formierungen aufzubauen. Ein voranschreitender Faschismus wird auch die Klimakrise weiter anheizen. Wir werden immer öfter vor der Entscheidung stehen, ob wir als Gesellschaft auf Krisen solidarisch oder faschistisch reagieren. Kollektive, solidarische und in Kämpfen erprobte Strukturen tragen dazu bei, dass sich mehr und mehr Menschen für die solidarische Antwort entscheiden.

Bild: Christoph Hedtke CC BY-NC-SA 2.0