Kommunismus fällt nicht vom Himmel – und wächst auch nicht auf Bäumen

Was können wir tun gegen den Klimakatastrophenkapitalismus? Nicht viel, solange wir nur radikalen Antikapitalismus und die Idee des Kommunismus beschwören, argumentieren Genoss*innen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung im folgenden Beitrag. Sie plädieren für eine radikale, aber anschlussfähige und massenorientierte Klimapolitik von links – und ein Engagement im Handgemenge konkreter Klimakämpfe wie aktuell im Dannenröder Wald.

Klimagerechtigkeit geht nur im Kommunismus, klaro. Das ist aber ein Prozess: ein Erblühen aus dem Matsch unserer Gesellschaft, durch eine Klima-Bewegung, die in den Widersprüchen und Auseinandersetzungen des Hier und Jetzt ansetzt. Wenn wir als Bewegung stark genug sind, können wir die Gesellschaft radikal verändern – doch dafür müssen wir uns auf die Widersprüche einlassen und Teil der Auseinandersetzungen werden. Ein Plädoyer für eine radikale, anschlussfähige und massenorientierte Klimapolitik.

Wir rasen unaufhörlich auf die Klimakatastrophe zu und ein viel zu anpassungsfähiger Kapitalismus zerstört unsere natürlichen Lebensgrundlagen und verschärft bestehende Ungerechtigkeiten immer weiter. In der wenigen Zeit, die uns noch bleibt, müssen wir gleichzeitig Emissionen konkret reduzieren und einen grundlegenden Wandel erkämpfen: mit radikalen Zielen – und der Kraft, sie auch durchzusetzen.

Die konkrete Auseinandersetzung als Keimform der Utopie

»Eine linksradikale Klimapolitik zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich nicht einfach aus dem Bestehenden ableiten lässt«, schreiben die Genoss*innen aus Münster in ihrem Debattenbeitrag. Wir stellen die Gegenfrage: Woraus denn dann? Es sind doch genau die akut bestehenden Probleme und Widersprüche – ein Dorf, das für einen Kohle-Tagebau abgerissen wird, ein Wald, der für eine Autobahn gerodet werden soll, das Erleben negativer Folgen der steigenden Emissionen (Überschwemmungen, Stürme oder Dürresommer) bei ausbleibendem Handeln der Regierungen usw. – aus denen heraus sich schlagkräftige Bewegungen entwickeln, die dann ihre Grundsatzkritik am Kapitalismus als Treiber der Klimakrise zum Ausdruck bringen können. Und genau hier treffen wir als radikale Linke auf Menschen – Tagebau-Betroffene, Autobahn-Anwohner*innen, um die Klimakrise besorgte Mitbürger*innen – mit denen zusammen wir die Bündnisse aufbauen können, die wir brauchen, um die großen Veränderungen in Gang zu setzen.

Zugespitzte Radikalität und die besten gesellschaftlichen Gegenentwürfe bringen uns nichts, wenn wir sie nicht durchsetzen können. Ohne gesellschaftlichen Resonanzraum verhallen sie wirkungslos. Der utopische Überschuss unserer radikal-linken Praxis kann, wenn er eine Relevanz haben will, deshalb nur im konkreten Kampf entstehen. Und er kann sich nur durchsetzen, wenn er von vielen mitgetragen wird.

Die Proteste in Chile, Weißrussland oder aktuell in Polen sind Beispiele dafür, wie Bewegungen Massen mobilisieren und den Status quo grundlegend ins Wanken bringen können. Man stelle sich nur mal vor, die radikale Linke in den jeweiligen Ländern hätte gesagt »höhere U-Bahn-Preise sind egal, wir wollen Kommunismus«, »gefälschte Wahlen sind egal, wir wollen Kommunismus« oder »ein Gerichtsurteil zum Verbot von Abtreibung ist egal, wir wollen Kommunismus«. Erst aus dem Moment konkreter, »reformistischer« Empörung konnte ein Vorwärts-Moment entstehen – mit Hunderttausenden auf der Straße und Forderungen, die weit über den anfänglichen Reformismus hinausgehen. Linksradikale Politik heißt auch im Klima-Bereich genau das: Erstens aus einer akuten Lebens- und Leidenssituation heraus eine Bewegung zu formen bzw. Teil von ihr zu werden, die dann so kraftvoll wird, dass sie Unmögliches möglich macht; und zweitens die konkrete Verbesserung zusammenzudenken mit langfristiger, grundlegender Veränderung.

Forderungen als Waffe für den gesellschaftliche Kampf

Forderungen sind dabei unerlässlich. Radikale Forderungen mit utopischem Überschuss, ja. Aber vor allem: konkrete Forderungen, die potentiell mehrheits- und durchsetzungsfähig sind und genau deshalb so gefährlich werden können für die Herrschenden. Einerseits können wir Regierungen so unter Druck zu setzen – und das ist das genaue Gegenteil eines sich-einlullen-lassens, wie es Fridays for Future vorgeworfen wird. Das Einhalten der 1,5 Grad-Grenze bei der Erderhitzung ist als Forderung an die Regierung inhaltlich letztendlich nichts anderes als der Ruf nach »System Change« – nur mit einem Unterschied: 1,5 Grad als Forderung ist anschlussfähig; und deshalb viel radikaler.

Andererseits brauchen wir Forderungen auch für uns selbst und für die Menschen, mit denen wir gemeinsam den Bruch vorbereiten und den Wandel erkämpfen wollen. Eine abstrakte Vorstellung von »Kommunismus« motiviert die wenigsten, auf die Straße zu gehen – zumal wenn die Durchsetzungschancen gering scheinen. Ganz anders eine Auseinandersetzung mit einem konkreten, potentiell gewinnbaren Ziel! Die von den Münsteraner Genoss*innen so gelobte Waldbesetzung im Hambacher Forst konnte nur deshalb eine solche gesellschaftliche Dynamik entfalten, weil hier eben eine reale Auseinandersetzung geführt wurde mit einem greifbaren Ziel (»Hambi bleibt!«).

Dass sich »Klassenunterschiede« nicht »mit Forderungen bekämpfen« lassen, wie die Genoss*innen schreiben, stimmt zwar – sie verschwinden aber auch nicht, wenn wir alle laut »Kommunismus« rufen (oder kollektiv im Baumhaus wohnen). Gesellschaftliche Veränderung ist eine Machtfrage. Und ob wir als radikale Linke genug Gegenmacht aufbauen können, hängt davon ab, wie stark wir uns zusammen mit wie vielen Menschen verbünden, organisieren und radikalisieren. Und da motivieren konkrete Forderungen und gewinnbare Kämpfe deutlich mehr Menschen als Parolen.

Vom hohen Baum runter

Vor allem aber entsteht linksradikale Politik nicht im Elfenbeinturm – sondern in den matschigen Spurrillen unserer Gesellschaft. Nur wenn wir, im übertragenen Sinne, von unserem Baum herabsteigen, können wir den Wald retten. Baumhäuser waren das Herzstück des Hambis, keine Frage! Doch dass die radikalen Aktionsformen, alternativen Lebensmodelle und grundsätzliche Herrschaftskritik der Waldbesetzung gesellschaftliche Relevanz entwickeln konnten, lag an einer Dynamik, die weit über die linke Bubble hinaus ging und schließlich 50.000 Menschen mobilisieren konnte.

Im aktuellen Konflikt um den Autobahn-Bau quer durch den Dannenröder Wald in Hessen ist es das enge Zusammenspiel zwischen erfahrenen Waldbesetzer*innen, jungen Klimaaktivist*innen und lokalen Anwohner*innen, das die Bewegung so schlagkräftig macht. Es sind Grünen-Politikerinnen von der Basis, die sich hier mit Autobahn-Blockaden solidarisieren und im Aktionstraining üben, wie sie Sitzblockaden machen gegen einen Polizeieinsatz, der von der schwarz-grünen Landesregierung verantwortet wird. Manch eine Anwohnerin, die den Baumbesetzer*innen im Danni Essen und warme Kleidung bringt, hat vielleicht erstmal nur Angst um ihr Trinkwasser, wenn die Autobahn gebaut wird. Dann lernt sie von den Aktivist*innen, dass Gendern in der Sprache wichtig ist. Dann erlebt sie erstmals einen brutalen Polizeieinsatz im Wald. Dann sitzt sie vielleicht selbst in der Sitzblockade und ruft nach Klimagerechtigkeit … usw. Was schweißt diese Menschen zusammen? Der gemeinsame konkrete Ausgangspunkt, die gemeinsame Forderung. Nein, nicht »Kommunismus«, sondern: »Danni bleibt!«

Wer solch breite Bündnisse eingeht, muss Kompromisse machen. Aber Radikalität ist nicht Kompromisslosigkeit. Radikalität bedeutet, gefährlich werden zu wollen und auch dem größten Gegner die Stirn zu bieten. Nicht jeder konkrete Kampf entwickelt diese Radikalität. Doch genau das ist ja die spannende Frage: Wie schaffen wir es, Kämpfe so zu organisieren, zu radikalisieren und (möglichst) zu gewinnen, dass auf den Kampf gegen die Wald-Rodung, die Tagebau-Erweiterung oder den Autobahn-Bau dann auch die grundlegende Energie- und Verkehrswende folgt, Enteignung der Kohlekonzerne und Zerschlagung der Autolobby inklusive?

Klar ist jedenfalls: Der beste Moment mit Veränderung zu beginnen ist jetzt – und der beste Ansatzpunkt ist der Kampf, der gerade geführt wird. Nur wenn wir uns immer wieder mutig in aktuelle konkrete Klima-Konflikte hineinbegeben und diese ernsthaft als Ausgangspunkt nehmen – mit allen Widersprüchen, in die wir uns dabei verstricken – nur dann haben wir die Chance auf eine starke Bewegung, auf den großen Bruch, auf Kommunismus.

Autor*innen: Lara wohnt in Berlin und ist nicht in der iL, aber seit 2016 in der Bewegung für Klimagerechtigkeit aktiv, vor allem bei Ende Gelände und zuletzt im Dannenröder Wald. Florian ist in der Klima-AG der IL Berlin aktiv und beschäftigt sich neben dem Kampf für Klimagerechtigkeit mit der genauso zauberhaft-widersprüchlichen Welt gewerkschaftlicher Organisierung.

Bild: »Skyscraper« von Alexander Boden.