Debatte: Summer is coming - oder: 1,5° vor 12!

Klimapolitik ist in aller Munde: EndeGelände hat auch im Sommer 2019 einen breiten & erfolgreichen Protest auf die Beine gestellt; Fridays for Future hat ordentlich am Sprech über die Politisierung junger Menschen gerüttelt; dass die Zeit sich nicht langsamer dreht, scheint in immer mehr Köpfen angekommen zu sein. Wir wollen mit diesem Call genauer beleuchten, was so los ist in der Klimabewegung!

Der Klimawandel ist allumfassend und er geht weit über Veränderungen der Natur hinaus: Migrationsbewegungen, Rassismus, Armut und Reichtumsverteilung, Geschlechter- und Mensch-Tier-Verhältnisse, soziale und politische Machtgefüge – Klimawandel spitzt Konflikte zu und befördert Prozesse der Ausgrenzung, Ausbeutung und Zerstörung. So weit, so abstrakt und so in immer mehr Munde. Und wir haben noch ungefähr ein Jahrzehnt, um radikal umzusteuern und die globale Erhitzung auf 1.5°C zu begrenzen – dahinter warten tipping points, unkontrollierbare Rückkopplungseffekte im Klimasystem und chaotische Zerstörung. Aber welche Antworten – welche Visionen, welche Strategien – haben wir, hat die radikale Linke eigentlich auf die Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation binnen so kurzer Zeit?

Viele Debatten kreisen um post-kapitalistische und Degrowth-Visionen, die ein Umdenken von wachstumsgetriebener Wirtschaft zu lokalverankerten, gemeinschafts- und an Bedürfnissen orientierten Lebens- und Wirtschaftsweisen anstreben. Das würde auch eine radikale Neudefinition von Lebensqualität abseits von Konsum und Besitz bedeuten. Wie können wir die immer stärker werdende Sichtbarkeit der physischen, materiellen ökologischen Grenzen der Erde und ihrer Ökosysteme nutzen, um die kapitalistische und wachstumsgetriebene Alternativlosigkeit angreifen? Demgegenüber beschwören Green-Economy und Geo-Engineering eine marktbasierte, groß-technologische und autoritäre ›Bekämpfung‹ des Klimawandels innerhalb des bestehenden Systems herauf. Was bedeutet der globale Rechtsruck für Fragen des globalen Klimawandels und für unsere Kämpfe für Klimagerechtigkeit?

Die Klimagerechtigkeitsbewegung verbreitert sich stetig. Sie wächst, die Ende-Gelände-Aktion im Oktober 2018 war mit über 5000 teilnehmenden Aktivist*innen die bisher größte, die Auseinandersetzungen um den Hambacher Forst vor allem im vergangenen Herbst haben eine nie da gewesene Breite sowohl ›auf der Straße/dem Waldweg‹ als auch im medialen Diskurs erreicht. Die Schüler*innen und Studierenden von Fridays for Future als junge Generation von Klimaaktivist*innen haben das Feld noch einmal komplett neu aufgerollt und zeigen, dass der viel zu späte Ausstieg aus der Kohle, den die sog. Kohlekommission Anfang 2019 beschloss, kein gesellschaftlicher Konsens ist. Die zukünftige Rolle von Fridays for Future in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Aushandlungen um klimapolitische Entscheidungen ist noch nicht ausgemacht. Was ist unsere Rolle darin, unser Verhältnis zu den neuen Akteur*innen in der Klimabewegung? Wie kann es uns gelingen, radikale, transformatorische und emanzipatorische Inhalte und Forderungen gesellschaftlich anschlussfähig zu machen und zu vermitteln, dass wir eine sozial und ökologisch gerechte Transformation brauchen, die andere Konfliktlinien und Herrschaftsverhältnisse überwindet und nicht verschärft.

Auch inhaltlich verbreitert sich die Klimagerechtigkeitsbewegung. Finger bei Ende Gelände geben sich einen explizit antirassistischen oder queerfeministischen Ausdruck, in Demos gegen AfD-Parteitage organisieren sich Klimablöcke in weißen Maler*innenanzügen. Aber gelingt es uns auch, diese Verbindungen in unseren Analysen, Forderungen und Visionen herzustellen? Was heißt es, Klassen-, Rassismus- und Genderfragen im Kontext von Klimagerechtigkeit und Klimabewegung zu stellen?

Gleichzeitig erreicht die Bewegung trotz vieler Versuche, den Kreis der Aktivist*innen aus überwiegend weißen, cis-männlichen und akademisch geprägten Milieus zu überwinden, nach wie vor wenig Arbeiter*innen, wenig People of Color.

Zudem wächst mit den zunehmend sichtbaren sozial-ökologischen Verwerfungen, die der Klimawandel produziert, und der größer und stärker werdenden Klimabewegung auch die Repression und der Versuch der Kriminalisierung und Spaltung. Sie stellt die Aktionen vor Herausforderungen, Polizeikessel und -gewalt zehren an den Kräften, vor allem unmittelbar in der Aktion, auch an denen von Support- und Infrastrukturen. Wie können vor allem auch sich neu organisierenden Aktivist*\innen Ängste genommen und ohne ihnen die Notwendigkeit von ungehorsamen und widerständischen Aktionsformen vermittelt werden, ohne sie ins offene Messer zu schicken?

Wie können sich Bewegungen und Strukturen den inneren und äußeren Baustellen und Konflikten stellen?

Sicherlich gibt es noch viele weitere Fragen, die sich stellen. Und ebenso sicher haben einige von euch Antworten oder Gedankenanstöße parat. Pünktlich zur brandneuen Ausgabe der arranca! mit ihrem Schwerpunkt zu Klimagerechtigkeit und zu den nächsten Ende-Gelände-Aktionen im Rheinland gehen wir (endlich) auch auf dem Debattenblog mit einem Klima-Strang an den Start.

Schreibt uns! Wie immer gern als Einzelperson, Ortsgruppe, Arbeitsgrupppe oder sonstiger Zusammenhang; wie immer lieber kürzer als zu lang; gern kreativ, spontan, utopisch, statt stets wohlüberlegt und auf höchstem sprachlichen Niveau. Oft gesagt, aber dadurch nicht weniger wichtig: Beiträge von FLTI*s are VERY welcome!

Bild: Klíma von Balázs Szántó.