Gas und Inflation

Der Versuch linker Akteur:innen, einen »heißen« Herbst zu initiieren, scheiterte. Unseres Erachtens liegt das nicht zuletzt daran, dass die gesellschaftliche Linke weder eine profunde Analyse noch eine überzeugende Handlungsperspektive abseits von Demos »für mehr staatliche Unterstützung« anzubieten hatte – in Österreich und Deutschland gleichermaßen. Wir greifen im Folgenden drei wesentliche Argumente anderer heraus, um daraus zwei Schlussfolgerungen für uns zu ziehen und runden den Text mit einem Aufruf ab, sich an der Mobilisierung zum »Gas-Gipfel« im März 2023 in Wien zu beteiligen.

Warum steigen die Preise so massiv?

Am 24. Februar 2022 hat mit dem militärischen Angriff Russlands auf die Ukraine eine imperiale Auseinandersetzung um den Machteinfluss Russlands auf die Ukraine begonnen. Energie und vor allem Gas sind in diesem Krieg zu einer Waffe geworden, denn die Gaslieferungen sind eines der wichtigsten Instrumente des russischen Einflusses. Dies ist zunächst eine Erkenntnis, welche die gesellschaftliche Linke mit einer ganzen Reihe bürgerlicher Kräfte teilt. Doch alleine stehend ist sie verkürzt: Die Aufgabe der Linken ist es, diese Knappheit als von der wachsenden Wirtschaft getriebene sichtbar zu machen.

Das bedeutet erstens anzuerkennen, dass diese Knappheit trotz aktuell gefüllter Speicher real ist: Die derzeitige Energienachfrage übersteigt das Angebot. Neben dem Krieg ist dies aber auch auf die gestiegene Energienachfrage durch wieder anlaufendes Wirtschaftswachstum nach 2 Jahren Pandemie zurückzuführen. Der kriegsstrategische Einsatz der Gasressourcen von russischer Seite, zusammen mit den Sanktionen gegen Russland, trieben die Anfang 2022 ohnehin schon deutlich gestiegenen Energiepreise noch weiter nach oben.

Zweitens ist (in Ö) spätestens mit der kurzzeitigen Fast-Pleite von Wien Energie (2022), immerhin einem städtischen Energieversorger des »roten« Wiens, deutlich geworden, dass der Kauf und Verkauf von Gas für die Strom- und Wärmeversorgung extrem undurchsichtig abgewickelt wird. Nach Angaben des Unternehmen, der Stadt und »den Expert:innen« sei nur durch die Börsengeschäfte, die der Grund für die Fast-Pleite waren, überhaupt Preisstabilität für die Endkund:innen zu gewährleisten. Wir fragen uns: wollt ihr uns verarschen? Energie ist ein Grundbedürfnis, kein gewinnorientiertes Geschäft. Der Kauf und Verkauf von Energie auf dem Weltmarkt und die auf europäischer Ebene beschlossenen Marktliberalisierungen führen weder zu preiswerter noch zu sicherer Versorgung, sondern zu steigenden und noch dazu äußerst prekären Preisen. Mit einer einhundertprozentigen Liberalisierung des Strommarktes – also dem mehr oder weniger unkontrollierten Marktgeschäft mit Energie – gehörte Österreich unter Schwarz-Blau I zu den absoluten Vorreitern der Marktliberalisierung im Energiesektor. Bei dieser Liberalisierung handelte es sich um die Umsetzung einer Vorgabe der EU-Kommission, die von Österreich in der Ära Schüssel aktiv mit vorangetrieben wurde. Diese besagt, dass mindestens 30% des Strommarktes liberalisiert sein muss; aber warum nur 30 % liberalisieren, wenn wir doch 100% der Stromversorgung der Gesetzes des Marktes unterwerfen können, dachte sich die damalige Bundesregierung. Zu dieser Liberalisierungsstrategie gehörte auch, dass Stromerzeugung, Netztrieb und Stromlieferung organisatorisch getrennt sind und somit drei – allesamt gewinnorientierten – Bereiche miteinander handeln. Die Folge dieser Marktliberalisierung wird in der heutigen Situation realer Knappheit sichtbar – und auch nicht: Ehemals staatliche Netzbetreiber wie Wien Energie sind heute Aktiengesellschaften und damit rechtlich verpflichtet, profitorientiert zu wirtschaften. Genau dieser Fakt geht in der populären Debatte allerdings verloren respektive wird die Liberalisierung als Problem nicht diskutiert.

Und dann wären da noch die allgemeinen Marktschwankungen und die Tatsache, dass Strom auf einem eigenen Markt, dem Spotmarkt, gehandelt wird. Das entbehrt aus bedürfnisorientierter Perspektive jeglicher Logik. Zum Beispiel kann es aus Produzent:innensicht rentabel erscheinen, Strom zu einem bestimmten Zeitpunkt A zu verkaufen und ihn zu einem späteren Zeitpunkt B wieder zurückzukaufen. Dabei wird darauf spekuliert, dass der Strompreis zwischen den Zeitpunkten A und B sinkt und man durch Verkauf und späteren Ankauf Profit macht. Ob das tatsächlich so eintreten wird, ist zum Zeitpunkt A natürlich unklar und die Unsicherheit für dieses Geschäft wird im Zweifel auch bei den Endverbraucher:innen abgelegt. Zudem orientieren sich die Preise auf dem Spotmarkt an internationalen Börsenpreisen. Sie werden von Entwicklungen beeinflusst, die für eine europäische Energieversorgung eigentlich irrelevant sein sollten. So ist etwa ein Teil des globalen Energiepreisanstiegs auf die erhöhte Nachfrage der südostasischen und südamerikanischen Wirtschaft zurückzuführen; auf den Bedarf der dortigen Kapitalist:innen, nicht der Haushalte. Kurzum: Obwohl Österreich – anders als Deutschland – bereits einen äußerst hohen Anteil an erneuerbaren Energien zur Verfügung hat, steigen aufgrund der steigenden Gaspreise, der weltweiten Marktunregelmäßigkeiten und der Pflicht zur Gewinnmaximierung die Strompreise allgemein. Und diese Marktmechanismen betreffen nun mal auch erneuerbare Energien. Auf Spotmärkten gehandelt werden auch diese teurer, obwohl die Energie im Zweifel aus der Windkraft 25 km weiter entsteht. Absolut absurd ist, dass diese Art der Energiepolitik die ökologischen Alternativen nicht nur mit verteuert, sondern im Zweifel auch noch drosselt. Während also über Fracking, neue Pipelines und (in Deutschland) die Verlängerung der AKW diskutiert wird, verstopfen Strom aus Kohlekraft- und Atomkraftwerken die Netze. Wind- oder Wasserenergie ist dagegen drosselbar und wird daher zurückgestellt. Als Sahnehäubchen (Schlogobasgupf) oben auf: In Lützerath werden gerade einige Windräder literally abgebaggert.

Was heißt das?

Die aktuelle Energiepolitik ist also nicht erst seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine krisenanfällig – auch wenn dieser die Knappheit zweifelsohne verstärkt hat. Energiepolitik ist ein Schweinegeschäft. Das wird auch der kommende Ausbau der erneuerbaren Energien nicht ändern und mit hoher Wahrscheinlichkeit »das Gleiche in Grün« reproduzieren. Neben der absurden Preispolitik findet auch der Ausbau »grüner Alternativen« oft auf dem Rücken von Menschen im globalen Süden (bzw. im EU-Kontext oft auch in Osteuropa) statt.

So wird im Rahmen der EU-Afrika Politik beispielsweise darüber nachgedacht, Solarparks in Marokko zu bauen, deren kompletter Strom (inkl. dem auf dem Spotmarkt erzielten Gewinn) dann zurück in die EU transferiert werden soll. Bei der Weltklimakonferenz COP27 in Ägypten wurden Stimmen laut, die völlig berechtigt fragten, warum es keine Krise sei, wenn in ihren Ländern Millionen bis Milliarden Menschen gar keinen Zugang zu Energie haben. Dies macht die Herausforderung eindeutig: Wie kann eine Energiewende stattfinden ohne neokoloniale Ausbeutung fortzuführen? Wie kann gewährleistet werden, dass alle Menschen weltweit Zugang zu leistbarer Energie haben? So wie die Energiewende und Energiepolitik gerade umgesetzt wird, wird das ganz offensichtlich nichts. Aber was bedeutet das jetzt für eine linke politische Strategie?

1. Marktförmigkeit angreifen: Europäisch von links unten!

Unser erste Antwort darauf ist mühsam wie immer: Liberale, Grüne und Sozialdemokrat:innen suhlen sich lieber in den Antworten des neoliberalen Kapitalismus (mehr Markt, um den Markt zu korrigieren!), blenden globale Ungleichheiten strukturell aus und halten Bürger:innen mit Einmalzahlungen, seichten armutsabfedernden Maßnahmen und eine irgendwann kommende Energiewende im eigenen Land bei Laune. Flankiert werden sie dabei von Rechten und Rechtsliberalen, die nicht einmal seichte Maßnahmen, geschweige denn eine Energiewende wollen. Debatten über die Entstehung von Strompreisen und wie diese mit Marktliberalisierungen zusammenhängen, sucht man dabei vergeblich.

Wenn wir als gesellschaftliche Linke in diese Gemengelage intervenieren wollen, müssen wir also zuvorderst die Marktförmigkeit von Energieversorgung angreifen und die Liberalisierung thematisieren. Parallel zu Debatten um Wohnraum, Wasser oder Lebensmittel, gilt es die fatalen Folgen von Privatisierung, Liberalisierung und Gewinnorientierung aufzuzeigen und in die Debatte zu streuen, um Alternativen diskutierbar zu machen – und zwar europäisch! Zur Erinnerung: Die Marktliberalisierung wurde von der EU-Kommission beschlossen.

Einen kollektiven europäischen Angriff auf diese EU halten wir für notwendig. Nicht nur würde dies in diesen Zeiten ermöglichen, über nationale Grenzen hinweg zu agieren und dem aufkommenden Nationalismus etwas entgegenzusetzen und vor dem Hintergrund des Krieges im Besonderen einen Bogen zwischen Ost und West zu spannen. Auch im Hinblick auf die EU-Erweiterung und aktuelle Auseinandersetzungen um europäische Einkäufe von Gas von anderen Staaten sowie den Bau weiterer Pipelines, könnte ein gemeinsames europäischen Projekt von links formuliert werden, das auf der Befreiung von der Marktlogik gründet.

2. Knappheit ist relativ: Die Frage des Verbrauchs politisieren!

In dem aktuellen imperialen EU-Narrativ wird Russland allein für die Energieknappheit verantwortlich gemacht. Wie wir zu Beginn des Textes herausgestellt haben, ist daran etwas Entscheidendes unwahr: Die Knappheit von (v.a. fossiler) Energie in Zeiten der Klimakrise besteht nicht nur wegen des Kriegs, sondern z.B. auch wegen Wachstumsstreben, Liberalisierung und Preisspekulation. Alles andere als in Stein gemeißelt ist jedoch die Frage, wofür eine Gesellschaft tatsächlich Energie verbrauchen möchte, und wofür nicht. Zur Erinnerung: Gerade wird nicht nur die Produktion von alternativer Energie gedrosselt, sondern gleichzeitig Energie für ein überbordendes Wirtschaftswachstum verblasen. Österreich und Deutschland verfehlten beide aufgrund von Industrie und Verkehr erneut ihre Klimaziele. Das heißt sinnlose Produktionszweige müssen ebenso abgedreht werden wie die auf motorisierten Individualverkehr fokussierte Verkehrspolitik.

Hier gibt es Verbündete in der Wissenschaft, in NGOs und auch in weiten Teilen der Zivilbevölkerung, die schon lange am Übergang zur Postwachstumsökonomie basteln. Dabei geht es übrigens um einen grundlegenden Systemwechsel und nicht um die individuelle heiße Dusche. Diesem Übergang stehen jedoch weite Teile parlamentarischer Politik, mächtige Industrien und Teile der Gesellschaft gegenüber. Noch!

Beide Schlussfolgerungen haben die Chance, in der kommenden europäischen Mobilisierung nach Wien thematisiert zu werden, wenn es heißt: Raus auf die Straße gegen den europäischen Gasgipfel vom 27.-29. März!

Weitersagen – euren besten Freund:innen und denen, die (noch) nicht glauben wollen, dass es einen Notausgang aus dem lebensfeindlichen Kapitalismus gibt!

Bild: flickr Autor*in: Zinnoberrot ist eine 2020 in Wien gegründete Gruppe. Aus unterschiedliche politischen Hintergründen kommend, wollen sie kollektiv gesellschaftliche Entwicklungen verstehen und daraus Schlüsse ziehen, um in Wien und im internationalen Austausch Politik zu machen. Die Gruppe steht in einem freundschaftlichen Verhältnis zu IL und arbeitet aktuell gemeinsam u.a. mit System Change an der Mobilisierung zum Gas-Gipfel!