Söldner müssen auf Sold verzichten

Ein schlecht geplanter Umsturzversuch in Venezuela endet bereits vor der Küste. Inwieweit Oppositionsführer Juan Guaidó persönlich involviert ist, bleibt offen. Einmal mehr gibt er keine gute Figur ab.

Die Parallelen zur Schweinebucht waren schnell gezogen. Doch für das, was in Venezuela am 3. und 4. Mai geschah, ist dieser Vergleich sogar noch schmeichelhaft. Denn im Gegensatz zu der im April 1961 gescheiterten Invasion von Exilkubanern, die mit Hilfe der CIA Fidel Castro stürzen wollten, erreichten deren vermeintliche Nachahmer in Venezuela nicht einmal unbeschadet die Küste. Am frühen Morgen des 3. Mai töteten die Armee und Spezialkräfte der venezolanischen Polizei nach offiziellen Angaben acht von zehn mutmaßlichen Söldnern. Diese hatten sich in einem Boot dem Küstenort Macuto im Bundesstaat La Guaira nördlich der Hauptstadt Caracas genähert. Die genauen Umstände der Tötungen sind bisher ungeklärt. Einen Tag später entdeckten lokale Fischer 70 Kilometer weiter westlich ein weiteres verdächtiges Boot und setzten gemeinsam mit den Sicherheitskräften acht weitere mutmaßliche Söldner fest. Dass dieses zweite Boot ausgerechnet vor dem Örtchen Chuao im Bundesstaat Aragua aufgebracht wurde, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn das Kakaoanbaugebiet gilt nicht nur als Hochburg der regierenden Chavisten, sondern verfügt über keine Straßenverbindung mit dem Rest Venezuelas. Dem Boot war auf dem Weg schlicht das Benzin ausgegangen. In den darauffolgenden Tagen kam es an mehreren Orten Venezuelas zu weiteren Festnahmen. Insgesamt befinden sich aufgrund der als Operation Gideon (»Operación Gedeón«) getauften Söldneraktion nun 45 Personen in Haft.

Aufgeflogene US-Söldner

Die Regierung Maduro warf der US-Regierung unter Donald Trump sowie dem kolumbianischen Präsidenten Iván Duque vor, Drahtzieher des Umsturzversuchs zu sein. Die rechte Opposition in Venezuela sprach nach dem ersten Vorfall am 3. Mai hingegen zunächst von einer Inszenierung. Die Regierung unter Nicolás Maduro habe durch eine vorgetäuschte Invasion von einem zeitgleich stattfindenden Bandenkrieg im Armenviertel Petare in Caracas sowie einer blutig beendeten Gefängnisrevolte im Westen Venezuelas ablenken wollen. Doch spätestens seit die Namen der mutmaßlichen Söldner bekannt wurden, ließ sich diese Behauptung kaum mehr aufrecht halten. So befand sich unter den getöteten Personen am 3. Mai Robert Colina, auch bekannt unter dem Pseudonym »Panther« (»Pantera«). Die Regierung Maduro bezichtigte den früheren Hauptmann der militarisierten Polizei Guardia Nacional bereits im März, gemeinsam mit dem abtrünnigen Generalmajor Cliver Alcalá, von Kolumbien aus den Sturz der Regierung in Caracas zu planen. Die beiden sollen damals versucht haben, Waffen von Kolumbien aus nach Venezuela zu schmuggeln, flogen aber auf. Alcalá behauptete anschließend, auf Geheiß des venezolanischen Oppositionsführers Juan Guaidó gehandelt zu haben. Auf dem zweiten Boot befanden sich unter anderem mehrere Ex-Militärs, die auch an Guaidós gescheitertem Aufstand gegen Maduro am 30. April vergangenen Jahres beteiligt gewesen waren. Für das größte Aufsehen sorgten jedoch die zwei US-Amerikaner Luke Denman und Airan Berry, die ebenfalls auf dem Boot in Chuao gewesen waren.

Durch Informationen, die mehrere der involvierten Akteure mittlerweile öffentlich gemacht haben, ist einiges, wenn auch längst nicht alles, über die Operation Gideon bekannt. Die konkrete Planung oblag offenbar Jordan Goudreau, seines Zeichens Inhaber des US-amerikanischen Sicherheitsunternehmens Silvercorps, das auch schon für US-Präsident Trump gearbeitet hat. Ebenso wie die von ihm angeheuerten Söldner Denman und Berry ist Goudreau ein ehemaliger US-Soldat der als »Green Berets« bekannten Spezialeinheit der US Army. Kennengelernt haben sie sich offenbar in Deutschland, wo Berry seit dem Ende seines Militärdienstes 2012 lebte. Im Februar vergangenen Jahres knüpfte Goudreau an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze Kontakte mit desertierten Soldaten und dem Guaidó-Lager.

Unmittelbar nach der aufgeflogenen Aktion in Macuto am 3. Mai wandte sich Goudreau an die Medien und behauptete, der venezolanische Oppositionsführer Guaidó habe die Invasion in Auftrag gegeben, am Ende jedoch nicht gezahlt. Als Beweis präsentierte Goudreau einen achtseitigen Vertrag, den Guaidó mutmaßlich als »Präsident Venezuelas« unterschrieben hat. Als weitere Unterzeichner fungieren mit Sergio Vergara und Juan José (J.J.) Rendón zwei Berater des venezolanischen Oppositionsführers. Seitens Guaidós sollten 212 Millionen US-Dollar fließen, abgesichert durch die venezolanischen Erdölvorräte. In einem Anhang von 41 Seiten, den die US-Zeitung »Washington Post« veröffentlichte, sind zahlreiche Details geregelt. Unter anderem sollten die Söldner das Recht erhalten »tödliche Gewalt« anzuwenden. Goudreaus Unternehmen Silvercorps werden zudem lukrative Folgeaufträge in Venezuela in Aussicht gestellt, sofern der Sturz Maduros gelänge.

In einem Interview mit der in Miami exilierten, venezolanischen Journalistin Patricia Poleo berichtete Goudreau, dass 60 Venezolaner in Kolumbien nahe der Grenze zu Venezuela sechs Wochen lang auf Einsätze vorbereitet worden seien. Tatsächlich hatte die venezolanische Regierung bereits im März öffentlich darauf hingewiesen, dass in Kolumbien derartige Ausbildungscamps bestünden und war über den Verlauf der Aktion anscheinend bereits vorab informiert. Guaidós »strategischer Berater« J.J. Rondon bestätigte gegenüber dem US-Fernsehsender CNN, dass der veröffentlichte Vertrag echt sei und er selbst ihn tatsächlich unterschrieben habe. In Lateinamerika ist Rendón vor allem dafür bekannt, zahlreiche Wahlkämpfe rechter Politiker geleitet zu haben. Allerdings habe es sich nur um einen »Vorvertrag« gehandelt, Guaidó ihn gar nicht unterzeichnet. Ziel sei die Festnahme und Auslieferung Maduros sowie anderer Regierungsmitglieder gewesen. Aus eigener Tasche habe Rendón 50.000 Dollar Vorschuss gezahlt, an der Finanzierung sei keine Regierung beteiligt. Bereits im November sei allerdings der Kontakt Goudreau abgebrochen, der aus den noch längst nicht ausgereiften Plänen eine »selbstmörderische Mission« gemacht habe. Die Aussagen Rendóns decken sich zum Teil mit Video-Geständnissen der US-amerikanischen Söldner Luke Denman und Airan Berry, die die venezolanische Regierung veröffentlichte. Das Ziel bestand laut Denman und Berry darin, die Zentralen der Geheimdienste, den Präsidentenpalast und den Flughafen einzunehmen und Maduro in die USA zu bringen. Derartige Geständnisse, bei denen Feind*innen als Propagandatrophäe präsentiert werden, sind allerdings mit Vorsicht zu betrachten und könnten unter Zwang entstanden sein.

Kopfgeld und Kriegsschiffe gegen Maduro

Die Regierungen Kolumbiens sowie der USA wiesen die Verantwortung für die gescheiterte Einschleusung der Söldner zurück. US-Präsident Trump beteuerte am 5. Mai, keinerlei Kenntnis davon gehabt zu haben. Sein Außenminister Mike Pompeo sprach etwas ungenauer von »keiner direkten Beteiligung« der US-Regierung und behauptete, die Operation wäre ansonsten »anders ausgegangen«. Er kündigte an, »jedes verfügbare Instrument« zu nutzen, um die beiden festgenommenen US-Bürger nach Hause zu holen. Dass die US-Regierung völlig unwissend gewesen sein soll, ist zwar höchst unwahrscheinlich, Belege über eine weitergehende Involvierung wird es aber kaum geben. Unstrittig ist allerdings, dass sich die Ziele der Söldneroperation mit jenen der US-Regierung decken und diese offen Anreize für derartige Aktionen gibt. Ende März hatten die USA inmitten der Coronakrise ein Kopfgeld von 15 Millionen US-Dollar auf Nicolás Maduro sowie jeweils zehn Millionen auf weitere aktuelle und ehemalige Funktionäre ausgelobt. Einen höheren Betrag stellte die US-Regierung überhaupt erst zweimal in Aussicht: Die al-Qaida-Chefs Osama Bin Laden und Ayman az-Zawahiri waren jeweils 25 Millionen Dollar wert. Das für die Ergreifung Maduros in Aussicht gestellte Geld könnte durchaus erklären, warum Jordan Goudreau trotz ausgebliebener Bezahlung die Operation Gideon weiter vorangetrieben hat.

Offiziell begründet wird das Kopfgeld mit der vermeintlichen Verstrickung der politischen und militärischen Führungsriege des Chavismus in den Drogenhandel. Wenngleich es mehr als wahrscheinlich ist, dass innerhalb des Militärs bestimmte Gruppen die Transitrouten protegieren, ist es ebenso offensichtlich, dass der Grund von der US-Regierung vorgeschoben ist. Die Behauptung, in Venezuela bestehe ein »Sonnenkartell« (»Cartel de los Soles«), dessen Chef mittlerweile Maduro persönlich sein soll, wird seit über 20 Jahren immer wieder hervorgekramt.

Zusätzlich zu dem Kopfgeld auf Maduro bauen die USA seit Anfang April eine Drohkulisse auf, indem sie unter dem Deckmantel der Drogenbekämpfung zusätzliche Kriegsschiffe und Überwachungsflugzeuge vor Venezuelas Küste einsetzen. Dabei liefen laut offiziellen Zahlen der US-Regierung für das Jahr 2017 lediglich zehn Prozent des aus Südamerika in die USA geschmuggelten Kokains über die östliche Karibik. Ende März preschte Elliot Abrams, der US-Sondergesandte für Venezuela, mit dem Vorschlag der US-Regierung vor, Abgeordnete beider politischer Lager in Venezuela sollten einen (laut venezolanischer Verfassung in der Form nicht vorgesehenen) »Staatsrat« ohne Guaidó und Maduro bilden. Zufall ist es kaum, dass die USA ausgerechnet im März erneut in die Offensive gingen. Denn nach Beginn der Coronakrise bestand die vorsichtige Chance auf neue Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition. In beiden Lagern hatten sich Stimmen gemehrt, die aufgrund des Coronavirus ein gemeinsames Vorgehen forderten. Die Idee dahinter war, dass die Regierung das Gesundheitssystem kontrolliert, ohne die Opposition aber nicht an die durch die US-Blockade gesperrten Gelder herankommt. Präsident Maduro hatte vorgeschlagen, in der Apostolischen Nuntiatur einen neuen Dialogversuch zu starten, Guaidó lehnte jedoch umgehend ab. Bereits im August vergangenen Jahres hatte die US-Regierung Gespräche zwischen Regierung und Opposition durch eine Verschärfung der Sanktionen offen torpediert.

Der langsame Abgang von Guaidó

Bei der US-Regierung und ihrem Schützling Guaidó dürfte der Frust auch deswegen tief sitzen, weil sie kurz vor Beginn der Coronakrise darauf gehofft hatten, dass die oppositionellen Straßenproteste wieder aufflammen. Die ab Mitte März verhängten Ausgangsbeschränkungen unterbrachen jäh den politischen Machtkampf, der seit Anfang Januar vor allem um die Frage kreiste, ob Guaidó nach einer Spaltung der Opposition überhaupt noch legitimer Parlamentspräsident ist oder nicht. Nach der gescheiterten Söldneraktion Anfang Mai gab Guaidó nun einmal mehr keine gute Figur ab. Zunächst sprach er von einer Inszenierung, bat dann um die Einhaltung der Menschenrechte der Festgenommenen und behauptete schließlich, die Regierung Maduro habe die Operation Gideon infiltriert, um die Söldner zu massakrieren. Jegliche Verbindung zu Jordan Goudreau und der Sicherheitsfirma Silvercorp bestreitet Guaidó, während sein eigener Berater J.J. Rendón zwar versuchte, ihn aus der Schussbahn zu nehmen, seine eigene anfängliche Beteiligung jedoch offen zugibt. Mittlerweile sind sowohl Rendón als auch Sergio Vergara in einem plumpen Versuch, Guaidós Kopf zu retten, von ihren »Ämtern« in der selbst ernannten »Interimsregierung« zurückgetreten. Doch Guaidó verliert auch innerhalb der Opposition weiter an Glaubwürdigkeit. Schon seit Längerem gibt es Unzufriedenheit mit seinem Kurs. In mehr als einem Jahr als selbsternannter Interimspräsident gelang es ihm weder, das venezolanische Militär auf seine Seite zu ziehen, noch führten die US-Sanktionen zu einem institutionellen und sozialen Zusammenbruch des Landes. Dass Teile der rechten Opposition offensiv für US-Sanktionen und eine US-Militärintervention eintreten, verprellte viele moderate Regierungskritiker*innen und auch regierungskritische Chavist*innen.

Dabei sorgen die fortlaufende Verschlechterung der Lebensbedingungen und eine ausufernde Polizeigewalt in den Armenvierteln auch in chavistischen Hochburgen durchaus für Unmut und vereinzelte Proteste gegen die Regierung. Doch noch größer als die Enttäuschung über den Verlauf, den der einst von Hugo Chávez angeführte bolivarianische Prozess genommen hat, ist dort die Ablehnung der US-Einmischung und der rechten Opposition. Diese steht nun, wie häufig in ihrer Geschichte, erneut vor der Frage, ob sie der offenen Interventionsstrategie des rechten Flügels weiter folgen oder einen moderateren Kurs einschlägt, der auf partielle Verhandlungen mit der Regierung Maduro setzt. Die Regierung hingegen muss entscheiden, ob sie Guaidó weiterhin gewähren lässt oder ihn in Haft nimmt. Gründe dafür gäbe es genug. Dass die Justiz bisher kaum gegen ihn vorgegangen ist, ist eine taktische politische Entscheidung, die bisher aufgegangen ist.

Wenn der Regierung Maduro in nächster Zeit etwas wirklich gefährlich werden kann, ist es die tief greifende Wirtschaftskrise. Zwar hat Venezuela sehr früh mit Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus reagiert, testet dank chinesischer Hilfe mehr als jedes andere Land Lateinamerikas und verzeichnet bisher lediglich 414 Infizierte. Doch die ohnehin bereits sehr angespannte wirtschaftliche Lage droht sich im Zuge der Coronakrise weiter zu verschlechtern. Der monatliche Mindestlohn liegt nur bei wenigen US-Dollar. Neben Bonuszahlungen und Lebensmittelkisten der Regierung, die Grundnahrungsmittel für maximal 2 Wochen enthalten, sind viele Venezolaner*innen auf Rücküberweisungen von Migrant*innen angewiesen. Doch auch diese remesas gehen zurück, da viele venezolanische Migrant*innen aufgrund der Coronakrise über keine Einkünfte mehr verfügen. Tausende sind bereits zu Fuß nach Venezuela zurückgekehrt. Hinzu kommt, dass der Staat aufgrund des komplett eingebrochenen Erdölpreises kaum mehr Einnahmen hat. Die gescheiterte Söldneraktion beherrscht nun vorerst die Schlagzeilen. Die Probleme Venezuelas bleiben auch danach bestehen.

Autor: Tobias Lambert ist freier Journalist. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich intensiv mit der politischen Lage in Venezuela.

Bild: Gesunkenes Bötchen, gleich dem ins Wasser gefallenen Versuch der Invasion der Söldner. Aufgenommen von Steffen Schobel, unter CC BY-NC-ND 2.0-Lizenz.

Eine Kurzversion des Textes ist bei »neues deutschland« zu lesen.