»Wir kämpfen gegen das gleiche Patriarchat!«


Ein Interview mit Dziewuchy Berlin

Die Proteste gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen in diesem Jahr brachten so viele Menschen wie seit 30 Jahren nicht auf die Straße. Wogegen sich die Kämpfe richten, wie die Organisierung funktioniert hat und welche transnationalen Vernetzungen daraus hervorgegangen sind, davon erzählt die Aktivistin Hanna hier in einem Interview.

Der eng an die konservative Regierungspartei PiS gebundene polnische Verfassungsgerichtshof hat am 22.10.2020 das ohnehin schon sehr restriktive Abtreibungsrecht in Polen weiter verschärft und damit Abtreibungen fast komplett illegalisiert. Als Reaktion darauf kam es in Polen zu den größten politischen Protesten seit der Solidarność-Bewegung 1989/1990, die sich vor allem gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts richteten, aber auch verschiedene andere Aspekte der Regierungspolitik wie die zunehmende Autoritarisierung und das Vorgehen in der Corona-Pandemie in den Fokus der Kritik nahmen und nehmen. Auch in Berlin kam es zu zahlreichen, kreativen Protestaktionen. Eine wichtige Rolle spielt hierbei das queerfeministische Dziewuchy Berlin. Wir freuen uns deshalb sehr, dass Hanna von Dziewuchy Berlin bereit war, uns für den Debattenblog ein Interview zu geben. Geführt hat das Interview die Frauen*Streik AG der IL Berlin.

Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen war in Polen schon vor der aktuellen Verschärfung sehr eingeschränkt. Was war der Funken, dass gerade jetzt so viele Menschen für Gegenprotest mobilisiert werden konnten

Meiner Meinung nach waren es zwei Gründe, die zu den Protesten eines solch großen Ausmaßes geführt haben: Erstens wurde die letzten Male versucht, das Abtreibungsrecht über das Parlament zu verschärfen. Dieses Mal ging die Regierung den Weg über das Verfassungsgericht. Das ist ohnehin gerade ein sehr politisiertes, da es in den letzten Jahren immer wieder Angriffe von der PiS-Partei auf das Verfassungsgericht und die Gerichte insgesamt gab. Inzwischen stellen sie dort die Mehrheit und die Vorsitzende Julia Przyłębska ist mit dem Vize-Ministerpräsidenten Kaczyński alliiert. So konnten sie das Gesetz hinter verschlossenen Türen initiieren. Es wurde über unsere Köpfe hinweg entschieden, jenseits des Parlaments, und wir können fast gar nichts dagegen tun. Außerdem, und das ist der zweite Grund, ist die Lage in Polen gerade wegen der Pandemie ziemlich schwierig: Durch die Grenzschließungen ist der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen weiter eingeschränkt.

In Artikeln zu den Protesten wird es oft so dargestellt, als wären am Anfang vor allem Frauen und LGBTI*-Personen an den Protesten beteiligt gewesen. Danach hat sich die Bewegung aber schnell verbreitert und es sind z.B. auch Gewerkschafter*innen und andere dazu gestoßen. Wie ist euer Eindruck von der Zusammensetzung der Proteste in Polen? Wer geht da mit wem aus welchen Gründen zusammen auf die Straße?

Am Anfang waren es vor allem Frauen* und die queere Community, das stimmt. Im Sommer hatten wir Proteste wegen Angriffen auf die LGBTI* Community, die vom polnischen Frauen*streik unterstützt wurden. Dabei haben sich die beiden Bewegungen zusammengetan, weil die Feinde die selben sind: die Kirche, die PiS Partei, das Partriarchat. Die aktuellen Proteste drehen sich zwar immer noch um das Abtreibungsverbot, aber es geht auch darum, wie die Kirche und die PiS Partei unsere Selbstbestimmung, Freiheit und Demokratie angreifen. Sie sind also viel breiter geworden, inzwischen haben sich auch einige Gewerkschaften angeschlossen, und auch viele Bauern*Bäuerinnen und Taxifahrer*innen. Für uns ist das eine ambivalente Sache: Einerseits ist es gut, weil wir dadurch stärker werden. Und bei der Frage, ob Abtreibungen legalisiert werden sollten, sind sich alle einig: 70 % der Gesellschaft sind gegen das (praktische) Verbot. Doch bei anderen Fragen, wie z.B. den Rechten von LGBTI*s, gibt es diese Einigkeit nicht. Ich finde es gut, dass wir mehr werden - die Macht der Massen ist wichtig - und trotzdem stelle ich mir die Frage, ob wir Feminist*innen dasselbe wollen wie beispielsweise die Bauern.

Wenn sich die Proteste gegen die LGBTI*-freien Zonen so gut verbinden konnten mit den Kämpfen gegen das Abtreibungsverbot, gibt es trotzdem auch Spannungen zwischen queeren Gruppen und zB dem Frauen*streik?

Die Zusammenarbeit funktioniert momentan, aber nicht reibungslos. Ein Konfliktthema ist Sprache: Das Thema Schwangerschaftsabbrüche betrifft nicht nur um Frauen, sondern alle Menschen mit Uterus. Doch einige Personen in der Bewegung wollen nicht, dass wir sie so benennen, da »Frauen« verständlicher ist und sich inklusiver anhört, wenn wir eine breite Bewegung haben wollen. Doch für die LGBTI*-Community ist das nicht inklusiv (was auch richtig ist). Wenn wir wollen, dass die Massen auf die Straße gehen, sind Fragen der Sprache wichtig, aber nie leicht zu beantworten. Im polnischen Kontext kommt dazu, dass es sich um sehr junge Begriffe handelt. Diesen Sommer bei den Protesten gegen die LGBTI*-freien Zonen berichteten die größeren Medien erstmals über die Kämpfe von trans Personen und verwendeten Begriffe wie nicht-binär. Doch in der Notlage, in der wir uns gerade befinden, wird das Thema der sprachlichen Inklusivität oft zurückgestellt. Und trotzdem sind die queeren Kollektive weiterhin dabei und rufen zu den Protesten auf. Ein zweiter Konfliktpunkt ist das Thema Polizei: Der Sommer war für queere und LGBTI*-Gruppen nicht einfach. Die Polizei ging sehr gewaltvoll gegen deren Proteste vor, viele wurden festgenommen. Vom Frauen*streik meinten einige am Anfang der Demos, dass die Polizei doch super sei und nichts machen würde. Auch das hat sich geändert: Seit ein paar Wochen geht die Polizei sehr aggressiv gegen die Proteste vor. Ich persönlich hoffe, dass es zu einem noch besseren Verständnis der zwei Gruppen kommt. Gerade ist das Ziel so wichtig und so dringend, dass es wenig Zeit dafür gibt.

Neben die feministischen Parolen traten bei den Protesten schnell auch Forderungen, die sich generell gegen die Regierung stellten und forderten, diese zu stürzen. Wie steht ihr dazu? Seht ihr eine Gefahr darin, dass konkrete feministische Anliegen unter breiteren Protesten gegen die Regierung verdeckt werden könnten? Und wenn ja, wie geht ihr damit um?

Das ist schwierig, wie schon erwähnt. Das quasi-Verbot ist schon das wichtigste. Es ist das erste und dringendste Ziel. Danach kommt die Trennung der Regierung und der Kirche. Wenn die PiS zurücktreten würde, wäre das natürlich auch super. Immer mehr Menschen sehen jetzt, was die Kirche macht, für was sie alles verantwortlich ist. Und das ist neu. Manche sagen jetzt sogar, dass der Papst vielleicht nicht so gut war. Etwas gegen den Papst zu sagen war bislang unmöglich! Man sieht also, dass sich einiges in der Gesellschaft verändert hat. Wir sind vor allem hoffnungsvoll, weil die Proteste in fast allen Städten des Landes - sogar den recht kleinen - stattfanden, und nicht wie normalerweise nur in Großstädten wie Warschau, Wrocław und Poznań. Meine Eltern meinen, dass in zum Beispiel meiner kleinen Heimatstadt es noch nie solche Proteste gab. In vielen Kleinstädte wie meiner, sind Frauen* zum Büro der PiS-Partei gegangen und haben Aktionen mit hundert Teilnehmer*innen gemacht - das ist eine große Zahl für kleine Orte. Die Unterstützung ist immer noch da, aber die Energie wird mit der Zeit weniger. Es sind jetzt über 50 Tage, seit die Proteste angefangen haben. Das ist ziemlich lang und trotzdem gibt es keine Veränderung. Wir müssen erst dieses Urteil abwenden, bevor wir andere Forderungen stellen können.

Und, bist du gerade optimistisch, dass das klappt?

Ich weiß es nicht. Die Regierung spielt momentan auf Zeit. Es gehen immer weniger Menschen auf die Straße, und die Proteste sind nicht mehr täglich sondern wöchentlich. Wir sind seit über 50 Tagen auf der Straße, und trotzdem hat sich fast nichts geändert. Ein Streik wäre eine Möglichkeit um Druck aufzubauen, aber das wurde noch nicht so geschafft. Das hängt damit zusammen, dass die Gewerkschaften nicht so gut aufgestellt sind, weil sie sehr stark mit dem Kommunismus verbunden sind und deshalb von Teilen der Gesellschaft abgelehnt werden. Die Idee, zum Streik aufzurufen, besteht weiterhin, aber es ist unklar, ob es funktioniert. Hoffnungsvoll stimmt mich, dass die Unterstützung der PiS Partei um 10 % gesunken ist seit die Proteste begonnen haben. Die Konföderation, die extrem rechte Partei, die waren bei fünf oder sechs Prozent und jetzt nur noch bei zwei oder einem Prozent. Auch die Unterstützung für die Kirche sinkt. Einige fordern inzwischen, dass es ein Referendum um das Abtreibungsverbot geben soll. Wir wollen aber keine Kompromisse mehr. Ein Referendum würde bedeuten, dass wir viel Kraft in die Überzeugung von Männern* stecken müssten, die eigentlich gegen eine Legalisierung stimmen würden. Außerdem hätte die Kirche einen großen Vorteil: Sie haben ein riesiges Netzwerk mit Lobbyverbänden und sie haben Geld. Unsere Bewegung ist weder so gut organisiert wie die Kirche - wir sind Aktivist*innen und organisieren die Proteste neben unserer Lohnarbeit -, noch hat sie so viel Geld. Ich bin optimistisch, weil niemand von uns mehr aufgibt. Aber wir stehen dieser krassen Macht gegenüber und sind ratlos, was wir noch machen können. Es fühlt sich ähnlich an wie in Belarus, wo die Menschen schon seit Monaten auf die Straße gehen, ohne dass sich was ändert. Aber wir lernen total viel von der Bewegung in Belarus, was cool ist. Zum Beispiel hat die Polizei in Belarus die gleiche Taktik wie die in Polen. Wir haben voneinander gelernt, wie wir mit dieser Taktik so umgehen können, damit es nicht jeden Tag eskaliert.

Als Teil der Proteste wurde zum Frauen*streik aufgerufen. Wie hat dieser Streik funktioniert? Handelte es sich um einen symbolischen Streik oder legten viele Personen oder sogar ganze Betriebe ihre Arbeit nieder?

Die Idee des feministischen Streiks kommt eigentlich aus Island. Dort haben im Jahr 1975 90% der FLINT*s gestreikt. Wir wollten das in Polen wiederholen, was 2016 beim Czarny Protest auch (zumindest symbolisch, wenn nicht in den Zahlen) ziemlich gut geklappt hat. Damals haben Frauen* zwar nicht den gesamten Tag gestreikt, viele haben aber beispielsweise nachmittags die Arbeit niedergelegt. Seitdem ist der Begriff »Streik« im Wörterbuch der feministischen Bewegung geblieben, aber hat sich mit den Begriffen »Protest« oder »Demo« irgendwie verwoben, und bedeutet deshalb nicht unbedingt einen echten Arbeiter*innenstreik. Leider hat es diesmal nicht so gut funktioniert, zum Streik aufzurufen, auch wenn es versucht wurde. Es sind zwar einige FLINT*s nicht zur Arbeit gegangen, ein paar Bauern und Taxifahrer haben auch gestreikt. Aber es waren zu wenige. Und ein Streik war auch am Wochenende! Wie soll es wirtschaftliche Konsequenzen geben, wenn sonntags gestreikt wird? Frauen*streik würde nur funktionieren, wenn sich fast alle FLINT*s beteiligen und auf die Straße gehen. Das ist schwierig während der Pandemie. Viele arbeiten in systemrelevanten Berufen, und müssten ihre Care-Arbeit ruhen lassen, was gerade einfach zu gefährlich ist. Doch der Plan, einen großen feministischen Streik zu organisieren, besteht weiterhin.

Ihr als Dziewuchy seid in Berlin aktiv. An euren Aktionen haben sich hunderte Menschen beteiligt. In welchem Verhältnis steht ihr zu den Protesten in Polen?

Es gibt eine krasse Wut in der polnischen Diaspora, die wir kanalisieren wollen. Wir haben an dem Tag des Urteils hunderte Nachrichten bekommen, in denen uns Leute gefragt haben: »Hey, was machen wir hier?« Daraufhin haben wir eine Demo organisiert, zu der mehr als 1000 Menschen kamen. Die Menschen wollten streiken, aber die Grenzen nach Polen wurden genau in der ersten Woche der Proteste zugemacht - also mussten wir uns hier organisieren. Wir als Dziewuchy haben uns entschieden, der zentrale Punkt der Proteste in Berlin zu sein - schließlich sind wir seit Jahren zu dem Thema aktiv, haben gute Kontakte mit der polnischen Diaspora aber auch mit anderen deutschen linken und migrantischen Gruppen in Berlin. Ein weiterer Grund für uns hier in Berlin zu protestieren, ist aber auch, dass die Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Julia Przyłębska, in einer Villa in Dahlem lebt. Sie ist die Ehefrau des polnischen Botschafters. Wir gehen also nicht nur aus Solidarität mit den Protesten in Polen auf die Straße, sondern ganz direkt, weil eine der Verantwortlichen hier in Berlin ist. Wenige Tage nach dem Urteil hat sie Polen in Flammen gelassen und ist in ihre Villa nach Westberlin gefahren. Wir haben Demos vor ihrem Haus organisiert, um ihr zu zeigen, dass sie sich nicht einfach in Deutschland verstecken kann. Der dritte Grund ist, dass wir wollen, dass sich Leute in Berlin und Deutschland darüber informieren, wie die Lage in Polen ist. Wir wissen, dass internationaler Druck funktioniert. Wenn die internationalen Medien schreiben, wie die Lage in Polen ist, kann sich die PiS nicht verstecken. Sie sollen merken, dass die Welt nach Polen guckt.

Wen habt ihr mobilisiert?

Alle. Am Anfang war es eher für die polnische Diaspora. Aber irgendwann gab es für jede Demo eine andere Idee: So organisierten wir z.B. eine Demo, wo wir uns vor allem mit anderen Kämpfen weltweit vernetzt haben und internationale Solidarität zeigen wollten. Das war linker als andere Demos und Aktionen, bei denen wir möglichst breit mobilisieren. Man muss nämlich festhalten: Nicht alle pro-choice Bewegungen sind links. Und wir wissen auch, dass die polnische Diaspora nicht besonders links ist. Das ist eine Herausforderung. Wir laden inzwischen oft migrantische Gruppen ein, um bei unseren Aktionen zu sprechen. Gerade supporten sie uns in unserem Kampf. Aber es wird auch andere Zeiten geben, bei denen es unsere Aufgabe sein wird, ihre struggles zu unterstützen.

Wie blickt ihr auf die deutsche Rechtslage in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche? Ergeben sich hier gemeinsame Kämpfe?

Auf jeden Fall! Es gibt einige von uns, die sehr aktiv in deutschen pro-choice Bündnissen sind. Für uns ist die Rechtslage in Deutschland aus zwei Gründen wichtig: Einerseits kommen viele Personen aus Polen nach Deutschland, um hier abzutreiben. Andererseits leben wir hier in Berlin, insofern ist es uns wichtig, Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu haben. Deshalb ist der Kampf für eine Legalisierung ein sehr direkter. Und hier ist ja auch nicht alles toll, auch wenn die PR für Deutschland so gut ist, dass alle denken, hier sei alles okay. Nein, das ist es nicht! Deshalb müssen wir uns zusammen tun. Wir kämpfen ja auch gegen das gleiche Patriarchat.

Welche Rolle spielt internationale Vernetzung mit anderen feministischen Streikbewegung für euch und für die Prostete in Polen?

Was in der linken Szene oft fehlt, ist die konkrete Vernetzung. Wir wissen von den Rechten, dass sie gut vernetzt sind und viel Geld haben. Zum Unabhängigkeitstag in Polen reisen beispielsweise jedes Jahr massenweise Faschisten aus ganz Europa an, aus Ungarn, Italien, Deutschland… Die sehen das als einen gemeinsamen Kampf. Ich glaube, wir Linken sprechen viel über internationale Solidarität, uns fehlt oft aber die Praxis. Das wollen wir versuchen zu ändern. Wir arbeiten eng mit Ni Una Menos zusammen, mit den Frauen aus Irland (die nicht mehr so aktiv sind, weil sie ihren Kampf gewonnen haben), mit der Freien Ungarischen Botschaft, neulich auch mit Berlin for India, da die Politiken Modis und Kaczyńskis überraschend ähnlich sind, mit dem feministischen Streik Berlin und ein paar weiteren deutschen und migrantischen feministischen Organisationen. Wir haben viele Verbindungen zu migrantischen Gruppen. Vielleicht kämpfen nicht alle gegen ein Abtreibungsgesetz, aber alle kämpfen um Selbstbestimmung und aus der gleichen Motivation. Wir wollen uns deshalb nicht nur als Feminist*innen vernetzen, sondern auch als Antifaschist*innen und Antinationalist*innen.

Wie kann man die Proteste in Polen momentan unterstützen?

Geld spenden. Zum Beispiel an Ciocia Basia: Das ist ein Kollektiv in Berlin, das Personen, die in Deutschland abtreiben wollen, mit Unterkunft, Übersetzung und ähnlichem hilft (zur Spendenkampagne). Das ist sehr konkrete und wichtige Arbeit. Oder das Abortion Dream Team, die Menschen in Polen helfen, z.B. die Pille danach zu bekommen. Auch an uns als Gruppe kann man spenden, unsere Aktionen kosten immer Geld - aber wir sind nicht so wichtig. Außerdem müssen wir weiter über die Situation sprechen und Druck aufbauen. Der Kampf ist nicht vorbei! Obwohl das Urteil nicht durchgeführt wurde, ist es passiert, dass Schwangere illegalerweise von Krankenhäusern abgewiesen wurden und deshalb nicht abtreiben konnten. Die Lage ist schwierig, war immer schwierig. Es gibt zur Zeit jährlich nur 1.100 legale Abtreibungen in Polen (und 98% wurden auf der Grundlage der Ausnahme durchgeführt, die gerade als verfassungswidrig beurteilt worden ist – deswegen sprechen wir auch über ein quasi-Verbot), dabei treiben 100.000 Menschen jährlich in Polen ab - im Untergrund, im Ausland… Die Organisationen zu unterstützen, die das ermöglichen, ist momentan am wichtigsten.

Welche Rolle spielt für die Bewegung in Polen die Tatsache, dass wir in einer Pandemie leben? Wie geht ihr selbst in der Planung und Umsetzung eurer Proteste hier damit um?

Viele sagen, hätten wir keine Pandemie, wären die Zahlen der Protestierenden noch höher. 14% der Gesellschaft war bei einem Protest dabei. Das ist eine enorm hohe Zahl, aber sie hätte noch höher sein können. Aber wer weiß… natürlich macht die Pandemie es kompliziert, die Polizei und die Regierung schieben die Schuld für die hohen Coronafallzahlen auf die Protestierenden. Das ist natürlich falsch! Außerdem nutzt die Polizei die Situation, die Proteste zu unterbinden, z.B. mit Versammlungsverboten. Außerdem können nicht alle teilnehmen - Risikogruppen und Menschen, die sich vor einer Ansteckung sorgen. Außerdem war es wegen der Grenzschließungen für uns in Berlin Lebende nicht möglich, zu den großen Protesten nach Polen zu fahren. Das hätten ohne Corona sicherlich sehr viele gemacht. Auf den Demos in Berlin, zu denen bis zu 2.000 Menschen kamen, haben wir auf Masken und Abstand geachtet. Trotzdem waren die Bullen sehr aggressiv und haben die Pandemie als Vorwand benutzt, um sich in unsere Aktionen einzumischen.

Die PiS-Regierung hat nicht erwartet, dass trotz der Pandemie so viele Menschen auf die Straße gehen würden. Das ist ein Erfolg! Aber die Gedanken, die man sich persönlich selbst macht, waren schon krass: Soll ich inmitten einer Pandemie Demonstrationen organisieren? Ist es gefährlich für meine Familie, für meine Mitbewohner*innen? Menschen nehmen die Verantwortung selbst auf sich, das macht viele Entscheidungen schwieriger als sonst. Doch wir dürfen diesen Kampf nicht verlieren. Was passiert sonst als nächstes in Polen?


Das Interview wurde geführt mit Hanna von Dziewuchy Berlin, einem polnischen queer-feministischen Kollektiv. Es wurde 2016 gegründet und die erste Aktion war die Organisation des Schwarzen Protestes (Czarny Protest) am 3. Oktober 2016, des ersten offiziellen Frauen*Streiks, der gegen das vorgeschlagene vollständige Verbot der Abtreibung aufgerufen wurde. Dies war der Beginn des anhaltenden Kampfes des Kollektivs gegen die rechte PiS-Regierung und andere ultrakatholische, Anti-Choice- und faschistische Kräfte in seinem Umfeld.

Bild: »I wish I could abort my government«, Aufgenommen bei Protesten gegen die Verschärfung der Abtreibungsgesetze Polens in Gdansk im Oktober 2020, von Lukasz Katlewa.