#metoo tut mir weh!

Die Autorinnen dieses Beitrags sehen in der viel diskutierten und gelobten #metoo-Kampagne keine feministische und empowernde Errungenschaft. Vielmehr sehen sie darin die Festschreibung bestehender Fehler im System verankert. Im Beitrag werden eigene Erfahrungen sexualisierter Gewalt erläutert.

Braucht das Internet noch einen Artikel über die Hashtagkampagne »metoo«? Keine Ahnung. Interessiert uns was das Internet braucht? Nein.

Die Autorinnen dieses Textes sind Partnerinnen in crime mit unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen und dem gleichen Ziel. Wenn sie Frauen* schreiben tun sie dies, um auf die Konstruiertheit der binären Geschlechterordnung hinzuweisen. Es gibt nicht »die Frau«. Gleichzeitig hätte es in diesem konkreten Text aber auch nicht genügt »Person« oder »Mensch« zu schreiben, da es spezifisch um Personen geht, die unter der Zurichtung einer heteronormativen und binär-geschlechtlich-geprägten Gesellschaft leiden – also einer Gesellschaft, die nur zwei Geschlechter kennt und geschlechtliche Vielfalt nicht mitdenkt sowie Beziehungen vorrangig heterosexuell denkt - und für die der Kampf gegen patriarchale Strukturen durch eigene Betroffenheit zur Notwendigkeit und zum Alltag geworden ist.

#metoo. Ich auch. Ich bin auch begrapscht, bedrängt, erpresst, genötigt, gedemütigt worden, ich bin auch vergewaltigt worden. Von einem Mann, von mehreren Männern, von verschiedenen Männern. Ich gehöre auch dazu. Sniff. Ein weinender Smiley. Sniff sniff sniff, zwei, drei, vier, fünf weinende Smileys und 35 Likes. And back to business. Vielleicht, denken wir, ist die Hashtag-Kampagne »metoo« ein ganz gutes Abbild unserer Gesellschaft. Speak out loud, but deal with it alone. Vielleicht ist sie gut, um uns vor Augen zu führen, wie tief wir in der Scheiße stecken.

Versteht uns nicht falsch. Es ist absolut begrüßenswert, dass die Fälle, in denen mächtige Männer in Hollywood ihre Position und ihren Einfluss ausgenutzt haben, um sich ihre sexuellen Wünsche mit Frauen* zu erfüllen, deren Bedürfnissen das wiederum nicht entsprach, endlich zur Sprache kommen. Wenn sich Personen durch diesen # empowert fühlen, gibt es daran nichts auszusetzen. Wir haben beide in den letzten Monaten viele produktive Gespräche über dieses Thema geführt. Es ist gut, dass es endlich Aufmerksamkeit erfährt und so hoffentlich immer weniger Menschen bereit sind, Sexismus und sexualisierte Gewalt hinzunehmen.

Trotzdem war das erste, was die massenhaften #metoo-Posts bei uns ausgelöst haben, der Reflex, sofort den Laptop zuzuklappen. Es hat getriggert, nicht befreit. All die Geschichten zu lesen hat sich nicht empowernd angefühlt. Es hat sich scheiße angefühlt. Wir wollen nicht wissen, wer welcher unserer Bekannten* was angetan hat, haben wir gedacht. Das ist doch überhaupt nicht zum aushalten. Wir halten ja schon unsere eigenen Geschichten kaum aus. Niemals kann ein Hashtag ausdrücken, was wir erlebt haben und immer wieder erleben. Welchen inneren Teufeln wir uns stellen müssen. In unseren Beziehungen, bei meiner Arbeit, während des Alltags. Teufel, die uns nicht verlassen, seit wir das erste Mal Sex mit einem Jungen hatten, mit dem wir eigentlich keinen Sex haben wollten. Teufel, die gefüttert wurden bei jedem Mal in dem ein »Nein« nicht gereicht hat. Teufel, die jedes Mal aufgescheucht werden, wenn uns ein Mann anfasst, uns zu nahe kommt, doppeldeutige Sprüche macht, obwohl wir das nicht wollen. Teufel, die drohen uns zu überwältigen, wenn uns nach Jahren erst klar wird, was Männer damals mit uns gemacht haben. Teufel, die uns vor Wut fast platzen lassen, jedes Mal wenn in den letzten Wochen Kolleg*innen im Zusammenhang mit der Hashtagkampagne banalisierende Witze über strukturelle sexualisierte Gewalt machten. Denn es müsste eigentlich darum gehen, eine Struktur sichtbar zu machen. #metoo jedoch vergisst jeden größeren Zusammenhang. Stattdessen lautet die Message: Wir (Frauen*) müssen alle aufhören uns zu schämen und endlich über all die unangenehmen Dinge reden. Und die anderen (Männer) müssen halt anfangen sich mal ein bisschen korrekter zu verhalten und uns besser beschützen. Ernsthaft? Ok. Wow. Aber bitte nennt das dann nicht Feminismus.

Womit wir auch schon beim nächsten Punkt wären. Der Feminismus, der ist meistens nur für weiße Personen. Beziehungsweise es gibt »Frauen« und es gibt People of Color, und die werden nunmal beide diskriminiert. Das zumindest suggeriert die Schauspielerin Rose McGowan in ihrem Post nach den ekelhaften Weinstein-Witzen von James Gordon: »Replace the word, ›women‹ w/ the ‘N’ word. How does it feel?«. Nicht nur, dass es dumm und überflüssig ist, historische und strukturelle Diskriminierung gegeneinander aufzuwiegen und zu vergleichen (Wer soll da überhaupt richten – sie etwa? Weil sie als weiße Person ja so genau weiß wie sich das N-Wort anfühlt.). Es ist in diesem Fall auch besonders mies, weil die ursprüngliche Kampagne mit dem Hashtag »metoo« von der schwarzen Aktivistin Tarana Burke ins Leben gerufen wurde. Unter dem Titel »Me Too« bietet sie seit nun bereits neun Jahren Opfern sexueller Gewalt Hilfe an und wendet sich dabei vor allem an schwarze und weniger privilegierte Frauen*. Burke sagt, sie glaube, dass Alyssa Milano einfach versäumt habe zu prüfen, ob der # schon existierte, bevor sie mit ihrem Tweet die dann so genannte #metoo-Kampagne lostrat. Tja, dieses »Versäumnis«, hat die weniger privilegierten Frauen* mal wieder unsichtbar gemacht.

Für mich als Woman of Colour ist das ein Schlag in die Fresse. Schonmal was von Mehrfachdiskriminierung gehört? Warum werden Black people and People of Color, Transpersonen, Sexarbeiterinnen* und viele Andere immer wieder in feministischen Debatten vergessen? Ist 2018 nicht mal Zeit, Intersektionalität in der politischen Praxis mitzudenken? Geht es nach McGowan und den »Feminismus«-Shirt tragenden Menschen da draußen, existieren meine Diskriminierungserfahrungen als Woman of Colour einfach nicht.

Für mich, als weiße Feministin, ist das Statement von Frau McGowan eine der beschämendsten Aussagen einer weißen Feministin überhaupt.

Ja, was für einen Schluss ziehen wir aus einer Welle von Selbstoffenbarungen von misshandelten, unterdrückten, verletzten und gedemütigten Frauen*? Wir werden das Gefühl nicht los, dass #metoo stehen bleiben wird bei dieser unserer Bereitschaft preiszugeben, was die Gesellschaft eigentlich gar nicht wissen will. Bei Voyeurismus, bei ein bisschen Schmuddel - bei »sex sells« eben. Bisher sehe ich nämlich vor allem das, Horrorstorys. Aber keinen Gegenvorschlag. Kein Eingeständnis, dass wir es hier, verdammt nochmal, mit einem Fehler im System zu tun haben. Wir leben in einer Welt der Ungleichheit. In einer kapitalistischen Gesellschaft muss es Verlierer*innen und Gewinner*innen geben, that‘s the game. Wer die Macht hat, hängt maßgeblich davon ab, wie viele »männliche« Eigenschaften (Rationalität, Intelligenz, Führungsqualitäten, körperliche Überlegenheit, Sexualtrieb etc.) diese Gesellschaft dir wohlwollend zugesteht – das nennt man Patriarchat – und von der konstruierten Hautfarbe – das nennt man koloniales Erbe. In so einer Gesellschaft, in der Waren mehr wert sind als Menschen und in der die strukturelle Ungleichbehandlung der Kapitalakkumulation nützt (z.B. arbeiten marginalisierte Menschen für weniger Geld und haben verständlicherweise weniger Selbstvertrauen um ihre Forderungen durchzusetzen), den Schluss zu ziehen, wir »müssen da dringend mal drüber reden« macht uns einfach nur wütend. Wir wollen was ändern? Dann lasst uns Frauen* in die Chef*innenetagen setzen, am besten schwarze und jüdische! Ach was, war nur Spaß. Schaffen wir die Chefetagen ab. Bildet Räte, lasst uns gemeinsam und nicht übereinander entscheiden. Alles andere macht uns krank. Was wir brauchen, ist eine solidarische Gemeinschaft ohne Hierarchien. Und damit sagen wir nicht, Feminismus sei zweitrangig. Wir sollen jeden Tag um jeden Meter kämpfen, egal wie sehr uns der Kapitalismus zurichtet - aber zu erkennen, dass Unterdrückung einen Zweck hat und nicht weggewischt werden kann, ist elementar für diesen Kampf. Zu erkennen, dass Sexismus und Rassismus durch eine kapitalistische Gesellschaft verstärkt werden, hilft zu verstehen, warum es so wichtig ist, die Kämpfe dagegen im alltäglichen und organisierten Widerstand zusammen zu denken.

Wir wollen kämpfen dafür, dass die permanente Traumatisierung aufhört. Wir wollen kämpfen dafür, dass Frauen* zu korrekten Beratungen gehen können, zu Therapiestellen und zu coolem gynäkologischen Fachpersonal, das nicht sagt »Nimm eine Creme, wenns beim Sex wehtut« sondern »Kann es sein, dass in deiner Beziehung was nicht stimmt, Liebes?«. Wir kämpfen für Superkräfte, damit wir jedem Typen körperlich gewachsen sind und keine Angst haben, nachts in der U-Bahn einer Horde Besoffener zu begegnen. Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der sich der Typ schmutzig fühlt, der uns übergangen hat, und nicht umgekehrt. Wir kämpfen dafür, dass Männer aufhören Frauen* als ihr sexuelles Eigentum zu betrachten. Wir kämpfen für ein Internet, in dem die beste Freundin und Mitbewohnerin unseres Vergewaltigers nicht unseren Kommentar zur #metoo-Kampagne liked. Aber wir schulden dafür niemandem unsere Geschichte. Wir wollen kein Mitleid, wir wollen ein Ende.

Die Autorinnen sind organisiert in der Interventionistischen Linken.

Bild: »Stop telling women to smile« von Tatyana Fazlalizadeh, aufgenommen von themostinept.