von Enteignen! tags soziale Kämpfe Gesundheit Care Datum Jul 2021
zuSpätestens seit Corona sollte klar sein: Gesundheitsversorgung ist zu wichtig, um sie dem Markt zu überlassen. Doch welcher Weg führt von der Kritik am neoliberalen Gesundheitssystem und Krankenhausstreiks zu einer Gesundheitsversorgung in öffentlicher Hand? Wie wärs mit #Enteignen, fragt unsere Genossin Julia – und zeigt auf, was sich aus dem Erfolg von »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« für die Kämpfe im Gesundheitssystem lernen lässt.
Die Kampagne »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« (DWE) hat die Vorstellungskraft des politisch Möglichen beflügelt. Enteignen, Aneignen und Vergesellschaften sind zu Begriffen geworden, die nicht länger nur einen Fluchtpunkt politischer Bestrebungen im Irgendwann beschreiben. Vielmehr ist inzwischen sicher, dass im Herbst in Berlin über die Forderung des Volksentscheids abgestimmt wird. Möglich erscheint zudem, dass die Abstimmung gewonnen wird. Als die Idee zu dieser Kampagne entstand, war das keinesfalls klar. Dass die Kampagne trotz anfänglicher Skepsis zu einem Erfolgsmodell geworden ist, wirft daher nun die Frage auf, ob sich dieses Modell auch auf andere Bereiche übertragen lässt. Dies setzt allerdings voraus, zu wissen, was die Kampagne erfolgreich machen konnte. Hierfür möchte ich kurz vier Annahmen benennen, bevor ich zum eigentlichen Thema des Artikels – die Enteignungsfrage im Gesundheitsbereich – komme.
Bei den Großen lernen – Gründe für den Erfolg von DWE
Die Kampagne DWE ist aus meiner Sicht erfolgreich, weil sie erstens ein geteiltes Problem – zu hohe Mieten und den Mangel an Wohnraum – adressiert, dafür zweitens eine politische/rechtliche Lösung anbietet, die einerseits zwar konkret genug ist, um wirklich politisch umsetzbar zu sein, sich andererseits aber nicht im Klein-Klein der Mietenpolitik verliert; und dadurch drittens schafft, die gesellschaftliche Wut und den Ärger über die Wohnraumproblematik zu kanalisieren, obwohl die Enteignung großer Immobilienkonzerne für die Mehrheit der Stimmberechtigten und der Aktiven erstmal keine unmittelbare Verbesserung ihrer eigenen Wohnsituation schaffen würde. Schließlich liegt der Erfolg von DWE aus meiner Sicht viertens darin, ganz konkrete Handlungsmöglichkeiten für Interessierte anzubieten, wie sie einsteigen, mitwirken und ganz praktisch zum Erfolg beitragen können.
Der Erfolg der Kampagne basiert damit m.E. nicht darauf, die unmittelbaren Interessen der Wohnraumempörten aufzugreifen und ihnen eine Lösung für ihre konkreten Probleme anzubieten – wie dies etwa in Kämpfen um Arbeitsbedingungen oder Mieter*innen-Inis zu finden ist. Der Erfolg basiert auch nicht auf der Selbstorganisierung von Betroffenen – denn die meisten Aktivist*innen der Kampagne würden nur in eher seltenen Ausnahmen direkt von der Enteignung profitieren. Oder anders gesprochen: Bestehende Mieter*innen-Initiativen, die sich rund um die großen Immobilienkonzerne gegründet haben (die Vernetzungen von DW- oder Akelius-Mieter*innen etwa) sind nicht die tragenden Säulen der Kampagne, sondern bearbeiten vordergründig ihre eigenen unmittelbaren Anliegen wie Modernisierungsankündigungen, Instandhaltungsstaus etc. – auch wenn sie die Anliegen der Kampagne natürlich teilen und sie mit unterstützen. Ob es gut oder schlecht ist, dass nicht die Selbstorganisierung um die unmittelbaren Interessen von Betroffenen im Zentrum steht und welche Probleme damit verbunden sind, möchte ich an dieser Stelle nicht diskutieren, auch wenn ich glaube, dass es lohnend wäre. Herausstellen möchte ich stattdessen, was wir aus diesen Vorannahmen für die Frage der Übertragbarkeit lernen können: Der politische Erfolg einer Kampagne, die auf eine Zuspitzung zielt, basiert zwar darauf, Wut und Ärger über gesellschaftliche Widersprüche zu adressieren und Handlungsmöglichkeiten zu operationalisieren. Sie muss aber nicht notwendigerweise sehr konkrete Probleme bearbeiten, sondern kann diese auch auf eine*n gemeinsame*n Gegner*in projizieren.
Was bedeutet dies für den hier im Mittelpunkt stehenden Bereich – das Gesundheitswesen? Welche Probleme bestehen im neoliberal-kapitalistisch organisierten, profitorientierten Gesundheitssystem? Und in welcher Form könnten Enteignen, Aneignen und Vergesellschaften hier Abhilfe schaffen oder bestehenden Ärger bündeln?
Das miese Spiel der Krankenhausfinanzierung und warum Private die Regeln besser beherrschen
Das deutsche Gesundheitssystem befindet sich seit der ersten Hälfte der 1990er Jahre in einem tief greifenden Umbruch, in dessen Zentrum die Implementierung wettbewerbsorientierter Strukturreformen, (vermeintliche) Kostensenkungen sowie eine fortschreitende Privatisierung in der Gesundheitsversorgung stehen. Eine der wichtigsten Entwicklungen in diese Richtung war die Umstellung der Krankenhausfinanzierung von einem (selbst-)kostendeckenden System auf ein System der Fallpauschalen (das sog. DRG-System) zu Beginn der 2000er Jahre. Seitdem ist auch ein massiver Anstieg privater Klinikkonzerne zu beobachten: Lag der Anteil privater Träger von Krankenhäusern im Jahr 2000 noch bei knapp 22 %, so hat er sich inzwischen auf knapp 40 % der Häuser fast verdoppelt.
Dies hat unmittelbar mit der Umstellung des Finanzierungssystems zu tun. Erst mit der Abkehr von der Selbstkostendeckung sind Profite im Gesundheitsbereich möglich geworden. Denn die erlösorientierte Vergütung nach Pauschalen refinanziert nicht mehr real entstandene Kosten, sondern legt Pauschalbeträge für Behandlungen im Krankenhaus fest. Das bedeutet: Je geringer der Kostenaufwand für eine Behandlung ist, und das heißt vor allem je weniger Personal eingesetzt wird, umso höher ist der Gewinn, der mit einem »Fall« erzielt werden kann. Umgekehrt schreibt ein Krankenhaus rote Zahlen, wenn die Kosten der Behandlungen über den dafür veranschlagten Pauschalen liegen. Dies zwingt die Krankenhäuser dazu, für jede Patientin einen höchstmöglichen Erlös zu erzielen, und setzt sie zugleich in Konkurrenz zueinander.
Im Wesentlichen zieht dies zwei Strategien nach sich, mit denen Krankenhausleitungen auf diese Situation reagieren. Einerseits wird der entstehende Kostendruck durch betriebswirtschaftliche Kürzungen bearbeitet, indem Personal (vor allem in der Pflege) abgebaut wird, Bereiche wie Reinigungen, Küchen oder Labore ausgegliedert und Lohnsenkungen durchgesetzt werden sowie sog. »Vorhaltekosten« für das Bereithalten von Kapazitäten (etwa »überschüssige« Betten) abgebaut werden. Andererseits sehen sich die Krankenhäuserträger gezwungen, Erlöse und Gewinne zu steigern, indem sie die Anzahl der Behandlungen (also ihre Fallzahlen) erhöhen oder sich auf bestimmte Behandlungen spezialisieren (denn manche Behandlungen lohnen sich im DRG-System aus finanzieller Sicht mehr als andere).
Beide Strategien – Kürzungen und Erlössteigerungen – können und sind sowohl von privaten Klinikkonzernen als auch von öffentlichen und freigemeinnützigen Trägern verfolgt worden. Landeseigene Krankenhäuser wie Vivantes und die Charité, gemeinnützige Häuser wie das katholische Krankenhaus und private Träger wie Helios oder Asklepios haben in den letzten Jahren also allesamt Kürzungen und Erlössteigerungen betrieben – und dadurch zu vielfältigen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen von Beschäftigten und der Versorgungsbedingungen von Patient*innen beigetragen. Aber: Private Krankenhauskonzerne haben beide Strategien massiver und aggressiver verfolgt. Denn erstens können private Kliniken Spezialisierungen besser umsetzen, da sie im Gegensatz zu den meist öffentlichen Maximalversorgern keinen umfassenden Versorgungsauftrag haben. Das heißt, sie können sich auf Behandlungen konzentrieren, die im DRG-System besser vergütet werden, wie etwa Herz- oder Hüft-OPs, und müssen Bereiche, die zumeist verlustträchtig sind, wie Geburts- und Kinderkliniken oder Notfallambulanzen, nicht zur Verfügung stellen. Zweitens haben sie aber auch Kürzungsstrategien oft radikaler umgesetzt, etwa über den Ausstieg aus Tarifverträgen und Lohnsenkungen, Personalabbau und Kündigungen, aber auch über ein massiveres Vorgehen gegen gewerkschaftliche Organisierung in den Betrieben und gegen die Arbeit von Betriebsräten. Denn private Klinikkonzerne müssen nicht nur schwarze Zahlen schreiben, sie müssen aus den Gewinnen auch ihre Aktionär*innen bedienen. So hat zum Beispiel Fresenius Helios (als größter Klinikbetreiber in Deutschland) für das Jahr 2020 trotz Pandemie ein Konzernergebnis von 1,8 Milliarden Euro eingefahren und die Dividende für seine Aktionär*innen zum 28. Mal in Folge erhöht. Dies geht nur auf massive Kosten der Beschäftigten.
Kurzum: Das größte Problem im Krankenhauswesen ist gegenwärtig zwar das Finanzierungsmodell nach Fallpauschalen. Da private Träger dieses System aus strukturellen Gründen aber besser nutzen können, stehen sie nicht nur besser dar als öffentliche Häuser. Indem sie sich die Rosinen aus dem Finanzierungskuchen picken, verschärfen sie die (finanzielle) Situation öffentlicher Kliniken vielmehr auch. Die Enteignung und Rekommunalisierung privater Krankenhäuser würde die Situation im Krankenhauswesen daher durchaus verbessern. Sie würde die Spaltung in ›profitable‹ und ›nicht-profitable‹ Häuser reduzieren, das gewerkschaftsfeindliche Agieren privater Träger eindämmen und die schlimmsten Auswüchse betrieblicher Kürzungen begrenzen – auch wenn viele Probleme (etwa der Personalmangel und Kostendruck) ohne Frage weiterhin bestehen blieben.
Ein weiterer Grund kommt noch hinzu: Der Angriff auf private Klinikkonzerne ist auch vor dem Hintergrund der gegenwärtigen gesundheitspolitischen Debatten zentral. Diese drehen sich wesentlich um Fragen der Versorgungsstruktur und Krankenhausplanung und zielen hierin auf Vorschläge, die letztlich eine neue Privatisierungswelle nach sich ziehen könnten. In Studien etwa von der Bertelsmann Stiftung – als einer der größten neoliberalen Think Tanks – wird aktuell eine Reduzierung der Anzahl von Krankenhäusern, ein Abbau von Fallzahlen sowie die Zentralisierung und Spezialisierung von Kliniken gefordert. Forderungen nach Strukturveränderungen also, die mit einem hohen Startkapital verbunden sind, welches sich eher private als öffentliche Kliniken leisten können. Um dieser möglichen neuen Privatisierungswelle zu begegnen, müssen private Klinikkonzerne öffentlich delegitimiert und ihre Verdrängung aus dem Gesundheitsbereich vorbereitet werden.
Analytisch den Sinn von Enteignungen im Gesundheitswesen herzuleiten, bedeutet jedoch noch nicht, dass sie für eine politische Zuspitzung geeignet sind. Neben den richtigen Widersprüchen stellt sich vielmehr auch die Frage, ob es gelingt, gesellschaftlichen Ärger und Wut in dieser Forderung zu bündeln sowie Handlungsmöglichkeiten zu operationalisieren. Inwiefern also könnte der Angriff auf private Kliniken zu einem zentralen Ziel für eine gesundheitspolitische Bewegung werden?
Krankenhausstreiks und ihre Reichweite – und: Was machen wir?
Im Moment richten sich Kämpfe im Gesundheitswesen nicht auf das Ziel der Enteignung oder Rekommunalisierung privater Kliniken. Im Zentrum der aktuellen Auseinandersetzungen in den (öffentlichen) Krankenhäusern stehen vielmehr Forderungen nach Entlastung und mehr Personal sowie nach der Wiedereingliederung von outgesourcten Bereichen und dem TVöD für alle. Halten wir uns erneut vor Augen, dass das DRG-System in den letzten Jahren zu Personalabbau, enormem Zeitdruck und zu einer Verdichtung von Arbeit sowie dazu geführt hat, dass Bereiche in Tochtergesellschaften verschoben und dadurch Lohnsenkungen durchgesetzt wurden, verwundern die Ziele der gegenwärtigen Kämpfe nicht. Sie ergeben sich vielmehr aus den tagtäglich erlebten Widersprüchen. Beschäftigte in den Krankenhäusern organisieren sich demnach entlang ihrer Alltagswidersprüche und kämpfen – Haus für Haus an inzwischen über 20 Orten – für einen Tarifvertrag Entlastung (und den TVöD). Sofern in den Kämpfen darüber hinaus eine politische Zuspitzung der Auseinandersetzungen formuliert wird, zielt diese auf die Abschaffung des DRG-Systems. Die Fallpauschalen werden dafür verantwortlich gemacht, dass Profit und nicht eine ›gute‹ Versorgung an erster Stelle stehen. Daher wird ihre Abschaffung gefordert. Politisch ist das richtig: Es braucht eine kostendeckende Finanzierung und ein Gewinnverbot im Gesundheitswesen sowie mehr Personal und Entlastungen, um der Arbeitsverdichtung und Erschöpfung der Beschäftigten im Krankenhaus zu begegnen. Richtig ist auch, dass ausgegliederte Bereiche in die Krankenhäuser re-integriert oder die Beschäftigten zumindest nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes bezahlt werden müssen. Dass es in den Krankenhäusern gegenwärtig gelingt, um diese Ziele zahlreiche Kämpfe zu organisieren, spricht überdies dafür, dass hier Unmut und Wut gebündelt werden können. Warum also sollten Forderungen nach Enteignen, Rekommunalisieren und Vergesellschaften erhoben werden? Läuft es nicht auch so gut für die Krankenhausbewegung?
Aus meiner Sicht sind die aktuellen Kämpfe um Entlastung (und den TVöD) tatsächlich enorm wichtig, weil es darin zunächst gelingt, die Beschäftigten entlang ihrer unmittelbaren Interessen zu organisieren, gleichzeitig aber bereits Ansätze bestehen, in denen über die partikularen Interessen (nämlich Entlastung und TVöD) hinaus mit den Fallpauschalen auch die Ursachen der Widersprüche benannt werden. Ein zentrales Mittel der neoliberalen Ökonomisierung im Gesundheitsbereich gerät also in die Krise. In den Krankenhäusern ist die Hegemonie gegenwärtig brüchig.
Als radikale (Bewegungs-)Linke ist es für uns zentral, ein aktiver Teil dieser Auseinandersetzungen zu sein. Denn erstens geraten weitreichendere Forderungen (z.B. nach der Abschaffung der DRGs) im gewerkschaftlichen Alltagsgeschäft schnell aus dem Fokus – etwa weil hier in erster Linie die Organisierung von Beschäftigten, taktische Erfolge gegen die Arbeitsgeber*in oder Tarifverhandlungen und konkrete Umsetzungsmöglichkeiten für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Fokus stehen.
Zweitens sollte es uns darüber hinaus darum gehen, die spezifischen Widersprüche der Beschäftigten mit dem großen Ganzen zu verbinden. Oder anders gesagt: Die partikularen Interessen nach Entlastung und höherer Entlohnung in allgemeinere Interessen nach einer nicht profitorientierten, demokratischen, ausfinanzierten, geschlechtergerechten usw. Gesundheitsversorgung und Gesellschaft zu überführen. Das ist keinesfalls banal. Es macht vielmehr den entscheidenden Unterschied aus: Geht es uns »nur« um die Verbesserung der konkreten Lebensverhältnisse? Oder sind wir davon überzeugt, dass eine Verbesserung der konkreten Lebensverhältnisse in einem kapitalistischen System nicht nachhaltig zu erreichen ist? Ist letzteres der Fall, bedeutet dies, in den konkreten Auseinandersetzungen immer wieder danach zu suchen, wie diese gesellschaftlichen Zusammenhänge entwickelt werden können – ohne plakativ oder instrumentell zu sein.
Drittens ist eine Verbindung mit den aktuellen Kämpfen (in den Krankenhäusern) auch für uns selbst zentral. Wir brauchen die gesellschaftliche Verankerung, wenn wir nicht abstrakt, sondern ausgehend von alltäglichen Widersprüchen der Subalternen Kämpfe um (neoliberale) Hegemonie organisieren wollen. Für uns gilt es, bestehende Brüche zu vertiefen und für Alternativen zu streiten, wenn unsere eigenen Vorstellungen von gesellschaftlicher Veränderung nicht abgehoben sein sollen. Denn wie und mit wem sollten wir eine gesellschaftliche Transformation sonst erkämpfen?
Schließlich – und dies ist für die Diskussion um Enteignung im Gesundheitsbereich der vielleicht entscheidendste Punkt – geht es für uns viertens darum, in den gegenwärtigen Kämpfen den Boden zu bereiten für weitergehende politische Zuspitzungen. Das wird nicht von allein passieren. Ebenso wenig wie Mieter*innen-Inis nach ihren (verlorenen oder gewonnenen) Auseinandersetzungen mit dem Vermieter als nächsten Schritt zur Enteignungskampagne schreiten. So wenig werden Pflegekräfte mit dem Tarifvertrag in der Tasche den Start einer Kampagne zur Abschaffung der DRGs oder zur Vergesellschaftung des Gesundheitssystems fordern. Daher ist es unsere Verantwortung, in den Kämpfen über die nächsten Schritte nachzudenken.
Keine Enteignung ist auch keine Lösung – aber wer wagt den ersten Schritt?
Auch wenn die aktuellen Kämpfe in den Krankenhäusern folglich zentral für unsere politische Strategie sind und sein sollten, müssen wir weitergehende Forderungen diskutieren. Die Enteignung privater Klinikkonzerne nach Vorbild von DWE wäre aus meiner Sicht eine lohnende politische Zuspitzung, weil wir mit ihr sowohl diskursiv als auch mit Blick auf die Organisierungsfrage an Boden gewinnen könnten. Der Angriff auf private Kliniken hätte m.E. das Potential, neuen Druck zu entfalten und somit auch die bestehenden Kämpfe weiterzutreiben. Warum?
Erstens wäre diskursiv eine politische Polarisierung möglich, die es erlaubt die Gegner*innen einer ›guten‹ Gesundheitsversorgung sichtbar(er) zu machen und die Ursachen der Profitlogik im Gesundheitsbereich klarer zu benennen. Dies könnte helfen, die lähmende Umklammerungstaktik der Politik aufzusprengen. Denn Personalmangel in der Pflege ist medial und politisch schon längst kein Aufreger mehr. Vielmehr sind sich alle politischen Parteien darin einig, dass hier etwas getan werden muss – und doch mahlen die Mühlen langsam. Wenn der Personalmangel jedoch mit einer Forderung nach Gewinnverbot und der Rekommunalisierung privater Kliniken verknüpft sowie der Aufbau des Öffentlichen stark gemacht würde, könnte es gelingen, die politische Debatte zu polarisieren. So müssten sich z.B. die Grünen deutlicher positionieren: Sind sie nun für die Abschaffung der DRGs und das Zurückdrängen des Marktes aus dem Gesundheitsbereich? Oder wollen sie hier nur ein bisschen nachbessern? Dies könnte helfen, Verbündete und Gegner*innen deutlicher hervortreten zu lassen. Sie wären gezwungen, sich gegen oder für die Angriffe auf den Profit und die privaten Kliniken zu positionieren. Eine Polarisierung der politischen Debatte könnte zudem die Sichtbarkeit linker Positionen in den Auseinandersetzungen erhöhen, weil der Fokus auf die Profitorientierung als Ursache der Probleme gerichtet und zugleich ihre Nutznießer*innen benannt werden könnten. Aber auch, weil eine politische Alternative – nämlich die Zurückdrängung des Marktes und der Aufbau öffentlicher, ausfinanzierter und demokratischer sozialer Infrastrukturen – formuliert werden könnte, und sich so schließlich der Raum des Sagbaren erweitern ließe. Diesen Effekt haben wir auch in der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen beobachten können. Das »Schreckgespenst der Enteignung« könnte diskursiv also helfen, politisch zuzuspitzen, Gegner*innen zu markieren, die politische Umklammerung aufzubrechen, und so (neuen) Druck erzeugen.
Zweitens könnten in der Enteignungsfrage aber auch ein Hebel für eine zivilgesellschaftlich-aktivistische Verbreiterung der gesundheitspolitischen Bewegung über die Beschäftigten hinaus sowie Potentiale für neue Interessensbündnisse liegen. Die Entlastungsstreiks schaffen es gegenwärtig zwar, die Interessen der Beschäftigten in den Krankenhäusern zu organisieren. Was jedoch – trotz vielfacher Versuche – schwierig bleibt, ist die Organisierung von Akteur*innen jenseits des Krankenhauspersonals. Dass die Forderung nach mehr Personal nicht nur eine Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen ist, sondern auch die (Patient*innen-)Versorgung betrifft, lässt sich zwar vermitteln, aber offenbar nur schwer mobilisieren. Die Kämpfe der Pflegekräfte sind damit primär auf sich gestellt und können sich nicht verallgemeinern, auch wenn sie z.T. zivilgesellschaftlich flankiert werden. Diese »Flanken« bleiben letztlich aber Formen der Unterstützung; die Auseinandersetzungen werden nicht zu den eigenen Kämpfen von Patient*innen, pflegenden Angehörigen, Feminist*innen oder einer breiteren gesundheitspolitischen Bewegung. Das liegt m.E. auch daran, dass die Mittel, wie Druck entfaltet werden kann, nicht gleich verteilt sind: Für einen Tarifvertrag können eben nur die Beschäftigten eintreten und streiken. Sie müssen ihn erkämpfen – auch wenn sie dabei durchaus unterstützt werden können; und auch, wenn der Erfolg des Tarifvertrags auch anderen zu Gute kommt. Daher gelingt es nicht (besonders gut), verschiedene gesellschaftliche Klassenfraktionen und ihre Interessen in den Krankenhausstreiks zu verbinden.
Umgekehrt hieße das: Wenn es im Stadtbereich gelingt, große Immobilienkonzerne als Gegner*in zu adressieren, so eine populistische Zuspitzung und (neue) politische Bündelung anzubieten, die sich nicht primär um unmittelbare (Alltags-)Widersprüche von Mieter*innen dreht, wäre dies möglicher Weise auch im Gesundheitsbereich möglich. Der Angriff auf private Krankenhauskonzerne zielte also darauf, zu leisten, was die Kampagne DWE gerade schafft – nämlich ein aktivistisch bewegungsorientiertes Spektrum für die Forderung nach Enteignung zu mobilisieren (und damit auch den Auseinandersetzungen um Wohnraum neuen Aufwind zu bescheren). Unter welchen Umständen könnte das aber auch für die Krankenhäuser gelingen?
Damit eine populistische Zuspitzung à la DWE gelingen kann, braucht es zunächst eine Träger*in dieser Forderung und es braucht eine gesellschaftlich breit geteilte Wut. Bisher steht die Enteignung privater Kliniken aus gewerkschaftlicher Perspektive – nämlich weder in den aktuellen Krankenhausstreiks noch bei ver.di – an erster Stelle. Dennoch gibt es, zumindest in Teilen von ver.di, eine Offenheit für die Forderung nach Rekommunalisierung. Dies ist gut. Aber es ist zunächst auch ausreichend. Denn angesichts der Hoffnung, durch einen Angriff auf private Klinikträger eine zivilgesellschaftlich-aktivistische Verbreiterung zu erreichen, ist es gerade nicht das gewerkschaftliche Spektrum, welches primär Träger*in einer Enteignungskampagne sein müsste/sollte. Anstatt vor allem die Arbeits- (und in zweiter Linie auch die Versorgungs-)Bedingungen zu adressieren, müsste der Fokus einer Enteignungskampagne im Gesundheitsbereich demnach auf anderen Inhalten liegen: Der Angriff auf private Kliniken müsste die gesellschaftliche Wut adressieren, die sich darauf richtet, dass mit Gesundheit Profit gemacht und eine Abwertung von Sorge vorangetrieben wird; und darauf, dass wir daher nicht gut versorgt sind. Potentielle Träger*innen einer Enteignungskampagne für die Krankenhäuser wären also u.a. feministische Aktivist*innen.
Inhaltlich macht dies durchaus Sinn, denn die Profitorientierung im Gesundheitsbereich lässt keinen Platz für Sorge: Sie führt dazu, dass unter Zeitdruck und Personalmangel schlicht kein Raum mehr für Ängste, Sorgen und Bedürfnisse von Versorgten bleibt. Sie führt aber auch zu einer ideologischen Abwertung fürsorglicher, vermeintlich weiblicher* Tätigkeiten. Wo aber betrifft dies den Alltag von Feminist*innen? Haben wir nicht schon mehrfach versucht, genau diese Zusammenhänge zu entwickeln? Ja und nein: Eine Kampagne zur Enteignung privater Klinikkonzerne könnte diesen Zusammenhang neu aufrollen. Im Fokus stünde nicht mehr die Verschärfung von Arbeitsbedingungen (für die Pflege) und die Abwertung bestimmter Tätigkeiten. Im Fokus stünden die Folgen einer profitorientierten Re-Organisation von (bezahlter) Sorge. Die Zuspitzung müsste also darauf zielen, die Abwertung von Sorge ins Zentrum zu stellen und den Angriff auf private Kliniken als Gegner*in für gute Sorgeverhältnisse zu transportieren. Dies könnte exemplarisch an Beispielen aufgezeigt werden, die sich für eine populistische Zuspitzung eignen: In privaten Krankenhäusern sind es oft die Geburts- und Kinderstationen, an denen der Rotstift zuallererst ansetzt. Denn diese Bereiche sind im DRG-System strukturell unterfinanziert. Sie geraten durch Privatisierungen als erstes unter Druck. Hier findet also eine Abwertung von Bereichen statt, die sich nicht seriell abfertigen lassen, weil sie stärker auf Empathie, dem Beziehungsgeschehen und den Bedürfnissen der Versorgten basieren. Wut auf die Abwertung von Sorge, ließe sich also auf diese Gegner*innen projizieren: Wo können Geburten unter guten Bedingungen erfolgen? Und wo Kinder gut versorgt werden, wenn in einer Region nur noch private Kliniken stehen? Dass Gebärende oder Kinder nicht gut oder schlicht gar nicht versorgt werden, wenn Geburtsstationen und Kinderkliniken schließen, nur weil sie aus Sicht des Profits nicht lukrativ sind, ist ein Aufreger. Wesentliche Träger*innen dieser Wut – und einer Kampagne zur Enteignung – könnten also feministische Akteur*innen sein.
Zugleich zeigt sich in lokalen Auseinandersetzungen um Schließungen von Krankenhäusern oder den Kämpfen um das privatisierte Uniklinikum Gießen-Marburg zudem, dass es immer wieder gelingt, auch eine breitere gesellschaftliche Öffentlichkeit für Proteste zu mobilisieren. Das »Schreckgespenst der Enteignung« könnte also ebenso helfen, zivilgesellschaftliche Akteur*innen für eine gute Gesundheitsversorgung zu organisieren. Wenn aus einem aktivistischen Spektrum erstmal die Initiative gestartet wird. Darüber hinaus bietet es auch für Beschäftigte der privaten Träger eine Organisierungsperspektive entlang ihrer Konzernstruktur an. So haben es die Belegschaften von Asklepios und Helios gegenwärtig oftmals mit einem übermächtigen Gegner zu tun, der auf Konflikte zur Not auch mit der Schließung eines Hauses reagieren kann (wie dies etwa die Beschäftigten der Reha-Klinik in Seesen erleben mussten). Eine Kampagne, die auf die Rekommunalisierung privater Kliniken (und Heime) zielt, könnte hingegen eine Möglichkeit der Organisierung für Beschäftigte in der Kranken- und Altenpflege (von zahlreichen Asklepios- und Helios-Häusern) bieten, ohne sie in ihrem Kampf um den konkreten Standort allein zu lassen.
Möglicherweise lassen sich aber auch andere bewegungsorientierte Spektren, die gegenwärtig eher auf Umverteilungs- anstatt auf Enteignungsforderungen fokussieren, davon überzeugen, ihre politische Energie für eine Rückgewinnung sozialer Infrastrukturen einzusetzen. Denn eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Subalternen wäre durch öffentliche, ausfinanzierte, demokratische Versorgung gegenwärtig vielleicht sogar eher zu erreichen als durch Umverteilungen. Zudem bietet sich hier die Möglichkeit für eine positive Formulierung der eigenen Ziele. Und schließlich ließe sich eine Bündelung verschiedener Kämpfe über die Perspektive der Vergesellschaftung entwickeln.
Dennoch: Es braucht die Initiative für eine solche Kampagne, um zu prüfen, ob sie zieht. Feministische Akteur*innen bieten sich hierfür an, weil in den Krankenhäusern die strukturelle Abwertung von Sorge thematisiert werden und feministische Kapitalismuskritik hier ansetzen kann. Aber auch aus einer Perspektive der »Ökonomiekritik« ließe sich hier gut ansetzen. Ob dies gelingt, hängt jedoch davon ab, ob ein mobilisierungsfähiges aktivistisches Spektrum die Initiative ergreift.
Autorin: Julia ist in der Gesundheits-AG der Interventionistischen Linken Berlin aktiv und beschäftigt sich seit langem mit den Kämpfen im Krankenhaus.
Bild: Krankenhaus am Urban, Berlin, von Alexander Rentsch.