Friedensbewegung: Sich neu aufstellen und zuspitzen

Das Bündnis »Rheinmetall entwaffnen!« hat am 28. August gemeinsam mit bis zu 500 Menschen zwei Produktionsstätten des Panzerbauers Krauss-Maffei-Wegmann in Kassel blockiert. Es zeigt, dass eine Radikalisierung der Aktionen in Richtung des massenhaften Ungehorsams der richtige Schritt ist, um den politischen Druck zu erhöhen und die Bewegung zu erneuern.

Manch eine*n mag es empören, für viele ist es offensichtlich: Die Friedensbewegung muss sich erneuern, generationell, protest-kulturell, strategisch. Keine Frage, die Verdienste der Vergangenheit sind groß und das organisatorische Fundament der Bewegung immer noch vorhanden. Das zeigen u.a. die Ostermärsche, wenn jährlich in 50 bis 100 deutschen Städten mobilisiert wird. In fast jeder Kleinstadt in Deutschland gibt es sie, die organisatorischen Kerne. Und gleichzeitig machen die Ostermärsche auch deutlich, was schief läuft: In Berlin kommen 2019 einige hundert Menschen zusammen. Auch wenn man schon 40 Jahre alt ist (wie ich), kommt man sich ziemlich jung vor. Musikdarbietungen und Protestschilder wirken wie aus den 70er Jahren und wahrscheinlich sind sie es auch. Das heißt nicht, dass nur junge Leute das Recht haben zu protestieren, vielmehr müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich eine intergenerationelle Protestkultur und -bewegung entwickeln kann. Der Berliner Ostermarsch wirkt zahnlos (im übertragenen Sinne), er ist weit davon entfernt, den Willen zur Veränderung auf die Straße zu tragen.

Neue strategische Bündnispolitik

Wie kann eine Erneuerung der Antikriegsbewegung gelingen? Zum einen muss sie sich ideologisch und organisatorisch öffnen für neue Bündnispartner*innen und zum anderen muss sie sich auf der Straße radikalisieren. Die Brücken zu anderen Kämpfen und Bewegungen sind in vielen Fällen inhaltlich schon geschlagen. Aber das Gemeinsame dieser Kämpfe muss auch in der Praxis gesucht und explizit gemacht werden, mit »Ende Gelände«, mit der antirassistischen »Seebrücke« und mit der kurdischen Freiheitsbewegung. Ist der Zusammenhang zwischen Krieg und Klimakrise bzw. Umweltzerstörung einerseits und der zwischen Flucht und Krieg andererseits in weiten Teilen der Bewegung wahrscheinlich konsensfähig, ist es der Schulterschluss mit der kurdischen Bewegung zumindest in Teilen der »alten« Friedensbewegung sicherlich nicht. Dabei ist sie in hohen Maße progressiv. Sie steht für eine Überwindung der ethnisierten Konflikte, für Feminismus und Basisdemokratie. Sie ist die Hoffnung und Blaupause für eine Demokratisierung und für Frieden im Nahen Osten.

Das Bündnis »Rheinmetall entwaffnen!« steht für diesen Schulterschluss. Sowohl für absolute Pazifist*innen als auch für Verteidiger*innen des syrischen Diktators Assad ist das sicher nur schwer zu verdauen. Gut so! Diese Teile der Bewegung sind ein Hindernis für die Erneuerung. Ihre Ideologie muss überwunden und die Fortschrittlichkeit der kurdischen Bewegung anerkannt werden.

Aktionsformen

Die Friedensbewegung weiß es eigentlich: Aktionen des Zivilen Ungehorsams sind angesichts von Krieg, Tod und Vertreibung nicht nur legitim, sondern auch notwendig. Wieso also findet das nicht viel häufiger statt? Die typische Aktionsform der »alten« Friedensbewegung ist eher eine Kundgebung, die meist als Fototermin für Journalist*innen konzipiert wird. Die Deeskalationsstrategie der Rüstungskonzerne und der politisch Verantwortlichen hat dazu geführt, dass die Polizei unsere Blockaden nicht geräumt hat. Offensichtlich wollen die Konzerne keine Bilder einer von der Polizei gewaltsam geräumten Blockade. Selbst das Firmenschild von KMW wurde für den Aktionstag abmontiert. Die Konzerne ducken sich weg, die Polizei greift nicht ein. Das Bündnis »Rheinmetall entwaffnen!« steht nun vor der Frage, ob und wie die Blockadeaktionsform weiter zugespitzt werden kann. Denn welchen Sinn ergibt eine regelüberschreitende Aktion, wenn der Regelübertritt kommentarlos toleriert wird?

Gemeinsam mächtig werden

Es ist nicht nur moralisch richtig, gegen die Kriegsindustrie zu mobilisieren und die Konzerne in den Fokus zu nehmen, sondern auch strategisch. Weil sie die öffentliche Auseinandersetzung nicht gewinnen können, scheuen sie sie und versuchen die Berichterstattung durch ihre Deeskalationsstrategie so gering wie möglich zu halten. Das zeigt uns, dass die Konzerne druckempfindlich sind und weitere Spielräume in der Auseinandersetzung gewonnen werden können. Die Blockadeaktionen haben auf der anderen Seite aber auch gezeigt, dass wir derzeit bestenfalls lästig für sie sind. Wahrscheinlich mussten sie für den 28. August umdisponieren und ihre An- und Ablieferungen umplanen. Die Produktion an dem Tag lief nicht oder nur teilweise. Der nächste Schritt besteht darin, zu überlegen, wie wir zu einem permanenten Ärgernis werden können. Die Bereitschaft, ihn gemeinsam zu gehen, würde zugleich auch bedeuten, in der Frage der Erneuerung der Bewegung voranzukommen.

Autor: Daniel Seiffert ist aktiv im Bündnis Rheinmetall entwaffnen! und in der Interventionistischen Linken. Der Beitrag erschien zuerst beim Netzwerk Friedenskooperative.

Bild: Eruption eines Vulkans. Ist die Friedensbewegung zu einem neuen, gar eruptiven, Aufbruch in der Lage? Bild von Ramon.