Keine Überraschungen – mehr Herausforderungen

Unsere Wahrnehmung politischer Kräfteverhältnisse und Perspektiven hat immer auch damit zu tun, an welchen Orten wir aktiv sind. Auf Grundlage ihrer Erfahrungen in Mecklenburg-Vorpommern argumentiert die Interventionistische Linke Rostock, dass die Ergebnisse der Bundestagswahl nicht unerwartet kamen. Zudem plädieren die Genoss*innen dafür, im Kampf gegen Rechts nicht in eine reine Abwehrhaltung zu verfallen, sondern weiterhin offensiv für linksradikal Positionen und solidarische Alternative zu kämpfen.

Um ehrlich zu sein, wirklich überrascht waren wir nicht. Während bundesweit viele Medien und teilweise auch linke Kreise aus der eigenen Betroffenheit kaum herauskamen, waren die Ergebnisse der AfD in der Bundestagswahl 2017 das, womit wir fest gerechnet haben. Auch das überdurchschnittliche Abschneiden der AfD beispielsweise in Sachsen, wo sie stärkste Kraft wurde, kam für uns als ostdeutsche Ortsgruppe aus Mecklenburg-Vorpommern nicht unerwartet. Dies ergibt sich weniger aus dem Verfolgen vorheriger Wahlprognosen, sondern aus der Beobachtung der politischen Kräfte und politischen Einstellungen im Bundesgebiet und in unserem Nahumfeld. Vielleicht liegt es daran, dass wir »Ossis« der Wendezeit sind und uns der Umgang mit Nazis eher im Alltag begleitet, aber wir gehen von einer breiten gesellschaftlichen Verankerung rassistischer Positionen aus. Nicht umsonst erzählen uns die Studien zu den »Deutschen Zuständen« gebetsmühlenartig seit mehreren Jahren, dass über ein Drittel der bundesdeutschen Gesellschaft diskriminierende Positionen vertritt. Vielleicht ist es aber auch unsere Erfahrung mit der Partei die Linke (PdL), wegen der wir weniger Hoffnung auf eine parlamentarische Vertretung linksemanzipatorischer Positionen haben als andere.

Abschiebungen stoppen – 1992, heute, in Zukunft!

Als Antifaschist*innen in oder aus Rostock ist für viele von uns die Auseinandersetzung mit dem rassistischem Pogrom von Lichtenhagen im August 1992 identitätsstiftend: in Gesprächen mit älteren, damals jugendlichen Genoss*innen, im Kampf gegen lokale faschistische Gruppen, die das Pogrom als positiven Bezugspunkt nehmen oder in Auseinandersetzung mit der Stadtpolitik und den lokalen Medien, die sich auch 25 Jahre später nicht scheuen, die Opfer des Pogroms mit rassistischen Stereotypen als eigentliche Verursacher*innen zu benennen – und sich gleichzeitig unwillig zeigen, das Pogrom als solches anzuerkennen, geschweige denn, die eigene Mitverantwortung aufzuarbeiten. Kurze Rede, langer Sinn: Auch wenn es vor Ort mittlerweile viele aktive zivilgesellschaftliche Bündnisse gibt, die sich gegen Faschismus und Rassismus einsetzen oder auch im Zuge des »Summer of Migration« aktive Antira-Arbeit leisteten, ist der rassistische Gegenpol nie verschwunden und stets präsent.

Interessanterweise ist es genau die »Generation Lichtenhagen« oder »Generation Hoyerswerda«, die zur Wendezeit jugendlich bzw. junge Erwachsene waren, deren Altersgruppe nun verstärkt die AfD wählt. Der Rassismus der Menschen von vor 25 Jahren ist nicht mit dem Löschen eines brennenden Hauses verschwunden. Die herabgesetzte Hemmschwelle des »Das wird man wohl noch sagen dürfen« und der bejubelten Angriffe gegenüber Migrant*innen findet heute ihre Fortsetzung. Wenn wir uns die Fotos der antifaschistischen Gegendemonstration im August 1992 anschauen, sind die Forderungen auf den Bannern dort die gleichen wie unsere heute – kein Wunder, haben die verschiedenen Bundesregierungen das Asylrecht seither doch Jahr für Jahr immer weiter beschnitten. Dafür verantwortlich sind nicht nur die nach außen hin als rassistisch und oder konservativ erscheinenden Parteien, sondern ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs, der Abschiebungen als legitimes Mittel und die Unterteilung in »wirklich Schutzbedürftige« und »Wirtschaftsflüchtlinge als Sozialschmarotzer*innen« als salonfähig ansieht – und das auch unter roten bzw. rot-grünen Bundes- und Landesregierungen.

Die Partei, die Partei, die hat immer…

Neben dieser Erfahrung in Sachen Abschiebepolitik ist ein weiterer Grund, warum wir kaum bis wenig Hoffnung auf einen »Linksruck« der Gesellschaft durch eine parlamentarische Vertretung – konkret durch die PdL – haben, unsere Erfahrung mit einer rot-roten Landesregierung von 1998 bis 2006. Es ist schön zu hören, dass es in westdeutschen Gebieten und in potenten urbanen Räumen sehr aktive, links-emanzipatorische Landesverbände der PdL gibt, doch darf man diese »Exoten« aus unserer Sicht nicht mit einem Abbild des tatsächlichen Zustandes dieser Partei gleichsetzen.

(Nicht nur) in Mecklenburg-Vorpommern haben wir es mit einer Partei zu tun, die bei Wahlen immer noch relativ erfolgreich ist und in der dementsprechend der Sog der Macht durch die vielen zu besetzenden Posten so stark ist, dass Karrierist*innen jeden Versuch, linksradikale Politik zu betreiben, im Keim ersticken. Die festgefahrenen Strukturen werden teilweise dadurch gestützt, dass es sowohl in der Basis als auch auf höherer Ebene viele ältere Parteimitglieder gibt, die ihr Demokratieverständnis seit ihrer unkritischen SED-Mitgliedschaft in der DDR nicht weiter entwickelt haben. So stößt es häufig niemandem auf, wenn am Anfang einer Abstimmung schon klar ist, was am Ende heraus kommen wird.

Auch nationalistische Einstellungen und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeiten setzen sich in der PdL seit Langem fort. Auf Bundesebene mussten wir in der Migrationsdebatte in den letzten Jahren immer wieder ertragen, wie aus der PdL heraus rassistische Forderungen wiederholt wurden, anstatt mit linken Impulsen in die Debatte hineinzuwirken. Die Flügelkämpfe zerreiben die emanzipatorischen Kräfte mittlerweile zwischen einem staatstragenden Block und rassistischen Tendenzen. Es könnte behauptet werden, dass es auch in der PdL an einem spürbaren »solidarischen Pol« fehlt. Angesichts mancher Aussagen von Parteimitgliedern und auch der Abschiebepolitik der rot-rot-(grün)-regierten Bundesländer sollten wir vielleicht mal darüber sprechen, nicht nur Parteitage der AfD zu blockieren, sondern auch die der PdL.

Intervenieren, wenn es (tatsächlich) ums Ganze geht

Die aktuelle Entwicklung lädt dazu ein, sich in Abwehrkämpfe zu vertiefen. Wir finden diese wichtig, denken aber, dass sie nicht ausreichen. Nicht ohne Grund hat die IL sich in Abgrenzung zu einer autonomen Antifa-Politik entwickelt. Die Leerstellen, die wir jetzt in der linken Politik entdecken, bedeuten nicht, dass wir aktuell etwas falsch machen, sondern dass in den letzten 25 Jahren einiges versäumt wurde. Wir plädieren deshalb dafür, die aktuelle Situation auszuhalten und geduldig mit dem weiter zu machen, was wir ohnehin schon tun – soziale Kämpfe unterstützen, sichtbaren Protest organisieren und offen als Linke nach außen treten. Denn gerade in der aktuellen Zeit der Prekarisierung und multiplen Krise ist es unerlässlich, Netzwerke zu spinnen und Strukturen aufzubauen, die Türen jenseits des kapitalistischen Wahnsinns eröffnen und Sicherheit durch Solidarität ermöglichen. Nur weil die »parlamentarische Linke« ihren Namen nicht verdient, bedeutet es für uns eben nicht, all diese Formen im Kleinen, im medial Unsichtbaren zu vergessen, sondern sie genau in den aktuellen Zeiten herauszustellen und wirkmächtiger zu gestalten.

Auch wenn sich angesichts der nun starken parlamentarischen Vertretung rassistischer und konservativer Kräfte im ersten Moment Hoffnungslosigkeit einstellt, darf ein Blick in die bundesdeutsche Geschichte der Nachkriegszeit doch Anlass zur Hoffnung geben. Waren es doch die erzkonservativen 1950er und -60er Jahre der Bundesrepublik, die den Boden für eine linke Bewegung ebneten, die eigentlich bis vor ein paar Jahren sich kaum um die parlamentarischen Verhältnisse scherte, sondern sich explizit als außerparlamentarische Kraft, als soziale Bewegung verstand. Wir denken, dass der Erfolg zivilgesellschaftlicher Bündnisse, vom Kampf gegen Atomkraft seit den 1970er Jahren, bis hin zu vielen Ablegern nach »Dresden Nazifrei« oder den Unterstützungsnetzwerken nach dem »Summer of Migration« viel getan hat. Auch emanzipatorische Bildungsarbeit in Westdeutschland seit den 1968er in Form von AJZs, UJZs oder Ähnlichem oder in Ostdeutschland in Form kleiner Bildungsträger, die nach Lichtenhagen, Hoyerswerda und Co. antifaschistische Bildungsarbeit etablierten, zeigen ihre Wirkung: Bei den aktuellen U-18 Wahlen wäre die AfD bundesweit nur auf 6,8 Prozent gekommen, im Wahlkreis Rostock/Landkreis Rostock sogar nur auf 0,67 Prozent.

Auch wenn wir selbst kein großer Freund akademisierter Debatten – wie den Diskussionen um ein »dissidentes« oder »solidarisches« »Drittel« der Gesellschaft – sind, stellt sich doch stets die Frage, an wen sich unsere Politik richtet. Die Panik nach dem Einzug der AfD in den Bundestag, das Verzerren von vorherigen Grenzen in Richtung »Mit denen muss man jetzt auch reden«, ist aus unserer Sicht der falsche Weg. Gruppen wie die »Generation Lichtenhagen« sind nicht unsere Ansprechpartner*innen und Zielgruppen – und werden es nie sein. So sind es eben die jungen Menschen, die sich in prekarisierten Phasen von Ausbildung, Berufseinstieg oder Studium befinden, die mehrheitlich Ideale von Selbstbestimmung, Demokratie, Freiheit und Toleranz vertreten und eben die als »dissidentes« bzw. »solidarisches Drittel« beschriebene Gruppe über Altersgrenzen hinweg, die wir bereits jetzt durch Interventionen unterschiedlichster Art erreichen und die wir – das ist noch viel bedeutender – in die Artikulation des Unwillens, den Ist-Zustand mitzutragen, mit einbeziehen und an emanzipativen Formen von Diskussionen, gemeinsamen Verabredungen, Wohnformen, Krankheitsversorgung oder Arbeitsplätzen teilhaben lassen. Wir plädieren dafür, mehr über diese Gruppe zu reden, sie verstärkt auch in unsere defensiven Kämpfe von direktem Antifaschismus einzubeziehen, aber vor allem zusammen gesellschaftliche Alternativen zu entwickeln, die einen und mehrere Schritte nach vorne gehen – statt im Ist-Zustand zu bleiben oder eine defensive Kehrtwende einzulegen.

Die IL Rostock befindet sich nach zweijährigem Bestehen weiterhin im Aufbau. Der Weg ist das Ziel, denn die Organisierung linksradikaler Menschen und solidarischer Netzwerke ist aus ihrer Perspektive ein effektiver Ansatz gegen rechte Ideen und die autoritäre Formierung der Gesellschaft.

Bild: Das sogenannte »Sonnenblumenhaus« im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen, in dem die »Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber« und ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter untergebracht war. Vom 22. bis 26. August 1992 fand hier einer der massivsten rassistischen Progrome in Deutschland seit dem Ende des Nationalsozialismus statt.